Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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14. Im Kloster.

Ein paar Stunden später wandelte Egino mit Irmgard auf dem stillen Platze vor der Kirche Santa Sabina auf und ab. Er hatte seinen Diener in das Innere des Klosters gesendet, um dem Prior seinen Wunsch kund zu tun, und harrte jetzt auf die Rückkehr des treuen Götz.

Irmgard trug das Silbergerät, von dem sie geredet, in ein weißes Tuch geschlagen auf ihrem Arm.

»Wirst Du mich besuchen im Kloster, Irmgard?« fragte Egino.

»Es wird Euch schwerlich erlaubt werden solche Besuche anzunehmen«, antwortete sie.

»Würde man Dich erkennen in Deiner Tracht?«

»Und wenn auch nicht, so ...«

»Ich möchte nicht wochenlang sein, ohne von Dir zu erfahren – von Dir und Deinem wackeren Ohm; laß mich Dich ins Kloster als meinen vertrauten Diener zum Tragen Deines Silbergeräts da jetzt mitnehmen – so erhältst Du wohl Erlaubnis das eine oder andere Mal zu kommen, um nach mir zu sehen. Willst Du?«

»Wozu sollt's dienen, Herr? Ihr habt Euren getreuen Diener, den Ihr werdet bei Euch halten dürfen.«

»Was ist mir der Diener? Kann ich reden mit ihm wie mit Dir? – Und wenn ich in Fährlichkeiten geriete oder in Hilflosigkeit, wo ich eines Rat bedürfte ... hab' ich doch gesehen, wie rasch Dein anschlägiger Kopf einen Rat findet!«

»Wohl denn, – wenn Euch wirklich daran liegt, so will ich jetzt mit Euch gehen, und mich im Kloster zeigen, damit sie mich später zu Euch lassen.«

»Tu' das, tu' es, Irmgard; es ist mir ja beinahe, als hätte ich eine Schwester an Dir gefunden.«

»An mir, dem armen Glockengießerkind, Ihr, der fürstliche Herr?«

»Ich denke nicht, daß meine Fürstlichkeit viel daran ändert«, sagte Egino; »meines Bruders arme Grundhelden daheim mag sie blenden – was ist sie hier? Hier in Rom! Darum wird es Dich auch nicht just stolz machen, wenn ich's Dir sage, Du armes Glockengießerkind, wie Du Dich nennst... wenn ich Dir sage: Ich fühl's so. Es ist mir, als gehörtest Du zu meinem Leben, als seist Du keine Fremde, sondern es liege wie in unserem Schicksale, daß unsere Lebenswege sich kreuzen sollten, und wir dann hilfreich für einander hier in der fremden Welt nebeneinander hergehen sollten.«

»Und doch habt Ihr lange Zeit vergehen lassen, Herr«, sagte Irmgard kühl, »ohne daß Euch dieses Gefühl dahin führte zu sehen, was aus uns geworden, und erst heute, wo ich Eurer – Leidenschaft diene, kommt es Euch zum Bewußtsein!«

»Du hast recht, Irmgard. Aber was willst Du«, versetzte Egino unbefangen, »ist das nicht das Gewöhnliche, daß uns vieles, welches in uns liegt, erst bewußt wird, wenn ein Ereignis, ein äußerer Anstoß kommt und es hervorlockt?«

Eginos Diener trat in diesem Augenblicke aus dem Klosterportal hervor; ein Mönch in weißem Habit war bei ihm. Er hatte Auftrag Egino zum Prior zu führen.

Egino und Irmgard folgten dem Mönch ins Innere des Klosters. Götz trat ihnen nach, ein Felleisen mit den Sachen seines Herrn unter dem Arm.

Ein breiter dunkler Gang nahm sie auf; als sie weiter hineinschritten, lichtete er sich, er öffnete sich zur linken Seite mit leichten zierlichen Bogen auf einen schönen, wenn auch kleinen Klosterhof, um den ein gewölbter Kreuzgang lief; ein Springbrunnen plätscherte darin; der Wasserstrahl schien sich anzustrengen, so hoch aufzuspringen, daß er in den Bereich des über die Dächer hereinfallenden Sonnenlichtes gelangte, welches in seinem oberen Teile funkelte und blitzte; einige Oleander und Orangenbäume standen unbewegt daneben; es herrschte eine wundersame Ruhe und Stille in dem kleinen Hofe. Am Ende des Ganges war eine Türöffnung durch einen Vorhang geschlossen, den der Mönch aufhob, um Egino und seinen Begleiter eintreten zu lassen. An einem langen Tische im Hintergrunde des hohen und gewölbten Raumes, in den sie kamen, saßen drei Mönche, ebenfalls in weißen Habiten; die schwarzen Skapuliere, die zur Vervollständigung ihres Habits gehörten, hatten sie um des warmen Tages willen abgeworfen; man hätte sie so nach der Tracht kaum vom Bruder Martin unterscheiden können, nur daß dieser sein Kostüm durch einen Ledergürtel befestigte, der eine Erinnerung an den Ursprung seines Ordens aus armen Anachoreten war.

Zwischen den Mönchen lagen Bücher und Schriften, auf einen Haufen zusammengeschoben; die Fratres schienen heiter und von ganz anderen Dingen, als was in ihren Büchern stand, geplaudert zu haben. Jetzt erhob sich einer, ein stattlicher Mann, mit einem runden, wohlwollenden Gesichte, um dessen geschorenen Schädel ein Kranz von blondgrauen Haaren lag, und trat Egino langsam entgegen.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er. »Ihr seid ein deutscher Graf und begehrt dem heiligen Dominikus um Eurer Seele Heil willen ein Opfer darbringen zu dürfen?«

»So ist's, ehrwürdiger Vater, und dabei ist ferner mein Begehr für einige Wochen in Euer Kloster aufgenommen zu werden und darin geistliche Übungen machen zu dürfen.«

»Wohl, wohl, das sind löbliche Vorsätze, die Euch zu uns führen. Hoffen wir, daß Eure Übungen dem lieben Gott so wohlgefällig sein werden, wie Euer Opfer dem heiligen Dominikus ... worin besteht es?«

Egino winkte Irmgard; diese schlug das Tuch von ihrer leichten Last zurück, legte sie auf den Tisch und öffnete die beiden Klappen, welche das Mittelstück des Altärchens bedeckten.

»Ecco, ecco, è cosa bellissima, cosa rara!« rief der Blondgraue, der Prior aus, während die anderen Mönche sich herbeidrängten, das alte Kunstwerk zu betrachten.

»San Domenico e la Madonna! è fatto molto bene!« sagte der eine, während der andere das Ganze aufnahm und es in der Hand wiegend ausrief:

»Vale almeno scudi cinquanta!«

Sie schienen eine Freude über Eginos Geschenk zu haben, wie Kinder über ein Spielzeug. Der Prior begann die Figuren zu deuten und als es geschehen, befahl er dem Bruder, der Egino eingeführt es dem Vater Generalvikar des Ordens zu bringen, damit er es sehe.

Egino fühlte bei dem Allen die Beklemmung schwinden, mit der er sein Begehren vorgebracht; er sah ja, wie empfänglich die guten Söhne des heiligen Dominikus sich für solche Art die Verbindung mit ihnen einzuleiten, erwiesen, und so brachte er desto unbefangener seine Bitte vor im Kloster so einquartiert zu werden, daß er sich zu jeder Tageszeit im Garten ergehen könne und seinen Diener Götz bei sich zu behalten.

»Euren Diener bedürft Ihr nicht«, versetzte der Prior, »denn Ihr werdet einen unserer Brüder zur Bedienung haben; was aber Euren Wunsch angeht, zu jeder Stunde Euch in unserem Garten aufhalten zu dürfen, so steht ihm nichts im Wege, unser Garten steht allen Bewohnern unseres Klosters offen, und wenn Ihr ein so großer Freund vom Lustwandeln in frischer Luft seid, so mag Pater Eustachius, der Exerzitienmeister – wo ist Pater Eustachius? man soll ihn rufen – Euch eine Zelle anweisen, die auf den Garten geht und aus deren Fenstern Ihr noch dazu weit über San Michaele fort auf den Ianicolo blicken könnt.«

»Und darf, während ich hier bin, von Zeit zu Zeit dieser mein vertrauter Diener« – Egino deutete auf Irmgard – »zu mir kommen, um mir Nachrichten zu bringen, wenn Briefe aus der Heimat oder Botschaften für mich einlaufen ...«

»Während Ihr Euch in den Mauern dieses Klosters befindet, müßt Ihr die Welt und was in ihr sich zuträgt, vergessen«, warf der Prior ein; »wozu sollen Euch die geistlichen Übungen dienen, wenn nicht, um die Welt in Euch zu überwinden?«

»Ihr habt recht, ehrwürdiger Vater; aber ich bin hier in Rom um wichtiger Geschäfte meines Hauses willen, die ich bei der Rota und bei einflußreichen Männern zu verfolgen habe, und da es nötig werden könnte, daß ich Mitteilungen empfinge oder erwidern müßte ...«

»So, so ... nun, dann mag es darum sein; der Pförtner soll Euren Pagen da zu Euch einlassen, wenn er sich einstellt; Euer Felleisen mag der Diener dort auf den Boden legen, man wird es in Eure Zelle schaffen ... und da ist der Pater Exerzitienmeister, in dessen Obhut ich Euch stelle, so lang Ihr hier unter uns armen Söhnen des Heiligen weilt, um Eure Sünden zu büßen und das Gewand Eurer Seele vom irdischen Staube zu reinigen durch Reue, Gebet, Betrachtung und die heiligen Sakramente.«

Der Exerzitienmeister, der jetzt herantrat, war ein magerer Mann mit gelbem Gesicht, tiefliegenden kohlschwarzen Augen und einem ebenso schwarzen Haarkranz; er machte mit seinen tiefgeschnittenen Zügen, seinem hohen, spitz zulaufenden Schädel, seinen niedergeschlagenen und von Zeit zu Zeit rasch und stechend aufleuchtenden Blicken auf Egino einen unangenehmen Eindruck; der rosig blühende, offenbar aus irgend einem nordischen Lande stammende Prior wäre ihm für die Art Seelenwäsche, die er vornehmen zu wollen vergab, als Bademeister weit lieber gewesen, denn dieser ausgedörrte Südländer; aber er hütete sich diesen Wunsch auszusprechen und verneigte sich ehrfurchtsvoll vor dem sich ihm still und gemessenen Schrittes nähernden Mann, den er um eine Kopfeslänge mindestens überragte.

Der Exerzitienmeister musterte die fremde Gesellschaft, wobei sein Blick am längsten und schärfsten auf Irmgard haften blieb, und blickte dann stumm und wie fragend den Prior an.

»Unser deutscher Gast ist ein Freund von frischer Luft«, sagte dieser; »laßt ihm die Zelle am Garten, die früher der Marchese del Monte bewohnte, geben. Ihr«, wendete er sich alsdann an Eginos Diener, »legt Eures Herrn Gepäck endlich ab, man wird es ihm schon in die Zelle schaffen.«

»Also auf Wiedersehen!« sagte Egino, indem er Irmgard die Hand reichte und seinen Diener mit einem Kopfnicken entließ. Dann wendete er sich dem Exerzitienmeister zu, der jedoch unbeweglich stand und mit seinen scharfen Blicken Eginos sich entfernende Begleiter verfolgte.

»Kommt!« sagte der Pater Eustachius endlich, nachdem der Vorhang der Tür hinter den Letzteren zugefallen war. Mit einem »Gelobt sei Jesus Christus!« entließ jetzt seinen Gast der Prior, und Egino folgte dem Pater Eustachius, der ihn durch dieselbe Tür wieder in den Korridor führte.

Im Kreuzgang angekommen, wendete Pater Eustachius sich rechts; bald darauf blieb er vor einer verschlossenen Tür stehen und murmelte leise die Worte:

»Wartet hier.«

Er schritt langsam wandelnd von Egino fort, den Kreuzgang hinab und kam ebenso wieder zurück, wie um die Zeit des Wartens durch Auf- und Abgehen zu vertreiben.

»Ein Mann von übermäßigem Rededrang scheint Pater Eustachius nicht zu sein«, dachte Egino, »und das ist immerhin ein Glück; er wird mir wohl die Ruhe lassen an anderes zu denken, als seine Heiligen und ihre Kasteiungen.«

Ein Laienbruder kam mit Schlüsseln. Die Zelle wurde geöffnet und Egino sah sich in einen für eine Klosterzelle ziemlich weiten Raum eingeführt, der anständig genug eingerichtet war, um nichts anderes zu wünschen übrig zu lassen als ein wenig mehr Ordnung und Reinlichkeit.

Der Pater Eustachius war verschwunden in dem Augenblick, wo Egino seine Zelle betreten.

»Wo ist der Exerzitienmeister?« fragte er ein wenig verwundert. »Der Mann scheint mit seiner Person ebenso karg zu sein, wie mit seinen Worten.«

»Er wird schon zurückkehren, Herr«, versetzte der Laienbruder, »sobald Ihr Euch erst ein wenig eingerichtet habt ... welche Befehle habt Ihr für mich?«

»Daß Ihr meine Sachen herholen wollt, die mein Diener trug und dann mehr Ordnung in diesen Raum bringt.«

Der Bruder ging.

Egino trat an das Fenster der Zelle und öffnete es; die Aussicht, die sich ihm bot, war von entzückender Schönheit. Über den unter ihm liegenden Garten sah er ein gutes Stück der Ewigen Stadt vor sich, und drüben den Ianiculus bis über den Vatikan hinaus. Weiter rechts die Engelsburg, das Capitol aber wurde ihm durch die Türme der Savellischen Burg verdeckt. Von dem Bereiche derselben war der Klostergarten durch eine Mauer abgeschlossen, an der diesseits eine Reihe alter Zypressen entlang stand; auf ihrem schwarzdunklen Grün lag mit wunderbarem Goldschein eben der Glanz der dem Niedergang zueilenden Sonne.

Der Laienbruder kam zurück; er brachte das Felleisen, das Eginos Sachen enthielt.

Dann begann er aufzuräumen.

»Sankt Dominikus«, sagte Egino, sich vom Fenster ab- und dem Bruder zuwendend, »wohnt hier sehr dicht neben der Burg der Savelli. Halten der Heilige und die Bürgherren gute Nachbarschaft?«

»Wie sollten sie nicht«, versetzte der Mönch aufschauend. »San Domeniko ist ein großer Heiliger für Alles, was zu ihrem Hause gehört. Ihr müßt wissen, daß vor mehr als dreihundert Jahren Papst Honorius III., der ein Savelli war und hier neben uns in der Burg wohnte, dem Heiligen dies Kloster in seinen eigenen Baulichkeiten einräumte, und darum seht Ihr die Türme und Mauern so dicht umher stehen; sie schützen San Domeniko's arme Söhne, es ist noch alles, wie ein einziges Bauwerk; die Savelli haben ihren Weg durch unser Kloster, wenn sie in die Kirche gehen wollen.«

»In die Kirche Santa Sabina?«

»Ja, Herr, in unsere Kirche; und auch ihren eigenen Betstuhl haben sie in unserer Kirche, und an den großen Festtagen wie Ostern und ...«

»Also die Bewohner der Burg wandeln durch Euer Kloster in die Kirche?« unterbrach ihn Egino erregt.

»So ist es, Herr, die Bewohner ... was die Bewohnerinnen sind, wißt Ihr, so dürfen sie freilich durch die Klausur nicht hindurchgehen!«

»Aber die Bewohnerinnen?«

»Wonach fragt Ihr, Herr?«

»Wie gelangen sie in die Kirche?«

»Sie? Nun, wie andere; draußen über den Weg aller ... das heißt, was zur Herrschaft gehört, die Donnen dürfen durch den Garten unter diesem Fenster da gehen .. es führt ein Törlein aus unserem Garten in die Kirche hinein; nicht aber die vom Gesinde dürfen es ...«

»So werde ich also die Damen der Familie Savelli unter meinem Fenster vorübergehen sehen?« warf Egino mit möglichst gleichgültigem Tone hin.

»Ihr werdet ihrer nicht viel sehen, Herr; nur die Witwe des armen Herrn Luca, der jüngst, nachdem er eben getraut war, so früh hat sterben müssen; die anderen wohnen drüben an der Montanara, auf Monte Savello.«

Egino schlug bei den Worten des Mönchs die ihm die Aussicht eröffneten stündlich die Corradina zu sehen, das Herz so heftig, daß er seine Bewegung zu verraten fürchtete, wenn er auch nur eine Silbe mehr gesprochen hätte. Er wendete sich schweigend dem Fenster wieder zu.

Als der Mönch ging, folgte ihm Egino. »Wollt Ihr mir den Weg in den Garten zeigen, Bruder ... wie heißt Ihr?«

»Alessio.«

»Also, Bruder Alessio, zeigt mir, wo es zum Garten hinabgeht«, sagte Egino.

»Ihr müßt den Vater Exerzitienmeister erwarten, Herr«, sagte der Mönch.

»Muß ich? Er hat mir seinen Besuch nicht angekündigt. Doch sei es drum.«

Egino kehrte in seine Zelle zurück und erwartete im Fenster stehend den Vater Exerzitienmeister.

Vater Eustachius aber erschien nicht. Egino war eben im Begriffe seine Zelle zu verlassen, um sich selbst den Weg zum Garten zu suchen, als die Aveglocke erklang, und Bruder Alessio hereintrat, um ihn zum Abendessen der Mönche zu rufen.

Egino folgte ihm mit festem zuversichtlichem Schritte durch die Gänge, die zum Refektorium führten. Er war eigentümlich, aber freudig, mutig erregt von dem Wagnis, das sich so vortrefflich anließ. Wäre Irmgard ihm begegnet in diesen Gängen, er würde seinen klugen Pagen umarmt haben aus Dankbarkeit für seinen guten Rat.

In dem langen Speisesaal der Mönche ward ihm sein Platz neben dem Prior angewiesen. Egino hatte volle Muße sich diese Gesellschaft von fünfzig bis sechzig weißgekleideten Männern zu betrachten, die den langen Raum hinab in zwei Reihen saßen, um ihr frugales aus gemischtem Wein, Brot, Käse und Früchten bestehendes Nachtmahl einzunehmen; denn alle saßen schweigend, während auf einer kleinen Estrade inmitten des Refektoriums der Pater Lector saß und aus einem dicken lateinischen Buche eine lange Legende vorlas, die von einem frommen Maler handelte, welchen ein Wunder vom sicheren Tode rettete. Der alte Mönch las sie mit gläubiger Inbrunst. Der Maler war all seine Lebenszeit ein besonderer Verehrer der unbefleckten Jungfrau gewesen. Darum malte er mit heiligem Eifer, als es ihm von einer Klosterbruderschaft aufgetragen, in einer Kirche hoch oben an der Wand die Madonna auf der Weltkugel und der Mondsichel stehend und das Haupt von Sternen umkränzt, die »Immaculata«. Darüber erbost voll Verdruß und Ingrimm der böse Feind; der lange schon den frommen Künstler zu verderben gesucht hat und nun die treffliche Gelegenheit wahrnimmt und die Stützen des Gerüstes, auf welchem der Meister, ganz in sein Werk versunken, arbeitet, tückisch durchsägt. Das Gerüst wankt, stürzt ein, die Bohlen schwinden dem unglücklichen Maler plötzlich unter den Füßen ... aber siehe, die von ihm gemalte Madonna öffnet ihre Arme, umfaßt ihren frommen Verehrer und drückt ihn an ihre erbarmende Brust, bis man, durch den Lärm des eingestürzten Gerüstes herbeigerufen, kommt und den da oben an der Wand Hängenden mit Leitern aus der Umarmung der beschützenden Himmelskönigin herunterholt. –

Der Dominikaner-Orden vertrat im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts die theologische Gelehrsamkeit der Kirche; er war die Quelle und der Hüter der scholastischen Wissenschaft, durch welche die Entwicklung der Dogmen geleitet worden war; er behauptete die Lehrstühle der Wissenschaft auf den Hochschulen, er besetzte die Gerichtshöfe, welche über die Orthodoxie und Heterodoxie der Meinungen und der Systeme entschieden und richtete die Gewissen.

Und die Männer dieses Ordens hörten mit Andacht auf solche Mären!

Konnte etwas bezeichnender sein? Konnte es etwas Grauenhafteres geben, als die Gewissen der Menschen, unterworfen dem Richterspruch, der Kontrolle von Männern, die in solchen Anschauungen, in solch einer geistigen Atmosphäre auferzogen waren und bis ans Ende ihrer Tage darin blieben?

Mit Andacht, sagten wir eben. Doch nein, sie hörten nicht alle mit Andacht zu; auf diesen Physiognomien der verschiedensten Art, jungen und alten, mit dem Typus des Südens und dem des Nordens, auf den bald breiten und behäbigen, bald tiefgeschnittenen, markierten, fleischlosen Gesichtern lag der Ausdruck der verschiedensten inneren Gedankenbeschäftigung, oder auch völliger Gedankenlosigkeit. Während einige ihr Ohr dem Vorgetragenen offenbar nur in stumpfsinniger Gleichgiltigkeit verschlossen hielten, nur mit den Bissen, die sie verschluckten, und dem Inhalt des Kruges, den sie leerten, beschäftigt, waren einige offenbar in Sinnen verloren und mit ihren Gedanken weit von dieser Stätte entfernt; wieder andere beobachteten mit forschenden oder feindseligen Blicken versteckt und heimlich ihre Nachbarn. –

Egino hörte flüchtig der Legende des Pater Leetor zu; der italienische Akzent, womit der Mann sein Latein vorbrachte und verwälschte, hatte etwas, das ihn zum Lächeln zwang, die Geschichte selbst aber rief eine Art von höhnischem Übermut über diese ganze Welt in ihm hervor, sie tat das Letzte, um ihm das Gefühl der Beklommenheit und einer gewissen Sorglichkeit zu nehmen, womit er die Schwelle des Klosters beschritten hatte.

In dem Mönch, der an der andern Seite ihm gegenübersaß, erkannte er den, welchen er in der Hauskapelle der Savelli gesehen, welcher die Corradina mit dem toten Luca Savelli getraut hatte.

Während er ihn beobachtete, nahm er nicht wahr, wie scharf und forschend auf ihm selbst das Auge des Paters Eustachius lag, der weiter unten an der anderen Seite des Tisches saß.

Als der Prior sich erhoben und nachdem der Jüngste der Genossenschaft am unteren Ende des Tisches das Benedicite gesprochen hatte, näherte Pater Eustachius sich Egino.

»Ihr werdet mich morgen bei Euch erscheinen sehen, Herr«, sagte er, indem er ein Lächeln, das freundlich sein sollte, über sein düsteres Gesicht gleiten ließ. »Ich denke, Ihr wißt es mir Dank, daß ich Euch heute Abend Euch selbst überließ; Ihr seid ein Weltkind, und wenn ein solches in einen so fremden Kreis tritt, wie ihm der unsere ist, so drängen sich ihm der Eindrücke gar manche auf; man muß ihm Zeit lassen sie zu überwinden und sich zu sammeln, ehe man Vertiefung in heiligere Gedanken von ihm verlangen kann. Nur ein vollkommen glattes Gewässer vermag es das Blaue des Himmels abzuspiegeln.«

»Doch fährt der Herr auch über den See Genezareth, wenn er im Sturme wogt«, antwortete Egino. »Aber ich will Euch nicht widersprechen, ehrwürdiger Herr, und danke Euch für Eure Rücksicht.«

Pater Eustachius erwiderte nicht; er schien, nachdem er seine Worte gesprochen, eine Erörterung derselben ablehnen zu wollen und stumm mit dem Kopfe nickend, ging er.

Egino verließ das Refektorium, und da er draußen auf seinen Laienbruder stieß, wiederholte er sein Verlangen in den Klostergarten geführt zu werden.

Der Klostergarten bestand aus einer Terrasse, die an dem Teil des Gebäudes, in welchem Eginos Zelle sich befand, entlang lief und aus einer tiefer liegenden Abteilung, welche von mehreren in rechten Winkeln sich kreuzenden Heckengängen aus immergrünen Pflanzen, Lorbeern, Buchs und Taxus eingenommen wurde.

Im Schatten der Klostermauern zu ihrer Linken und der Reihe von Orangenbäumen zu ihrer Rechten mußte also die Corradina wandeln, wenn sie sich in die Kirche von Santa Sabina begab ... Am nördlichen Ende der Terrasse befand sich in einer Mauervertiefung mit spitzgewölbtem Bogen eine kleine Tür aus eisenbeschlagenen Bohlen, die offenbar in den Garten oder in einen Hinterhof der Savellischen Burg führte. Am Südende der Terrasse zeigte sich über einigen Stufen eine ähnliche, nur weniger ängstlich verwahrte Tür, die sogar nur angelehnt stand und ins Innere der Kirche führte.

»Der Lebensweg der Corradina läuft durch Schatten«, sagte sich Egino, ein wenig kleinmütig und niedergeschlagen, als er die Beschaffenheit der Örtlichkeiten erkundete. »Wird es mir je gelingen aus all diesen Mauern zu ihr zu dringen und sie dem Lichte und dem Leben zu gewinnen? Wird diese eisenbeschlagene Tür sich je für mich öffnen oder werde ich diese Mauer da überklettern können, die unter der Zypressenreihe hinläuft und den Bereich des Klosters von dem der Nachbarburg abgrenzt?«

Die Mauer war allerdings sehr steil, sehr hoch. Der Baron und der Mönch hatten sich sehr nahe zusammengefunden; die Heiligen und die Ritter sich sehr dicht neben einander angebaut und in denselben Boden geteilt. Und doch hatten sie für gut gefunden eine starke und hohe Mauer zwischen sich aufzubauen.

Egino ging an dieser Mauer entlang. Da der Garten ganz menschenleer war – denn die Mönche begaben sich nach der Abendmahlzeit sogleich zur Ruhe, um in der Nacht ihrem Chordienst obliegen zu können – so durfte er ungestört seine Untersuchungen anstellen. Die Mauer war überall in gutem Stande erhalten, sie bot nirgends Lücken oder Vorsprünge oder andere Erleichterungen für einen Mann dar, der den Wunsch hatte sie nötigenfalls überklettern zu können.

In einem glatten rechten Winkel stieß sie an die mächtigere zinnengekrönte und mit Türmen verstärkte Mauer, welche die nach der Marmorata hin steil abfallende Felswand des Aventin krönte, sowohl das Terrain der Burg, wie das des Klosters an dieser Seite schützend.

Kein Baum stand in dieser Ecke, um da hinaufzukommen. Man hätte Flügel haben müssen.

Egino ging ziemlich entmutigt von der Mauer fort in die Mitte des Gartens zurück, wo im Kreuzungspunkt der zwei Hauptgänge eine große antike Granitschale stand, von einem ebenso antiken korinthischen Säulenkapitäl aus verwittertem weißen Marmor getragen. Er setzte sich auf den Rand dieser Schale; die Arme unterschlagend blickte er hinüber auf die schweren massigen Mauern der Burg.

Diese zeigte nach dieser Seite hin zwei Gebäudeteile, einen älteren mit wenigen kleinen und ungleich verteilten Fenstern und einen höheren mit symmetrischen Fensterreihen und also neueren; beide Teile wurden von viereckigen Turmausbauten flankiert und in der Mitte, wo sie aneinanderstießen, legte sich ein halbrunder Treppenturm an sie an. Der neuere Teil, der der entferntere vom Standpunkt Eginos war, hatte einen hochliegenden, an einer Fensterreihe entlang laufenden Altan, vielleicht über Arkaden liegend, welche die, den Kloster- und den Burggarten trennende Mauer nicht erblicken ließ. Die Flügel einer aus dem Innern auf diesen Altan führenden Fenstertür standen offen; ein Lichtschein drang eben aufleuchtend durch diese Tür in die dämmernde Nacht hinaus und erhellte ein Stück des Altans mit einem schwachen Lichte.

Als Egino eine Weile hinübergestarrt hatte, geschah, was er in herzklopfender Spannung ersehnte, erwartete, schon wie im Traum vorher erblickte.

Eine in dunkle Gewänder gekleidete weibliche Gestalt trat auf die Schwelle der Fenstertür; sie blickte einen Augenblick in den dunkelnden Abend, der schon Nacht zu nennen war, hinaus, einen Augenblick, aber lange genug, um Egino erkennen zu lassen, oder besser – denn zum bestimmten Erkennen war sie viel zu fern, war es viel zu dunkel – um ihn wie durch einen sechsten Sinn es fühlen zu lassen, was er auffahrend, die Hand an sein stürmisch aufschlagendes Herz pressend, flüsterte:

»Sie ist es!«

Sie trat auf den Altan hinaus und begann auf demselben langsam auf- und abzuwandeln.

Eginos Seele war in seinen Augen; als ob es möglich gewesen wäre, daß sein Atem ihn hätte verraten können, unterdrückte er ihn, während seine Blicke sich schärften jede der Bewegungen dieser dunklen Gestalt wahrzunehmen, die so, wie ein Geist der Nacht hoch oben auf- und niederschreitend, an dem düsteren Gewaltbau der Saveller entlang schwebte.


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