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Siebzehntes Kapitel.

Dies Possenspiel hat weder Kunst noch Leben,
Die Phantasie zu freu'n, das Herz zu heben.
Trüb, doch nicht grausend, traurig, doch gemein,
Sieht man sich lärmend Scen' an Scene reih'n;
Da ist kein Gegenstand zart oder tief,
Nur alles kalt, bedeutungslos und schief.

»Ew. Majestät,« sagte Mannering lachend, »haben dero Abdankung durch einen Act der Gnade und Milde verherrlicht – Jener Mann wird schwerlich daran denken, das Recht weiter zu verfolgen.«

»O, da irren Sie sehr,« sagte der erfahrene Rechtsgelehrte. »Es ist nur der Unterschied, daß ich meinen Clienten sammt den Gebühren verloren habe. Er wird nicht eher ruhen, bis er Jemand findet, der ihn ermuthigt, die Thorheit, die er sich in den Kopf gesetzt hat, zu begehen. Nein! nein! ich habe nur eine andre schwache Seite meines Charakters gezeigt – in der Sonnabendnacht sprech' ich immer die Wahrheit.«

»Und bisweilen die ganze Woche hindurch, sollt' ich meinen,« sagte Mannering, im gleichen Tone fortfahrend.

»Nun, ja; so weit es mein Beruf gestattet. Ich bin, wie Hamlet sagt, gleichgiltig ehrlich, wenn meine Clienten und deren Gegner mich nicht dazu anwenden, ihre doppelt abgezogenen Lügen vor Gericht zu bringen. Aber oportet vivere! es ist traurig genug. – Und nun zu unserm Geschäft. Es freut mich, daß Sie mein alter Freund Mac-Morlan zu mir geschickt hat; er ist ein thätiger, ehrlicher und einsichtsvoller Mann, lange schon Untersheriff der Grafschaft – und er begleitet dies Amt noch immer. Er weiß, welche Achtung ich für die unglückliche Familie von Ellangowan und für die arme Lucy hege. Ich habe sie seit ihrem zwölften Jahre nicht gesehen und damals war sie ein süßes, artiges Kind, leider unter der Aufsicht eines recht thörichten Vaters. Aber meine Theilnahme für sie schreibt sich von früher her. Ich ward als Sheriff der Grafschaft, Mr. Mannering, berufen, die nähern Umstände eines Mordes zu erforschen, welcher bei Ellangowan gerade am Tage der Geburt dieses armen Kindes begangen worden war, und welcher, durch ein seltsames Zusammentreffen, das ich nicht zu enträthseln vermochte, den Tod oder das Abhandenkommen ihres einzigen Bruders, eines Knaben von etwa fünf Jahren, herbeiführte. Nein, Oberst, nie werde ich das Elend des Hauses Ellangowan an jenem Morgen vergessen! – Der Vater halb wahnsinnig – die Mutter bei der Entbindung gestorben – das hilflose Kind, das kaum eine Wärterin fand, wehklagend und weinend in einem Augenblicke solches Herzeleids. Wir Advokaten sind nicht von Eisen, Sir, oder von Erz, so wenig als ihr Kriegsmänner von Stahl. Wir stehen im Verkehr mit den Verbrechen und der Trübsal der bürgerlichen Gesellschaft, wie ihr mit denen, die der Krieg mit sich führt, und um in jedem Falle eure Pflicht zu thun, ist ein Bischen Gleichmuth vielleicht nothwendig – Aber der Teufel hole einen Krieger, dessen Herz so hart sein kann, wie sein Schwert, und des Teufels Großmutter hole den Rechtsgelehrten, der sein Herz mit Erz umgibt, statt seine Stirne! – Aber ich komme ganz um meinen Sonnabend – wollen Sie die Güte haben und mir die Papiere anvertrauen, die sich auf Miß Bertrams Angelegenheit beziehen? – und, bitte, morgen halten Sie eine Junggesellenmahlzeit mit einem alten Rechtsgelehrten, ich bestehe darauf, Punkt drei Uhr – und Sie kommen schon eine Stunde früher. – Die alte Lady wird am Montag begraben; es ist die Angelegenheit einer Verwaisten, und wir wollen dem Sonntag eine Stunde abborgen, um über die Sache zu sprechen – obwohl ich fürchte, es werde sich nichts thun lassen, wofern sie ihre frühere Anordnung verändert hat – aber vielleicht gestaltet sich die Sache günstiger, und wofern Miß Bertram darthun kann, daß sie rechtmäßige Erbin ist, und –

»Doch, hören Sie! meine Unterthanen macht Ihr Interregnum ungeduldig – ich lade Sie nicht ein, sich zu uns zu gesellen, Oberst; es hieße zu viel von Ihrer Gefälligkeit verlangt, da Sie den Tag nicht mit uns begonnen haben und allmälig von Weisheit zur Fröhlichkeit und von Fröhlichkeit zur – zur – Ausgelassenheit übergegangen sind. – Gute Nacht – Heinrich, begleite M. Mannering nach seiner Wohnung – Herr Oberst, ich erwarte Sie morgen nach zwei Uhr.«

Der Oberst kehrte nach seinem Wirthshaus zurück, ebenso erstaunt über die kindischen Spiele, mit denen er seinen gelehrten Anwalt beschäftigt gefunden hatte, als über die Aufrichtigkeit und den gesunden Verstand, den er bewies, als er aufgefordert wurde, einen Augenblick seinen Berufsgeschäften zu widmen, und ebenso über den herzlichen Ton, in welchem er von der freundlosen Waise sprach.

Am Morgen, als der Oberst und sein höchst ruhiger und schweigsamer Genosse, Dominie Simson, eben ihr Frühstück beendigten, welches Barnes zugerichtet und eingeschenkt hatte, nachdem sich der Dominie bei gleichem Versuche verbrüht, – trat Mr. Pleydell plötzlich in's Zimmer. Eine sauber aufgeputzte Stutzperücke, wo ein eifriger und sorgsamer Friseur jedes Härchen kunstreich gepudert hatte; ein wohlgebürsteter schwarzer Anzug, sehr glänzende Schuhe, goldene Schnallen; ferner ein mehr gemessenes und förmliches, als zudringliches Benehmen, welches aber deßwegen keineswegs linkisch war; ein Gesicht, dessen ausdrucksvolle und etwas komische Züge in vollkommener Ruhe waren, – alles dies stellte ein Wesen dar, welches ganz verschieden von dem drolligen Geiste des gestrigen Abends war. Der schlaue und durchdringende Feuerblick des Auges war das einzige hervorstechende Merkmal, welches an den Mann des »Sonnabends« erinnerte.

»Ich komme,« sagte er mit feinem Anstand, »meine königliche Autorität bei Ihnen sowohl in geistlicher als weltlicher Hinsicht auszuüben – kann ich Sie nach der Presbyterianerkirche begleiten, oder zum bischöflichen Gottesdienste? – Tros Tyriusve, ein Rechtsgelehrter hat, wie Sie wissen, beide Religionen, oder vielmehr sollte ich sagen, beide Formen der Religion – oder kann ich Ihnen den Vormittag auf irgend eine andere Weise hinbringen helfen? Sie werden meine altväterische Zudringlichkeit entschuldigen – Ich ward zu einer Zeit geboren, wo ein Schotte für ungastfreundlich galt, sobald er einen Gast einen Augenblick allein ließ, außer während der Zeit des Schlafes – aber ich hoffe, Sie werden mir es gleich sagen, wenn ich störe.«

»Durchaus nicht, mein theurer Sir,« antwortete Oberst Mannering; »es freut mich, daß ich mich Ihrer Führerschaft überlassen kann. Ich wünsche sehr, einen Ihrer schottischen Prediger zu hören, deren Talente ihrer Heimat so viel Ehre gebracht haben – Ihren Blair, Ihren Robertson, oder Ihren Henry; und ich nehme Ihr freundliches Anerbieten von ganzem Herzen an. Allein,« hier zog er den Rechtsgelehrten ein wenig bei Seite, während er den Blick auf Simson richtete, »mein würdiger und träumerischer Freund dort ist ein wenig unbehilflich und zerstreut, und mein Diener, Barnes, der gewöhnlich sein Führer ist, kann ihm hier nicht wohl Beistand leisten, zumal da er selber den Entschluß ausgedrückt hat, nach einigen der abgelegenen Kirchen zu gehen.«

Des Rechtsgelehrten Auge heftete sich auf Dominie Simson. »Eine der Erhaltung würdige Merkwürdigkeit – und darum werd' ich Ihnen einen passenden Wächter dafür ausfindig machen. – Hört, Freund,« (zum Bedienten,) »geht zu Luckie Finlayson's am Cowgate, und fragt nach Miles Macfin, dem Lohnbedienten; er wird um diese Zeit hier sein, und sagt ihm, ich wünsche ihn zu sprechen.«

Die verlangte Person kam bald herbei. »Dieses Mannes Obhut will ich Ihren Freund vertrauen,« sagte Pleydell; »er wird ihn begleiten oder führen, wohin er nur immer gehen mag, gleichviel ob es nach Kirche oder Markt geht, nach Versammlung oder Gerichtshof, oder wo irgend nur hin es sei – und stets wird er ihn sicher zurückbringen, zu welcher Stunde Ihr es verlangen mögt; so kann denn Mr. Barnes beliebig seine Freiheit genießen.«

Alles dies war bald in Ordnung gebracht und der Oberst übergab seinen Simson der Sorgfalt dieses Mannes, für die ganze Zeit, wo sie in Edinburg verweilen würden.

»Und nun, Sir, gehen wir, wenn es Ihnen gefällig ist, nach der Capucinerkirche, um dort unsern Historiker von Schottland, von dem Continent und von Amerika zu hören.«

Sie sahen sich indeß getäuscht – er predigte an diesem Morgen nicht. – »Nur ein wenig Geduld,« sagte der Sachwalter, »und wir werden nichts zu bereuen haben.«

Der College des Dr. Robertson bestieg die Kanzel Dies war der berühmte Dr. Erskine, ein ausgezeichneter Geistlicher und vortrefflicher Mensch.. Seine äußere Erscheinung war nicht besonders günstig. Eine sehr weiße Gesichtsfarbe, die seltsam mit einer schwarzen völlig ungepuderten Perücke contrastirte; eine enge Brust und gebeugte Haltung; Hände, welche, gleich Stützen an beiden Seiten der Kanzel aufgelegt, eher zur Aufrechthaltung der Person nöthig schienen, als um die Gestikulation des Predigers zu vervollständigen, – dies und mehreres Andere war es, was dem Fremden an ihm zuerst auffiel. »Der Prediger scheint nicht vortheilhaft ausgestattet,« flüsterte Mannering seinem neuen Freunde zu.

»Keine Besorgniß, er ist der Sohn eines trefflichen schottischen Rechtsgelehrten – er wird seiner Herkunft Ehre machen, ich stehe für ihn.«

Der Rechtsgelehrte prophezeite richtig. Man hörte einen Vortrag, reich an neuen, treffenden und unterhaltenden Ansichten über biblische Geschichte – eine Predigt, worin der Calvinismus der schottischen Kirche wohl erläutert und unterstützt ward; die Basis jedoch machte ein gesundes System praktischer Moral aus, wodurch der Sünder weder unter der Hülle speculativen Glaubens oder gemeiner Meinungen Schutz finden, noch den Fluthen des Unglaubens und des Abfalles überlassen werden sollte. Etwas veraltet war der Kunstgriff der Argumente und Metaphern, aber er diente nur dazu, dem Style der Beredsamkeit Klarheit zu geben. Die Predigt ward nicht gelesen – ein Streifchen Papier, enthaltend die Hauptpunkte des Ganzen, ward gelegentlich zur Hand genommen, und der Vortrag, welcher anfangs unvollkommen und ängstlich erschien, ward, als der Prediger in der Folge mehr in's Feuer kam, lebhaft und bestimmt. Obwohl nun die Abhandlung nicht als eine fehlerlose Probe von Kanzelberedsamkeit gelten konnte, so hatte Mannering gleichwohl noch nie so viel gelehrten metaphysischen Scharfsinn und so viel Energie der Argumente im Dienste des Christenthums anwenden hören.

»So,« sagte er, als er aus der Kirche ging, »müssen die Prediger gewesen sein, deren bedeutenden, wenn auch zuweilen etwas roh gebildeten Talenten wir die Reformation verdanken.«

»Und doch hat jener ehrwürdige Herr,« sagte Pleydell, »den ich seines Vaters und seiner selbst willen liebe, nichts von jenem pharisäischen Stolze, welcher einigen der vormaligen Väter der kalvinistischen Kirche Schottlands innewohnte. Sein College und er sind verschiedener Meinung hinsichtlich verschiedener Punkte der Kirchendisciplin, und in Bezug darauf sind sie auch Häupter verschiedener Parteien in der Kirche; aber dabei behaupten sie stets persönliche Achtung gegen einander, lassen nichts Böswilliges ihre wechselseitige Opposition unterstützen, und beide zeigen sich standhaft, fest und ihrer Sache gewiß.«

»Und was halten Sie von ihren verschiedenen Ansichten, Mr. Pleydell?«

»Ei, Herr Oberst, ich glaube, ein schlichter Mann kann in den Himmel kommen, ohne an all jene Einzelheiten zu denken – überdies, inter nos, ich bin ein Mitglied der leidenden und bischöflichen Kirche von Schottland – jetzt nur noch ein Schatten vom Schatten, – aber ich liebe es, da zu beten, wo meine Väter vor mir beteten, ohne deßwegen schlecht von den Formen der Presbyterianer zu denken, weil mich diese nicht auf gleiche Weise ansprechen.« Mit diesen Worten schieden sie nun bis zur Zeit des Mittagessens.

Mannering dachte an den elenden Eingang zu des Rechtsgelehrten Wohnung, und hegte demnach nur sehr bescheidene Erwartungen von der Bewirthung, die er empfangen sollte. Bei Tageslicht sah jener Eingang noch schrecklicher aus, als am vorigen Abend. Die Häuser an beiden Seiten des Gäßchens standen einander so nah, daß sich die Nachbarn von beiden Seiten die Hände reichen konnten, und hier und da war auch der Raum gänzlich geschlossen, indem hölzerne Gallerien von einem Haus zum andern liefen. Die Treppe war nicht besonders reinlich; und als Mannering das Haus betrat, fiel ihm die Enge und das miserable Ansehen der Hausflur vorzüglich auf. Aber das Bibliothekzimmer, nach welchem er von einem ältlichen, ehrwürdig aussehenden Diener geführt wurde, bildete einen vollkommenen Gegensatz zu all jenen wenig versprechenden Aeußerlichkeiten. Es war ein geräumiges hübsches Gemach, mit den Portraits von einigen schottischen berühmten Charakteren, von Jamieson, dem Caledonischen Vandyk, geschmückt. Ringsum standen die Bücher, die besten Ausgaben der besten Autoren, und vor allen eine vorzügliche Sammlung der Klassiker.

»Dies,« sagte Pleydell, »ist mein Handwerkszeug. Ein Rechtsgelehrter ohne Kenntniß der Geschichte und Literatur ist ein Handwerker, ein gemeiner Maurer; besitzt er aber von jenen einige Kenntniß, so darf er sich einen Baumeister nennen.«

Sehr ergötzte sich Mannering durch die Aussicht aus den Fenstern, welche den unvergleichlichen Prospekt der Gegend zwischen Edinburg und der See gewährten; der Frith of Forth, mit seinen Eilanden u. s. w., alles zeigte sich hier, und gegen Norden begränzte eine Hügelreihe den blauen Horizont.

Nachdem sich Mr. Pleydell an der Ueberraschung seines Gastes zur Genüge erfreut hatte, lenkte er dessen Aufmerksamkeit auf Miß Bertrams Angelegenheiten. »Ich hatte Hoffnung,« sagte er, »wiewohl nur sehr schwache Hoffnung, einige Mittel entdeckt zu haben, um ihr unbestreitbares Recht auf das Gut Singleside festzustellen; aber meine Bemühungen waren vergeblich. Die alte Lady war allerdings unbeschränkte Eigenthümerin, und durfte mit vollem Rechte beliebig über ihr Gut verfügen. Alles, was uns zu hoffen übrig bleibt, ist, daß sie der Teufel nicht versucht haben möge, ihre frühere Verfügung umzustoßen. Sie müssen des Fräuleins Leichenbegängniß abwarten, wozu man sie einladen wird, da ich dem Geschäftsführer der Verstorbenen Nachricht gegeben habe, daß Sie als Bevollmächtigter von Seiten der Miß Lucy Bertram hier sind. Ich werde Sie nachher in der Wohnung der Seligen treffen, und ein Auge darauf haben, daß bei Eröffnung des Nachlasses Alles in gehöriger Ordnung vorgehe. Die Alte hatte ein junges Mädchen bei sich, eine verwaiste Verwandte, die als sklavische Gesellschafterin bei ihr lebte. Ich hoffe, sie wird so viel Gewissen gehabt haben, diese ihre Untergebene für alle Härte und Mühe, die sie zeitlebens bei ihr erdulden mußte, gebührend zu entschädigen.«

Jetzt erschienen drei Herren, die dem Fremden vorgestellt wurden. Es waren verständige, heitere und gebildete Männer, daß der Tag sehr angenehm verstrich. Als Mannering am Abend wieder in seinem Gasthofe ankam, fand er eine Einladungskarte zum Leichenbegängniß der Miß Margarete Bertram von Singleside, welches um ein Uhr Nachmittags von ihrem eigenen Hause beginnen und zum Begräbnißplatz auf dem Capucinerkirchhof gehen sollte.

Zur bestimmten Stunde begab sich Mannering nach einem kleinen Hause in der südlichen Vorstadt, wo er den Trauerplatz, wie gewöhnlich in Schottland, durch zwei Trauergestalten bezeichnet fand, angethan mit langen schwarzen Gewändern, weißen Kreppflören und Hutbändern, und Stäbe mit Trauerfahnen ähnlicher Art in den Händen haltend. Zwei andre Stumme, die nach ihren Gesichtern zu urtheilen, in großer Trübsal um des fremden Unglücks willen waren, führten ihn in das Speisezimmer der Verstorbenen, wo die Gesellschaft der Leidtragenden versammelt war.

In Schottland ist die, jetzt in England außer Gebrauch gekommene Sitte, die Verwandten des Verstorbenen zum Leichenbegängniß einzuladen, noch allgemein beibehalten. Bei manchen Gelegenheiten hat dies eine sonderbare und auffallende Wirkung; aber es artet in bloß leere Form und in ein Possenspiel aus, in Fällen, wo der Verstorbene das Unglück hatte, ungeliebt zu leben und unbeklagt zu sterben. Die Begräbnißgebräuche der englischen Kirche, die so schön und ausdrucksvoll sind, würden in solchen Fällen die Aufmerksamkeit fesseln, die Gedanken und Gefühle der Anwesenden sammeln und sie zur Andacht stimmen; in Schottland aber kann, wenn nicht wahres Gefühl die Leidtragenden erfüllt, nichts den Mangel ersetzen und den Geist erheben, so daß die Gesellschaft nur zu sichtbar mit heuchlerischer Anstrengung den Zwang der Sitte erträgt. Margarete Bertram gehörte unglücklicher Weise zu denjenigen, die, ungeachtet mancher guten Eigenschaften, dennoch freundlos bleiben; sie hatte keine nahen Verwandten, die aus natürlicher Neigung um sie hätten trauern mögen, und so bemerkte man bei ihrem Leichenbegängniß nur den äußern Anstrich von Trauer.

Mannering stand also mitten unter dieser trauernden Gesellschaft von Vettern, im dritten, vierten, fünften und sechsten Grade, und suchte in seinem Gesichte die würdevolle Feierlichkeit darzulegen, welche seine ganze Umgebung blicken ließ; und er mühte sich, so viel Theilnahme für Mrs. Margarete an den Tag zu legen, wie wenn die verstorbene Dame von Singlesilde seine eigene Schwester oder Mutter gewesen wäre. Nach einer tiefen und ernstfeierlichen Stille, begann die Gesellschaft leise zu schwatzen, aber nur ganz heimlich flüsternd, als hätte man sich im Zimmer eines Sterbenden befunden.

»Unsre theure Freundin,« sagte ein ernster Gentleman, kaum den Mund öffnend, weil er fürchtete, die nothwendige Feierlichkeit seiner Züge zu zerstören, und ganz leise zwischen den Lippen flüsternd, welche so wenig als möglich geöffnet wurden, – »unsre theure Freundin hat ein sehr verständiges Leben geführt.«

»Gewißlich,« antwortete die angeredete Person mit halbgeschlossenen Augen; »die gute Mrs. Margarete lebte sehr eingezogen.«

»Was Neues heut, Oberst Mannering?« sagte einer der Herren, mit denen er am Tag zuvor gespeist hatte, aber in einem so ernsten und würdevollen Tone, als hätt' er den Tod seiner ganzen Familie ankündigen wollen.

»Nichts besonders, glaub' ich, Sir,« sagte Mannering, und zwar ganz in dem Tone, der, wie er bemerkte, für das Haus der Trauer geeignet war.

»Ich höre,« fuhr der erste Sprecher mit Nachdruck, und mit der Miene eines ganz wohl Unterrichteten, fort – »ich höre, es ist ein Testament vorhanden.«

»Und was wird die kleine Jenny Gibson bekommen?«

»Ein Hundert und die alte Repetiruhr.«

»Das ist aber auch blutwenig, armes Kind; sie hat es doch sehr lange mit der alten Dame ausgehalten. 's ist aber auch ein schlimmes Ding, auf andrer Leute Tod warten.«

»Ich fürchte,« sagte der Politiker, der dicht neben Mannering stand, »wir sind mit unserm alten Freunde Tipu Saib noch nicht fertig – gewiß wird er der Compagnie noch viel zu schaffen machen; und man sagt mir, aber sie werden das wohl schon wissen, daß die ostindischen Papiere gar nicht steigen wollen.«

»Hoffentlich thun sie es bald, Sir.«

»Mrs. Margarete,« sagte eine andere Person, sich in die Unterhaltung mischend, »hat einige indische Papiere, ich weiß das, denn ich holte die Interessen für sie. Es würde nun für die Curatoren und Vermächtnißerben gut sein, wenn sie des Herrn Oberst Rath erbäten, wann und auf welche Weise sich die Papiere am Besten in Geld verwandeln lassen. Ich meinerseits denke – aber hier kommt eben Mr. Mortcloke, der uns jetzt Näheres sagen wird.«

Mr. Mortcloke, der Leichenbitter that dies denn auch und zwar mit einem Gesicht von berufsmäßiger Länge und Feierlichkeit, indem er den Trägern des Bahrtuchs kleine Karten gab, welche ihre Plätze, die sie beim Sarge einnehmen sollten, bestimmten. Da der Vorrang nach der Nähe des Verwandtschaftsgrades bestimmt wird, so konnte der arme Mann, wie gut er sich auch auf die Leichenfeierlichkeiten verstehen mochte, doch nicht vermeiden, hier und da einen Anstoß zu geben. Mit Mrs. Bertram verwandt sein, hieß mit den Ländereien von Singleside verwandt sein, und daher war jetzt jeder Verwandte sehr eifersüchtig auf die Nähe seines Verwandtschaftsgrades. Einiges Murren vernahm man daher bei dieser Gelegenheit, und unser Freund Dinmont gab seinen Unwillen offener zu verstehen, da er weder fähig war, sein Mißvergnügen zu unterdrücken, noch auch den zur Feierlichkeit nothwendigen Ton zu treffen im Stande war. »Ich dächte doch, ihr hättet mir auch wohl ein Bein von ihr tragen lassen können,« rief er mit bedeutend lauterer Stimme, als es sich eigentlich geziemen wollte. »Lieber Gott! wenn es nicht um des Gutes willen wäre, so würd' ich sie wohl ganz allein tragen dürfen, so viel Vornehme jetzt auch hier sein mögen.«

Einige Dutzend unwilliger und tadelnder Gesichter wandten sich nach dem unerschrockenen Landmann, der, nachdem er seinem Unmuthe Luft gemacht hatte, mit der übrigen Gesellschaft trotzig die Treppe hinab ging, gänzlich den Tadel derjenigen verachtend, welche durch seine Bemerkungen beleidigt worden waren.

Darauf setzte sich der Leichenzug in Bewegung; voran Männer mit Stäben, an welchen Bänder von beschmutztem weißem Flore wehten, zu Ehren des wohlbewahrten jungfräulichen Rufes von Mrs. Margarete Bertram. Sechs magere Pferde, an sich selbst treffende Sinnbilder der Sterblichkeit, mit schwarzen Tüchern behangen und mit Federbüschen geschmückt, die den Leichenwagen mit den Wappenbildern schleppten, schlichen langsam zu dem Begräbnißplatze, geführt von einem Blödsinnigen, der mit Umschlägen und einer Halskrause von weißem Papiere den Leichenzug begleitete. Sechs Trauerwagen mit den Leidtragenden schlossen die Reihe. Unterwegs ließ man den Zungen freien Lauf, und sprach ungezwungen über den Betrag des Nachlasses und den muthmaßlichen Erben. Diejenigen aber, welche die ersten Ansprüche hatten, beobachteten ein kluges Schweigen, um nicht Hoffnungen auszudrücken, welche getäuscht werden konnten, und der Geschäftsführer, der allein wußte, wie die Sachen standen, machte eine geheimnißvoll wichtige Miene, als hätte er bei sich beschlossen, die ungeduldige Erwartung bis auf den letzten Augenblick zu spannen.

Endlich langten sie an der Kirchhofpforte an, und von da kamen sie, zwischen einer Schaar von einigen Dutzend müßiger Weiber, mit ihren Kindern auf dem Arme und begleitet von etlichen zwanzig größern Kindern, welche lärmend und schreiend neben der Procession beiherliefen, zu dem Erbbegräbnisse der Familie Singleside. Dies war ein viereckiger, eingeschlossener Raum, zur einen Seite bewacht von einem alten Engel ohne Nase und mit nur noch einer einzigen Schwinge, welcher das Verdienst hatte, seinen Posten ein ganzes Jahrhundert hindurch behauptet zu haben; während sein Kamerad, ein Cherub, welcher ihm gegenüber vormals Schildwache gestanden hatte, zerbrochen unter Kletten, Schierling und Nesseln lag, welche ungeheuer üppig rings um des Mausoleums Wände wucherten. Eine moosbewachsene und fast unlesbar gewordene Inschrift unterrichtete den Wandrer, daß im Jahr 1650 Capitain Andreas Bertram, der erste des Namens von Singleside, entsprossen aus dem alten und ehrenwerthen Hause Ellangowan, dieses Denkmal für sich und die Seinigen hatte errichten lassen. Eine gehörige Anzahl von Sensen, Sanduhren, Todtenköpfen und Gebeinen schmückte die folgende Probe von Leichensteinpoesie zum Andenken des Stifters dieses Mausoleums.

Nathaniels Herz, Bezaleels Hand,
Wenn je sie Einer hatt',
So sag' ich kühn, er hatte sie,
Der ruht an dieser Statt.

Hier also, in die tiefe, schwarze, fette Lehmerde, in die ihre Ahnen nunmehr verwandelt waren, legte man auch den Leib der Miß Margarete Bertram; und, gleich Soldaten, die von einem militärischen Leichenbegängniß zurückkehren, drängten die nächsten Verwandten, welche bei dem Testamente des Fräuleins betheiligt waren, die Führer der Kutschen zu all' der Eile, deren diese fähig waren, um dem ferneren Verzuge der interessanten Entscheidung endlich ein Ende zu machen.



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