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Sechzehntes Kapitel.

Gebt mir ein Glas Sekt, damit meine Augen roth
aussehen – denn ich muß leidenschaftlich reden, und ich
will es ganz in König Cambyses' Charakter thun.

Heinrich IV. Theil I.

Mannering verlor, in Begleitung Simsons, mit seiner Reise nach Edinburg keine Zeit. Sie reisten in des Obersts Kutsche, welcher, wohlbekannt mit seines Gefährten abstractem Wesen, darauf bedacht war, den Gelehrten nicht aus den Augen zu lassen; und am wenigsten mochte er ihn einem Pferderücken anvertrauen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach ein schelmischer Stallknecht den Gelehrten leicht dahin gebracht haben würde, mit dem Gesicht nach dem Schweife gewandt aufzusteigen. Mit Hilfe eines Dieners, der zu Pferde folgte, brachte ihn der Oberst daher sicher in ein Wirthshaus in Edinburg (Hotels gab es damals noch nicht,) und zwar ohne weitern Unfall, außer daß er ihn unterwegs zweimal verloren hatte. Bei der einen Gelegenheit ward er von Barnes, welcher sein Wesen kannte, aufgefunden, gerade als er, nach einem vertrauten Gespräch mit dem Schulmeister zu Moffat, betreffend eine streitige Stelle in Horazens siebenter Ode des zweiten Buchs, im Begriff war, einen neuen gelehrten Streit zu beginnen, und zwar über die wahre Bedeutung des Wortes Malobathro in diesem lyrischen Ergusse. Seine zweite Flucht geschah in der Absicht, das Schlachtfeld von Rullion-green zu besuchen, welches ihm als Presbyterianer sehr theuer war. Als er für einen Augenblick aus dem Wagen gestiegen war, sah er, etwa eine halbe Stunde entfernt, das Grabmal der Erschlagenen, und ward auf seinem Wege nach den Pentlandhügeln ebenfalls von Barnes eingefangen; bei beiden Gelegenheiten hatte er seinen Freund, Gönner und Reisegefährten so vollkommen vergessen, als ob er sich in Ostindien befunden hätte. Als er erinnert wurde, daß Oberst Mannering auf ihn warte, ließ er seinen gewöhnlichen Ausruf vernehmen: »Wunderbar! – ich hatte mich ganz vergessen,« und mit diesen Worten eilte er auf seinen Posten zurück. Barnes wunderte sich über die Geduld seines Herrn bei solchen Gelegenheiten, denn er wußte aus Erfahrung, wie wenig der Oberst Vernachlässigung oder Verzug leiden konnte; aber Simson war in jeder Hinsicht eine bevorrechtete Person. Sein Gönner und er waren einander nie einen Augenblick im Wege, und sie schienen wirklich zu Lebensgefährten bestimmt zu sein. Wenn Mannering irgend ein Buch brauchte, so konnte Simson es bringen; wenn er Rechnungen in Richtigkeit haben wollte, so war jenes Beistand alsbald da; war er bemüht, sich auf irgend eine Stelle in den Klassikern zu besinnen, so bediente er sich des Dominie als eines Wörterbuchs; und jederzeit war diese wandelnde Statue weder anmaßend, wenn sie bemerkt ward, noch mürrisch, wenn sie sich selbst überlassen blieb. Für einen stolzen, verschlossenen, zurückhaltenden Mann, und ein solcher war Mannering in vieler Hinsicht, hatte jene Art von lebendigem Catalog und beseeltem Automat alle die Vortheile eines gelehrten Drehtisches.

Sobald sie in Edinburg angelangt waren und sich im George Inn nahe bei Bristo-port, damals in Besitz des alten Cockburn, (ich bin gern ausführlich,) eingerichtet hatten, ließ sich der Oberst vom Kellner einen Führer zu Mr. Pleydell, dem Advokaten, an den er einen Brief von Mac-Morlan hatte, bestellen. Sodann empfahl er Barnes, ein Auge auf Simson zu haben, und ging mit dem Führer fort, der ihn zu dem Rechtsgelehrten bringen sollte.

Jene Zeit ging dem Ende des amerikanischen Krieges kurz vorher. Das Verlangen nach Raum, freier Luft und Verschönerung hatte damals in Schottlands Hauptstadt noch keine besondern Fortschritte gemacht. An der Südseite der Stadt hatte man nur erst einige Versuche zu Verschönerungen gemacht, und die Neustadt im Norden, die sich seitdem so sehr erweitert hat, war damals eben angefangen worden. Aber der größere Theil der höhern Stände, und vorzüglich die Rechtsgelehrten, lebten noch immer in den düstern Kerkern der Altstadt. Die Sitten mancher alten Rechtsgelehrten hatten auch noch keine Neuerung erfahren. Einige namhafte Advokaten sahen noch immer ihre Clienten in Schenken, wie es vor fünfzig Jahren gewöhnlich war; und obwohl ihre Gewohnheiten von den jüngern Rechtskundigen bereits als altmodisch angesehen wurden, so wurde die Sitte, Wein und Schmauserei mit ernsten Geschäften zu mischen, doch noch von den ältern Consulenten geübt, welche den alten Weg liebten, entweder weil es eben ein solcher war, oder weil sie ihn zu gut kannten, um einen andern einschlagen zu mögen. Unter denen, welche die alte Zeit priesen und mit geflissentlicher Hartnäckigkeit die Sitten einer frühern Generation beibehielten, war auch dieser Paulus Pleydell, Esq., übrigens ein tüchtiger Gelehrter, trefflicher Sachwalter und rechtlicher Mann.

Unter der Leitung seines treuen Begleiters erreichte Oberst Mannering, nachdem er einige dunkle Gäßchen durchschritten hatte, endlich die Highstreet, die damals von den Stimmen der Austernweiber und Pastetenmänner widerhallte; denn es hatte, wie ihn sein Führer versicherte, so eben »acht auf dem Thurme geschlagen.« Es war lange her, seit Mannering in den Straßen einer belebten Hauptstadt gewesen war, welche, mit ihrem Lärmen und Tosen, ihrem Geräusch des Handels, der Schwelgerei und des Uebermuthes, ihrem manchfachen Schimmer und dem ewig wechselnden Getriebe der tausend Volksgruppen, vorzüglich bei Nacht ein Schauspiel bietet, welches, wenn auch aus den gemeinsten Stoffen zusammengesetzt, wenn man sie einzeln betrachtet, doch im Ganzen einen mächtigen Eindruck auf die Einbildungskraft übt. Die außerordentliche Höhe der Häuser war durch Lichter sichtbar gemacht, welche, unregelmäßig der Fronte entlang schimmernd, so hoch zu den Giebeln emporstiegen, daß sie wie Sterne, am Himmel funkelnd, erschienen. Dieser coup d'oeil, welcher in gewissem Grade noch existirt, war damals eindringlicher, weil die Häuser zu beiden Seiten in ununterbrochener Reihe standen, welche, nur da unterbrochen, wo sich die Northbridge mit der Hauptstraße verbindet, einen großartigen und gleichförmigen Platz bildete, der sich von der Fronte der Luckenbooths bis Canongate erstreckte, und in Breite und Länge mit der ungewöhnlichen Höhe der Gebäude zu beiden Seiten im Einklange stand.

Mannering hatte zum Sehen und Bewundern wenig Zeit übrig. Sein Führer eilte mit ihm über diesen merkwürdigen Schauplatz, und tauchte dann plötzlich mit ihm in ein sehr abschüssig gepflastertes Gäßchen. Sich rechts wendend betraten sie nun die Treppe eines Hauses, deren Zustand, so weit er sich überhaupt mittelst eines der fünf Sinne beurtheilen ließ, Mannerings Geduld nicht wenig prüfte. Nachdem sie vorsichtig bis zu einer beträchtlichen Höhe emporgestiegen waren, hörten sie, noch zwei Treppen höher, ein schweres Klopfen an einer Thür. Die Thür öffnete sich und unmittelbar darauf erscholl das gellende Gebell eines Hundes, die scheltende Stimme eines Weibes, das Geschrei einer beleidigten Katze und die rauhe Stimme eines Mannes, welcher mit sehr gebieterischem Tone rief: »Willst du wohl, Mustard? willst du! nieder, Bursch, nieder!«

»Gott steh' uns bei!« sagte die weibliche Stimme, »wenn er unsre Katze erwürgt hätte, Mr. Pleydell hätte mir's nimmer vergeben!«

»Ei, was liegt an der Katze, er thut ihr nichts – Er ist also nicht zu Hause, sagt Ihr?«

»Nein, Mr. Pleydell ist Sonnabends nie zu treffen,« antwortete die weibliche Stimme.

»Und morgen ist Sonntag,« sagte der Frager; »ich weiß da nicht, was zu thun ist.«

Mittlerweile erschien Mannering, und erblickte einen hochgewachsenen, kräftigen Landmann, gehüllt in ein pfeffer- und salzfarbiges Gewand, mit ungeheuren Metallknöpfen, glänzendem Hut und glänzenden Stiefeln und einer großen Reitpeitsche unter dem Arm, im Gespräch mit einem Mädchen in Pantoffeln, welches die eine Hand am Thürschloß hatte und in der andern eine Gelte mit weißer Tünche, in Wasser aufgelöst, hielt – ein Umstand, welcher in Edinburg den Samstagabend andeutet.

»Also ist Mr. Pleydell nicht da, mein gutes Kind?« sagte Mannering.

»Ja, Sir, da ist er, aber er ist nicht im Hause: Sonnabends ist er immer außen.«

»Aber mein gutes Kind, ich bin ein Fremder und mein Geschäft eilt – Willst du mir sagen, wo ich ihn finden kann?«

»Der Herr,« sagte der Führer, »wird jetzt wahrscheinlich bei Clerihugh's sein – Sie könnte Euch das selber gesagt haben, aber sie dachte, Ihr wolltet ihn zu Hause sprechen.«

»Nun gut, zeigt mir diese Schenke – ich hoffe, ich werde ihn sprechen können, denn mein Geschäft ist von Wichtigkeit.«

»Ich weiß nicht, Sir,« sagte das Mädchen, »er läßt sich Sonnabends nicht gern mit Geschäften stören – aber gegen Fremde ist er gern gefällig.«

»So will ich auch nach der Schenke gehn« – sagte unser Freund Dinmont, – »denn ich bin auch ein Fremder und mein Geschäft ist auch wichtig.«

»Nun,« sagte das Mädchen, »wenn er den Gentleman spricht, wird er auch den schlichten Mann da sprechen – aber sagt ums Himmels willen nicht, daß ich Euch geschickt habe.«

»Gut, ich bin ein schlichter Mann, das ist wahr, aber ich bin nicht gekommen, um Einen seine Mühe umsonst an mich wenden zu lassen,« sagte der Pächter mit gerechtem Stolze und stolperte die Treppen hinab, gefolgt von Mannering und dessen Führer. Mannering mußte nothwendig die entschiedene Weise bewundern, auf welche der Fremde, der voranschritt, die Menge theilte, indem er, nur durch die Wucht und die Gewalt seiner Bewegung, trunkene wie nüchterne Personen zur Seite schob und so Bahn brach. »Er ist ganz gewiß von Teviotdale,« sagte der Führer, »man erkennt es daran, daß er immer die Mitte der Straße hält – er wird nicht weit gehn, ohne mit Jemand Händel zu bekommen.«

Diese Weissagung ging jedoch nicht in Erfüllung. Die, welche die ungeheure Wucht Dinmont's merkten, indem sie seine Größe und Stärke betrachteten, hielten ihn offenbar für ein zu gewichtiges Metall, um ihn leicht überwältigen zu können, und ließen ihn daher seinen Weg ungehemmt verfolgen. In seine Fußtapfen tretend folgte ihm Mannering, bis der Pächter anhielt und, sich nach dem Führer umsehend, sagte: »ich denke, hier wird es wohl sein, Freund?«

»Ja,« erwiederte Donald, »hier ist es.«

Dinmont stieg getrost hinab, wandte sich dann nach einem dunkeln Gange, darauf nach einer dunkeln Treppe, und endlich zu einer offenen Thür. Während er laut nach dem Aufwärter pfiff, als wenn dieser einer seiner Hunde gewesen wäre, sah sich Mannering um und konnte kaum begreifen, wie ein Gentleman von anständigem Beruf und guter Gesellschaft einen solchen Schauplatz für seine gesellige Unterhaltung zu wählen vermöchte. Abgesehen von dem miserabeln Eingang, schien das Haus selbst morsch und halb verfallen. Die Stelle, auf welcher sie standen, hatte ein Fenster, welches bei Tage ein schwaches Licht einließ, und zu allen Zeiten, vorzüglich aber des Abends, ein abscheuliches Gemisch von allerlei Gerüchen. Gegenüber diesem Fenster befand sich zur andern Seite des Ganges ein gleiches, welches nach der Küche führte, die keine direkte Verbindung mit der freien Luft hatte, aber bei Tage ein so ungewisses, mattes Afterlicht empfing, wie es durch das gegenüberliegende, nach dem Gäßchen sehende Fenster möglich war. Jetzt war das Innere der Küche bei dem gewaltigen Feuer darinnen sichtbar – eine Art von Pan-Dämonium, wo halb unbekleidete Männer und Weiber beschäftigt waren mit Backen, Kochen, Austernrösten oder mit der Bereitung von Hammelcoteletten; die Herrin des Ortes, mit niedergetretenen Schuhen und verworrenem Haar, welches gleich dem der Megäre unter einer kleinen Haube hervorquoll, arbeitete und schalt, gab und empfing Befehle, und indem Alles sogleich gehorchte, erschien sie als das regierende Zauberweib in dieser düstern und feurigen Höllenregion.

Lautes und wiederholtes Gelächter, aus verschiedenen Theilen des Hauses schallend, bewies, daß ihre Bemühungen angenehm waren und von einem dankbaren Publikum anerkannt wurden.

Mit einiger Schwierigkeit trieb man einen Kellner auf, der dem Oberst Mannering und Dinmont das Zimmer zeigen sollte, wo ihr Freund, der Rechtsgelehrte, sein wöchentliches Fest hielt. Die Scene die sich daselbst bot, und vorzüglich die Attitüde des Sachwalters selbst, der die Hauptperson war, ließ seine beiden Clienten höchlich erstaunen.

Mr. Pleydell war ein lebendiger, scharfblickender Mann, mit einer zu seinem Beruf passenden Schlauheit im Gesichte, auch hatte er überhaupt in seinem Benehmen etwas berufsmäßige Förmlichkeit. Aber diese, sowie seine dreizöpfige Perücke und den schwarzen Rock, konnte er Sonnabends am Abend ablegen, wenn er von einer Gesellschaft lustiger Gefährten umringt war und sich in seiner rosigen Laune befand. Dieses Mal hatte das Gelag seit vier Uhr gewährt und endlich begann die Gesellschaft, unter Leitung eines würdigen Vortrinkers, der die Späße und Feste bereits mit drei Generationen gefeiert hatte, sich mit dem alten und nun vergessenen Spiele, High Jinks, zu unterhalten. Dies Spiel ward auf verschiedene Weise gespielt. Gewöhnlich würfelte die Gesellschaft, und diejenigen, welche das Loos traf, mußten für eine bestimmte Zeit einen gewissen fingirten Charakter annehmen und behaupten, oder auch eine gewisse Anzahl spaßhafter Verse in einer besondern Ordnung hersagen. Wenn sie den angenommenen Charakter vergaßen, oder wenn sie ihr Gedächtniß beim Hersagen im Stiche ließ, fielen sie in Strafe, welche darin bestand, daß sie entweder einen vollen Humpen auf einmal leeren, oder eine kleine Summe zur Zeche erlegen mußten. Mit diesem Spiel war die heitere Gesellschaft eifrig beschäftigt, als Mannering in's Zimmer trat.

Mr. Pleydell, der Sachwalter, war soeben zum Monarchen erwählt worden und thronte in einem Lehnstuhle, der auf dem Eßtische stand; seine zerzauste Perücke hing auf dem einen Ohr und ein Flaschenuntersetzer war seine Krone; sein Auge deutete frohe Laune und Genuß des süßen Weines an, während ihn sein Hof ringsum mit Versen ansang, die ungefähr wie der folgende klangen:

»Wo ist Gerunto nun? Was ward aus ihm zuletzt?
Weil er nicht schwimmen konnt', ist er ertrunken jetzt.« u. s. w.

Von der Art, o Themis, waren ehemals die Scherze deiner schottischen Söhne! Dinmont war zuerst in's Zimmer getreten. Einen Augenblick stand er von Staunen ergriffen, – und dann rief er: »Er ist's, das ist gewiß – aber dergleichen hab' ich doch noch in meinem Leben nie gesehn!«

Bei dem Rufe: »Mr. Dinmont und Oberst Mannering wollen mit Ihnen sprechen, Sir,« wandte Pleydell sein Haupt und erröthete ein wenig, als er die edle Gestalt des Fremden aus England sah. Er war indeß der Meinung Falstaffs: »Aus, ihr Schurken, spielt das Spiel aus!« und hielt es weislich für's Beste, völlig unbefangen zu scheinen. »Wo sind unsre Leibwachen?« rief dieser zweite Justinian; »seht ihr nicht einen fremden Ritter, aus fernen Landen kommend, an unserm Hofe Holyrood anlangen, – mit unserm kühnen Knappen Andreas Dinmont, welcher die Aufsicht unserer königlichen Heerden im Walde von Jedwood übernommen hat, wo, Dank unserer königlichen Fürsorge in Verwaltung der Gerechtigkeit, sie völlig sicher weiden? Wo sind unsere Herolde, wo unser Lyon, unser Marchmount, unser Carrick und unser Snowdown? Laßt die Fremden an unserer Tafel Platz nehmen und bewirthet sie, wie es sich für ihren Rang ziemt, und für diesen unsern hohen Festtag – morgen wollen wir ihre Botschaften anhören.«

»Mit Eurer Erlaubniß, mein Fürst, morgen ist Sonntag,« sagte einer aus der Gesellschaft.

»Sonntag ist morgen? so wollen wir der Kirche kein Aergerniß geben. – Zum Montag sollen sie Audienz haben.«

Mannering, der anfangs unschlüssig gewesen war, ob er vortreten oder sich zurückziehen solle, entschloß sich jetzt für den Augenblick auf die Posse einzugehen, obwohl er innerlich auf Mac-Morlan zürnte, der ihm einen närrischen Sonderling zum Sachwalter empfohlen hatte. Er näherte sich daher mit drei tiefen Verbeugungen und bat um Erlaubniß, sein Beglaubigungsschreiben zu den Füßen des schottischen Monarchen niederlegen zu dürfen, damit es derselbe nach Bequemlichkeit lesen möge. Die Gravität, mit welcher er sich der Laune des Augenblicks fügte, und die tiefe und demüthige Verbeugung, mit welcher er zuerst den Sitz ablehnte und dann annahm, den ihm der Ceremonienmeister präsentirte, verursachten einen dreimaligen Applaus.

»Der Teufel hol' mich, wenn sie nicht all zusammen toll sind!« sagte Dinmont, mit wenig Ceremonie einen Sitz unten an der Tafel einnehmend, »oder sie haben vor der Zeit Feiertag angefangen und sind all' mit einander illuminirt.«

Ein volles Glas Claret ward Mannering gereicht, welcher es auf die Gesundheit des regierenden Fürsten trank. »Ihr seid, wie ich vermuthe,« sagte der Monarch, »der berühmte Miles Mannering, der sich in den französischen Kriegen so hervorthat, und könnt uns wohl belehren, ob die Gascognerweine in unsern nördlichen Reichen ihr Arom verlieren.«

Mannering, angenehm durch diese Anspielung auf den Ruhm seines gefeierten Ahnen berührt, antwortete, indem er sich blos als fernen Verwandten des berühmten Ritters vorstellte und setzte noch hinzu, »daß seiner Meinung nach der Wein vortrefflich sei.«

»Er ist zu kalt für meinen Magen,« sagte Dinmont, das Glas niedersetzend, (aber erst nachdem es leer).

»Wir wollen diesen Umstand verbessern,« antwortete König Paulus, seines Namens der Erste; »wir haben nicht vergessen, daß die nebelige und feuchte Luft unsers Thales Liddell zu stärkern Getränken geneigt macht. – Seneschall, laßt unsern treuen Lehensmann einen Becher Branntwein haben; dies wird ihm dienlicher sein.«

»Und nun,« sagte Mannering, »da wir uns in Ew. Majestät fröhliche Einsamkeit eingedrängt haben, mögt Ihr uns gnädigst kund thun, wann Ihr einem Fremden Audienz gewähren wollt, in Bezug auf die hochwichtigen Angelegenheiten, die ihn zu Eurer nordischen Hauptstadt geführt haben.«

Der Monarch öffnete Mac-Morlans Brief, und, denselben hastig durchfliegend, rief er mit seinem natürlichen Ton und Benehmen: »Lucy Bertram von Ellangowan, armes gutes Mädchen!«

»Strafe! Strafe!« riefen ein Dutzend Stimmen; »Sr. Majestät haben ihren königlichen Charakter vergessen!«

»Gar nicht! gar nicht!« erwiederte der König; »dieser edle Ritter mag urtheilen. Darf ein Monarch nicht ein Mädchen niedern Ranges lieben? Ist nicht König Cophetua und das Bettlermädchen ein schlagendes Beispiel?«

»Handwerksmäßiger Ausdruck! – noch einmal Strafe,« rief der tumultuarische Adel.

»Hatten nicht unsre königlichen Vorfahren,« fuhr der Monarch mit erhobener Stimme fort, um das Geschrei der Mißvergnügten zu übertäuben, »hatten sie nicht ihre Johanna Logies, ihre Bessie Carmichaels, ihre Oliphants, ihre Sandilands und ihre Weirs? und will man uns nun daran hindern, wenn wir ein Mädchen mit unsrer Gunst ehren wollen? Nun, so falle der Thron und die Herrscherwürde vergehe! denn als ein zweiter Karl V. wollen wir abdanken und im Dunkel des Privatlebens jenes Vergnügen suchen, welches uns ein Thron versagt.«

Mit diesen Worten warf er seine Krone weg und sprang von seinem erhabenen Sitze mit größerer Behendigkeit, als man von seinem Alter hätte erwarten sollen; darauf bestellte er Licht, ein Waschbecken und Handtuch, und ein Glas Thee auf ein anderes Zimmer, und gab Mannering ein Zeichen, daß er ihn begleiten möge. In weniger als zwei Minuten wusch er Gesicht und Hände, ordnete seine Perücke vorm Spiegel und erschien nun, zu Mannerings größtem Staunen, als ein ganz anderer Mensch, denn jener, den er im Augenblick vorher gesehen hatte.

»Es gibt Leute,« sagte er, »Mr. Mannering, die man beobachten sollte, wie sie den Narren spielen – weil sie entweder zu viel Bosheit, oder zu wenig Witz haben, wie der Dichter sagt. Ich kann dem Oberst Mannering kein besseres Kompliment machen, als wenn ich ihm zeige, daß ich mich nicht schäme, mich ihm vorzustellen – und wirklich glaube ich, daß ich dies heut Abend Ihnen bereits zur Genüge bewiesen habe. – Aber was mag der große starke Kerl wollen?«

Dinmont, der hinter Mannering ins Zimmer geschlüpft war, begann mit Fußscharren und Kratzen hinter dem Ohr. »Ich bin Dandy Dinmont, Sir, von Charlies-hope – Ihr erinnert Euch meiner? – Ihr habt einen großen Proceß für mich gewonnen.«

»Was für einen Proceß, närrischer Mensch!« sagte der Sachwalter, »meint Ihr, ich kann an all' die Narren denken, die kommen, um mich zu plagen?«

»Gott, Sir, es war der große Proceß wegen der Weide von Langtae-head!« sagte der Pächter.

»Nun, zum Henker, ich entsinne mich nicht; gebt mir das Memorial und kommt Montag um zehn Uhr zu mir,« erwiederte der Rechtsgelehrte.

»Aber, Sir, ich habe gar nichts Schriftliches.«

»Gar nichts, Mann?« sagte Pleydell.

»Nein, Sir, nichts,« antwortete Dandy; »Ihr sagtet ja immer, Mr. Pleydell, erinnert Euch nur, daß Ihr uns Leute aus den Bergen unsre Sachen am liebsten mündlich vorbringen hörtet.«

»Der Kuckuk hole meine Zunge, wenn sie das sagte!« antwortete der Sachwalter, »meine Ohren müssen jetzt dafür leiden. – Wohlan, sagt in zwei Worten, was Ihr zu sagen habt – Ihr seht, der Gentleman wartet.«

»O, Sir, wenn der Gentlemann Lust hat, mag er seine Sache zuerst anbringen; dem Dandy ist das gleichviel.«

»Nun, Ihr Narr,« sagte der Advokat, »begreift Ihr nicht, daß dem Oberst Mannering gar nichts an Eurer Sache liegen kann, daß er aber deine großen Ohren durchaus nicht mit seinen Angelegenheiten wird unterhalten wollen?«

»Wohlan, Sir, ganz nach Eurem und seinem Belieben – So hört denn meine Sache an,« sagte Dandy, ganz und gar nicht durch die rauhe Behandlung mißvergnügt gemacht. »Wir sind wieder wegen der alten Gränzgeschichten in Streit, Jock von Dawston Cleugh und ich. Ich sage, die Gränze fängt an auf der Spitze des Hügels, wo die Wetter- und Wasserscheide ist; aber Jock von Dawston Cleugh widerspricht mir und sagt, sie begänne bei der alten Straße, die nach Keeldarward führt – und das macht nun einen Unterschied.«

»Und was für einen Unterschied macht es, Freund?« sagte Pleydell. »Wie viel Schaafe lassen sich davon füttern?«

»O, nicht viel,« sagte Dandy, indem er sich wieder hinter dem Ohr kratzte, – »das streitige Stück liegt hoch und ungünstig; es kann ein Schwein nähren, oder allenfalls zwei in einem guten Jahre.«

»Und dieses Weideplatzes wegen, der im Jahr vielleicht fünf Schilling einbringt, seid Ihr bereit, ein paar hundert Pfund wegzuwerfen?«

»O, Sir, es ist nicht des Werthes der Weide wegen,« erwiederte Dinmont; »'s ist nur des Rechtes wegen.«

»Mein guter Freund,« sagte Pleydell, »Gerechtigkeit, ebenso wie Barmherzigkeit, sollte stets zu Hause beginnen. Laßt Eurem Weib und Eurer Familie Gerechtigkeit wiederfahren, und denkt nicht weiter an jene Sache.«

Dinmont zögerte noch, den Hut in der Hand drehend – »'s ist nicht darum, Sir, – aber ich mag ihm nicht nachstehen – er will ein Paar Dutzend Zeugen, oder noch mehr, für sich beibringen – und ich bin gewiß, daß eben so viel für mich, als für ihn schwören werden, Leute, die immer in Charlies-hope gelebt haben, und die nicht gern sehen, wenn das Recht des Gutes beeinträchtigt wird.«

»Nun, Mann, wenn es eine Ehrensache ist,« sagte der Sachwalter, »warum gleichen es die Herrn auf dem Lande dann nicht aus?«

»Ich weiß nicht, Sir,« (wieder hinterm Ohr kratzend,) »aber es hat sich in der letzten Zeit keine Gelegenheit geboten, und die Lairds sind eben nicht nachbarlich; Jock und ich, wir richten bei ihnen nichts aus, was wir auch sagen mögen« –

»Daß euch der Henker!« rief Pleydell, – »warum nehmt ihr nicht tüchtige Knittel und fechtet die Sache aus?«

»Ach, Sir,« antwortete der Pächter, »wir haben das schon dreimal versucht – das heißt, zweimal auf dem Lande, und einmal auf dem Jahrmarkt zu Lockerby – aber ich weiß nicht, wie es ist – wir verstehn dergleichen beide gut und es konnte zu keiner Entscheidung kommen.«

»Dann greift zu Schwertern, hol' euch der und jener! und thut, wie eure Väter vor euch thaten,« sagte der Rechtsgelehrte.

»Ei, Sir, wenn Ihr meint, daß es dem Gesetz nicht zuwider läuft – dem Dandy wär' es eben auch recht.«

»Halt! halt!« rief Pleydell, »das gibt ein Mißverständniß, wie jenes mit Lord Soulis – Ich bitt' Euch, Freund, versteht mich recht; ich möchte nur gern, Ihr bedächtet, wie kleinlich und thöricht ein solcher Rechtsstreit ist, wie Ihr ihn anspinnen wollt.«

»So, Sir?« sagte Dandy im Tone der Enttäuschung. »Also wollt Ihr meine Sache nicht annehmen, wie?«

»Ich! gewiß nicht – geht heim, geht heim, trinkt mit einander und vertragt euch.« Dandy schien nur halb zufrieden und blieb noch stehen. – »Gibt es noch etwas, mein Freund?«

»Sir, nur noch etwas wegen der Erbschaft jener Dame, die neulich gestorben ist, der alten Miß Margarete Bertram von Singleside.«

»Ei, was habt Ihr damit zu thun?« sagte der Sachwalter höchlich erstaunt.

»Nun, wir sind nicht mit den Bertrams verwandt,« sagte Dandy, – »sie waren große Leute und nicht unsers Gleichen – Aber Hanne Liltup, die war des alten Singleside Haushälterin, und die Mutter der beiden jungen Ladies, die nun todt sind. Die letzte von ihnen starb in reifem Alter. Hanne Liltup stammte von Liddel und war nah genug mit uns verwandt, denn sie war Geschwisterkind von meiner Mutter Stiefschwester. Sie ließ sich mit Singleside ein, (das ist sicher und gewiß,) als sie seine Haushälterin war, und das war ein wahres Herzeleid für ihre ganze Freundschaft. Aber er ließ sich mit ihr trauen, um der Kirche ihr Recht zu geben – und nun möcht' ich von Euch wissen, ob ich nicht einen rechtlichen Anspruch an die Erbschaft habe?«

»Nicht den Schatten eines Anspruchs.«

»Nun gut, das macht uns nicht ärmer,« sagte Dandy, – »aber sie kann wohl an uns gedacht haben, wenn sie ein Testament gemacht hat. – Wohlan, Sir, ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte – ich wünsche Euch nun eine gute Nacht, und« – hierbei steckte er die Hand in die Tasche.

»Nein, nein, mein Freund; ich nehme niemals Gebühren in der Sonnabendnacht, oder von Jemand, der nichts Schriftliches bringt. Und nun fort mit Euch, Dandy.« Und Dandy machte seine Verbeugung und schied alsbald.



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