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Fünftes Kapitel.

– – Gebt, Britten, Raum
Der wilden Jagdlust, daß sie ohn' Erbarmen
Den nächt'gen Räuber eurer Heerden hetze.
Ist er aus seinem Felsversteck getrieben,
Laßt ihn den Donner eurer Jagd verfolgen.

Thomson's Jahreszeiten.

Brown erwachte sehr früh am Morgen und ging aus, um seines neuen Freundes Wirthschaft zu betrachten. Alles sah roh und vernachlässigt aus in der Nähe des Hauses; – ein elender Garten war hier, wo man sich nicht die Mühe genommen hatte, die Umgebung trocken und erfreulich zu machen, und gänzlich fehlten all jene kleinen zierlichen Einrichtungen, die so angenehm in's Auge fallen, wenn man einen englischen Pachthof betrachtet. Trotzdem waren Anzeichen genug vorhanden, daß dies nur von Mangel an Geschmack, oder von Unwissenheit herrührte, keineswegs aber von Armuth oder der Nachlässigkeit, welche jene begleitet. Im Gegentheil, ein trefflicher Kuhstall, mit guten Milchkühen angefüllt, ein anderer mit zehn jungen Ochsen der besten Zucht, ein dritter Stall, mit zwei Gespannen tüchtiger Pferde, ein flinkes, fleißiges Hausgesinde, dem Anschein nach ganz zufrieden mit seinem Loose – mit einem Wort, ein Ansehn reichen, obwohl etwas schmutzigen Ueberflusses zeigte den wohlhabenden Pächter an. Das Haus lag auf einer sanften Anhöhe über dem Ufer des Flusses, wodurch die Bewohner von dem Kothe befreit wurden, welcher sich außerdem wohl ringsum gesammelt haben möchte. In geringer Entfernung befand sich die ganze Schaar der Kinder, mit Steinen spielend und Häuser bauend am Stamm eines großen alten Eichbaums, der Charlie-Busch hieß, weil der Sage nach ehemals ein Freibeuter dieses Namens den Ort bewohnt hatte. Zwischen dem Pachthof und der Hügelweide lag ein tiefer Morast, welcher sonst zum Schutze einer Burg gedient hatte, wovon keine Spuren mehr übrig waren, die jedoch von dem nämlichen tapfern Helden bewohnt worden sein sollte, dessen wir schon gedachten. Brown gab sich Mühe, mit den Kindern Bekanntschaft zu machen, aber die Rangen entflohen ihm wie Quecksilber – obwohl die beiden ältesten lauschend stehn blieben, nachdem sie sich ein gehöriges Stück entfernt hatten. Der Reisende wandte seine Schritte dann nach dem Hügel und ging über den erwähnten Sumpf auf einer Reihe eingelegter Steine, die weder besonders breit noch fest waren. Er war noch nicht weit am Hügel drüben empor gestiegen, als ihm ein herabsteigender Mann begegnete.

Er erkannte bald seinen wackern Wirth, obwohl ein grauer Schäfermantel die Stelle des gestrigen Reiserocks eingenommen hatte, während eine Mütze, mit wildem Katzenfell verbrämt, seinen verbundenen Kopf bequemer bedeckte, als es ein Hut gethan haben würde. Als er sich im Morgennebel näherte, konnte Brown, der die Männer nach Muskeln und Sehnen zu beurtheilen gewohnt war, nicht umhin, seine Länge, die Breite seiner Schultern und seinen festen Schritt zu bewundern. Dinmont machte im Innern Brown das nämliche Kompliment, weil er seine athletische Gestalt jetzt mit etwas mehr Muße betrachtete, als es früher geschehn war. Nach der gewöhnlichen Morgenbegrüßung fragte der Gast, ob sein Wirth etwa nachtheilige Folgen vom Angriffe der letzten Nacht spüre.

»Ich hatte das fast vergessen,« sagte der wackere Gränzbewohner; »aber nun denk' ich, da ich frisch und munter bin: wenn wir beide uns beim Withershins Latch befänden, jeder einen guten Eichenknittel in der Hand, da wollten wir nicht wanken und weichen, und wenn auch ein halb Dutzend jener Schnapphähne kämen.«

»Aber Sie thäten wohl gut, werther Herr,« sagte Brown, »wenn Sie ein oder zwei Stunden länger ruhten, nachdem Sie so schwere Contusionen empfangen haben.«

»Confusionen!« erwiederte der Pachter lachend; »Lord, Capitain, meinen Kopf macht nichts confus – ich sprang einmal auf und legte die Hunde auf den Fuchs, nachdem ich von der Höhe der Christenbury-Klippe gestürzt war, und das hätte denn doch eines Christenmenschen Kopf noch am ersten verwirren können; nein, mich verwirrt nichts, es müßte denn sein, daß ich zur unrechten Zeit einen Schluck zu viel tränke. Ueberdies mußt' ich heute die Runde machen und zusehen, wie es mit den Heerden steht – denn das Gesinde vernachlässigt alles, sobald man den Rücken wendet, und denkt nur an Tanz, Jahrmarkt und solche Possen. Und eben hab' ich Tam von Todshaw und noch einige von den Nachbarn an der Wasserseite getroffen; sie haben diesen Morgen eine Fuchsjagd vor, – wollen Sie mitgehn? Ich will ihnen Dumple geben, und werde selber die Stute reiten.«

»Ich fürchte nur, ich muß mich diesen Morgen verabschieden, Mr. Dinmont,« erwiederte Brown.

»Da müßte der Teufel drin sitzen,« rief der Pächter – »ich lasse Sie durchaus nicht unter vierzehn Tagen fort – nein, nein; man trifft solche Freunde, wie Sie, nicht jede Nacht in einem Newcastle-Moorgrund.«

Brown hatte sich keinen eiligen Reiseplan vorgeschrieben; er nahm daher bereitwillig die herzliche Einladung an, indem er versprach, eine Woche zu Charlies-hope zu bleiben.

Als sie nach dem Hause zurückgekehrt waren, wo die Hausfrau ein reichliches Frühstück besorgte, vernahm diese die Nachricht von der beabsichtigten Fuchsjagd zwar nicht eben billigend, jedoch ohne Unruhe oder Ueberraschung. »Dandy! du bleibst ewig der Alte, – nichts wird dich warnen, bis man dich einmal mit zerbrochenen Füßen heimbringt.«

»Ach, was!« antwortete Dandy, »du weißt ja selber, daß mir noch niemals was zugestoßen ist.«

So sagend, ermahnte er zugleich Brown, sein Frühstück zu beschleunigen, da »der Frost nachgelassen habe und die Spur diesen Morgen trefflich liegen müsse.«

Sie eilten daher den Otternanstand hinauf, indem der Pächter den Weg zeigte. Bald ließen sie das kleine Thal hinter sich und geriethen zwischen Berge, die ziemlich steil waren. Die Abhänge zeigten oft Gräben, durch welche zur Winterzeit oder nach starkem Regen die Gießbäche mit großer Heftigkeit niederrauschten. Einige Nebelschleier wogten an den Bergspitzen hin; es waren Reste der Morgenwolken, denn der Frost hatte einem gelinden Thauwetter Platz gemacht. Durch diese flockigen Nebelhüllen sah man unzählige temporäre kleine Bäche an den Seiten der Berge herniederrieseln, gleich Silberdrähten. Auf schmalen sogenannten »Schaftreppchen« entlang der Bergabhänge, auf welchen Dinmont mit furchtloser Ruhe dahin ging, kamen sie endlich dem Schauplatze der Jagd näher und sahen nun auch andere Männer, sowohl zu Roß als zu Fuß, welche dem Orte des Rendezvous zueilten. Brown konnte nicht begreifen, wie eine Fuchsjagd zwischen Hügeln stattfinden solle, wo höchstens ein an den Boden gewöhntes Pferd sicher auftreten könnte, wo aber der Reiter, der nur einen Fuß breit vom gehörigen Pfade wich, in Gefahr kam, in den Abgrund zu stürzen. Diese Verwunderung ward nicht vermindert, als er den Schauplatz der Handlung erreichte.

Sie waren allmälig sehr hoch gestiegen und befanden sich nun auf einem Bergrande, welcher über einem sehr tiefen, aber äußerst engen Thale hing. Hier hatten sich die Jäger versammelt, und zwar mit einem Apparate, der einen an gefährlichere Jagden gewöhnten Jäger in Staunen gesetzt haben würde; denn da der Gegenstand die Beseitigung eines schädlichen und verderblichen Thieres, so wie auch überhaupt das Vergnügen der Jagd war, so ward dem armen Reinecke weit weniger Spielraum gegeben, als wenn man ihn durch eine offene Gegend verfolgt hätte. Die Festigkeit seiner Wohnung jedoch und die Natur des Bodens, wovon jene von allen Seiten umgeben war, entschädigte ihn für die Unhöflichkeit seiner Verfolger. Die Seiten des Thales waren gebrochene Erdwände und verwittertes Felsgestein, welches zu dem kleinen Fluß, der sich unten durchwand, hinabrollte, und hier und da nur einigem Buschholz oder Distelstauden Nahrung gewährte. An den Flanken dieser Schlucht, die wie wir sagten, sehr schmal aber von bedeutender Tiefe war, reiheten sich die Jäger zu Fuß und zu Roß; fast jeder Pächter hatte zum wenigsten ein Paar großer und muthiger Windhunde bei sich, die sonst in dieser Gegend häufig waren, nun aber an Größe sehr abgenommen hatten, weil sie mit gemeinen Rassen gekreuzt waren. Der Jäger, eine Art Provinzialbeamter des Distriktes, der eine gewisse Abgabe an Mehl erhält und außerdem einen bestimmten Preis für jeden Fuchs, den er tödtet, befand sich bereits im Grunde des Thales, dessen Echo laut vom Gebell von zwei oder drei Paar Jagdhunden hallte. Dachshunde, einschließlich der ganzen Generation von Mustard und Pepper, wurden gleichfalls bereit gehalten, nachdem sie unter der Aufsicht eines Schäfers herbeigeschafft worden waren. Spitze und alle andern Arten von gemeinerer Gattung machten den Chorus der Hunde vollständig. Die Zuschauer am Rande der Schlucht oder des Thales hielten ihre Windhunde in Bereitschaft, um sie sogleich auf den Fuchs loszulassen, sobald die Thätigkeit der Gesellschaft in der Tiefe ihn einmal aus seinem Versteck getrieben haben würde.

Dies Schauspiel, obwohl für das Auge eines kunstgerechten Jägers nicht eben erfreulich, hatte doch einen gewissen Reiz. Die schwanken Gestalten am Bergrande, die den Himmel zu ihrem Hintergrunde hatten, schienen in der Luft zu schweben. Die Hunde, voll Ungeduld über ihren Zwang und in Aufruhr gebracht durch das Gebell unten, sprangen hin und her und zerrten an der Leine, welche sie hinderte, sich mit ihren Kameraden zu vereinen. Sah man abwärts, so bot sich ein eben so überraschender Anblick. Die dünnen Nebel waren noch nicht völlig zerstreut im Thale, so daß das Auge über ihrem Schleier oft umherirrte, um die Bewegungen der Jäger unten zu entdecken. Zuweilen machte ein Lufthauch die Scene sichtbar, und es schimmerte dann der bläuliche Bach herauf, wie er sich durch sein rauhes und einsames Thal in Krümmungen hinwand. Dann konnte man auch die Schäfer sehen, die mit ihrer furchtlosen Gewandtheit von einem gefährlichen Punkte zum andern sprangen und die Hunde auf die richtige Spur brachten; das Ganze aber ward durch die Tiefe und die Entfernung so verkleinert, daß die Gestalten nur wie Zwerge erschienen. Wieder schloß sich dann der Nebel über ihnen und die einzigen Anzeichen von ihren fortwährenden Anstrengungen blieben das Halloh der Menschen und das Gebell der Hunde, welches wie aus den Eingeweiden der Erde emporstieg. Als der Fuchs, so von einem Schlupfwinkel zum andern verfolgt, endlich genöthigt war, das Thal zu verlassen, um einen entlegenern Zufluchtsort zu suchen, ließen diejenigen, die von der Höhe seine Bewegungen beobachteten, ihre Windhunde los, welche, an Schnelligkeit den Fuchs übertreffend, an Wildheit und Muth aber ihm gleich, bald dem Leben des Räubers ein Ende machten.

Auf diese Weise, ohne daß man die gewöhnlichen und schicklichen Jagdregeln beobachtete, jedenfalls aber eben so sehr zur Zufriedenheit der Zwei- und Vierfüßler, als wenn man alle Kunstregeln gehörig befolgt hätte, wurden an diesem thatenreichen Morgen vier Füchse getödtet; selbst Brown, der doch die fürstlichen Jagden Indiens gesehn hatte und mit dem Nabob von Arcot auf einem Elephanten zur Tigerjagd geritten war, bekannte, daß ihm eine treffliche Morgenunterhaltung geworden sei. Als die Jagd für diesen Tag beendigt war, begaben sich die meisten der Jäger, der gewohnten Gastfreundschaft dieser Gegend gemäß, zum Mittagsessen nach Charlies-hope.

Während der Heimkehr ritt Brown eine Strecke neben dem Jagdbeamten und legte ihm einige Fragen vor, die sich auf die Art und Weise, wie er sein Amt verwaltete, bezogen. Der Mann ließ eine gewisse Scheu blicken, seinem Blicke zu begegnen, und zugleich merkte man ihm an, daß er sich gern von Brown's Begleitung und Unterhaltung befreit gesehn hätte, wofür dieser sich freilich keinen Grund denken konnte. Er war ein hagerer, finsterer, aber gewandter Mensch, und sein Körperbau war wohlgeeignet für das rauhe Gewerbe, welches er übte. Aber sein Gesicht hatte nicht die Offenheit eines muntern Jägers; er blickte niederwärts, war verlegen, und vermied die Blicke derjenigen, welche ihn fest in's Auge faßten. Nach einigen unbedeutenden Bemerkungen über das Glück des Tages, gab ihm Brown ein kleines Geschenk und ritt wieder zu seinem Wirthe. Die Hausfrau hatte daheim alles zu ihrem Empfange bereitet – Heerde und Hühnerhof hatte seinen Tribut zum Mahle geliefert, und die freundliche und herzliche Bewillkommnung entschädigte für alles, was hier an Eleganz und modischem Wesen fehlte.



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