Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Dies Zwischenspiel brachte einige Verwirrung in die Jagd; die Jäger stutzten über die Erscheinung von Michael Turnbull, einem bewaffneten und sich offen erklärenden Anhänger des Hauses Douglas – ein neuerwarteter Anblick in einem Gebiete, wo sein Herr als Aufrührer und Räuber galt, und wo er selbst den meisten anwesenden Landleuten bekannt sein mußte. Der Umstand machte einen offenbaren Eindruck bei den englischen Rittern. Sir John de Walton sah ernst und gedankenvoll aus, befahl den Jägern sich sogleich zu versammeln, mit den Soldaten eine genaue Untersuchung unter den Personen zu beginnen, welche die Jagd begleitet hatten, um zu entdecken, ob Turnbull einige Gefährten unter denselben habe; es war jedoch schon zu spät, um die Untersuchung in der strengen Weise anzustellen, welche de Walton anbefohlen hatte.

Als die schottischen Theilnehmer an der Jagd bemerkten, daß dieselbe, unter deren Vorwand sie zusammen berufen waren, unterbrochen wurde, um Hand an ihre Personen zu legen, und sie einer Untersuchung zu unterwerfen, gaben sie sorgfältig überdachte Antworten auf die ihnen vorgelegten Fragen, und bewahrten ihr Geheimniß, wenn sie nur ein solches wußten. Viele von ihnen besorgten im Bewußtsein der schwächere Theil zu sein, einen Hinterhalt, schlüpften deshalb von den Orten weg, die ihnen angewiesen waren und verließen die Jagd wie Leute, denen es klar wurde, daß sie in keiner freundschaftlichen Absicht eingeladen waren. Sir John de Walton merkte die Verminderung in der Zahl der Schotten; ihr allmähliges Verschwinden erweckte bei dem englischen Ritter den Grad von Verdacht, welcher seit Kurzem sein hervorragender Charakterzug geworden war.

»Nehmt,« sagte er zu Sir Aymer de Valence, »so viele Kriegsleute, als ihr in 5 Minuten zusammen bringen könnt, wenigstens aber hundert berittene Bogenschützen, und reitet so schnell wie möglich ohne zu gestatten, daß sie sich von der Fahne entfernen, um die Garnison von Douglas zu verstärken; ich habe meine eigenen Gedanken über einen Versuch gegen das Schloß, wenn wir hier mit eigenen Augen ein solches Nest von Verräthern versammelt sehen.«

»Gestattet mir die Bemerkung, Sir John,« erwiderte Aymer, »daß Ihr in dieser Angelegenheit über das Ziel hinaus schießt. Ich will durchaus nicht ableugnen, daß die schottischen Bauern feindliche Gedanken gegen uns hegen, da sie aber so lange Zeit alles Jagdvergnügen entbehrten, so könnt Ihr Euch jetzt nicht darüber wundern, daß sie bei irgend einer Vergnügung im Walde oder am Fluß sich zahlreich einstellen; noch weniger dürft Ihr erstaunen, daß sie leicht eine Besorgniß über die Gewißheit mit uns auf gutem Fuße zu stehen, hegen. Die geringste rauhe Behandlung muß sie sogleich mit Furcht erfüllen und ihnen den Wunsch zu entkommen einflößen.«

»Deßhalb,« sagte Sir John de Walton, welcher mit einem Grade von Ungeduld zugehört hatte, der mit der ernsten und förmlichen Höflichkeit, womit Ritter sich einander anzureden pflegten, kaum verträglich war, »deßhalb wäre es mir lieber, wenn Sir Aymer de Valence die Hufe seiner Pferde bei der Ausführung meines Befehles beschäftigte, als daß er seiner Zunge die Mühe gebe, demselben zu widersprechen.«

Bei diesem scharfen Verweise sahen sich alle Anwesenden mit Anzeichen bestimmten Mißvergnügens gegenseitig an. Sir Aymer war in hohem Grade beleidigt, erkannte aber, daß eine Antwort für den Augenblick ungeeignet sei. Er verbeugte sich, daß die Feder seines Barettes die Mähne seines Pferdes berührte. Da er sogar nicht einmal sich auf seine Stimme, um im gegenwärtigen Augenblick Antwort zu geben, verließ, führte er einen beträchtlichen Trupp Reiter auf dem geradesten Weg auf Castle Douglas zurück.

Als er auf eine jener Anhöhen kam, von denen aus er den massenhaften und verwickelten Bau von Thürmen und Mauern der alten Festung, mit dem Widerschein des breiten, an drei Seiten sie umringenden See's bemerken konnte, empfand er Selbstgefühl beim Anblick des großen Banners von England, welches auf dem höchsten Theile des Gebäudes wehte. »Ich wußte das,« dachte er, »ich war überzeugt, daß Sir John de Walton ein Weib in der schwachen Hingebung an seine Furcht und seinen Argwohn geworden ist. Ach! daß eine verantwortliche Lage einen Charakter verändern konnte, den ich als so edel und ritterlich gekannt habe! Jetzt aber weiß ich wirklich nicht, in welcher Weise ich mich benehmen soll, da ich so öffentlich vor der Garnison einen Verweis bekommen habe. Er verdient sicherlich, daß ich zu einer oder andern Zeit ihm zu verstehen gebe, wenn er auch jetzt in der Uebung seines kurz dauernden Oberbefehls triumphiren könne, so müsse er dennoch sehr in Verlegenheit kommen, um seine Ueberlegenheit über mich zu zeigen, sobald es sich davon handelt, daß Mann gegen Mann steht; vielleicht sogar vermag er es mir nicht einmal gleich zu thun. Wenn jedoch im Gegentheil seine Furcht, so phantastisch sie auch sein mag, im Augenblick, wo er sie ausspricht, aufrichtig gemeint ist, so geziemt es mir, den Befehlen pünktlich zu gehorchen, welche, wie abgeschmackt sie auch sein mögen, in Folge der vom Gouverneur gehegten Ansichten gegeben werden, daß sie durch die Zeitumstände nöthig werden, nicht aber Erfindungen sein sollen, um die Offiziere zu ärgern und ihnen seine amtliche Herrschaft fühlbar zu machen. Ich möchte wissen, wie sich die Sache wirklich verhält, und ob der einst so berühmte Walton seine Feinde mehr fürchtet, als es einem Ritter geziemt, oder ob er seine eingebildete Besorgniß zum Vorwand macht, um seine Freunde zu tyrannisiren. Ich kann nicht sagen, ob dies bei mir einen großen Unterschied machen würde; ich möchte aber doch lieber, daß der einst von mir geliebte Mann ein kleinlicher Tyrann, als ein schwachsinniger Feigling geworden wäre; es wäre mir lieber, daß er suchen sollte, mich zu plagen, als daß er vor seinem eigenen Schatten erschrickt.«

Der junge Ritter ritt mit diesen Gedanken über den Damm weg, welcher den Wassergraben durchzog; als er durch das stark befestigte Thor gekommen war, ertheilte er strenge Befehle, das Fallgatter herunterzulassen und die Zugbrücke aufzuziehen, sogar wenn de Waltons eigene Fahne vor derselben erscheinen sollte.

Eine langsame und vorsichtige Bewegung vom Jagdgrunde nach Castle Douglas gab dem Gouverneur genügende Zeit, um sich wieder zu fassen, und um zu vergessen, daß sein junger Freund weniger Bereitwilligkeit wie gewöhnlich in der Ausführung seiner Befehle gezeigt hatte. Er war sogar geneigt, die Länge der Zeit und den äußersten Grad von Förmlichkeiten als Scherz zu betrachten, womit jeder Umstand kriegerischer Disciplin bei seiner eigenen Zulassung in das Schloß beobachtet wurde, obgleich die rauhe Luft eines Frühlingsabends um seinen durch warme Kleidung nicht geschützten Körper und diejenigen seiner Begleiter pfeifend wehte, als sie vor dem Schloßthore wegen des Austausches der Losungswörter, der Uebergebung der Schlüssel und aller langsamen Kleinigkeiten warten mußten, welche mit den Bewegungen einer Garnison in einer wohl bewachten Festung verknüpft sind.

»Kommt,« sagte er zu einem alten Ritter, der in groben Worten auf den Gouverneurlieutenant schmähte, »es ist meine eigene Schuld, ich sprach soeben mit Aymer de Valence in einem Tone nachdrücklicheren Befehles, als es dem vor Kurzem zum Ritter geschlagenen Herrn gefiel; dieses genaue Verfahren des Gehorsams ist keine unnatürliche, und eine sehr verzeihliche Rache. Wohlan, wir wollen es ihm schon zurückgeben, Sir Philipp, es ist dies keine Nacht, um uns außerhalb des Thores zu halten.«

Dieses Gespräch hörten einige der Knappen und Pagen, es wurde alsbald von Einem zum Andern überliefert, bis es den Ton der guten Laune, worin es gesagt war, gänzlich verlor und jenes Verfahren von Sir Aymer als Beleidigung galt, wegen welcher Sir John de Walton und der alte Sir Philipp sich zu rächen suchten. Es hieß, der Gouverneur habe die Beleidigung als eine tödtliche und absichtlich durch einen untergeordneten Offizier ihm zugefügte Beschimpfung dargestellt.

So mehrte sich die Feindschaft von Tag zu Tag zwischen zwei Kriegern, welche ohne gerechte Ursache zum Streit im Grunde ihres Herzens Achtung und Liebe gegen einander hegten. Dieselbe wurde in der Festung sogar den Waffenleuten vom niedersten Range bemerkbar, die einige Bedeutung dadurch zu erlangen hofften, daß sie sich in die Art Nebenbuhlerschaft einmischten, welche durch die Eifersucht der kommandirenden Offiziere erzeugt wurde – eine Nebenbuhlerschaft, die auch gegenwärtig noch stattfinden kann, aber sicherlich nicht dieselben Gefühle verwundeten Stolzes und eifersüchtiger Würde hervorruft, die in Zeiten vorhanden waren, worin die persönliche Ehre der Ritterschaft diejenigen, welche dieselbe besaßen, auf jede Kleinigkeit eifersüchtig machte.

Es fanden sich zwischen den zwei Rittern so viele kleine Zänkereien, daß Sir Aymer de Valence es für nothwendig hielt, seinem Oheim gleichen Namens, dem Grafen von Pembroke zu schreiben; er erklärte demselben, sein Befehlshaber, Sir John de Walton, habe unglücklicher Weise ein Vorurtheil gegen ihn gefaßt; nachdem er mehrere empfindliche Beispiele seines Mißfallens ertragen habe, müsse er jetzt darum nachsuchen, daß seine Stelle in Castle Douglas durch eine andere ersetzt werde, wo man Ehre gewinnen könne, und wo vielleicht die Zeit seine gegenwärtige Beschwerde gegen seinen Befehlshaber beendigen könne. In dem ganzen Brief war der junge Sir Aymer besonders vorsichtig in seinen Ausdrücken über Sir John de Waltons Eifersucht oder strenge Behandlung; solche Gefühle lassen sich aber nicht leicht verbergen, und ungeachtet seiner Vorsicht ließ sich Mißvergnügen über seines Oheims alten Freund und Waffengefährten, sowie über den Bereich des Militärdienstes erkennen, welchen sein Oheim ihm zugewiesen hatte.

Eine zufällige Bewegung unter den englischen Truppen überbrachte dem Sir Aymer eine Antwort weit früher wie er damals nach dem gewöhnlichen Verlauf des Briefverkehrs erwarten konnte, welcher ungemein langsam und häufig unterbrochen war.

Pembroke, ein strenger alter Krieger, hegte eine höchst parteiische Meinung über Sir John de Walton, welcher gleichsam ein Werk seiner eigenen Hände war, und ärgerte sich, daß sein Neffe, nach seiner Ansicht noch ein bloßer Bursch, welcher durch die Uebertragung der Ritterwürde in einem viel zu frühen Alter erhoben sei, nicht gänzlich mit seiner Meinung übereinstimme. Er erwiderte ihm somit in einem Tone starken Mißvergnügens, und sprach sich aus, wie eine Person von Rang einem jungen und abhängigen Verwandten über die Pflichten seines Berufes zu schreiben pflegt. Da er die Ursachen der Klagen seines Neffen aus seinem eigenen Brief ersah, so glaubte er, daß er demselben keine Ungerechtigkeit erweise, wenn er sie für geringer halte, wie es wirklich der Fall war. Er erinnerte den jungen Mann an die Pflicht der Ritterschaft, welche in der treuen und geduldigen Ausführung des Militärdienstes hoher wie niederer Art bestand, je nachdem die Umstände es erheischten, worein der Kriegsmann durch sein Gewerbe gelangt sei. Vor Allem aber sei der Posten der Gefahr, den Alle in Douglas-Castle erkennen müßten, zugleich der Posten der Ehre; ein junger Mann müsse vorsichtig sein, um nicht den Verdacht zu erregen, er wünsche seinen gegenwärtigen ehrenvollen Befehl zu verlassen, weil ihm die Disciplin eines so berühmten Befehlshabers, wie Sir John de Walton, mißfalle. Viel auch stand in jenem Briefe, wie es in jenen Zeiten natürlich war, von den Pflichten junger Leute, welche sich im Rath oder in Waffen von älteren unbedingt leiten lassen müßten. Mit Recht war bemerkt, daß ein Befehlshaber, welcher sich in eine Lage versetzt habe, worin er mit seiner Ehre, wo nicht mit seinem Leben für den Ausgang der Belagerung oder Blokade verantwortlich sei, die unbedingte Leitung der ganzen Vertheidigung in Anspruch nehmen müsse. Zuletzt erinnerte Pembroke seinen Neffen an den Umstand, daß sein Ruf während des späteren Lebens in großem Maße von den Berichten Sir John de Waltons abhängig sei; wenige Handlungen verwegener und unüberlegter Tapferkeit würden seinen militärischen Ruf nicht so fest begründen, wie Monate und Jahre in regelmäßigem, demüthigem und beharrlichem Gehorsam gegen die Befehle verbracht, welche der Gouverneur von Douglas-Castle in so gefährlichen Zeitumständen für nothwendig halten würde.

Dies Schreiben langte in so kurzer Zeit nach Absendung des Briefes an, worauf es die Antwort war, daß Sir Aymer beinahe in Versuchung kam zu glauben, de Walton verfüge über ein Mittel des Briefverkehrs mit seinem Oheim, welches dem jungen Ritter selbst, sowie der übrigen Garnison unbekannt war. Da der Graf eine Anspielung auf besonderes Mißvergnügen machte, welches de Valence bei einer kürzlichen unbedeutenden Gelegenheit gezeigt hatte, so schien seines Oheims Bekanntschaft mit diesem Umstande und anderen Kleinigkeiten seine Vorstellung zu bestätigen, daß sein Betragen in einer Weise überwacht werde, die er nicht für ehrenvoll hinsichtlich seiner selbst, noch auch von Seiten seines Verwandten für geziemend hielt; kurzum, er glaubte, daß er derjenigen Art Oberaufsicht ausgesetzt sei, hinsichtlich welcher die jungen Leute aller Zeiten eine Anklage gegen die älteren erhoben haben. Es ist kaum nothwendig, hier zu bemerken, daß die Ermahnungen des Grafen Pembroke den feurigen Geist seines Neffen heftig reizten; dies war so sehr der Fall, daß der Graf, wenn er absichtlich die Vorurtheile hätte steigern wollen, die er zu beendigen wünschte, keine zu dem Zweck besser berechneten Ausdrücke hätte wählen können.

Die Wahrheit bestand darin, daß der alte Armbrustschütze Gilbert Greenleaf, ohne daß der junge Ritter es wußte, sich nach Pembroke's Lager in Ayrshire begeben hatte, und von Sir John de Walton dem Grafen als ein Mann empfohlen war, der über Aymer de Valence ihm so genaue Nachricht zu geben vermöge, wie er dieselbe nur wünschen könne. Der alte Armbrustschütze war, wie wir gesehen haben, in den Formen des Militärdienstes befangen, und trug auch kein Bedenken, als er über einige Punkte hinsichtlich der Disciplin Sir Aymers befragt wurde, einige Winke zu geben, welche mit denjenigen im Briefe des Ritters an seinen Oncle verbunden, den alten strengen Grafen zur Meinung brachten, daß sein Neffe dem Geiste der Insubordination und einer Neigung, sich gegen seinen Befehlshaber aufzulehnen hingebe, die dem Ruf eines jungen Soldaten höchst gefährlich sei. Einige nähere Erklärungen hätten eine vollkommene Uebereinstimmung in den Ansichten beider erzeugen können, allein dazu gestattete das Schicksal weder Zeit noch Gelegenheit, der alte Graf wurde unglücklicherweise bewogen, eine Partei statt eines Unterhändlers im Streite zu werden,

»Und sein Beschluß verwirrte nur den Streit.«

Sir John de Walton bemerkte bald, daß der Empfang von Pembroke's Brief die Kälte im Benehmen seines Lieutenants nicht änderte; der Verkehr beider blieb auf denjenigen beschränkt, welcher durch ihre Lage unvermeidlich wurde, und zeigte kein Entgegenkommen zum Zweck einer freimüthigeren oder freundschaftlicheren Verbindung. Somit blieben beide, wie es jetzt bisweilen bei Offizieren in ihren bezüglichen Stellungen der Fall sein mag, in jenem kalten und steifen amtlichen Verkehr, worin ihre beiderseitigen Gespräche auf wenige Ausdrücke hinsichtlich ihres Dienstes beschränkt waren, welche ihre Lage durchaus erheischte. Ein solcher Zustand des Mißverständnisses ist wirklich schlimmer wie ein offener Streit; letzterer läßt sich durch Erklärungen oder Entschuldigungen schlichten, oder ein Gegenstand der Vermittlung werden; in solchem Fall jedoch wie dem ersteren ist eine Erklärung ebenso unwahrscheinlich, wie ein allgemeiner Kampf zwischen zwei Heeren, welche starke Vertheidigungsstellungen beiderseitig eingenommen haben. Ihr Dienst jedoch zwang die zwei Hauptpersonen in der Garnison von Douglas-Castle zu häufigen Zusammenkünften, wobei sie so weit entfernt waren, eine Gelegenheit zur Ausgleichung zu suchen, daß sie sogar gewöhnlich ihre alten Veranlassungen zur Uneinigkeit wieder hervorsuchten.

Bei einer solchen Gelegenheit geschah es, daß de Walton in sehr förmlicher Weise de Valence fragte, zu welchem Zweck und auf wie lange Zeit er den Sänger, Bertram genannt, im Schlosse lassen wolle.

»Eine Woche,« sagte der Gouverneur, »ist in solchen Zeitumständen, und solchem Orte wie diesem hier, sicherlich genügend, um die einem Sänger schuldige Gastfreundschaft zu leisten.«

»Sicherlich,« erwiderte der junge Mann, »habe ich nicht genug Interesse an dem Gegenstande, um darüber einen einzigen Wunsch zu hegen.«

»In dem Fall,« bemerkte de Walton, »werde ich diese Person ersuchen, ihren Besuch im Schloß Douglas abzubrechen.«

»Ich weiß von keinem besondern Interesse,« erwiderte Aymer, »welches ich an dem Verfahren dieses Mannes hegen könnte. Er befindet sich hier unter dem Vorwande, die Schriften eines Thomas von Erceldoun, Reimer genannt, aufzusuchen, welche, wie er sagt, sehr merkwürdig sind, und von welchen sich ein Buch in des alten Barons Studierzimmer befindet, das auf irgend eine Weise aus den Flammen bei der letzten Feuersbrunst gerettet wurde. Dies gab so viel Kunde von seinen Absichten, wie ich Euch mittheilen kann; haltet Ihr aber die Gegenwart eines wandernden alten Mannes und die Nähe eines Knaben für gefährlich hinsichtlich des von Euch bewachten Schlosses, so handelt Ihr ohne Zweifel Eurem Rechte gemäß, wenn Ihr ihn fortschickt; dazu ist nur Ein Wort aus Eurem Munde erforderlich.«

»Verzeiht mir,« sagte de Walton, »der Sänger kam hieher als Einer aus Eurem Gefolge, und ich konnte ihn nicht nach Gebühr der Höflichkeit ohne Eure Erlaubniß fortschicken.«

»Alsdann,« erwiderte Sir Aymer, »thut es mir leid, daß Ihr Euren Willen nicht eher erwähnt habt. Ich habe niemals einen abhängigen Vasallen oder Diener bewirthet, dessen Aufenthalt im Schlosse ich nur einen Augenblick mehr wie Ihr wünscht, auszudehnen gewünscht hätte.«

»Zu meinem Bedauern,« sagte Sir John de Walton, »sind wir beide seit Kurzem so außerordentlich höflich gegen einander geworden, daß es für uns sehr schwierig geworden ist, uns verständlich zu machen. Wir wissen nicht, von wo dieser Sänger und sein Sohn gekommen ist, und wohin die Beiden gehen wollen. Unter einigen Leuten Eures Gefolges herrschte ein Gerede, daß dieser Kerl Bertram unterweges die Keckheit hatte, Euch in's Gesicht das Recht des Königs von England auf die Krone Schottlands in Frage zu stellen, und daß er die Sache mit Euch besprach, nachdem Ihr den Wunsch ausgesprochen hattet, Eure andern Begleiter möchten zurückbleiben, so daß sie nicht zuhören konnten.«

»Ha,« rief Sir Aymer aus, »wollt Ihr aus dem Umstande eine Anklage gegen meine Lehenstreue schmieden! Ich bitte Euch, zu bemerken, daß eine solche Behauptung meine Ehre verletzt, die ich Willens und bereit bin, bis zum letzten Athemzug zu vertheidigen.«

»Daran zweifle ich nicht, Herr Ritter,« erwiderte der Gouverneur, »meine Beschuldigung betrifft aber den umherstreichenden Sänger und nicht den hochgebornen englischen Ritter. Wohlan! der Sänger kömmt in dies Schloß und spricht seinen Wunsch aus, daß sein Sohn in dem kleinen alten Kloster der St. Bride Quartier nehmen dürfe, wo zwei oder drei schottische Nonnen und Mönche die Erlaubniß erhalten haben zu wohnen, und zwar hauptsächlich eher aus Achtung vor ihrem Orden, wie wegen des guten Willens, den man gegen die Engländer oder deren König bei ihnen voraussetzt. Es ist auch zu bemerken, daß diese Erlaubniß, wenn die von mir eingezogene Kundschaft richtig ist, durch eine weit größere Geldsumme erkauft wurde, wie gewöhnlich in den Börsen der herumstreichenden Sänger zu finden ist – einer Classe von Reisenden, die ebenso bemerkenswerth wegen ihrer Armuth wie wegen ihres Geistes erscheint. Was haltet Ihr von allem dem?«

»Ich?« erwiderte de Valence, »es ist mir lieb, daß meine Lage, als ein Soldat unter dem Befehl eines Andern mich jeder Verpflichtung daran zu denken, entbindet. Mein Posten als Lieutenant Eures Schlosses ist solcher Art, daß ich nicht glauben kann, mir stehe viel freier Wille zu Gebote, wenn ich einmal mit meiner Ehre und meiner Seele Abrechnung getroffen habe; ich verspreche Euch, Ihr sollt mich darin nicht zu tadeln haben oder keinen schlechten Bericht an meinen Oheim deßhalb schicken müssen.«

»Das ist mehr, wie sich ertragen läßt,« sagte Sir John de Walton halb bei Seite und fuhr dann laut fort: »Erweist um des Himmels willen Euch und mir nicht die Ungerechtigkeit, daß Ihr voraussetzt, ich wolle Euch durch diese Fragen einen Vortheil abgewinnen. Bedenkt, junger Ritter, daß wenn Ihr Fragen ausweicht, um Eurem kommandirenden Offizier auf dessen Verlangen Eure Meinung zu sagen, Ihr in Bezug auf den Dienst ebenso ein Vergehen begeht, als wenn Ihr Euch weigern würdet, ihm den Beistand Eures Schwertes und Eurer Lanze zu leihen.«

»Wenn das der Fall ist,« erwiderte de Valence, »so laßt mich in deutlichen Worten wissen, worin Ihr mich um meine Meinung fragt. Ich will sie mit deutlichen Worten sagen, und das Ergebniß vertreten, sogar wenn ich das Unglück haben sollte (ein für einen jungen Mann und einen untergeordneten Offizier unverzeihliches Verbrechen), verschiedener Ansicht wie Sir John de Walton zu sein.«

»Ich frage Euch also, Herr Ritter von Valence,« erwiderte der Gouverneur, »was Eure Meinung über diesen Sänger Bertram ist, und ob der Verdacht hinsichtlich seiner und seines Sohnes nicht solcher Art ist, daß ich sie zur Ausführung meines Dienstes in genaues Verhör mit der gewöhnlichen und außergewöhnlichen Befragung nehmen muß, wie es in solchen Fällen gewöhnlich ist, und ob sie nicht aus dem Schloß und dem Gebiet von Douglasdale unter Strafe der Geißelung zu vertreiben sind, wenn sie sich wieder in diesen Gegenden umherstreifend antreffen lassen.«

»Ihr fragt mich um meine Meinung,« sagte de Valence, »und ich will Euch dieselbe, Herr Ritter von Walton, so frei und offen sagen, als ständen wir noch auf einem so freundschaftlichen Fuße wie jemals. Ich stimme mit Euch darin überein, daß die meisten derjenigen, welche heut zu Tage die Kunde des Gesanges ausüben, durchaus ungeeignet sind, die höheren Ansprüche dieses edlen Standes zu erheben. Sänger von Rechtswegen sind Leute, welche sich der edlen Beschäftigung gewidmet haben, ritterliche Thaten und großmüthige Grundsätze zu feiern; durch ihre Verse wird der tapfere Ritter dem Ruhme überliefert und der Sänger besitzt ein Recht, oder hat vielmehr die Verpflichtung, den von ihm gepriesenen Tugenden nachzueifern. Die lockeren Sitten der Zeit haben die Bedeutung dieser Klasse von Wanderern vermindert und ihre Moralität geschmälert; ihre Satire und ihr Lob werden jetzt zu oft nur aus Liebe zum Gewinn ertheilt; es steht aber zu hoffen, daß es einige unter ihnen gibt, welche ihre Pflicht kennen und gern vollbringen. Meine Meinung nun geht dahin, daß dieser Bertram sich für einen Mann hält, welcher die Entwürdigung seiner Genossen nicht theilt und nicht das Knie vor dem Mammon dieser Zeiten beugt. Es bleibt Euch überlassen, Herr, zu beurtheilen, ob solch eine ehrenwerthe und sittlich gesinnte Person dem Schlosse Douglas irgend wie gefährlich werden kann. Da ich jedoch, nach den von ihm geäußerten Gefühlen, der Meinung bin, daß er unfähig ist, die Rolle eines Verräthers zu spielen, so muß ich entschiedene Vorstellungen dagegen machen, daß er innerhalb der Mauern einer englischen Besatzung als Verräther bestraft oder der Folter unterworfen wird. Ich würde für mein Vaterland erröthen, wenn es von uns verlangen sollte, solch unglückliches Elend Wanderern zuzufügen, deren einziger Fehler in ihrer Armuth besteht; Eure ritterlichen Empfindungen werden Euch dasselbe eindringlicher machen, als es mir Sir John de Walton gegenüber erlaubt ist, ausgenommen in so weit, wie ich ihm meine eigene Meinung sagen darf.«

Sir John de Walton's finstere Stirne wurde geröthet, als er eine Meinung im Widerspruch zu seiner eigenen vernahm, welche seine Absicht als ungroßmüthig, roh und unritterlich brandmarkte. Er machte eine Anstrengung, um seinen Gleichmuth zu bewahren, während er mit einer gewissen Ruhe antwortete: »Ihr habt Eure Meinung gesagt, Sir Aymer de Valence, und ich danke Euch, daß Ihr mir sie offen und kühn ohne Rücksicht auf die meinige geäußert habt. Es ist nicht ganz so klar, daß ich meine eigenen Gedanken den Eurigen unterordnen müßte, im Fall die Vorschriften, unter denen ich meinen Oberbefehl habe, die Befehle des Königs und die Beobachtungen, die von mir selbst ausgingen, mir ein anderes Verfahren vorschreiben, als Ihr mir anzurathen für gut findet.«

De Walton verbeugte sich zum Schluß mit großem Ernst; der junge Ritter gab den Gruß mit demselben Grade steifer Förmlichkeit zurück, fragte, ob ihm besondere Befehle über seinen Dienst im Schloß zu ertheilen seien, und entfernte sich, als er eine verneinende Antwort erhalten hatte.

Sir John de Walton äußerte einige Worte des Aergers, als sei seine Hoffnung getäuscht, daß seine Zuvorkommenheit hinsichtlich einer Erklärung mit seinem jungen Freunde wider Erwarten erfolglos geblieben sei, runzelte die Stirn, als ergebe er sich tiefem Nachdenken, und ging mehrere Male im Gemache auf und ab, während er überdachte, welches Verfahren unter diesen Umständen einzuschlagen sei.

»Es ist hart für mich,« dachte er, »ihm einen strengen Tadel zu ertheilen, wenn ich bedenken muß, daß meine eigenen Gedanken und Gefühle bei meinem ersten Auftreten im Leben dieselben, wie bei diesem schwindelhaften und heißblütigen aber großmüthigen Burschen gewesen sein würden. Die Klugheit lehrt mich bei tausend Umständen, gegen die Menschen Verdacht zu hegen; wo kein genügender Grund vorhanden ist, will ich auch meine Ehre und Vermögen eher wagen, als daß ich einem faulen, herumstreichenden Sänger einigen Schmerz verursache, der sich jedenfalls mit Geld wieder ausgleichen läßt; ich besitze aber kein Recht, mich dem Wagniß einer Verschwörung gegen den König auszusetzen und so die verrätherische Uebergabe des Schlosses Douglas zu befördern, wozu, wie ich weiß, so manche Entwürfe geschmiedet werden. Hinsichtlich derselben ist kein Plan so verzweifelt, daß Werkzeuge mit genügender Kühnheit sich nicht finden ließen, um die Ausführung zu unternehmen. Ein Mann in meiner Lage muß, wenn auch der Sclave seines Gewissens, die falschen Bedenklichkeiten bei Seite setzen, welche scheinbar aus unserem moralischen Gefühl entspringen, da sie in Wirklichkeit nur die Eingebungen einer gezierten Weichlichkeit sind. Ich schwöre beim Himmel, ich will mich nicht von den Thorheiten eines solchen Burschen wie Aymer anstecken lassen; ich will nicht, damit ich seinen Launen nachgebe, Alles verlieren, was Liebe und Ehrgeiz für einen zwölfmonatlichen Dienst der wachsamsten und widerwärtigsten Art mir darbieten kann; ich will geradezu auf meinen Zweck losgehen und in Schottland dieselben Vorsichtsmaßregeln wie in der Gascogne und der Normandie in Anwendung bringen – Holla, Page!«

Einer seiner Diener erschien, – »Hole mir Gilbert Greenleaf, den Armbrustschützen, und sage ihm, daß ich mit ihm über die zwei Bogenstäbe und Bündel Pfeile reden will, hinsichtlich derer ich ihm einen Auftrag nach Ayr gab.«

Nach wenigen Minuten trat der Armbrustschütze ein, indem er in seiner Hand zwei noch nicht gänzlich fertige Bogenstäbe und eine Anzahl Pfeile in einem Bündel hielt. Er zeigte die geheimnißvollen Blicke eines Mannes, dessen offenbares Geschäft von keiner großen Wichtigkeit ist, aber als Paß für andere Angelegenheiten geheimer Natur dient. Als der Ritter schwieg, und keine andere Gelegenheit gab, das Gespräch zu eröffnen, begann der geschickte Unterhändler mit dem ihm auf der Hand liegenden Geschäft.

»Hier sind die Bogenstäbe, edler Herr, die ich auf Euren Wunsch aus Ayr mitgebracht habe, als ich beim Heere des Grafen Pembroke war. Sie sind zwar nicht so gut, wie ich hätte wünschen mögen, vielleicht aber besser, als sie irgend ein Anderer hätte verschaffen können, welcher kein genauer Kenner der Waffe ist. Des Grafen Pembroke ganzes Lager ist darauf versessen, sich ächte spanische Bogenstäbe aus Corunna oder andern spanischen Häfen zu verschaffen; obgleich aber zwei damit beladene Schiffe, vorgeblich für des Königs Heer bestimmt, in dem Hafen von Ayr landeten, so glaube ich doch nicht, daß die Hälfte davon in englische Hände gekommen ist. Diese zwei wuchsen in Sherwood, und da dieselben seit der Zeit von Robin Hood gezeitigt sind, so werden sie weder in Kraft noch in Richtigkeit des Schusses bei so starken Händen und scharfen Augen versagen, die man bei den Kriegsleuten Eurer Gnaden vorfindet.«

»Und wer hat die Uebrigen bekommen, da zwei Schiffsladungen neuer Bogenstäbe in Ayr angelangt sind, und du nur mit Schwierigkeit zwei alte gebracht hast?« fragte der Gouverneur.

»Wahrlich, ich mache nicht genug Anspruch auf Geschicklichkeit, um das zu wissen,« erwiderte Greenleaf die Achsel zuckend, »man spricht aber dort ebenso wie hier von Verschwörungen. Die Schotten sagen, daß ihr Bruce und seine übrigen Vettern einen neuen Maientanz beabsichtigen, und daß der geächtete König bei Turnberry im Beginn des Sommers mit einer Anzahl derber Bauern aus Irland landen will. Ohne Zweifel halten sich die Leute seiner angeblichen Grafschaft Carrick bereit, um mit Bogen und Speer an einem so hoffnungsvollen Unternehmen Antheil zu nehmen. Ich verlasse mich darauf, daß es uns nur einige Bündel Pfeile kosten wird, um die Sache dort in Ordnung zu bringen.«

»Ihr sprecht also von Verschwörungen in diesem Theile des Landes, Greenleaf«, sagte de Walton, »ich kenne Euch als scharfsinnigen Gesellen, der manchen Tag an den Gebrauch des Bogenstabes und der Sehne gewöhnt ist, und der nicht gestatten wird, daß solch ein Treiben unter seiner Nase vorgeht, ohne daß er es bemerkt.«

»Der Himmel weiß, ich bin alt genug,« sagte Greenleaf, »habe genug Erfahrung in diesen schottischen Kriegen und weiß genug, ob diese Schotten ein Volk sind, dem Ritter und Kriegsleute vertrauen können. Sagt nur, es sei ein falsches Geschlecht, und sagt auch, ein guter Bogenschütz habe Euch das gesagt, der mit gutem Zielen selten eine Handbreit über die Mitte der Scheibe hinausschoß. Ach, Herr, Euer Gnaden weiß mit ihnen umzugehen; Ihr reitet sie scharf und zieht straff den Zügel an. Ihr seid nicht wie die einfältigen Neulinge, welche glauben, daß man mit Milde bei ihnen etwas ausrichtet, und welche als artige und großmüthige Herren vor jenen treulosen Bergbewohnern salutiren möchten, welche ihr ganzes Leben lang von Artigkeit und Großmuth nichts wissen.«

»Du machst da eine Anspielung auf Jemand,« sagte der Gouverneur, »und ich befehle dir, Gilbert, klar und aufrichtig gegen mich zu sein. Wie ich glaube, weißt du, daß Vertrauen auf mich dir nicht zum Schaden gereichen wird.«

»Das ist wahr, Herr,« sagte das alte Ueberbleibsel der Kriege, indem er die Hand an die Stirn hob, »es wäre jedoch unvorsichtig, alle Bemerkungen mitzutheilen, welche in einer so wichtigen Besatzung, wie dieser, durch eines alten Mannes Hirn kommen. Man stolpert unversehens über Einbildungen wie über Wirklichkeiten, und so erhält man nicht ohne Grund den Ruf eines Zwischenträgers und Unheilstifters bei den Kameraden; ich jedoch möchte nicht gern freiwillig einer solchen Bezeichnung anheimfallen.«

»Sprich offen mit mir,« erwiderte de Walton, »und fürchte dich nicht vor übler Deutung, von welcher Art auch der Stoff deines Gesprächs sein mag.«

»Um die Wahrheit zu sagen,« erwiderte Gilbert, »so fürchte ich nicht die Vornehmheit dieses jungen Ritters, denn ich bin der älteste Soldat in der Besatzung und spannte die Armbrust schon lange bevor er von der Muttermilch entwöhnt war.«

»Euer Verdacht also richtet sich auf de Valence,« sagte de Walton, »auf meinen Lieutenant und Freund?«

»Auf nichts,« erwiderte der Bogenschütze, »was die Ehre des jungen Ritters selbst betrifft, welcher so tapfer ist, wie das Schwert, welches er trägt, und in Betracht seiner Jugend einen hohen Rang in der englischen Ritterschaft einnimmt, allein er ist jung, wie Euer Gnaden weiß, und ich gestehe, daß er durch die Wahl seiner Gesellschaft mich beunruhigt und besorgt macht.«

»Wie Ihr wißt, Greenleaf,« erwiderte der Gouverneur, »kann ein Ritter in der Unthätigkeit einer Besatzung seine Vergnügungen nicht immer auf Leute seines Ranges beschränken, welche nicht zahlreich und zum Theil auch nicht zu Spielen und zur geselligen Unterhaltung so geneigt sind, wie er wünschen würde.«

»Ich weiß das,« erwiderte der Bogenschütze, »und würde kein Wort über Euer Gnaden Lieutenant sagen, wenn er sich ehrlichen Leuten, wie sehr dieselben ihm am Range auch untergeordnet sein mögen, im Ringen oder Stockfechten anschließen würde. Wenn jedoch Sir Aymer de Valence eine Liebhaberei an kriegerischen Erzählungen früherer Tage hat, so glaube ich, daß er dergleichen besser von den alten Soldaten, die Edward I., Gott erlöse ihn, begleiteten, erlernen könnte, denn diese haben vor seiner Zeit die Bürgerkriege und andere Schlachten gekannt, worin die Ritter und Bogenschützen des lustigen England so viele tapfere Thaten vollbrachten, die der Nachwelt erzählt werden müssen. Ich sage, das würde sich für den Neffen des Grafen von Pembroke besser ziemen, als daß er sich täglich mit dem herumziehenden Sänger einschließt, welcher seinen Lebensunterhalt durch das Hersagen von Unsinn gewinnt, den er jungen Leuten vorlügt, die ihm zuhören wollen. Man kann kaum von ihm sagen, ob er schottisch oder englisch in seinen Meinungen ist, und noch weniger läßt es sich nachweisen, ob er von den Engländern oder von den Schotten stammt, oder weshalb er in diesem Schloß umherschlendert, und Alles, was darin vorgeht, den alten Mönchen in St. Bride berichtet, die mit ihrer Zunge sagen: Gott erhalte König Edward, in ihren Herzen aber beten, Gott erhalte König Robert de Bruce. Eine solche Verbindung kann er leicht durch seinen Sohn unterhalten, der sich im St. Bride-Kloster, wie Euer Gnaden weiß, unter dem Vorwand einer Krankheit befindet.«

»Was sagt Ihr,« rief der Gouverneur aus, »unter einem Vorwand? er ist also nicht wirklich krank?«

»Nun, er mag todeskrank sein, so viel ich weiß,« erwiderte der Armbrustschütze, »wenn dies aber der Fall ist, so wäre es doch weit natürlicher, daß der Vater am Krankenbette des Sohnes sich befände, als daß er hier im Schloß umherstreift, wo man ihn stets im Studierzimmer des alten Barons oder in einem andern Winkel antrifft, in welchem man ihn am wenigsten erwarten sollte.«

»Wenn er keinen gesetzlichen Zweck hat,« erwiderte der Ritter, »so ist es vielleicht wie Ihr sagt; er soll jedoch die Gedichte und Erzählungen von Merlin, vom sogenannten Reimer oder von einem andern alten Barden hier aufsuchen, und in Wahrheit, es ist für ihn natürlich, daß er seinen Vorrath von Kenntnissen und sein Vermögen, Vergnügen zu wecken, zu erweitern sucht. Wo aber sollte er hiezu die Mittel finden, wenn nicht in einem mit alten Büchern gefüllten Studierzimmer?«

»Ohne Zweifel,« erwiderte der Bogenschüsse mit einer Art trockenen und höflichen Lächelns, welches Unglauben ausdrückte; »ich habe selten einen Aufstand in Schottland gekannt, den nicht irgend ein alter und vergessener Reimer prophezeihte, den man aus Staub und Spinnengeweben hervorgesucht hatte, um den Rebellen Muth zu machen; denn diese hätten sonst nicht das Pfeifen unserer Pfeile zu erwarten gewagt. Aber Lockenköpfe sind unbesonnen, und mit Eurer Erlaubniß, Herr Ritter, hat Euer eigenes Gefolge zu viel an feuriger Jugend, für so ungewisse Zeiten wie die jetzigen.«

»Du hast mich überzeugt, Gilbert, und ich will das Treiben und die Beschäftigung dieses Mannes genauer wie bisher untersuchen. Es ist jetzt nicht die Zeit, die Sicherheit eines königlichen Schlosses wegen großmüthiger Ziererei hinsichtlich eines Mannes auf's Spiel zu setzen, von dem wir so wenig wissen, und von dem wir einen schweren Verdacht hegen können, ohne ihm Ungerechtigkeit zu erweisen, bis wir eine sehr vollständige Aufklärung erlangen. Befindet er sich jetzt in dem Gemache, welches man das Studierzimmer des Barons nennt?«

»Euer Gnaden wird ihn sicherlich dort antreffen,« erwiderte Greenleaf.

»So folge mir mit zwei oder drei deiner Kameraden, in solcher Weise, daß man dich nicht sieht, daß du mich aber hören kannst; es ist vielleicht nothwendig, diesen Mann zu verhaften.«

»Mein Beistand,« sagte der alte Armbrustschütze, »soll bereit sein, wenn Ihr ruft, aber –«

»Was aber,« fiel der Ritter ein, »ich werde Zweifel und Ungehorsam doch nicht überall antreffen?«

»Sicherlich nicht bei mir,« erwiderte Greenleaf, »ich möchte Euer Gnaden nur erinnern, daß Alles, was ich sagte, nur der Ausdruck meiner aufrichtigen Meinung in Beantwortung der Fragen Euer Gnaden war, daß ferner Sir Aymer de Valence sich zum Beschützer dieses Mannes erklärt hat und ich nicht gern der Rache desselben ausgesetzt sein möchte.«

»Bah,« erwiderte Sir Walton, »ist Sir Aymer der Gouverneur dieses Schlosses, oder bin ich's? Wem sonst wie mir seid Ihr verantwortlich, um Fragen zu beantworten, die ich Euch vorlege?«

»Nun,« erwiderte der Bogenschütze, im Geheimen nicht unzufrieden, daß de Walton einige Eifersucht auf seine Gewalt zeigte, »glaubt mir, Herr Ritter, daß ich die Stellung Euer Gnaden so gut wie meine eigene kenne, und daß man mir nicht zu sagen braucht, wem ich zu gehorchen habe.«

»Gehen wir also zum Studierzimmer, um den Mann aufzusuchen,« sagte der Gouverneur.

»Eine schöne Angelegenheit,« meinte Greenleaf, als er ihm folgte, »daß Euer Gnaden in Person gehen muß, um nach der Verhaftung eines so niedrigen Gesellen zu sehen. Euer Gnaden hat jedoch Recht; diese Sänger sind oft Taschenspieler, und besitzen die Gewalt, durch Mittel zu entfliehen, welche unwissende Leute, wie ich, der Zauberei zuzuschreiben geneigt sind.«

Ohne auf diese letzten Worte zu achten, begab sich Sir John de Walton in's Studierzimmer, indem er mit schnellen Schritten ging, als habe dies Gespräch seinen Wunsch gesteigert, sich in den Besitz der Person des verdächtigen Sängers zu setzen.

Als der Gouverneur die Gänge des Schlosses durchschritt, erreichte er bald das Studierzimmer, ein Gemach mit steinernem Gewölbe und einer Art eisernen Schrankes zur Aufbewahrung von werthvollen Gegenständen und Papieren für den Fall einer Feuersbrunst. Hier traf er den Sänger an, wie er an einem kleinen Tische saß, und ein offenbar sehr altes Manuskript in den Händen hielt, indem er damit beschäftigt schien, Auszüge aus demselben zu machen. Die Fenster des Zimmers waren sehr klein und zeigten noch einige Spuren, daß sie ursprünglich die Geschichte der St. Bride in Glasmalereien enthalten hatten – ein weiteres Zeichen der Andacht, welche die mächtige Familie der Douglas ihrer Schutzheiligen widmete.

Der Sänger, welcher in die Betrachtung seiner Aufgabe tief versunken schien, erhob sich, als er durch das unerwartete Eintreten von Sir John de Walton gestört wurde, mit jedem Zeichen der Achtung und Demuth; indem er vor dem Gouverneur stehen blieb, schien er die Fragen zu erwarten, als habe er geahnt, daß der Besuch auf ihn besonders Bezug habe.

»Ich vermuthe, Herr Sänger,« sagte Sir John de Walton, »daß Ihr in Euren Nachsuchungen Erfolg hattet, und daß Ihr in dem Manuskript die Gedichte oder Prophezeihungen gefunden habt, welche Ihr unter diesen zerbrochenen Simsen und durcheinander geworfenen Büchern suchtet.«

»Ich war glücklicher, als ich erwarten konnte,« erwiderte der Sänger, »in Betracht der Verbrennung des Schlosses. Dies, Herr Ritter, ist offenbar das verhängnißvolle Buch, welches ich suchte, und es ist merkwürdig, daß ich, in Betracht der Zerstörung anderer Bücher in dieser Bibliothek, einige wenige, obgleich unvollkommene Stücke daraus finden konnte.«

»Da Ihr also Eure Neugier befriedigen konntet,« sagte der Gouverneur, »so hoffe ich, Sänger, daß Ihr nichts dagegen haben werdet, auch die meinige zu befriedigen.«

Der Sänger erwiderte mit derselben Demuth: »Wenn Etwas in dem geringen Bereiche meiner Geschicklichkeit liegt, welches Sir John de Walton irgendwie zufrieden stellen kann, so werde ich meine Laute holen und alsbald seinen Befehlen gehorchen.«

»Ihr irrt Euch, Herr,« sagte de Walton in einem etwas harten Tone, »ich bin keiner von denen, welche Zeit zu verlieren haben, um auf die Erzählungen oder auf die Musik früherer Tage zu hören; mein Leben hat mir kaum Zeit übrig gelassen, um die Pflichten meines Standes zu lernen, noch weniger hat es mir Muße für solche klimpernde Thorheiten gelassen. Es ist mir nichts daran gelegen, daß Andere wissen, mein Ohr vermöge so wenig über Eure Kunst zu urtheilen, die Ihr ohne Zweifel für eine edle haltet, daß ich kaum die Melodie eines Gesanges von derjenigen eines andern unterscheiden kann.«

»In dem Fall,« erwiderte der Sänger gefaßt, »darf ich mir kaum das Vergnügen versprechen, Euer Gnaden die Unterhaltung zu gewähren, die ich Euch sonst darbieten könnte.«

»Ich wünsche von Euch keine Unterhaltung,« sagte der Gouverneur, indem er ihm einen Schritt näher trat und in einem strengeren Tone sprach: »Ich bedarf der Kundschaft, die Ihr mir nach meiner Ueberzeugunq geben könnt, wenn Ihr dazu Lust habt; es ist meine Pflicht, Euch zu erklären, daß ich, für den Fall Eures Widerstrebens mir die Wahrheit zu sagen, verschiedene Mittel kenne, wodurch es bei mir zur peinlichen Pflicht wird, ein Bekenntniß in unangenehmerer Weise zu erzwingen, als ich dazu den Wunsch hege.«

»Wenn Eure Fragen, Herr Ritter,« erwiderte Bertram, »solcher Art sind, daß ich sie beantworten kann oder muß, so werdet Ihr keine Gelegenheit haben, dieselben mir mehr wie Einmal vorzulegen. Sind dieselben aber solcher Art, daß ich sie nicht beantworten kann oder darf, so könnt Ihr glauben, daß keine Drohung oder Gewaltthätigkeit mir eine Antwort entreißen wird.«

»Ihr redet mit Kühnheit,« sagte Sir John de Walton, »ich gebe Euch jedoch mein Wort, daß Euer Muth auf die Probe gesetzt werden soll. Ich greife ebenso ungern zu solchen äußersten Mitteln, als Ihr dieselben ungern ertragen werdet; das wird jedoch die natürliche Folge Eurer Hartnäckigkeit sein. Ich frage Euch deßhalb, ob Bertram Euer wirklicher Name ist, ob Ihr noch ein anderes Gewerbe, wie dasjenige eines wandernden Sängers habt, und endlich, ob Eure Verbindungen oder Bekanntschaft mit Engländern oder Schotten über die Mauern dieses Schlosses Douglas reichen.«

»Auf diese Fragen,« erwiderte der Sänger, »habe ich schon dem würdigen Ritter Sir Aymer de Valence Antwort gegeben, und da ich ihn vollkommen zufrieden gestellt habe, so ist es nach meiner Meinung nicht nothwendig, daß ich mich einer zweiten Untersuchung unterwerfe; auch ist es unverträglich mit der Ehre Eurer Gnaden, oder mit derjenigen Eures Stellvertreters, daß solch eine zweite Untersuchung vorgenommen wird.«

»Ihr nehmt sehr genau meine Ehre und diejenige von Sir Aymer de Valence in Betracht. Ich gebe Euch aber mein Wort, daß Beide in meiner Aufbewahrung vollkommen sicher sind, und Eurer Aufmerksamkeit nicht bedürfen. Ich frage Euch, wollt Ihr die Fragen beantworten, die ich meiner Pflicht gemäß an Euch thun muß, oder soll ich den Gehorsam dadurch erzwingen, daß ich Euch der Folter unterwerfe? Es ist meine Pflicht, Euch zu sagen, daß ich schon die Antworten gesehen habe, die Ihr meinem Lieutenant ertheilt habt, und daß ich damit nicht zufrieden bin.«

Er klatschte in die Hände, worauf 2-3 Bogenschützen eintraten, welche die Röcke abgelegt hatten, und allein die Hemdärmel und Beinkleider trugen.

»Ich merke,« sagte der Sänger, »daß Ihr mir eine Strafe ertheilen wollt, die den Gesetzen Englands widerstrebt, weil sich kein Beweis für meine Schuld vorbringen läßt. Ich habe schon gesagt, daß ich von Geburt ein Engländer, von Gewerbe ein Sänger bin, und daß ich mit Niemand in Verbindung stehe, bei welchem sich feindliche Absichten gegen dies Schloß Douglas, oder gegen Sir John de Walton, oder seine Besatzung vermuthen lassen. Welche Antworten Ihr mir vielleicht durch körperlichen Schmerz erpressen mögt, so kann ich für dieselben, um als rechtlicher Christ zu reden, nicht verantwortlich gemacht werden. Ich glaube, daß ich so viel Schmerz ertragen kann, wie irgend ein Mensch, ich bin aber überzeugt, daß ich noch niemals einen Grad des Schmerzens empfand, der mich hätte bewegen können, mein verpfändetes Wort zu brechen, oder falsche Anklagen gegen unschuldige Personen zu erheben; ich gestehe jedoch, daß ich nicht weiß, bis zu welcher Ausdehnung die Kunst der Folter getrieben werden kann, und obgleich ich Euch nicht fürchte, Sir John de Walton, so muß ich doch anerkennen, daß ich mich selbst fürchte, denn es ist mir unbekannt, welchem Grade der Pein Eure Grausamkeit mich zu unterwerfen vermag, oder wie weit ich dieselbe ertragen kann. Vorerst erhebe ich deßhalb meine Einrede, daß ich in keiner Weise verantwortlich gegen die Worte gemacht werde, die ich vielleicht im Verlauf meiner Folterung äußern mögte. Unter solchen Umständen müßt Ihr deßhalb zur Ausführung einer Verrichtung schreiten, welche ich kaum von einem Ritter, wie Ihr, erlaubt mir es zu sagen, erwartet haben würde.«

»Hört, Herr,« erwiderte der Gouverneur, »wir Beide sind jetzt am Ende, und vollführte ich meine Pflicht, so sollte ich sogleich zum Aeußersten, womit ich drohte, schreiten; vielleicht jedoch empfindet ihr sogar weniger Widerwillen gegen die Euch bevorstehende peinliche Befragung, als ich, indem ich deren Ausführung anempfehle; vorerst will ich Euch deßhalb an einem Orte einschließen lassen, welcher sich für einen Mann eignet, den man als Spion dieser Festung im Verdacht hat. Bis es Euch gefällt, diesen Verdacht zu beseitigen, ist Eure Wohnung und Kost die eines Gefangenen. Mittlerweile merkt, daß ich, bevor ich Euch der peinlichen Frage unterwerfe, zur Abtei St. Bride reiten und mich überzeugen will, ob der junge Mann, den Ihr für Euren Sohn ausgebt, dieselbe Entschlossenheit besitzt, als diejenige, worauf Ihr Anspruch zu machen scheint. Vielleicht beleuchtet seine Befragung, sowie die Eure, Euer Verhältniß, so daß Eure Schuld oder Unschuld dadurch erwiesen wird, ohne daß die Anwendung der Folter erforderlich ist. Verhält sich die Sache anders, so zittert für Euren Sohn, wo nicht für Euch selbst – habe ich Euch erschüttert, Herr? oder fürchtet Ihr für die jungen Sehnen und Glieder Eures Knaben die Maschinen, denen Ihr in Eurem eigenen Fall zu trotzen Willens seid?«

»Herr!« antwortete der Sänger, indem er sich von seiner augenblicklichen Erregung, die er gezeigt hatte, erholte, »ich überlasse es Euch selbst als Mann von Ehre und Aufrichtigkeit, zu beurtheilen, ob Ihr nach der gewöhnlichsten Rechtlichkeit des Verfahrens eine schlimmere Meinung von einem Menschen hegen dürft, weil er bereit ist, an seiner eigenen Person Mißhandlungen zu leiden, hinsichtlich deren er sein Kind zu verschonen wünscht – einen kränklichen jungen Mann, welcher erst vor Kurzem von einer gefährlichen Krankheit genesen ist.«

»Es ist meine Pflicht,« antwortete de Walton nach einer kurzen Pause, »einen jeden Stein umzuwenden, wodurch diese Angelegenheit sich bis zu ihrem Ursprung verfolgen lassen wird; wenn du Gnade für deinen Sohn willst, so wirst du selbst sie leicht erlangen, wenn du ihm das Beispiel der Ehrlichkeit und Offenheit gibst.«

Der Sänger warf sich auf seinen Stuhl zurück, als sei er entschlossen, das Aeußerste, welches man ihm bieten konnte, eher zu ertragen, als eine weitere Antwort zu geben, wie er schon gegeben hatte. Sir John de Walton befand sich in einiger Ungewißheit, welches Verfahren für ihn das geeignetste sein würde. Er fühlte einen unwiderstehlichen Widerwillen gegen die Anwendung der Tortur auf Vater und Sohn, ohne gehörige Betrachtung dessen, was die meisten Leute für eine unbedingte Folge seiner Dienstpflicht gehalten haben würden; so tief aber auch sein Gefühl der Anhänglichkeit an den König, und wie zahlreich auch die Hoffnungen und Erwartungen sein mogten, die er hinsichtlich der strengen Vollbringung seines gegenwärtigen wichtigen Auftrags hegte, so konnte er sich doch nicht dazu entschließen, zu dieser grausamen Weise einer Zerschneidung des Knotens seine Zuflucht zu nehmen. Bertram's Erscheinung war ehrwürdig und die Gewalt seiner Worte nicht unwürdig seines Aeußeren und seines Benehmens. Der Gouverneur erinnerte sich, daß Aymer de Valence, dessen Scharfblick man im Allgemeinen nicht ableugnen konnte, ihn als einen der seltenen Männer beschrieb, welche die Ehre eines verdorbenen Standes durch ihr persönliches gutes Benehmen wiederherstellten. Er mußte sich selbst eingestehen, daß es rohe Grausamkeit und Ungerechtigkeit sein würde, wenn er dem Gefangenen den Glauben an dessen Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit verweigere, bis er, um dieselbe zu beweisen, eine jede Sehne angespannt und ein jedes Glied in seinem Körper, sowie in demjenigen seines Sohnes zerbrochen haben würde. »Ich habe kein Prüfungsmittel,« dachte er bei sich, »welches die Wahrheit von der Falschheit unterscheiden kann; Bruce und seine Anhänger sind bereit; derselbe hat sicherlich die Galeeren ausgerüstet, die den Winter über bei Rachrin vor Anker lagen. Auch diese Geschichte von Greenleaf über Waffen, welche für einen neuen Aufstand herbeigeschafft sein sollen, stimmt in auffallender Weise mit der Erscheinung des wild aussehenden Fremden auf der Jagd zusammen; Alles scheint zu beweisen, daß etwas auf dem Amboß liegt, welches ich meiner Pflicht gemäß verhüten muß. Ich werde deßhalb keinen Umstand übergehen, womit ich die Seele durch Furcht oder Hoffnung erregen kann; der Himmel aber gebe mir Licht aus anderer Quelle, damit ich es nicht für gesetzlich halte, diese unglücklichen und vielleicht ehrlichen Leute zu quälen.« Er entfernte sich somit aus der Bibliothek, indem er Greenleaf ein Wort hinsichtlich des Gefangenen zuflüsterte.

Er hatte die äußere Thür des Studierzimmers erreicht, und seine Trabanten hatten schon an den Sänger Hand angelegt, als die Stimme des alten Mannes vernommen wurde, wie er de Walton aufforderte, auf einen Augenblick zurückzukehren.

»Was hast du zu sagen, Herr?« sagte der Gouverneur, »sei schnell, denn ich habe schon mehr Zeit verloren, dich anzuhören, als ich verantworten kann; deßhalb rathe ich dir um deinetwillen –«

»Ich rathe dir um deinetwillen, Sir John de Walton, dich in Acht zu nehmen, wenn du deinen gegenwärtigen Zweck ausführen willst, denn du allein wirst unter allen lebendigen Menschen am schwersten darunter leiden. Wenn du ein Haar am Haupte dieses jungen Mannes krümmen solltest – ja, wenn du auch nur gestattest, daß er irgend eine Entbehrung leidet, deren Verhinderung in deiner Macht steht, so wirst du dir dadurch einen schärferen Schmerz verschaffen, als irgend Etwas, das dir sonst wehe zu thun vermag. Ich schwöre es bei den höchsten Segnungen unserer heiligen Religion, ich rufe das heilige Grab zum Zeugen, dessen unwürdiger Besucher ich war, daß ich nichts als die Wahrheit rede, und daß du eines Tages deine Dankbarkeit für dasjenige, was ich thue, aussprechen wirst. Es ist sowohl mein eigenes, wie Euer Interesse, den Besitz dieses Schlosses Euch zu sichern, obgleich ich sicherlich Einiges in Bezug auf dasselbe, wie auf Euer Gnaden weiß, was ich ohne Einwilligung jenes Jünglings nicht enthüllen darf. Bringt mir nur ein Schreiben seiner Hand, mit seiner Einwilligung Euch in's Geheimniß zu ziehen, und glaubt mir, daß diese Wolken bald hinweggezaubert werden; denn niemals wechselte eine schmerzliche Ungewißheit schneller in Freude, oder wich plötzlich eine Gewitterwolke dem Sonnenscheine, als dieser jetzt so furchtbar erscheinende Verdacht.«

Er sprach mit solchem Nachdruck, daß er auf Sir John de Walton die Wirkung nicht verfehlte, welcher wiederum nicht wußte, welches Verfahren sein Dienst erheischte.

»Es wäre mir sehr lieb,« sagte der Gouverneur, »wenn ich meinen Zweck durch möglichst milde Mittel erreichen könnte, und ich werde diesem armen jungen Burschen kein weiteres Unheil zufügen, als deine Hartnäckigkeit und die seinige zu verdienen scheinen wird. Mittlerweile bedenkt, Herr Sänger, daß meine Pflicht ihre Grenzen hat, und daß es dir geziemen wird, wenn ich sie auf einen Tag verschiebe, jede dir mögliche Anstrengung zu machen, um meiner Herablassung entgegen zu kommen. Ich werde dir Erlaubniß geben, ein Schreiben von deiner Hand an deinen Sohn zu richten und ich werde seine Antwort erwarten, bevor ich in dieser Angelegenheit vorschreite, welche sehr geheimnißvoll zu sein scheint. Mittlerweile beschwöre ich dich, so wahr du auf Erlösung hoffest, die Wahrheit zu sagen, und mir zu erklären, ob deine Geheimnisse, deren treuer Bewahrer du zu sein scheinst, auf das Treiben von Douglas, Bruce, oder einem ihrer Bevollmächtigten Bezug hat, um dieses Schloß in ihre Gewalt zu bekommen.«

Der Gefangene bedachte sich einen Augenblick und erwiderte: »Ich kenne, Herr Ritter, die schwere Verantwortlichkeit, unter welcher dieß Schloß Euren Händen anvertraut ist; stände es in meiner Gewalt, Euch als treuer Sänger und loyaler Unterthan mit Hand oder Zunge dabei Beistand zu leisten, so würde ich mich für verpflichtet halten, dieß zu thun; ich bin aber von dem Charakter, worauf Euer Argwohn hinweist, so weit entfernt, daß ich es für gewiß gehalten haben würde, der Bruce und der Douglas hätten ihre Anhänger versammelt, um nach Aufgebung ihrer rebellischen Plane nach dem heiligen Lande zu pilgern, wenn nicht kürzlich der Jäger erschienen wäre, welcher, wie ich höre, Euch auf der Jagd zum Zorn reizte; dadurch habe ich den Glauben erlangt, daß Douglas und seine Gefährten nicht weit entfernt sein können, weil ein so entschlossener Anhänger und Diener von ihm ohne Furcht unter Euch sich niedersetzte. Wie weit die Absichten gegen Euch freundschaftlich sind, muß ich zu beurtheilen Euch überlassen, glaubt mir nur, daß Folter, Winde oder Feuerzangen mich niemals gezwungen haben würden, als Angeber oder Rathgeber in einem Streite aufzutreten, woran ich so wenig oder gar keinen Antheil habe, wenn ich bei Euch nicht den Glauben zu erregen wünschte, daß Ihr mit einem redlichen Manne zu thun habt, dem Euer wahres Wohl am Herzen liegt. Mittlerweile laßt mir Schreibmaterialien bringen, oder die meinigen mir zurückgeben, denn mir stehen in einigem Maße die höheren Künste meines Berufes zu Gebote; auch besorge ich nicht, daß ich Euch ohne mehr Zeitverlust eine Erklärung dieser Wunder verschaffen kann.«

»Gott gebe, daß dies der Fall ist,« sagte der Gouverneur, »obgleich ich nicht wohl begreifen kann, weßhalb ich einen so günstigen Ausgang hoffen darf und vielleicht dadurch großes Unglück erleiden kann, daß ich Euch bei dieser Gelegenheit zu sehr vertraue. Meine Pflicht jedoch erheischt, daß Ihr Euch mittlerweile in enger Haft befindet.«

Mit diesen Worten überreichte er dem Gefangenen die Schreibmaterialien, welche von den Armbrustschützen bei ihrem ersten Eintritt ergriffen worden waren, und befahl alsdann jenem Trabanten, dem Sänger die Bande zu lösen.

»Muß ich also,« fragte Bertram, »aller Härte einer strengen Gefangenschaft ausgesetzt sein? Ich bitte jedoch nicht um den Nachlaß irgend einer Härte an meiner Person, kann ich Euch dadurch von einem raschen und unbedachten Handeln zurückhalten, welches Ihr Euer ganzes Leben lang bereuen müßtet, ohne daß Ihr die Mittel der Ausgleichung besäßet.«

»Sprecht kein Wort weiter, Sänger,« sagte der Gouverneur; »da ich meine Wahl getroffen habe, mag dieselbe für mich auch noch so gefährlich sein, so laßt uns dieß Zaubermittel zur Ausführung bringen, von welchem du sagst, daß es mir solche Dienste leisten wird, wie das Oel nach Angabe der Seeleute, wenn man es über die tobenden Wogen gegossen hat, deren Wuth besänftigen wird.«



 << zurück weiter >>