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Achtes Kapitel.

Nicht Herd noch Scheuer ist uns nun,
Nicht Hof noch Haus zu Theil,
Kein freundlich Weib, uns angetraut,
Zu fördern unser Heil.
In Höhlen ruhn bei Tage wir,
Die Nacht ist unser Tag;
Genießt sie, lust'ge Männer ihr,
So gut als jeder mag!

Joanna Baillie.

Brown vermochte nun seine Feinde zu zählen – es waren ihrer fünf; zwei von ihnen waren starke Männer, die entweder wirkliche Seeleute waren, oder Landstreicher, die diesen Charakter nur angenommen hatten; die andern drei, ein alter Mann und zwei junge Bursche, waren schmächtiger gebaut und schienen, ihres schwarzen Haars und ihrer dunkeln Gesichtsfarbe wegen, zu Meg's Stamme zu gehören. Sie ließen den Becher, aus welchem sie ihren Branntwein tranken, im Kreise herumgehen. »Dies auf seine glückliche Reise!« sagte einer der Seeleute, indem er trank; »'s ist freilich eine trübe Nacht, um den Himmel suchen zu wollen!«

Wir lassen hier mancherlei Flüche weg, womit diese biedern Gentlemen ihre Unterhaltung ausschmückten, und behalten nur diejenigen Redensarten bei, welche minder verletzend sind.

»Er fragt nicht mehr nach Wind und Wetter – er hat Zeit seines Lebens manchen Nordost ausgehalten.«

»Den letzten hielt er gestern aus,« sagte ein zweiter Räuber; »und nun mag die alte Meg um guten Wind für ihn beten, sie hat dergleichen ja schon früher oft gethan.«

»Ich will um keinen für ihn beten,« sagte Meg, »ebensowenig als für dich, du räudiger Hund. Die Zeiten haben sich sehr geändert, seit ich eine junge Dirne war. Damals gab es Männer, da fochten sie mit einander im offenen Felde, und lauerten nicht als Mörder bei Nacht. Und die Vornehmen waren mild gesinnt und gaben einem armen Zigeuner gern Wein und Brod; es war aber auch nicht Einer unter uns, vom Johnnie Faa, dem Hauptmann, bis zum kleinen Christie im Korbe, der ihnen das Geringste weggenommen hätte. Aber ihr habt die guten alten Regeln verlassen, und darum ist's kein Wunder, daß Halseisen und Ketten oft um euch rasseln. Ja, ihr seid anders geworden – ihr könnt eines braven Mannes Fleisch essen, seinen Trank trinken und auf dem Stroh in seiner Scheune schlafen, und darnach könnt ihr ihm das Haus anstecken und ihm die Kehl' abschneiden für seine Mühe! Blut klebt auch an euren Händen, ihr Hunde – mehr als je in ehrlichem Kampfe floß. Seht zu, wie ihr sterben werdet – der da trieb's lang', eh' er sterben konnte – er rang und kämpfte und konnte weder sterben noch leben; – aber ihr – die halbe Grafschaft wird zusehn, wenn ihr am Galgenholz hängt.«

Die Gesellschaft ließ bei Meg's Prophezeiung ein lautes Gelächter erschallen.

»Warum bist du hieher zurückgekommen, Alte?« sagte einer von den Zigeunern. »Konntest du nicht bleiben wo du warst, und den Cumberländern wahrsagen? – Geh' hinaus und stell' dich auf die Lauer, du alter Satan, und sieh zu, daß uns Niemand auf die Spur kommt; das ist Alles, wozu du jetzt noch gut bist.«

»Das ist es, wozu ich jetzt noch gut bin?« sagte die erzürnte Matrone. »Zu mehr als dem war ich gut in dem großen Gefecht zwischen unsern Leuten und Patrico Salmons; hätt' ich nicht mit diesen Fäusten hier geholfen (dabei hielt sie beide Hände empor), so würde dich Jean Baillie erdrosselt haben, du großmäuliges Hasenherz!«

Ein zweites Gelächter erhob sich hier auf Kosten des Helden, welcher den Beistand dieser Amazone erhalten hatte.

»Hier, Mutter,« sagte einer von den Seefahrern, »hier ist ein gutes Glas für dich, kümmert Euch nicht um die alten Geschichten.«

Meg trank den Branntwein, und indem sie sich von der weitern Unterhaltung zurückzog, setzte sie sich auf eine solche Weise vor dem Orte, wo Brown verborgen lag, nieder, daß nicht leicht Jemand dieser Stelle nahen konnte, ohne daß sie zuvor aufstand. Die Männer zeigten indeß keine Neigung, sie zu stören.

Sie setzten sich dicht um das Feuer und hielten geheimen Rath mit einander; der leise Ton, in welchem sie sprachen, und die Diebssprache, deren sie sich bedienten, verhinderte Brown, etwas von ihrer Unterhaltung zu verstehen. So viel begriff er im Allgemeinen, daß sie gegen eine gewisse Person einen großen Unwillen aussprachen. »Er soll sein Theil haben,« sagte einer, und flüsterte dann seinen Kameraden etwas sehr leise in's Ohr.

»Ich mag damit nichts zu thun haben,« sagte der andere.

»Bist du hasenherzig geworden, Jack?«

»Nein, wahrlich, nicht mehr als du selbst – aber gleichwohl möcht' ich nicht, – es war etwas Aehnliches, was vor fünfzehn oder zwanzig Jahren den ganzen Handel verdarb – du hast doch von dem Sprung gehört?«

»Ich habe von ihm« (hier deutete er mit einem Kopfnicken auf den Todten) »die Geschichte erzählen hören. Beim Teufel, wie pflegte er zu lachen, wenn er uns zeigte, wie er ihn von der Klippe stieß!«

»Gut; aber das legte doch eine Zeit lang den Handel in Ketten,« sagte Jack.

»Wie ging das zu?« fragte der Andere.

»Ei,« erwiederte Jack, »das Volk wurde aufstützig, es wurde so mancher verhaftet –«

»Schon gut,« sagte der andere; »wir sollten dem Kerl wohl einmal einige dieser Bursche hier auf den Hals schicken, um ihn nach Gebühr zu tractiren.«

»Aber die alte Meg schläft nun,« sagte ein andrer; »sie wird schwachköpfig und fürchtet sich vor ihrem eignen Schatten. Sie wird noch alte Geschichten ausplaudern, wenn wir nicht sehr auf der Hut sind.«

»Seid unbesorgt,« sagte der alte Zigeuner; »Meg ist von ächter Zigeunerabkunft; sie ist gewiß die letzte von uns allen, die sich in Furcht jagen läßt – aber freilich hat sie oft wunderliche Manieren und braucht wunderliche Worte.«

Auf diese Weise setzten sie die Unterhaltung in einem dunkeln, unverständlichen Dialekte fort, der zum Theil mit bedeutsamen Winken und Zeichen ergänzt wurde, aber den betreffenden Gegenstand gleichwohl nie bestimmt oder in klaren Worten ausdrückte. Als endlich einer von ihnen bemerkte, daß Meg noch fest schlief oder wenigstens zu schlafen schien, befahl er einem der Burschen, »den schwarzen Peter hereinzubringen, damit man ihn öffnen könne.« Der Knabe ging nach der Thür und brachte einen Mantelsack herein, den Brown sogleich für den seinigen erkannte. Seine Gedanken wandten sich alsbald auf den unglücklichen Burschen, den er bei dem Wagen gelassen hatte. Hatten ihn die Schurken ermordet? diese Ungewißheit war es, die sein Gemüth schrecklich belastete. Seine angstvolle Aufmerksamkeit steigerte sich, und während die Räuber seine Wäsche und Kleidungsstücke nach einander hervorzogen und bewunderten, lauschte er ängstlich nach einer Andeutung, die ihm das Schicksal des Postillons anzeigen konnte. Aber die Schurken waren zu sehr über ihre Beute erfreut und zu sehr mit der Prüfung des Gefundenen beschäftigt, als daß sie sich ausführlich über die Art und Weise, wie sie dazu gekommen, hätten besprechen sollen. Der Mantelsack enthielt Verschiedenes zur Kleidung gehörige, ein Paar Pistolen, eine lederne Tasche mit einigen Papieren, etwas Geld u. s. w. Zu jeder andern Zeit würde es Brown außerordentlich gereizt haben, zu sehen, auf welche unceremoniöse Weise die Diebe sein Eigenthum theilten und sich noch auf Kosten des Besitzers lustig machten. Aber dieser Augenblick war zu gefahrvoll, als daß er noch andere Gedanken, außer dem an Selbsterhaltung, zugelassen hätte.

Nachdem sie den Mantelsack gehörig durchforscht und seinen Inhalt genau getheilt hatten, schritten sie zu dem weit ernstern Geschäfte des Trinkens, wobei sie den größten Theil der Nacht zubrachten. Brown hegte einige Zeit die Hoffnung, sie möchten so viel trinken, daß sie von Sinnen kämen, wo dann seine Flucht leicht zu bewerkstelligen gewesen wäre. Ihr gefährliches Geschäft jedoch verlangte Vorsichtsmaßregeln, die mit solcher unbeschränkter Unmäßigkeit gar nicht vereinbar waren. Drei von ihnen legten sich zur Ruhe, während der Vierte wachte. Nach einer zweistündigen Wache wurde er von einem andern abgelöst. Als die zweite Wache vorüber war, weckte die Schildwache alle, welche nun, zu Brown's unaussprechlichem Troste, Vorbereitungen zum Abzug zu machen begannen, indem sie die verschiedenen Gegenstände zusammenpackten, die sich ein jeder zugeeignet hatte. Indeß war noch immer einiges zu thun übrig. Zwei von ihnen brachten, nachdem sie zu Brown's großer Beunruhigung eine Zeitlang umhergesucht hatten, ein Grabscheit und eine Schaufel zum Vorschein, ein anderer holte eine Spitzhacke hinter dem Stroh hervor, worauf der Todte lag. Mit diesen Werkzeugen verließen ihrer zwei die Hütte, und die übrigen drei, unter denen sich die Seeleute, zwei sehr starke Männer, befanden, blieben noch als Besatzung zurück.

Nach Verlauf einer halben Stunde kam einer von den Fortgegangenen zurück und flüsterte mit den Andern. Sie wickelten den Leichnam in den Schiffermantel, welcher als Leichentuch gedient hatte, und trugen den Todten so hinaus. Gleich nachher erwachte die alte Sybille aus ihrem wirklichen oder erkünstelten Schlummer. Zuerst ging sie nach der Thür, als wolle sie den völligen Abschied ihrer Hausgenossen beobachten; sodann kehrte sie zurück und befahl Brown in leisem und halbunterdrücktem Tone, ihr sogleich zu folgen. Er gehorchte; als er jedoch die Hütte verließ, hätt' er sich gern wieder in den Besitz seines Geldes oder seiner Papiere gesetzt, aber dies verhinderte sie auf sehr gebieterische Weise. Es fiel ihm alsbald bei, daß der Verdacht, dasjenige, was er wieder zu besitzen wünschte, entfernt zu haben, auf dies Weib fallen würde, welchem er doch aller Wahrscheinlichkeit nach sein Leben verdankte. Er ließ daher sogleich von seinem Versuche ab, und begnügte sich damit, eine Waffe zu ergreifen, welche einer der Räuber zur Seite unter das Stroh geworfen hatte. Auf seinen Füßen stehend und im Besitz dieser Waffe, dünkte er sich bereits halb befreit von den Gefahren, die ihn umringten. Indeß fühlte er sich noch immer steif und unbeholfen, sowohl von der Kälte, als von der unbequemen und unveränderten Lage, worin er die ganze Nacht zugebracht hatte. Als er aber der Zigeunerin aus der Thür der Hütte folgte, gab die frische Morgenluft und die Bewegung des Gehens seinem Blute und seinen Gliedern neues Leben.

Das matte Licht eines Wintermorgens ward durch den Schnee heller gemacht, welcher ringsum lag und durch den strengen Frost schimmernd geworden war. Brown überschaute schnell die umliegende Landschaft, damit er den Ort einst wiedererkennen könnte. Der kleine Thurm, von dem nur ein einziges Gewölbe übrig war (dasselbe, worin Brown diese denkwürdige Nacht zugebracht hatte,) hing auf der Spitze eines vorragenden Felsens, der über dem kleinen Bache hing. Er war nur auf einer Seite zugänglich, und zwar von dem Graben oder der Schlucht unten. Auf den andern drei Seiten war das Ufer steil, so daß Brown am vorigen Abend mehr als einer Gefahr entgangen war; denn wenn er versucht hätte, rings um das Gebäude zu gehen, was anfangs sein Wille war, so würde er sich völlig zerschmettert haben. Das Thal war so eng, daß sich an einigen Stellen oben die Bäume von beiden Seiten berührten. Sie waren jetzt mit Schnee, statt mit Laub beladen, und bildeten so eine Art eisigen Baldachins über dem Bache in der Tiefe, welcher sich nur durch seine dunklere Färbung unterschied, während er seines Weges durch die Schneekränze leise hinsickerte. An einer Stelle, wo das Thal etwas weiter war und ein Stückchen ebenen Landes zwischen seinen Seitenwänden und dem Bachufer ließ, lagen die Ruinen des Dörfchens, in welches Brown am vorigen Abend gerathen war. Die zerfallenden Giebel, deren innere Seiten mit Torfruß überfirnißt waren, sahen jetzt noch schwärzer aus, da sie mit den Schneerinden im Contrast standen, welche der Wind gegen sie getrieben hatte, so wie mit der weißen Fläche ringsum.

Brown konnte jetzt auf diese winterliche, traurige Scene nur einen flüchtigen Blick werfen, denn seine Führerin, die nur einen Augenblick angehalten hatte, als wolle sie ihm seine Neugier befriedigen lassen, ging jetzt schnell vor ihm auf dem Pfade hin, der in das Thal niederführte. Er bemerkte, indem sich einiger Argwohn bei ihm regte, daß sie einen Weg wählte, worauf schon Spuren von Tritten sichtbar waren, welche allem Vermuthen nach von den Räubern herrührten, die in jenem Gewölbe die Nacht zugebracht hatten. Ein kurzes Nachdenken beseitigte indeß seinen Argwohn. Es ließ sich nicht glauben, daß das Weib, welches ihn, wo er ganz unvertheidigt war, vor ihrer Bande geschützt hatte, ihre vermeintliche Verrätherei auf den Zeitpunkt verschoben haben sollte, wo er bewaffnet war und sich überdies im Freien befand, wo sich ihm weit bessere Gelegenheit zur Vertheidigung oder Flucht bot. Daher folgte er seiner Führerin vertrauensvoll und schweigend. Sie überschritten den Bach an derselben Stelle, wo er offenbar auch von denen überschritten worden, die vor ihnen hier gegangen waren. Die Fußtapfen gingen weiter durch das zerstörte Dörfchen, von da abwärts im Thale, welches sich wieder zu einer Schlucht verengte, nachdem man über den offenen Platz der Ruinen hinweg war. Aber die Zigeunerin folgte hier jener Spur nicht weiter, sie wandte sich seitwärts und ging auf einem sehr rauhen und unebenen Pfade voran, welcher über dem Ufer, das über jenem Dörfchen hing, hinführte. Obwohl an manchen Stellen der Schnee den Fußsteg verbarg und das Auftreten ungewiß und unsicher machte, so schritt Meg doch mit festem und sicherm Schritte vorwärts und zeigte dadurch, wie gut sie mit dem eingeschlagenen Wege bekannt war. Endlich erreichten sie den Gipfel der Thalwand; aber dies geschah auf einem so steilen und vielfach gewundenen Pfade, daß Brown, obwohl überzeugt, es sei derselbe, auf dem er in voriger Nacht herabgestiegen war, sich doch im hohen Grade verwundern mußte, wie er dies Werk habe verrichten können, ohne den Hals zu brechen. Oben breitete sich das Land zu einer Seite offen und frei etwa eine Stunde weit hinaus, zur andern Seite befanden sich dichte Anpflanzungen von beträchtlichem Umfange.

Meg ging indeß immer noch am Rande der Thalschlucht voran, aus welcher sie heraufgestiegen waren, bis man in der Tiefe Gemurmel mehrerer Stimmen vernahm. Sie deutete jetzt auf eine dichte Baumpflanzung in einiger Entfernung. – »Die Straße nach Kippletringan,« sagte sie, »befindet sich an der andern Seite jenes Geheges – Sputet Euch so viel als möglich; es liegt mehr an Eurem Leben, als an dem andrer Leute. – Aber Ihr habt Alles verloren – Wartet.« – Sie krabbelte in einer ungeheuren Tasche herum, und brachte endlich einen großen Geldbeutel hervor – »Viele Wohlthat hat Euer Haus der Meg und den Ihrigen erwiesen – und sie hat lange gelebt, um doch nun nur in geringem Grade Vergeltung bieten zu können;« – damit legte sie ihm den Geldbeutel in die Hand.

Das Weib ist wahnsinnig, dachte Brown; aber es war keine Zeit übrig, darüber zu streiten, denn die Stimmen, die man aus der Thalschlucht vernommen hatte, rührten wahrscheinlich von den Räubern her. »Wie soll ich dies Geld zurückzahlen,« sagte er, »oder wie die Freundlichkeit vergelten, die du mir erwiesen hast?«

»Zweierlei hab' ich zu bitten,« sagte die Sybille, leise und hastig sprechend; »erstens, daß ihr nie von dem sprechen wollt, was Ihr in letzter Nacht gesehen habt; und zweitens, daß Ihr diese Gegend nicht verlassen wollt, ohne mich wiedergesehn zu haben, daß Ihr auch im Wirthshause Nachricht für mich laßt, wo man Euch finden kann; ferner, daß Ihr, sobald ich Euch rufen werde, sei es in Kirche oder Markt, bei Hochzeit oder Begräbniß, Sonntags oder Sonnabends, zur Mahlzeit oder am Fasttag, daß Ihr dann Alles verlaßt und mit mir kommt.«

»Nun, das wird Euch aber wenig nützen, Mutter.«

»Aber Euch wird es gut sein, und das will ich eben haben – ich bin nicht toll, obwohl ich genug erlebte, um es werden zu können – ich bin nicht toll, nicht schwachköpfig oder trunken – ich weiß, was ich verlange, und ich weiß, daß es der Wille Gottes war, Euch in seltsamen Gefahren zu schützen, und daß ich das Werkzeug sein soll, Euch wieder in Eurer Väter Erbe einzusetzen. – Daher gebt mir jenes Versprechen, und gedenkt, daß Ihr in dieser Nacht mir Euer Leben verdankt habt.«

Ihre Rede klingt allerdings verwirrt, dachte Brown – – und doch ist dies mehr das Verwirrte einer kräftigen Natur, als eines Wahnsinnigen.

»Gut, Mutter, da du eine so geringe und unbedeutende Gunst verlangst, so geb' ich dir mein Versprechen. Zum wenigsten will ich mir die Gelegenheit verschaffen, dir dein Geld mit Zinsen zu erstatten. Du bist ein wunderlicher Gläubiger, das ist wahr, jedoch –«

»Nun denn, hinweg, hinweg!« sagte sie, mit der Hand zum Fortgehen winkend. »Denkt nicht an das Geld – 's ist Euer Eigenthum; aber denkt Eures Versprechens und wagt nicht, mir zu folgen oder mir nachzusehen.« So sagend eilte sie thalabwärts, und stieg mit großer Behendigkeit in die Tiefe, während Eiszapfen und Schneeflocken über ihr niederschauerten, als sie verschwand.

Trotz ihres Verbots bemühte sich Brown doch, einen Punkt des Thalrandes zu erreichen, von wo er, ungesehn, in das Thal niederschauen könnte; und mit einiger Schwierigkeit (denn es versteht sich, daß die größte Vorsicht nöthig war,) gelang ihm dies. Der Ort, den er in dieser Absicht betrat, war die Spitze eines vorspringenden Felsens, welcher jäh zwischen den Bäumen emporstieg. Indem er auf den Schnee niederkniete und den Kopf vorsichtig vorstreckte, konnte er beobachten, was im Grunde des Thales vorging. Er sah, wie er erwartet hatte, seine Gefährten von vergangener Nacht, zu denen sich jetzt noch einige andere gesellt hatten. Sie hatten am Fuße des Felsens den Schnee hinweggeräumt und ein tiefes Loch gemacht, welches zu einem Grabe dienen sollte. Um dieses herum standen sie nun und legten etwas in einen Schiffermantel gewickeltes hinein, welches Brown alsbald für den Körper des Mannes hielt, den er hatte sterben sehen. Sodann standen sie eine halbe Minute in Schweigen, als ob sie von Trauer über den Verlust ihres Kameraden ergriffen wären. War letzteres wirklich der Fall, so überließen sie sich doch diesem Gefühle nicht lange, denn alle Hände waren alsbald damit beschäftigt, das Grab zu füllen; Brown, welcher einsah, das dies Werk bald beendet sein würde, hielt für's Beste, dem Winke der Zigeunerin zu folgen und so schnell als möglich zu laufen, bis er jene schützende Anpflanzung erreichte.

Sobald er unter den Bäumen angelangt war, dachte er vor allem an die Börse der Zigeunerin. Er hatte sie ohne Bedenken angenommen, wiewohl mit einem Gefühle von Selbsterniedrigung, welches durch den Charakter der Person erweckt wurde, die ihm die Gefälligkeit erwies. Gleichwohl rettete ihn dieselbe von einer ernsten, obwohl nur momentanen Verlegenheit. Sein Geld, mit Ausnahme weniger Schillinge, befand sich in seinem Mantelsack, und dieser war im Besitz der Freunde Meg's. Es erforderte einige Zeit, wenn er an seinen Geschäftsträger schreiben, oder wenn er sich an seinen guten Wirth zu Charlies-hope wenden wollte, der ihn jedenfalls gern unterstützt haben würde. Bis dahin war er nun entschlossen, sich der Gabe Meg's zu bedienen, indem er hoffte, es werde sich bald die Gelegenheit bieten, wo er es ihr mit Erkenntlichkeit zurückerstatten könnte. »Es kann nur eine kleine Summe sein,« sagte er zu sich selbst, »und ich denke wohl, ein Theil meiner Banknoten wird die gute Dame hinlänglich entschädigen.«

Mit solchen Gedanken öffnete er den Lederbeutel, worin er höchstens drei oder vier Guineen zu finden erwartete. Aber wie staunte er bei der Entdeckung, daß er, außer einer beträchtlichen Menge von Goldstücken verschiedenen Gepräges, deren Werth sich wohl auf hundert Pfund belaufen mochte, auch noch verschiedene kostbare Ringe und Juwelen enthielt, deren Werth sich, so weit er ihn in der Eile zu schätzen vermochte, sehr hoch belief.

Brown war zugleich erstaunt und verlegen durch die Umstände, in denen er sich jetzt befand; er war im Besitz eines Vermögens, welches sein eigenes bei weitem überstieg, welches aber aller Wahrscheinlichkeit nach auf die nämliche schmachvolle Weise erworben worden war, auf welche man ihn des seinigen beraubt hatte. Sein erster Gedanke war, sich nach dem nächsten Friedensrichter zu erkundigen und in dessen Hände den Schatz niederzulegen, den er auf so unerwartete Weise erhalten hatte; zugleich wollte er seine eigene merkwürdige Geschichte dort melden. Nach kurzer Ueberlegung fanden sich jedoch mancherlei Einwürfe gegen jenes Verfahren. Erstlich mußte er alsdann sein Gelübde der Verschwiegenheit brechen, während er zugleich die Sicherheit, vielleicht das Leben, desselben Weibes gefährdete, die ihr eigenes daran gewagt hatte, ihn zu schützen, und die ihn freiwillig mit diesem Schatze beschenkt hatte, – ihre Großmuth mußte so das Mittel ihres Untergangs werden. Daran ließ sich nicht weiter denken. Ueberdies war er ein Fremder und, wenigstens für eine gewisse Zeit, nicht mit den Mitteln versehn, seinen eigenen Stand und seine Glaubwürdigkeit einer stumpfsinnigen und hartnäckigen obrigkeitlichen Person auf dem Lande genügend zu beweisen. »Ich will die Sache reiflicher überdenken,« sagte er; »vielleicht liegt ein Regiment in jenem Städtchen, und dann wird meine Kenntniß des Dienstes und meine Bekanntschaft mit vielen Offizieren der Armee meinen Stand und Charakter gehörig darthun, während ihn ein bürgerlicher Richter doch nicht genügend beurtheilen könnte. Auch würde ich dann den Beistand des commandirenden Offiziers erhalten, um diesem unglücklichen wahnsinnigen Weibe eine möglichst schonende Behandlung zu verschaffen. Ist doch ihr Irrthum oder ihr Vorurtheil von so glücklichen Folgen für mich gewesen! Eine bürgerliche Gerichtsperson würde sich für verpflichtet halten, sogleich einen Verhaftsbefehl gegen sie und die Ihrigen auszufertigen, und die Folgen ihrer Gefangennehmung liegen klar genug am Tage – Nein, sie hat sich ehrenhaft gegen mich benommen, und wenn sie auch der Satan selbst wäre, ich will ehrenhaft gegen sie sein; – sie soll das Vorrecht eines Kriegsgerichts genießen, wo alles, was die Ehre betrifft, die Strenge des Gesetzes mildern kann. Ueberdies werd' ich sie wohl in diesem Orte sehen, Kipple – Couple – wie nannte sie es doch? – dann kann ich ihre Gefälligkeit vergelten, und auch das Gesetz mag alsdann walten, wenn dies auf glimpfliche Weise geschehen kann. Unterdessen muß freilich ich, der die Ehre hat, im Dienste seiner Majestät zu stehen, die schlimme Rolle eines Menschen spielen, welcher gestohlenes Gut angenommen hat.«

Mit diesen Gedanken nahm Brown einige Guineen vom Schatze der Zigeunerin, um damit seine augenblicklichen Bedürfnisse zu bestreiten, und indem er das Uebrige wohlverwahrt in der Börse ruhen ließ, faßte er den Entschluß, dieselbe nicht wieder zu öffnen, bis er sie entweder der Geberin zurückstellen, oder sie in die Hände eines öffentlichen Beamten niederlegen könnte. Was die mitgenommene Waffe betraf, so war sein erster Gedanke, sie in der Baumpflanzung zu lassen. Da er aber die Gefahr, diesen Schuften wieder begegnen zu können, überlegte, so konnte er sich nicht entschließen, die Waffe abzulegen. Seine Reisekleidung, obwohl ganz schlicht, hatte doch einen so militärischen Schnitt, daß eine derartige Waffe recht wohl dazu paßte. Und wenn auch die Gewohnheit des Degentragens bei nicht uniformirten Personen bereits aus der Mode war, so war sie doch nicht so gänzlich vergessen, daß sie bei demjenigen, der ihr noch huldigte, besonders auffällig hätte sein sollen. Indem er daher die Vertheidigungswaffe behielt und den Beutel der Zigeunerin in der Tasche verbarg, schritt unser Reisender rüstig durch das Gehölz, um die bezeichnete Straße aufzusuchen.



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