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Elftes Kapitel.

Hier ist gut sein!
– – – Ihr kanntet dieses wackre Werk?

König Johann.

Julie Mannering an Matilde Marchmont.

»Ich nehme den abgebrochenen Faden meiner Erzählung von gestern wieder auf, theuerste Matilde.

»Einige Tage sprachen wir von nichts, als von unserer Belagerung und deren wahrscheinlichen Folgen, und suchten meinen Vater zu überreden, nach Edinburg zu gehen, oder zum wenigsten nach Dumfries, wo doch ziemlich gute Gesellschaft ist, bis die Rachewuth dieser Verbrecher abgekühlt sein würde. Er antwortete mit großer Ruhe, er sei nicht Willens, seines Wirthes Haus und sein Eigenthum der Zerstörung bloszustellen; man habe ihn immer für fähig gehalten, die nöthigen Maßregeln zur Sicherheit und zum Schutze der Seinigen zu nehmen, und er werde ruhig in Woodbourne bleiben, weil er glaube, daß der Empfang, den die Schurken gefunden hätten, sie schwerlich zu einem zweiten Versuche reizen würde; wollte er jedoch Besorgniß verrathen, so würde er gerade dadurch die Gefahr herbeiführen, welche wir fürchteten. Ermuthigt durch seine Gründe und die Gleichgiltigkeit, womit er von der besorgten Gefahr sprach, wurden wir ein wenig kühner und fingen unsre gewöhnlichen Spaziergänge wieder an. Doch mußten die Männer zuweilen ihre Flinten mitnehmen, wenn sie uns begleiteten, und ich bemerkte, daß mein Vater einige Nächte sehr besorgt war, das Haus wohl zu sichern und seinen Dienstleuten befahl, ihre Feuergewehre für den Fall der Nothwendigkeit in Bereitschaft zu halten.

»Aber drei Tage später ereignete sich wieder etwas, was mich weit mehr als der Angriff der Schmuggler beunruhigte.

»Ich erzählte dir, daß sich ein kleiner See in einiger Entfernung von Woodbourne befindet, wo die Herren zuweilen wildes Geflügel schießen. Ich äußerte beim Frühstücke den Wunsch, den zugefrornen See mit den Schlittschuhläufern und Kräuselspielern zu sehen. Der beschneite Boden war so fest gefroren und von den Neugierigen, die zu jenen Ergötzlichkeiten hinzogen, so hart getreten, daß Lucy und ich glaubten, uns so weit wagen zu können. Hazlewood bot uns seine Begleitung an und wir machten aus, daß er seine Flinte mitnehmen sollte. Er lachte anfangs über den Gedanken, traf jedoch, um unsre Besorgnisse zu entfernen, die Veranstaltung, daß ein Reitknecht, der auch gelegentlich das Amt eines Wildwächters versah, uns mit seiner Flinte folgen sollte. Was Oberst Mannering betrifft, so liebt dieser jenes Thun und Treiben der Menschen auf dem Schnee gar nicht, außer wenn es etwa militärische Manöver wären – er lehnte daher die Theilnahme am Spaziergange ab.

»Wir brachen ungewöhnlich früh auf; es war ein schöner frischer und heiterer Morgen, der unser Gemüth wie unsre Nerven durch seine reine Winterluft ungemein stärkte. Unser Weg zum See war sehr angenehm, oder die Schwierigkeiten waren doch von der Art, daß sie uns belustigten; etwa nur ein schlüpfriger Abhang, ein gefrorner Teich, über welchen wir mußten und der Hazlewoods Beistand durchaus nothwendig machte. Ich glaube nicht, daß diese gelegentlichen Verlegenheiten für Lucy den Spaziergang unangenehmer machten.

»Der Anblick des See's war außerordentlich schön. Eine Seite desselben wird von einem steilen Felsen begränzt, von welchem tausend ungeheure Eiszacken, in der Sonne schimmernd, herabhingen; auf der andern Seite war ein kleiner Fichtenwald, dessen dunkle Wipfel mit Schnee beladen waren. Auf der gefrornen Fläche des See's bewegten sich zahllose Gestalten; Einige flogen schnell wie Schwalben, Andere bewegten sich anmuthig im Kreise, und wieder Andere nahmen eifrigen Antheil an einem minder lebendigen Zeitvertreibe, wo die Einwohner der benachbarten Dörfer um den Preis im Kräuselspielen stritten. Die Besorgniß, welche Spieler und Zuschauer ausdrückten, verrieth, daß man der Ehre des Sieges große Wichtigkeit beilegte. Wir gingen rings um den See, während uns beide Hazlewood, um uns zu unterstützen, am Arm führte. Der gute Junge schwatzte so artig mit Jung und Alt und schien sehr beliebt unter der versammelten Volksmenge. Endlich dachten wir an die Heimkehr.

»Warum erwähn' ich alle diese Einzelheiten? – nicht, der Himmel weiß es, weil ich sie jetzt für anziehend halte – aber weil ich, gleich einem Ertrinkenden, der einen dünnen Zweig ergreift, alles benutze, um den nachfolgenden, schrecklichen Theil meiner Erzählung aufzuschieben. Aber ich muß Alles mittheilen – ich muß in diesem herzzerreißenden Unglück wenigstens eines Freundes Mitgefühl erwecken.

»Wir kehrten auf einem Fußpfade heim, welcher durch einen jungen Föhrenwald führte. Lucy hatte Hazlewoods Arm verlassen, denn nur wenn es die Nothwendigkeit durchaus verlangt, nimmt sie seinen Beistand an. Ich stützte mich noch auf seinen andern Arm. Lucy ging dicht hinter uns und der Reitknecht blieb ungefähr drei Schritte zurück. Jetzt bog sich der Pfad; da stand plötzlich, als wäre er aus dem Boden gestiegen, Brown vor uns. Er war sehr einfach, ja grob gekleidet, und es war in seinem ganzen Wesen etwas Wildes und Unruhiges. Ich schrie laut, halb überrascht, halb erschrocken. Hazlewood mißdeutete die Regung, die ich verrieth, und da Brown sich mir näherte, als ob er mit mir hätte sprechen wollen, rief ihm jener herrisch zu, er solle zurücktreten und mich nicht beunruhigen. Brown antwortete eben so stolz, er habe nicht nöthig, von ihm Belehrung zu empfangen, wie er sich gegen Frauen zu betragen habe. Ich glaubte wirklich, daß Hazlewood, der den vorgefaßten Gedanken hatte, der Unbekannte gehöre zu den Schmugglern und hege böse Absichten, ihn nicht ganz verstand. Er nahm dem Reitknechte, der in diesem Augenblicke an unsrer Seite war, ungestüm das Gewehr ab, und auf Brown anlegend, befahl er diesem nochmals, sich zu entfernen. Ich stieß einen Schrei des Entsetzens aus, der das unselige Ereigniß nur beschleunigte. Als Brown sich so bedroht sah, sprang er auf Hazlewood zu, rang mit ihm und hätte ihm beinah' das Gewehr entwunden, da ging der Schuß im Kampfe los und fuhr in Hazlewoods Schulter. Der Verwundete sank auf der Stelle nieder. Ich sah nichts mehr und schwankte ohnmächtig zurück. Wie Lucy mir nachher erzählt hat, blickte der unglückliche Thäter einen Augenblick auf das entsetzliche Schauspiel, bis ihr Angstgeschrei die Leute auf dem See in Bewegung brachte, von denen einige herbeieilten. Brown sprang über eine Hecke, welche den Fußpfad von dem Gehölze trennte, und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. Der Reitknecht versuchte nicht, den Thäter aufzuhalten oder ihn zu ergreifen, und was er den Leuten erzählte, die zu uns kamen, bewog diese eher, mich in's Leben zu rufen, als den Flüchtling zu verfolgen, der nach des Knechtes Beschreibung ein Mann von furchtbarer Stärke und vollständig bewaffnet war.

»Hazlewood ward nach Hause, das heißt nach Woodbourne, in Sicherheit gebracht – ich hoffe, seine Wunde sei durchaus nicht gefährlich, obwohl er sehr leidet. Aber für Brown müssen die Folgen sehr unglücklich sein. Er ist ohnehin schon ein Gegenstand der Erbitterung meines Vaters, und größere Gefahr drohen ihm nun die Verfolgungen der Gerechtigkeit und die Rache des alten Hazlewood, der Alles in Bewegung setzen will, den Thäter zu entdecken. Wie wird es ihm möglich sein, der rachgierigen Thätigkeit seiner Verfolger zu entfliehen! Wie wird er sich, wenn er gefangen wird, gegen die Strenge des Gesetzes vertheidigen können, die, wie ich höre, sein Leben in Gefahr bringen könnte? und wie kann ich Mittel finden, ihn vor der Gefahr zu warnen? Der armen Lucy schlecht verhehlter Gram über die Wunde ihres Geliebten ist ein zweiter Quell der Betrübniß für mich, und alles, was mich umgibt, zeugt so gegen die Unbesonnenheit, welche dieses Unglück veranlaßte.

»Zwei Tage lang war ich wirklich recht krank. Die Nachricht, daß Hazlewood sich erhole und daß man die Person, die ihn geschossen hatte, nirgends entdecken könne, daß man überhaupt nur wisse, sie sei von der Schmugglerbande – dies lieh mir einigen Trost. Da der Verdacht und die Verfolgung gegen jene Leute gerichtet ist, wird Brown um so leichter entfliehen können, und ich hoffe, er befindet sich bereits in Sicherheit. Aber Soldaten zu Pferd und zu Fuß durchstreifen die Gegend in allen Richtungen und ich werde durch tausend verworrene und unbestimmte Gerüchte von Verhaftungen und Entdeckungen zu Tode gemartert.

»Unterdessen gewährt mir den größten Trost Hazlewoods edelmüthige Aufrichtigkeit, welcher bei der Erklärung beharrt, daß die Flinte während des Kampfes durch Zufall losgegangen sei, was auch immer die Absicht des Unbekannten, der ihn verwundete, gewesen sein möge. Der Reitknecht hingegen behauptet, das Gewehr sei aus Hazlewoods Händen gewunden und mit Vorsatz gegen denselben gerichtet worden. Lucy neigt sich auch zu dieser Meinung. Ich glaube nicht, daß beide absichtlich übertreiben, – aber so trüglich ist nun einmal menschliches Zeugniß! Gewiß, der unglückliche Schuß geschah ohne alle Absicht. Vielleicht würde es am besten sein, wenn ich Hazlewood das ganze Geheimniß anvertraute; aber er ist noch so jung, und ich fühle die größte Abneigung, ihm meine Thorheit zu entdecken. Neulich wollte ich Lucy das Geheimniß enthüllen und fragte sie, ob sie sich der Gestalt und der Gesichtszüge des Mannes entsinne, der uns unglücklicherweise in den Weg gekommen sei; aber sie machte eine so gräßliche Beschreibung von dem Strauchdiebe, daß ich allen Muth und alle Lust verlor, meine Zuneigung zu ihm zu gestehen. In der That, Lucy hat sich von ihrer vorgefaßten Meinung sonderbar verblenden lassen: es gibt wohl wenig schönere Männer, als der arme Brown. Ich hatte ihn seit langer Zeit nicht gesehn; aber selbst bei seiner seltsamen, plötzlichen Erscheinung, und trotz seines sehr unvortheilhaften Anzuges, habe ich doch bemerkt, daß seine Gestalt anmuthiger geworden ist und daß seine Züge einen edlern Ausdruck gewonnen haben. Werde ich ihm je wieder begegnen? Wer kann diese Frage beantworten? – Schreibe mir freundlich, meine theuerste Matilde! – wann hast du es je anders gethan? – aber ich wiederhole, schreibe mir bald und schreibe mir freundlich. Ich bin nicht in der Lage, Rath oder Vorwürfe benutzen zu können, und habe nicht frohen Muth genug, sie durch Scherze abwehren zu können. Ich bin erschrocken wie ein Kind, das im gedankenlosen Spiele irgend eine mächtige Maschine in Bewegung gesetzt hat, und während es die rollenden Räder, die rasselnden Ketten sieht, über die furchtbare Kraft erstaunt ist, welche seine schwachen Hände in Thätigkeit setzten, und zugleich vor den Folgen zittert, die es nun erwarten muß, ohne sie abwenden zu können.

»Ich will nicht vergessen, zu bemerken, daß mein Vater sehr freundlich und zärtlich ist. Die Angst, die ich zu ertragen hatte, ist eine hinlängliche Entschuldigung für meine Nervenschwäche. Meine Hoffnung ist, Brown habe in England, oder in Irland, oder auch wohl auf der Insel Man eine Zuflucht gefunden. In beiden Fällen kann er den Ausgang der Krankheit des Verwundeten in Sicherheit und Geduld erwarten, da die Verbindung jener Länder mit Schottland in Hinsicht auf die Gerechtigkeit (dem Himmel sei Dank!) nicht eben sehr innig ist. Die Folgen seiner Verhaftung würden noch bis diesen Augenblick schrecklich sein. Ich bemühe mich, mein Gemüth durch allerlei Gründe gegen die Möglichkeit eines solchen Unglücks zu stärken. Ach! wie bald sind Kummer und Furcht, eben so wirklich als streng, auf die gleichmäßige und ruhige Lebensweise gefolgt, die ich noch neulich zu tadeln so sehr geneigt war! Aber ich will dich nicht länger mit meinen Klagen belästigen. Adieu, theuerste Matilde!

»Julie Mannering.«



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