Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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32. Fra Martino!

Es war um die Mittagsstunde des folgenden Tages. Bruder Martin hatte am Morgen ruhig sein Sprachstudium bei dem alten Hebräer getrieben. Jetzt war er sehr erregt durch das, was seine Ordensbrüder bei der Mittagsmahlzeit, die schon stattgefunden hatte, geredet. Das Gerücht von dem Tode, von der Ermordung des Grafen Savelli war bis in die Klostermauern gedrungen, wie es jetzt bereits in jedem Hause in der Stadt vernommen war; auch von dem Verschwinden der Contessa Corradina wußte man, und der rasche Schluß, daß sie den Verwandten ermordet, lag zu nahe, als daß er nicht von jedem, der eine Teilnahme an diesem Vorfalle äußerte, sofort gemacht worden wäre.

Von der Flucht Eginos hatten die Brüder nicht geredet. Die Söhne des heiligen Dominikus mußten nicht für gut gefunden haben sie kund werden zu lassen. Man wußte nichts, als die zwei Tatsachen, daß die Contessa Corradina in der vergangenen Nacht habe nach einem Schlosse im Gebirge reisen wollen... weshalb im Dunkel der Nacht, das war ein Rätsel; und daß zu den im Hofe ihrer bereits harrenden Gefolgsleuten die Nachricht gekommen, Conte Livio, der Stammerbe des Hauses, sei erdrosselt oder vergiftet gefunden und die Contessa Corradina sei entflohen, niemand könne sagen, auf welchem Wege.

Bruder Martin war von dem allen natürlich betroffen und erregt, wunderbar berührt auch durch die Art und Weise, womit die Nachricht an der Mönchstafel unter den Brüdern aufgenommen wurde. So etwa, wie man heute in einer großen Stadt am Morgen die Nachricht aufnimmt, es habe in der Nacht in einem der Stadtviertel gebrannt. Es war ein Gewöhnliches damals in Rom, daß man in den Morgenstunden drei bis vier Ermordete in den Straßen fand.

Man hätte von dem Vorfalle vielleicht gar nicht geredet, wäre er nicht in einem so großen Hause, wie dem der Savelli, vorgefallen, und hätte er nicht den Reiz des Rätselhaften gehabt.

Bruder Martin war in seine Zelle zurückgekehrt und stand im Begriffe zu Callisto Minucci hinauszugehen und mit ihm über dieses Ereignis zu reden, als er draußen auf dem Gang sehr laut und von mehreren Stimmen zugleich rufen hörte:

»Fra Martino, Fra Martino!«

Zugleich wurde hastig die Tür seiner Zelle, just als er den Riegel derselben zurückschob, aufgerissen; zwei Mönche, hinter denen ein in ein Wams von dunkelrotem Damast mit einem kurzen schwarzen Mantel darüber gekleideter Mann stand, drängten herein und riefen zu gleicher Zeit erregt:

»Fra Martino, Ihr sollt zu Sr. Heiligkeit kommen, der heilige Vater will mit Euch reden.«

»Mit mir?« fragte Bruder Martin erschrocken.

»So ist es; hier ist ein Kursor, der Euch eilends zum Vatikan holen soll.«

Der Kursor machte mit der erhobenen Hand jene Bewegung, welche wie ein Abwehren aussieht und doch dem Italiener ein: »Kommt her!« bedeutet.

Dabei sagte er lebhaft:

»Wenn Ihr der deutsche Mönch seid, der unlängst den Monsignore di Ragusa zum Hause Rafael Santis begleitete, so sollt Ihr unverzüglich mir zum heiligen Vater folgen, so wie Ihr da seid.«

»Ich bin der deutsche Mönch«, antwortete Bruder Martin, »und ich folge Euch; ich bin zum Ausgehen bereit.«

Der Kursor wendete sich.

Bruder Martin folgte ihm und die Mönche blickten beiden überrascht nach.

»Was mag der heilige Vater mit dem armen Fra Martino vorhaben?« fragten sie sich und gingen dann die Nachricht in dem ganzen Kloster zu verbreiten.

Um diese Frage zu beantworten, wandern wir Bruder Martin voraus zu der hochragenden Burg, in welche der deutsche Bruder vor das Antlitz des Statthalters Christi beschieden ist.


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