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Zwölftes Kapitel.

Ein Mensch kann sehen wie diese Welt bestellt ist auch ohne Augen. – Sieh mit deinen Ohren: Schau, wie jener Richter jenen einfältigen Dieb schmäht. Nun höre wohl – wechsele die Plätze; und, wie einer die Hand umdreht, wer ist der Richter, wer ist der Dieb?

König Lear.

Zu denen, welche den eifrigsten Antheil an den Bemühungen nahmen, um die Person zu entdecken, welche den jungen Charles Hazlewood angefallen und verwundet hatte, gehörte Gilbert Glossin, Esquire, früher Schreiber in – –, jetzt Laird von Ellangowan und einer von den würdigen Friedensrichtern der Grafschaft – –. Seine Beweggründe zu solcher Anstrengung bei dieser Gelegenheit waren manchfach; aber wir setzen voraus, daß unsre Leser, nach dem was sie bereits von diesem Gentleman wissen, schwerlich an eine eifrige Liebe zur Gerechtigkeit bei ihm denken werden.

Die Wahrheit war, daß sich dieser würdige Mann gar nicht so behaglich fand, als er erwartet hatte, nachdem ihn seine Schliche in Besitz des Gutes Ellangowan gesetzt hatten. Die Betrachtungen, die er in seinen vier Pfählen anstellte, wo ihn so mancherlei an alte Zeiten erinnerte, waren nicht immer die selbstgenügsamen Glückwünsche einer gelungenen List. Wenn er um sich blickte, bemerkte er nicht ohne Empfindlichkeit, daß ihn die Landedelleute mieden, zu welchen er sich erhoben zu haben glaubte. Er war von ihren gesellschaftlichen Kreisen ausgeschlossen, bei öffentlichen Zusammenkünften war man ihm entgegen und sah ihn mit Kälte und Verachtung an. Grundsätze und Vorurtheile vereinigten sich, diese Abneigung zu erwecken, denn die Landedelleute verachteten ihn wegen seiner geringen Herkunft und haßten ihn wegen der Mittel, durch welche er sein Vermögen erworben hatte. Bei der untern Volksklasse stand er in einem weit schlimmern Rufe. Man wollte ihm weder von seiner Herrschaft den Namen Ellangowan geben, noch ihn Mr. Glossin nennen; – er hieß schlechtweg Glossin, und seine Eitelkeit hielt so viel auf diese Kleinigkeit, daß er einst einem Bettler eine halbe Krone gab, weil ihn dieser, der um einen Penny bat, dabei dreimal Ellangowan genannt hatte. Er empfand diesen Mangel öffentlicher Achtung noch tiefer, wenn er sah, wie sehr Mac-Morlan, bei weit geringern Vermögensumständen, von Reichen und Armen geliebt und geachtet wurde, und wie er langsam aber sicher den Grund zu einem anständigen Vermögen legte, indem er zugleich das Wohlwollen und die Achtung Aller, die ihn kannten, behauptete.

Während sich Glossin im Innern über das ärgerte, was er nur die Vorurtheile des Landes nannte, war er doch zu klug, um sich offen zu beklagen. Er fühlte es wohl, daß seine Erhebung zu neu war, um vergessen zu werden, und daß die Mittel, wodurch er sie erlangt hatte, zu gehässig waren, als daß man sie ihm hätte vergeben können. Die Zeit jedoch, dachte er, vermindert Wunder und verhüllt Vergehungen. Gewandt, wie einer sein muß, der durch Erforschung der schwachen Seiten der Menschen sein Glück gemacht hat, nahm er sich vor, jede Gelegenheit zu ergreifen, sich sogar denjenigen nützlich zu machen, die ihn am wenigsten leiden konnten. Er rechnete auf seine Geschicklichkeit, auf die Streitsucht der Landedelleute, welchen der Rath eines schlauen Rechtsgelehrten oft unschätzbar sein mußte, und auf tausend andere Umstände, die er mit Geduld und Klugheit zu seinem Vortheil benutzen zu können hoffte, und die ihn, wie er glaubte, bei seinen Nachbarn bald in ein günstigeres Licht setzen und vielleicht zu der Würde erheben konnten, die einem schlauen und gewandten Geschäftsmanne oft zu Theil wird, wenn derselbe unter einer Gemeinschaft von Landedelleuten das wird, was bei Burns heißt

»Die Zunge der Trompete Aller.«

Der Angriff auf Oberst Mannering's Haus und die Verwundung Hazlewood's, schienen Glossin eine günstige Gelegenheit, der ganzen Gegend zu beweisen, welche wichtigen Dienste ein thätiger Beamter leisten könne, der mit den Gesetzen ebenso bekannt sei, als mit den Gängen und Gewohnheiten der Schmuggler. Die Erfahrung der letztern Art hatte er sich durch frühere vertraute Verbindung mit einigen verwegenen Schleichhändlern erworben, deren Theilnehmer oder Rathgeber er gewesen war. Da jedoch dieser Verkehr seit vielen Jahren nicht mehr bestand, und jene Menschen ihr gefährliches Gewerbe selten lange zu treiben vermochten, oder doch häufig von einem Schauplatze verdrängt wurden, so hatte er nicht die geringste Besorgniß, durch seine Nachforschungen alte Freunde, die Vergeltung ausüben konnten, in Verlegenheit zu setzen. Es mußte ihm viel daran liegen, Mannering's Gunst und Achtung zu erwerben, aber noch wichtiger war ihm die Gewogenheit des alten Hazlewood, der großen Anhang in der Grafschaft hatte; und wenn es ihm gelang, die Schuldigen zu entdecken und der Strafe zu überliefern, so hatte er überdies die Genugthuung, Mac-Morlan zu demüthigen und gewissermaßen auszustechen, dem, als Untersheriff der Grafschaft, diese Art der Nachforschung eigentlich zukam, und der in der öffentlichen Meinung gewiß bedeutend sinken mußte, wenn die freiwilligen Bemühungen Glossin's glücklicher als seine eigenen waren.

Von solchen Beweggründen angetrieben und mit den nöthigen Hilfsmitteln wohl vertraut, setzte Glossin Alles in Bewegung, um einige von der Bande, welche Woodbourne angegriffen hatten, und vorzüglich denjenigen, der Hazlewood verwundet hatte, zu entdecken und zu ergreifen. Er verhieß hohe Belohnungen, gab verschiedene Anschläge an die Hand und benutzte seinen Einfluß auf alte Bekannte, die den verbotenen Handel begünstigten, indem er ihnen vorstellte, daß es besser für sie sei, einige unbedeutende Menschen aufzuopfern, als den gehässigen Vorwurf einer Theilnahme an einer so empörenden That auf sich zu laden. Alle seine Bemühungen waren anfangs fruchtlos. Das gemeine Volk begünstigte oder fürchtete die Schleichhändler zu sehr, als daß es Zeugniß gegen dieselben hätte ablegen mögen. Endlich erhielt der geschäftige Beamte die Nachricht, daß ein Mann, der demjenigen, von welchem Hazlewood angefallen worden, nach der Beschreibung ganz ähnlich gewesen sei, am vorhergehenden Abend im Gasthofe zu Kippletringan gewohnt habe. Dorthin ging Mr. Glossin sogleich, um unsre alte Bekannte, Mrs. Mac-Candlish, zu befragen.

Der Leser wird sich erinnern, daß Mr. Glossin, nach der Redensart dieser guten Frau, nicht hoch bei ihr angeschrieben stand. Sie folgte ihm daher auf seinen Ruf langsam und widerstrebend nach der Stube und begrüßte ihn hier beim Eintritte so kalt als möglich. Darauf entspann sich folgendes Zwiegespräch:

»Ein schöner frischer Morgen, Mrs. Mac-Candlish.«

»Ja, Sir; der Morgen ist gut genug,« antwortete die Wirthin trocken.

»Mrs. Mac-Candlish, ich möchte gern wissen, ob die Richter noch wie gewöhnlich nach der Dienstagsitzung hier speisen?«

»Ich glaube – ich denke, 's ist so – wie gewöhnlich« – (im Begriff, das Gemach zu verlassen.)

»Weilt einen Augenblick, Mrs. Mac-Candlish – ei, Ihr habt ja ungeheure Eile, liebe Freundin? – ich dächte, ein Mittagsclubb hier, einmal in jedem Monat, wär' eine recht hübsche Sache.«

»Gewiß, Sir; ein Clubb von achtbaren Herrn.«

»Freilich, freilich,« sagte Glossin; »ich meine Landeigenthümer und Herren von Gewicht in der Grafschaft; ich hätte wohl Lust, so etwas zu Stande zu bringen.«

Der kurze trockene Husten, mit dem Mrs. Mac-Candlish diesen Vorschlag aufnahm, zeigte keineswegs Mißfallen über einen derartigen Antrag im Allgemeinen an, drückte aber doch einen Zweifel aus, ob die Sache unter den Auspicien des Herrn, der sie vorschlug, auch glücklichen Fortgang haben könnte. Es war kein verneinender Husten, aber ein zweifelvoller, und dies fühlte Glossin recht wohl; aber es war nicht an ihm, sich empfindlich zu zeigen.

»Ist guter Verkehr auf der Landstraße gewesen, Mrs. Mac-Candlish? ohne Zweifel viel Einkehr hier?«

»O, so ziemlich, Sir, – aber ich glaube, man wird mich am Schenktisch vermissen.«

»Nein, nein; weilt einen Augenblick, Ihr könnt doch wohl einem alten Kunden gefällig sein? – Bitte, entsinnt Ihr Euch eines vorzüglich hoch gewachsenen jungen Mannes, der in voriger Woche eine Nacht in Eurem Hause wohnte?«

»Ach, Sir, das wird schwer sein, zu sagen – ich sehe nie darauf, ob meine Gäste lang oder kurz sind, wenn sie nur eine lange Rechnung machen.«

»Und thun sie es nicht, so könnt Ihr das für sie thun, nicht wahr, Mrs. Mac-Candlish? – Ha ha ha! – Aber der junge Mann, nach dem ich frage, war sechs Fuß hoch, trug einen dunkeln Rock mit Metallknöpfen, hatte lichtbraunes, ungepudertes Haar, blaue Augen, gerade Nase, reisete zu Fuß, hatte weder Diener, noch Gepäck – Gewiß erinnert Ihr Euch, einen solchen Reisenden gesehn zu haben?«

»Wirklich, Herr,« antwortete Mrs. Mac-Candlish, »ich kann mein Gedächtniß nicht mit dergleichen Dingen belästigen – in diesem Hause gibt es wahrhaftig mehr zu thun, als nach dem Haar, der Nase und den Augen der Fremden zu sehn.«

»Dann, Mrs. Mac-Candlish, muß ich Euch in schlichten Worten sagen, daß sich diese Person eines Verbrechens verdächtig gemacht hat; und nur in Folge dieses Verdachts ziehe ich, als Magistratsperson, Erkundigung bei Euch ein, – weigert Ihr Euch, meine Fragen zu beantworten, so wird es zum Eide kommen müssen.«

»Aber, Sir, ich darf nicht schwören Einige der strengen Dissenters weigern sich, vor einer weltlichen Obrigkeit einen Eid abzulegen. – wir pflegen zu der Antiburgher Versammlung zu gehen – 's ist wahr, zu Bailie Mac-Candlish's Lebzeiten (Gott hab' ihn selig,) gingen wir zum Presbyterianer – aber nachdem er zu einem bessern Platz, als Kippletringan, gerufen ward, bin ich wieder zum würdigen Mr. Mac-Grainer gegangen. Und so seht Ihr, Sir, ich kann nicht schwören, ohne den Geistlichen zu fragen – vorzüglich da es einen so armen jungen Menschen betrifft, der fremd und freundlos durch das Land geht.«

»Ich werde vielleicht Eure Skrupel beseitigen, ohne Mr. Mac-Grainer zu belästigen, wenn ich Euch sage, daß der Kerl, nach dem ich forsche, derselbe Mensch ist, welcher unsern jungen Freund Charles Hazlewood schoß.«

»Guter Gott! wer hätte so etwas von ihm denken können? – nein, wenn es wegen Schulden wäre, oder wegen Händeln mit dem Zöllnervolk, da sollte kein Teufel Nelly Mac-Candlishs Zunge zum Sprechen gegen ihn gezwungen haben. Aber wenn er wirklich den jungen Charles Hazlewood schoß – doch ich kann es nicht glauben, Mr. Glossin; das wird wohl nur ein Scherz sein – ich kann es von einem so hübschen Burschen nicht glauben; – nein, nein, 's ist einer von Euren alten Späßen. – Ihr wollt nur einen Vorwand haben, um ihm auf die Spur zu kommen.«

»Ich sehe, Ihr habt kein Vertrauen zu mir, Mrs. Mac-Candlish; aber lest diese Erklärungen, unterzeichnet von Personen, die Zeugen des Verbrechens waren, und urtheilt selbst, ob die Beschreibung jenes Schurken auf Euren Gast paßt.«

Er gab ihr die Papiere in die Hand, und sie las dieselben sorgfältig durch, während sie häufig ihre Brille abnahm, um einen Blick gen Himmel zu werfen oder auch wohl um eine Thräne abzutrocknen, denn der junge Hazlewood war ein besonderer Günstling der guten Dame. »Ja, ja,« sagte sie, nachdem sie ihre Prüfung beendigt hatte, »wenn es so ist, so geb' ich ihn auf, den Schurken – doch ach, irren ist menschlich; nimmer sah ich ein besseres Gesicht, oder einen hübschern, stattlichern Burschen. – Ich hielt ihn für einen Gentleman, der sich in einer Verlegenheit befände. – Aber ich geb' ihn auf, den Schurken! – Charles Hazlewood zu schießen – und in Gegenwart der jungen Ladies, die armen unschuldigen Wesen! – Ich geb' ihn auf!«

»So gebt Ihr also zu, daß die Nacht vor der schlechten That eine solche Person hier wohnte?«

»Allerdings, Sir, und das ganze Haus hatt' ihn gern, er war ein so offener, unterhaltender junger Mann. Nicht etwa weil er freigebig gewesen wäre, denn er hatte nichts als einen Hammelschnitt und einen Krug Ale, und ein oder zwei Glas Wein – und ich bat ihn noch, den Thee mit mir selber zu trinken, und hab' ihn nicht auf die Rechnung gesetzt; Abendessen nahm er gar nicht, denn er sagte, er wäre die ganze vorige Nacht hindurch gereist; nun, wer weiß, wo er sich da umhergetrieben haben mag.«

»Hörtet Ihr vielleicht zufällig seinen Namen?«

»Ja wohl that ich das,« sagte die Wirthin, die nun eben so eifrig war, Mittheilung zu machen, als sie zuvor verschlossen gewesen. »Er sagte mir, sein Name sei Brown, und er berichtete auch, es sei möglich, daß ein altes Weib, eine Art von Zigeunerin, nach ihm fragen würde – ja, ja! sagt mir eure Gesellschaft, und ich sag' euch, wer ihr seid. O, der Schurke! – Nun gut, Sir, als er am Morgen wegging, zahlte er seine Rechnung ganz ehrlich und gab auch der Hausmagd etwas, – ganz gewiß, denn Grizy« – hier fand Glossin für nöthig, das gute Weib zu unterbrechen und wieder auf die Hauptsache zurückzuführen.

»Ferner sagte er, wenn eine solche Person kommt und nach Mr. Brown fragt, so sagt nur, ich sei auf den Creeransee gegangen, um die Schlittschuhläufer zu sehn, und ich würde zum Mittag zurück sein. – Aber er ließ sich nicht wieder sehen – und doch wartete ich so zuversichtlich auf ihn und hatte ihm ein Paar junge Hühner zugerichtet, was ich nicht für jeden gemeinen Mann thun würde, Mr. Glossin – Aber mir ahnte nicht, zu welchem Schlittschuhlauf er gehn wollte – Mr. Hazlewood, das unschuldige Lamm, zu schießen!«

Nachdem Mr. Glossin, als ein kluger Examinator, seiner Zeugin Zeit gelassen hatte, um ihrem Erstaunen und ihrem Unwillen gehörig Luft zu machen, begann er nun zu forschen, ob die verdächtige Person nicht Gepäck oder Papiere im Wirthshaus zurückgelassen hätte.

»Freilich, er hat mir ein Päckchen, ein ganz kleines Päckchen aufzuheben gegeben; deßgleichen etwas Geld, um ihm ein halb Dutzend Hemden zu besorgen, die ich nun schon in Arbeit gegeben habe – mag er zum Galgen drin fahren, der Schuft!« Alsbald verlangte Mr. Glossin das Packet zu sehn, aber hier machte unsre Wirthin eine bedenkliche Miene.

»Sie wisse nicht – sie wolle nicht sagen, daß die Gerechtigkeit nicht ihren Lauf haben solle – aber wenn ihr Jemand etwas anvertraut habe, so sei sie denn doch verantwortlich dafür – aber sie wolle den Almosenpfleger Bearcliff rufen, und wenn Mr. Glossin ein Verzeichniß der Sachen aufsetzen und ihr in Bearcliffs Gegenwart einen Empfangschein geben wolle – oder, noch besser, wenn alles versiegelt und in Bearcliffs Hände niedergelegt würde, so wolle sie beruhigt über die Sache sein – wie es auch wäre, sie wolle der Gerechtigkeit nicht in den Weg treten.«

Da Mrs. Mac-Candlish's natürlicher Scharfsinn und ihr Argwohn unbeugsam waren, so schickte Glossin nach dem Almosenpfleger Bearcliff, um ein Wort mit ihm »in Betreff des Schurken, der Mr. Charles Hazlewood geschossen«, zu sprechen. Bearcliff erschien alsbald, und zwar so eilig, daß er sich nicht Zeit genommen hatte, die kleine Stutzperücke gerade zu setzen, die er mit der Ladenmütze vertauscht hatte, mit welcher er seinen Kunden gewöhnlich aufwartete. Mrs. Mac-Candlish brachte nun das Päckchen herbei, welches ihr Brown gegeben hatte, und man fand darin den Beutel der Zigeunerin. Als die Wirthin den Werth des manchfachen Inhalts bemerkte, freute sie sich doppelt ihrer Vorsicht, die sie angewandt hatte, ehe sie die Sache Glossin übergeben; Glossin aber that mit dem Anscheine uneigennütziger Aufrichtigkeit nun selbst den Vorschlag, die Habe des verdächtigen Fremden, nach genauer Aufzeichnung, einstweilen der Obhut Bearcliffs zu übergeben, bis dieselbe an die höhere Behörde gesandt werden könnte. »Er möchte,« bemerkte er, »nicht gern persönlich für Gegenstände verantwortlich sein, die von so beträchtlichem Werthe schienen und zweifelsohne auf verbrecherische Weise erworben wären.«

Sodann untersuchte er das Papier, worein der Beutel gewickelt gewesen war. Es war die Rückseite eines Briefes, mit der Adresse, an V. Brown, Esquire; aber das Uebrige dieser Adresse war weggerissen. – Die Wirthin – jetzt ebenso begierig, Licht auf die Spur des entflohenen Verbrechers zu werfen, als sie dieselbe vorher zu verheimlichen wünschte, denn der manchfache Inhalt des Beutels deutete an, daß nicht alles richtig sein könne, – Mrs. Mac-Candlish, sag' ich, gab nun Mr. Glossin zu verstehen, daß ihr Postillon und Knecht beide den Fremden an jenem Tage auf dem Eise gesehn hätten, als der junge Hazlewood verwundet worden war.

Der alte Bekannte unserer Leser, Jock Jabos, ward zuerst vernommen, und gestand offen, daß er auf dem Eise einen Fremden am nämlichen Morgen gesehn und gesprochen habe, der, wie er wüßte, am Abend zuvor im Wirthshause gewohnt hatte.

»Um was drehte sich eure Unterhaltung?« fragte Glossin.

»Drehte? – wir drehten uns gar nicht, wir gingen immer gradaus auf dem Eise.«

»Gut, aber wovon spracht ihr?«

»Nun, er fragte mich so, wie jeder Fremde fragt,« sagte der Postillon, der, wie es schien, jetzt von demselben widerspenstigen und verschlossenen Geiste besessen war, welcher seine Gebieterin verlassen hatte.

»Aber worüber?« fragte Glossin.

»Nun, über die Leute, die dort ihr Spiel trieben, über den alten Jock Stevenson, der dabei war, und über die Damen und dergleichen.«

»Welche Damen? und was fragte er über dieselben, Jock?« sagte der Forscher.

»Welche Damen? Nun, es war Miß Julie Mannering und Miß Lucy Bertram, die Ihr ja selber kennt, Mr. Glossin, – sie spazierten mit dem jungen Laird von Hazlewood auf dem Eise.«

»Und was sagtet Ihr ihm über dieselben?« forschte Glossin.

»Nun, daß Miß Lucy Bertram von Ellangowan ein großes Vermögen im Lande gehabt hätte, und daß Miß Julie Mannering den jungen Hazlewood heirathen sollte – sie hing ihm eben am Arme – Wir sprachen so noch über mancherlei und ähnliches – er war ein recht offener Mann.«

»Gut, und was gab er denn zur Antwort?«

»Nun, er guckte starr nach den jungen Damen und fragte, ob es gewiß sei mit der Heirath zwischen Miß Mannering und dem jungen Hazlewood; ich antwortete ihm, daß dies unumstößlich gewiß sei, und das konnt' ich auch wohl mit Recht behaupten – denn meine Muhme, Hannchen Clavers, (sie ist eine Verwandtin von Eurer Muhme, Mr. Glossin, Ihr müßt sie ja kennen,) die ist gut bekannt mit der Haushälterin in Woodbourne, und sie hat mir mehr als einmal gesagt, daß nichts so gewiß sein könnte, als jene Sache.«

»Und was sagte der Fremde, als Ihr ihm das alles erzähltet?« sprach Glossin.

»Sagte?« wiederholte der Postillon, »er sagte gar nichts dazu – er starrte ihnen nur nach, während sie rings um den See auf dem Eise gingen, als hätt' er sie verschlingen wollen, und er wandte kein Auge von ihnen und sprach kein Wort mehr, achtete auch nicht weiter auf das Spiel, obwohl man kein schöneres Kräuselspiel sehen konnte. Und er wandte den Rücken, ging vom See weg, auf dem Kirchenwege nach dem Föhrenwalde von Woodbourne, und wir haben nichts mehr von ihm gesehn.«

»Aber denkt nur,« sagte Mrs. Mac-Candlish, »welch' hartes Herz er haben mußte, daß er den armen jungen Herrn verwunden konnte, und das in Gegenwart der Dame, die er heirathen will!«

»O, Mrs. Mac-Candlish,« sagte Glossin, »dergleichen Beispiele finden sich mehr – wahrscheinlich suchte er die Rache da, wo sie am tiefsten und süßesten wäre.«

»Gott erbarme sich!« sagte Bearcliff, »wir sind arme, gebrechliche Geschöpfe, wo wir uns selber überlassen sind! – ja, er vergaß, was gesagt ist: die Rache ist mein und ich will vergelten.«

»Jawohl, jawohl, ihr Herrn,« sagte Jabos, dessen hartköpfige und uncultivirte Schlauheit zuweil das Wild aufzutreiben schien, wo andre auf den Busch schlagen – »ja, ja, ihr könnt euch doch wohl irren – ich mag nimmermehr glauben, daß ein Mensch sich vornimmt, den andern mit dessen eigner Flinte zu erschießen. Seht, ich war Gehilfe des Försters unten bei der Insel, und ich wette drauf, der stärkste Mann in ganz Schottland soll mir die Flinte nicht wegnehmen, eh' ich ihm nicht zuvor die Kugel durch den Leib gejagt habe, wiewohl ich nur ein schwaches Kerlchen bin, und zu nichts tauge, als auf einem Kutschbocke zu sitzen – nein, nein, kein lebendiger Mensch sollte das wagen. Ich wollte meine besten Bocksledernen dran wetten, die ich erst neu beim Kirkcudbright-Jahrmarkt gekauft habe: es ist gewiß blos ein Zufall gewesen. Aber wenn Ihr mir nichts weiter zu sagen habt, so will ich lieber gehn und meine Pferde füttern« – und somit ging er hinweg.

Der Hausknecht, der ihn begleitet hatte, that die nämliche Aussage. Er und Mrs. Mac-Candlish wurden dann noch einmal befragt, ob Brown an dem unseligen Morgen keine Waffen bei sich getragen habe. »Keine,« sagten sie, »außer einen gewöhnlichen kurzen Säbel oder Hirschfänger an der Seite.«

»Nun,« sagte Bearcliff, indem er Glossin's Rockknopf faßte, (denn bei Betrachtung dieser verwickelten Angelegenheit hatte er Glossin's neue Rangerhöhung ganz vergessen) – dies sieht noch merkwürdiger aus, Mr. Gilbert: denn es ist doch gar nicht wahrscheinlich, daß einer mit so geringen Mitteln einen Kampf anfangen sollte.«

Glossin machte seinen Knopf von Bearcliff's Hand los, und ebenso entzog er sich, wiewohl nicht mit Unfreundlichkeit, jener Erörterung; denn es lag jetzt in seinem Interesse, bei allen Leuten in guter Meinung zu stehen. Er fragte nach den Preisen von Thee und Zucker, und deutete an, daß er seinen Jahresbedarf einkaufen wolle; er bestellte bei Mrs. Mac-Candlish ein gutes Gastmahl für eine Gesellschaft von fünf Freunden, die er nächste Woche zum Mittagessen in dem Wirthshause einladen wollte; und schließlich gab er noch dem Jock Jabos eine halbe Krone, der statt des Hausknechts sein Pferd gehalten hatte.

»Nun,« sagte Bearcliff zu Mrs. Mac-Candlish, als diese ihm am Schenktisch ein Gläschen Bitteres gab, »der Teufel ist nicht so böse, wie man denkt. Es ist erfreulich, wenn ein Herr den Angelegenheiten der Grafschaft solche Aufmerksamkeit schenkt, wie Mr. Glossin.«

»Ganz gewiß, Mr. Bearcliff,« antwortete die Wirthin; »und doch wundert es mich, daß unsre Edelleute ihre Angelegenheiten Seinesgleichen überlassen. – Aber freilich, Bearcliff, so lange das Geld gangbar ist, dürfen die Leute nicht so genau auf ein Ding sehen, worauf des Königs Kopf steht.«

»Ich denke, Glossin wird nur Unehre bei der Sache einlegen, Mistreß,« sagte Jabos, als er neben dem Schenktische vorüber ging; »aber das hier ist denn doch eine gute halbe Krone.«



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