Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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6. Grübeleien einer Deutschen.

Am andern Tage schon, in der Nachmittagsstunde, kehrte Egino zu dem Albergo dei Pellegrini tedeschi zurück.

Als er in die Kammer seiner deutschen Freunde eintrat, fand er Irmgard in ihrer Mädchentracht. Sie errötete, als sie ihn so plötzlich und unerwartet eintreten sah, und dies Erröten machte sie sehr hübsch in ihrem schwarzen Samthäubchen, unter dem die reichen blonden Haare in krausen Locken kurz hervorquollen; sie hatte sie ja kurz verschnitten um der Reise willen. Ein braunes Mieder mit schwarzem schmalen Samtbesatz und ein kurzer ebenso gesäumter Rock zeigte ihre vorteilhafte Gestalt. Es war alles sehr einfach; aber Egino fand sie viel hübscher, als er sie gestern gefunden hatte.

»Ich komme«, sagte der junge Mann, ihr die Hand reichend und dem Ohm zunickend, »weil mir der Gedanke gekommen ist, es sei am besten Euch, Irmgard, zu einer verständigen und wohlwollenden Frau zu führen, die ich kenne, und die sicherlich am besten im Stande ist Euch guten Rat zu geben, wie Ihrs anfangt Euch hier sicher und passend unterzubringen.«

»Das ist überaus gütig von Euch«, versetzte hocherfreut Irmgard.

»Ihr habt noch keine Wohnung für Euch gemietet?«

»Nein.«

»Wohl denn, so kommt! Donna Ottavia Minucci, zu der wir gehen, ist die Frau eines Prokuratore, eines geschätzten Rechtsgelehrten; sie ist eine Römerin, die ihre Vaterstadt kennt und sich gerne Eurer annehmen wird. Seid Ihr bereit?«

»Ich bin es, Herr – und Ihr selbst wollt mich hinführen?«

»Würdet Ihr sonst sie finden?«

Irmgard machte sich freudig erregt zum Ausgehen fertig. Sie holte eine Tasche, die sie mit einem Silberhaken an ihren Gürtel befestigte, herbei; dann ein Paar Handschuhe, ein Tuch, dessen es an dem warmen Tage nicht bedurfte, und das die deutsche Gewohnheit sie über den Arm werfen ließ und nahm Abschied von Ohm Kraps.

»Haltet Euch wohl, Ohm«, sagte sie »und zerbrecht von unserem Geräte nichts; vergeßt auch nicht Wasser in Euren Wein zu gießen, wenn Ihr trinkt. Gott behüt' und laßt Euch die Zeit nicht lang werden.«

Sie ging und Egino folgte ihr.

Auf der Straße gingen sie schweigend und rasch. Das deutsche Mädchen wurde von vielen der Männer, denen sie begegneten, bemerkt. Die blonde Schönheit fiel ihnen offenbar auf; sie starrten ihr frech ins Gesicht, machten laute Bemerkungen über sie, blieben stehen, um ihr nachzuschauen – Egino geriet mehreremale in Versuchung die Unverschämten zurechtzuweisen, aber Irmgard zog ihn flüchtigen Fußes weiter.

Als sie vor die Porta del Popolo kamen, atmete sie auf. Sie ließ ihre hellen Blicke über die Landschaft draußen schweifen.

»Die Berge sind schön – sind jene Bäume Palmen, die dort auf der Höhe?« fragte sie.

»Nein, es sind Pinien. Die Palme wächst nicht in Rom«, versetzte Egino. »Zur Entschädigung hat es den Lorbeer.«

»Daraus flicht man den Siegern Kränze«, antwortete Irmgard. »Das ist nichts für Mädchen und Frauen, die sich nur eine Palme verdienen können; für sie ist hier also nicht gesorgt. Rom scheint für sie überhaupt kein guter Ort«, setzte sie, vielleicht noch unter dem Eindruck des eben Erlebten, hinzu, »ich wollte heute Morgen in eine Kapelle eintreten, aber man wies mich heftig zurück, weil ich ein Weib sei.«

»Darein«, rief Egino achselzuckend aus, »werdet Ihr Euch fügen müssen, Irmgard, viele Orte hier nicht betreten zu dürfen, weil sie zu heilig für den Fuß einer Frau sind.«

»Die Männer also sind reiner und unschuldiger! Seht, wenn ich mich über Eure Monumente und großen Ruinen nicht verwundere – das sind nun Dinge, darüber verwundere ich mich! Ach, es ist soviel im Glauben, worüber ich mich verwundere. Zum Beispiel, daß sie immer davon reden, wie der Heiland so grenzenlos viel für uns Sünder gelitten und schier alles Leid der Welt auf sich genommen habe.«

»Scheint Euch das denn nicht?«

»Ihr denkt wohl«, sagte Irmgard, schüchtern zu Egino aufblickend, »ich bin eine rechte Ketzerin?«

»Nein, nein, redet weiter, Irmgard.«

»Und dann«, fuhr Irmgard eifrig fort, »leben die geistlichen Menschen hier, wo sie doch am meisten an das Leiden des Herrn denken müssen, so in rechter voller Lebensfreude. Welche Herrlichkeit hat nicht der Papst ...«

»Freilich, freilich«, fiel hier Egino ein; »wenn er umringt von seinen Garden durch die Stadt zieht, hoch zu Rosse, unter Glockengeläute und Kanonendonner, so ist wohl Niemand, der ihm im Geiste das bleiche, leidende und trauererfüllte Antlitz eines armen Dulders über die Schulter blicken sieht.«

»Ja, ja«, fuhr Irmgard fort; »aber Eins will mir noch schwerer zu Sinn; das ist, weshalb Gott die Niederen und Armen geschaffen hat? Hier auf Erden ist nur Elend für sie, und in den Himmel können sie nicht kommen, weil sie nicht das Geld haben und nicht die Zeit Wallfahrten zu gehen, Messen zu stiften, Ablässe zu kaufen, den ganzen Tag zu beten oder irgend was für die Kirchen herzugeben und so den Himmel zu gewinnen!«

»Aber dies alles sind gefährliche Gedanken für ein Mädchen, Irmgard.«

»Das weiß ich«, sagte Irmgard ernst, »aber wenn sie mir kommen, so hilft kein Wollen oder Nichtwollen, ich muß sie ausdenken.«

»Und sprecht Ihr sie dann auch aus?«

»Nein, ich hüte mich.«

Es lag in dieser Antwort ein Eingeständnis des Vertrauens für Egino, dessen Irmgard sich plötzlich bewußt wurde, denn sie errötete und schwieg.

Sie kamen zur Villa. Donna Ottavia war im Garten und führte sie zu einer Bank im Schatten eines Laurusgebüsches. Das junge Mädchen aus Deutschland flößte ihr lebhaftes Interesse ein; sie ließ sich von ihr ihre Lebensgeschichte erzählen. Dann sprach Irmgard von den einzelnen Punkten, wobei sie Rat und Auskunft über römische Verhältnisse der Alltagsexistenz wünschte, vom Kapitel der Wohnungen und der Wäsche bis auf das der Bereitung von Broccoli und Artischocken herab.

Egino suchte Callisto in seiner Arbeitsstube auf.

»Ich werde nicht stören«, sagte er zu dem über Pergamente und Akten gebeugten Rechtsgelehrten, »und werde gehen, sobald ich von Euch vernommen, worin ich Euch dienen könnte.«

»Das könnt Ihr in der Tat, Graf Egino«, versetzte Signor Callisto. »Ihr könnt mir einen Gefallen erweisen, falls Ihr eine kleine Mühe nicht scheut und nicht etwa hier mit einem Mitgliede des Hauses Savelli bekannt geworden seid?«

»Weder das eine, noch das andere ist der Fall.«

»Nun wohl denn – ich habe morgen um die Abendzeit bei dem Herzog von Ariccia zu erscheinen, um dort einen Ehevertrag, den ich in seinem Auftrage aufgesetzt habe, unterschreiben zu lassen. Dabei möchte ich wenigstens einen der Zeugen mir ergeben und unter allen Umständen geneigt auf meine Seite zu treten, wissen. Ihr ahnt nicht, wie stürmisch es oft bei solchen Szenen, wo endgültig über das Mein und Dein entschieden wird, hergeht – wie gut es für den Rechtsgelehrten ist, dabei einen vertrauten und zuverlässigen Freund neben sich zu haben.«

»Ich bin gern bereit ... aber es muß etwas Absonderliches bei der Sache sein, daß Ihr nicht einen Eurer römischen Freunde vorzieht.«

»Ich ziehe nun einmal solch einen fremden, ganz unbefangenen und unabhängigen Freund wie Euch, der von den Leuten nichts zu fürchten und nichts zu erwarten hat, vor ... ist's Euch genehm?«

»Ihr ehrt mich damit und könnt über mich verfügen.«

»Dürft ich kommen Euch morgen eine Stunde vor Ave Maria abzuholen?«

»Gewiß; ich werde bereit sein jeden Weg mit Euch zu machen.«

»So sei's. Ich hoffe, es wird Euer Interesse erwecken einen Blick in das Innere des Hauses Savelli zu werfen.«

»Ohne Zweifel! Und nun sollt Ihr nicht länger von mir gestört sein. Ich weiß, daß Ihr zu arbeiten wünscht. Also ich erwarte Euch morgen. Soll ich«, setzte Egino lächelnd hinzu, »hoch zu Roß, in Wehr und Waffen sein wegen der »Szenen«, auf die Ihr deutet ... bei einer Vermählung?«

»Nein, nein, dessen bedarf's nicht; ich habe mich falsch ausgedrückt, wenn Ihr das denkt. Es gilt keine Fehdeszene, nur eine Angelegenheit, wo – eben vier Augen mehr sehen als zwei, zwei Männer entschlossener denken und die Sachlage besser überschauen als einer. Und falls mir gesagt würde: ändert dies oder bringt das hinein, so möcht ich nicht allein sein, wenn ich sagen müßte: ich darf, ich mag nicht! Euer Roß mögt Ihr aber immerhin nehmen, ich nehme das meine, weil der Weg für mich weit ist.«

»Nun wohl denn, bis morgen.«

Die Freunde reichten sich die Hand und Egino ging, um seinen Schützling im Garten abzuholen und zurückzubegleiten.

Als er zu den beiden Frauen kam, sagte Donna Ottavia:

»Was Eure Landsmännin Irmgard zunächst bedarf, haben wir unterdes glücklich gefunden, eine passende Wohnung bei redlichen Leuten für sie und ihren Ohm. Sie muß nur den Weg zu dem Quirinalischen Hügel zu finden wissen. Dort, hinter den Thermen des Constantin, und dicht an der Mauer, welche den Garten der Colonna umschließt, liegt das kleine Haus einer Witwe, die sich Giulietta nennt, und es mit ihrem Sohne Beppo, einem braven jungen Manne, der sich als Artista ernährt, bewohnt. Frau Giulietta, die einst meine Wärterin war und dann einen Handwerker, einen Klienten der Colonna heiratete, hat mir gesagt, daß sie zwei Kammern ihres Hauses an wohlempfohlene Fremde zu vermieten wünsche ... dort werden Eure Landsleute die beste Aufnahme finden, wenn sie kommen und sagen, daß ich sie sende!«

»Wie dankbar muß ich Euch sein!« fiel Irmgard ein, sich erhebend.

»Grüßt Giulietta von mir und auch Beppo, den braven Burschen«, sagte Ottavia, ihr die Hand reichend.

Mit dem Versprechen, daß sie nach einiger Zeit kommen und Donna Ottavia Bericht erstatten wolle, wie sie sich eingerichtet, verabschiedete sich Irmgard und Egino begleitete sie zurück zu Ohm Kraps, der zum Glück diesmal während ihrer Abwesenheit keinerlei Unheil angestiftet hatte.

»Er zerbricht stets, wenn man ihn einmal für Stunden allein zu Hause läßt, irgendein Gerät, oder wirft eine Lampe oder rennt ein Möbel um – er ist wie ein Bär, so stark und so täppisch!« sagte sie lachend.

Egino verließ sie mit dem Versprechen, daß er ihr am andern Morgen seinen Diener Götz senden werde, um sie zur Frau Giulietta auf den Quirinal zu führen.


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