Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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19. Im Atelier Rafaels.

Rafael wohnte, als er seinen kleinen Palast im Borgo noch nicht gebaut hatte, in einem jetzt zerstörten Hause an dem Tiber, an seinem linken Ufer, gegenüber dem großen Hospital von San Spirito, das auf dem rechten liegt. Zwischen der Rückseite des Hauses und dem Flusse befand sich ein kleiner Garten, der am Wasser von einer niederen Mauer begrenzt wurde.

Der kleine Garten enthielt nichts als einen verkommenen und zertretenen Rasen und einige Orangenbäume, die ihn beschatteten, einige hohe Lorbeerbüsche und Oleander, welche Mauerwände der Nachbarhäuser rechts und links verkleideten. Was ihn sonst erfüllte, waren nicht Früchte oder Blumen, sondern Steine, aber Steine, welche die Menschenhand zu Gebilden so schön wie Blumen gestaltet hatte. Es waren ausgegrabene Reste des Altertums: Reliefs, Statuen, Büsten von Frauen, Helden und Göttern – das alles mehr oder weniger erhalten oder halb zertrümmert. Es mußte ihnen nicht eben große Verehrung zuteil werden, denn ein junges Mädchen von etwa achtzehn Jahren war eben beschäftigt ein Wäscheseil um den Hals eines verstümmelten Gottes zu schlingen.

Aus dem Gärtchen führte eine kleine Treppe von zwei oder drei Stufen ins Haus durch eine Türöffnung, die nur mit einem blauen Vorhang bedeckt war. Dieser Vorhang wurde eben von dem Hausherrn zurückgeschlagen und an der Seite an einem Haken befestigt.

Der Maler trat auf die Schwelle; er lehnte sich mit der linken Schulter an die zurückgeschlagene Draperie, so daß man an ihm vorüber den Blick frei bekam in das geräumige und mit einem gemilderten Lichte erfüllte Atelier, aus welchem er getreten.

Seine Augen folgten den Bewegungen des jungen Mädchens.

»Du wirfst dem Apoll einen Strick um den Hals«, sagte er, »hat er ihn verdient?«

»Eh, wer weiß es«, antwortete sie. »Ich weiß nur, daß er den Strick sich sehr geduldig umknüpfen läßt.«

»Und wer sich geduldig einen Strick um den Hals legen läßt, der verdient ihn auch, meinst Du, Margarita? Folge mir, Du sollst mir sitzen.«

»Ich Mag nicht heute; es ist so furchtbar ermüdend und Ihr malt immer ganz etwas anderes wie mich, wenn ich auch mit der Geduld eines Maultieres tagelang wie ein Steinbild regungslos vor Euch dagesessen.«

»Ich male Deine Hände, Deine Schultern, Deine Brust, die Falten der Gewänder, die ich über Dich werfe, aber Deine Züge kann ich nicht gebrauchen; ich bedarf anderer, wenn ich einen Engel male, mein kleiner Dämon, anderer, wenn ich die tiefste und heiligste Mutterliebe darstelle; denn Du mit Deinen Schelmenaugen, Deinen trotzigen Lippen, so rot wie eben aufgesprungene Granatblüten ...«

»Ich bin keine Heilige, ich weiß es«, sagte Margarita mit einem Gemisch von Schmollen und Trauer, von Rafael fort in die Ferne über den Strom hinüberblickend. »Aber Du, Du solltest es mir nicht vorwerfen!«

»Tu ich es, anima mia

»Ach, ich will nichts mehr hören und gehe meine Wäsche zu holen. Aber das laß Dir gesagt sein, ich habe nicht den geringsten Respekt vor Deiner »tiefsten und heiligsten Mutterliebe«, wie Du sie darstellst, vor Deinen Madonnen, wenn auch alle Menschen sie preisen und mit Gold aufwiegen.«

»Nicht? Und weshalb bist Du unzufrieden mit ihnen? Laß hören, Margarita.«

»Was soll ich's sagen! Es ist das auch eines der Dinge, worüber wir Euch Männer nicht belehren können, weil Ihr uns nicht versteht.«

»Sag's immerhin, ich will mich anstrengen Deine Belehrung zu verstehen, carissima

»Nun wohl. Glaubst Du, daß die Madonna ein braves ehrliches Weib mit einem ganzen starken Frauenherzen war?«

»Sicherlich.«

»Wohl dann, dann hat sie sich auch San Giuseppe nicht verlobt und nicht mit ihm vermählt ohne ihn zu lieben. Ist das wahr?«

»Es ist wahr.«

»Und lieben Deine Madonnen ihren San Giuseppe?«

»Sie lieben das Bambino mehr!«

»Und Du hast nie darüber nachgedacht, weshalb und warum eine Mutter ihr Kind und wann sie es mit der Fülle der Seele liebt? Wahrhaftig«, fuhr sie stockend und halblaut fort, »wenn ich ein Kind hätte ...«

»Du – nun Du?« sagte Rafael zu ihr aufblickend und ihr Auge suchend.

Sie wendete das ihre langsam dem seinen zu mit einem halb zärtlichen, halb vorwurfsvollen Blick, dann ging sie dem Hause zu.

Als sie die Stufen der Tür betrat, wendete sie sich schelmisch lächelnd zurück.

»Komm, komm«, sagte sie dabei, »male Du die Madonna, verzückt ihr Bambino anschauend, und San Giuseppe vergnügt im Hintergrunde, das ist kluge Männerarbeit und ich will an meine dumme Frauenarbeit gehen.«

Rafael strich mit beiden Händen das Haar aus der Stirne fort, dann das Kinn auf die Hand stützend, sagte er:

»Margarita sollte diesen deutschen Mönch in die Schule nehmen mit solchen Gedanken! Will mir doch der einfältige Kuttenträger nicht aus dem Kopfe!«

Er saß eine Weile sinnend da, als ein Diener auf die Schwelle der Gartentür trat.

»Was willst Du, Baviera?« fragte er.

»Es sind zwei Herren da, die Euch zu sehen wünschen«, versetzte Baviera. »Der eine ist Monsignore von Ragusa, der andere ein Mönch.«

»Ein Mönch – von welchem Orden?«

»Aus Santa Maria del Popolo.« »Ein noch junger Mann? Ich komme.«

Der Diener trat zurück, Rafael erhob sich, um erregt und hastig in sein Atelier zu gehen.

Dies war ein großer kühler Raum, nach Norden, d. h. dem Gärtchen und dem Flusse hin durch ein mächtig großes aber hoch angebrachtes Fenster erleuchtet, in dessen Nähe die Staffelei stand, mit dem Schraubsessel des Meisters davor. Alle die tausend Gegenstände, welche ein anderes Atelier mit seinem »Urväter-Hausrat«, seinen Abgüssen, Statuetten, Gewändern, alten Waffen usw. füllen, fehlten hier; es war offenbar, daß der Mann, der in diesem sann, fand und erschuf, das Bedürfnis hatte nicht durch ein Chaos bunter Farben und Gestaltungen beirrt zu werden und verwirrende Eindrücke von sich fernzuhalten.

Gab es doch auch genug dieser Gegenstände, die zum Handwerk gehören, in dem großen Hinterraum, der auf das Atelier folgte, und in den man durch eine offene Tür blickte. Da waren ein paar junge Leute an Staffeleien beschäftigt, ein paar andere saßen an Zeichentischen; im Hintergrunde stand jetzt schon Baviera wieder und rieb Farben und umher an den Wänden, auf den Möbeln, befand sich die Fülle dessen, was als Modell oder Gerät einem Bedürfnis der Arbeit oder des Genusses entsprechen konnte.

Die jungen Männer da drüben schienen in Gegenwart des Meisters an eine respektvolle Stille gewöhnt. Sie arbeiteten schweigend oder nur leise flüsternd.

Als Rafael in das vordere Gemach eingetreten war, fand er die zwei angemeldeten Männer in der Mitte desselben stehend.

Der Mönch war kein anderer, als der, den er nach Baviera's Meldung zu sehen erwartete; es war Bruder Martin. Der andere war ein mittelgroßer starker Mann, dessen feistes und doch lebendiges und intelligentes Gesicht mit den schielenden Blicken, den höchst beweglichen Zügen nicht ganz zu dem Kostüm eines Bischofs, der violetten Soutane, dem Hut mit golddurchflochtenen grünen Schnüren paßte, in welchem er erschien.

»Monsignore Phädra«, sagte Rafael, dem Letzteren die Hand entgegenstreckend, »Ihr überrascht und erfreut mich ...«

»Sprecht das nicht so vorschnell aus, Meister Santi«, versetzte der Angeredete; »wird es Euch erfreuen, wenn ich erstens komme Euch zu schelten, daß Ihr mir nicht bei Gelegenheit meiner Erhebung auf den Bischofsstuhl von Ragusa Glück zu wünschen gekommen ...«

»Ach, war das nicht Glück genug für einen Herrn wie Euch? Sollt' ich Euch noch mehr wünschen?« versetzte Rafael neckend und die beiden Männer einladend auf der Ruhebank Platz zu nehmen.

»Gehört nicht zu jedem Amt Verstand und Glück?« entgegnete der Bischof. »Und müßt Ihr einem Freunde nicht umsomehr von diesem wünschen, je weniger Ihr ihm von jenem zutraut? Zum Zweiten aber«, fuhr Monsignore Phädra sich setzend fort, »bringe ich Euch einen Mann hier von fürchterlicher Gelehrsamkeit, einen hartgläubigen verstockten Deutschen, der sich wider Eure Kunst auflehnt und, fürcht' ich, nur so lebhaft darauf bestand, daß ich ihn bei Euch einführe, weil er beabsichtigt sich wie ein echter Tedesco mit Euch zu zanken.«

»Da Ihr mich einen deutschen Mönch nennt«, fiel hier Bruder Martin ein, »hab' ich auch wohl das Recht ein wenig derb zu sein, und somit sag' ich Euch offen, Herr Bischof, daß ich zuerst mit Euch zanken möchte, weil Ihr so falsch vortragt, was mich wünschen ließ diesen berühmten Meister Santi in seiner Arbeitswerkstätte besuchen zu dürfen.«

»Nun, so tragt es selbst vor«, antwortete der Freund Rafaels, den der Letztere nicht, wie er hieß, Tommaso Inghirami nannte, sondern »Monsignore Phädra«; der geistliche Herr hatte einst, als er noch nicht wie heute Bibliothekar des Papstes und Bischof war, bei einer Aufführung von Seneca's Trauerspiel »Hippolyt« die Phädra gespielt und dabei, als eine Stockung in der Maschinerie den Fortgang des Stückes aufhielt, mit großer Geistesgegenwart die Zuschauer durch improvisierte lateinische Verse so gut unterhalten, daß ihm der Scherzname für alle Zeit geblieben war.

»Das will ich«, entgegnete Bruder Martin. »Seht, edler Meister, ich befand mich in dem vatikanischen Palaste, in den Räumen, die Papst Sixtus IV. für die berühmte Büchersammlung hat herrichten lassen, mit deren Aufsicht dieser ehrwürdige Bischof betraut ist. Dieser war herablassend genug mich selbst darin umherzuführen und mir die gelehrten Schätze, die Papst Nikolaus V. da gesammelt hat, die aus Avignon herübergebracht worden und die, so unsere glorreich regierende Heiligkeit erworben hat, zu zeigen. Darunter wies mir Monsignore Inghirami auch eine wundersame Handschrift mit kleinen Miniaturbildern, so sauber in Gold und Mennig und anderen Farben ausgeführt, wie ich sie nie gesehen, und als ich in Entzücken darüber geriet, verlachte mich dieser gelehrte Herr und nannte alles das, womit diese alten Künstler die tiefe Mystik des Glaubens in die lebendige Menschengestalt getragen, einen Spott, gehalten gegen das, was die neue Kunstweise und insbesondere Ihr, Meister, schüfet; und so kamen wir in einen Kampf über Eure Kunstweise, der damit endete, daß Monsignore Inghirami mich zornig fortzog, um ihm in Eure Werkstatt zu folgen, wo, wie er sagte, meine Augen mich eines anderen belehren sollten. Es verlangte nun mein Herz nichts Besseres denn seit ich Eure Bildwerke in den Gemächern des Vatikans gesehen, lastet mir etwas schwer auf dem Gemüt und ich bin in meinen Gedanken wie umgewandelt in mir selber.«

»In der Tat?« fragte Rafael, gespannt aufhorchend. »Ist es mir nicht viel besser selbst ergangen, seit Ihr mir durch Eure Worte neulich einen Stachel in die Seele gedrückt. Ich sagte mir: soll denn alles, was du erreicht hast, nicht groß und mächtig genug sein, um solch einen Mönch mit seinem Aberglauben und seiner Scholastik zu bezwingen? Sind meine Werke nicht beredt genug, um solch ein Gemüt von seiner Ungesundheit zu heilen und zu bekehren? Sind meine Gestalten nicht stark genug, um den, der, ihrer Welt fremd, zum erstenmale vor sie hintritt, zum Niederknieen vor ihrer Hoheit zu zwingen? Auf der Stirn und im Auge dieses Mönchs lag doch ein Menschengemüt, auf dessen Stimme ich hören muß! Und mich ergriff eine wunderbare Unruhe, ein Drang etwas noch Höheres, Mächtigeres zu erreichen, etwas unüberwindlich Bezwingendes ... ein stachelnder Sehnsuchtsdrang und zugleich ein apostolischer Trieb der Welt das Schöne, das ich darzustellen suchte, noch geweihter, noch verklärter zu offenbaren, noch mehr umleuchtet von einem Lichte, das ihm denn freilich nur aus einem göttlichen Jenseits heraus zuströmen kann. So trat vor meine Seele das Bild einer Madonna, eines Weibes, das auf Wolken schwebt, das schön ist wie das schönste Weib, das je auf Erden gewandelt und aus deren Zügen, deren Augen doch die Fülle des Unendlichen auf Euch niederflutet, daß Ihr, und wäret Ihr der verstockteste Mönch auf der Welt, auf die Knie davor sinken müßt, Ihr mögt wollen oder nicht.«

Bruder Martin sah mit einem Ausdruck von Überraschung in das leuchtende, sich verklärende Antlitz des Malers. Dann sagte er:

»Ich hätte nicht geglaubt, daß meine Worte von neulich so Euer Nachdenken erregt. Was mich betrifft, so sag' ich Euch gern, daß Eure Werke mich in eine wahre Schwermut gesenkt haben. Ich sah die Welt, die mich hier umgibt, frevelhaft vom Christentum abgewendet; ich sah die Sitten verwildert; die Kirche geleitet von Männern, die in ihr eine große Zwangsanstalt sehen, um unter dem Vorgeben die Seele zu leiten, die Leiber zu beherrschen; die Wissenschaft dem Glauben entfremdet; und nun sah ich auch noch das Höchste, was der Mensch geistig erschafft: die Kunst, sich von dem christlichen Wesen abwenden! Soll denn der Fels Petri ein einsamer dürrer Fels im Strome werden, an dem die Wasser vorüberfluten, ohne sich weiter um ihn zu kümmern? Soll der Glaube der Welt verloren gehen, soll Weltklugheit unsere Moral, Genuß unser Dogma, sinnliche Schönheit unser Kultus werden? Ihr könnt das nicht wollen! Ihr nicht! Was soll geschehen, danach brannte ich Euch zu fragen, damit die Kunst wieder dem Höchsten, der Offenbarung des Göttlichen zugewendet und eine Gotteslehre werde und die Sitte verchristliche, statt sie tiefer ins Heidentum zu locken?«

Rafael stützte sinnend seine Stirne auf die Hand, dann sagte er:

»Weiß ich's? Soll die Kunst sich der Gotteslehre zuwenden, so gebt uns die Gotteslehre so, daß jene es vermag. Gebt sie uns rein, groß, frei, in Harmonie mit des Menschen innerem Leben, gebt uns eine Gotteslehre, die als Tau in unsere Seele fällt; nicht eine, die von unseren Lippen Rosenkranz plappern, von unseren Knien das Rutschen auf heiligen Treppen, von unserem Magen Fasten, von unseren Händen Geld für allerlei Gnaden verlangt. Eine Lehre, nicht der Furcht und des Drohens, sondern der Liebe und der Freiheit. Der kann eine Kunst sich zuwenden, mit ihr Hand in Hand gehen. Furcht und Haß und Schrecken, Teufel und Hölle, Marter und Tod kann ich nicht malen.«

»Ihr seht«, fiel hier der Bischof von Ragusa ein, »unser Meister ist ein verstockter Ketzer, und Ihr werdet nicht mit ihm fertig werden, Fra Martino. Wenn ich Euch offen sagen soll, wie ich denke, so ist mein Rat ihn gehen zu lassen, wie er mag. Die Kunst wird der Religion nicht viel nützen und nicht viel schaden können, so wie das Dogma wieder den Sitten nicht viel nützt oder schadet, wenn man's im großen ganzen betrachtet. Der Heide Nero war ein sehr schlechter Gesell, der Christ Ezzelin von Romano ein noch viel schlechterer. Kaiser Diokletian, der Heide, hat sehr viele Christen totmartern lassen, Papst Innocenz III., ruhmwürdigen Gedächtnisses und sein großer Feldherr Simon von Montfort, diese guten Christen, noch viel mehr Albigenser, rechtschaffene Leute, wenn es derer je gab!«

»Und das sagt Ihr, ein Bischof«, fuhr Bruder Martin auf.

»Das sagt' ich«, versetzte ruhig Monsignore Phädra, »denn seht, ich denke, es kommt alles darauf an, daß der Mensch eine gute Bildung erhalte und daß er durch Unterricht zum Denken, durch weise Zucht zur Herrschaft über sich geführt werde. Was aber die Religionen angeht, so sind sie und der Menschen Vorstellungen über das Jenseits immer sehr verschieden gewesen und dennoch die Menschen sich immer sehr gleich geblieben.«

Entsetzt über diese Rede eines italienischen Bischofs fuhr der deutsche Mönch auf:

»Daß die Kunst nie viel über die Menschen vermocht, Eure Kunst, die Ihr mit allen Euren Gedanken und all Eurem Wissen im Heidentum steckt, das will ich Euch zugeben. Das alte Rom hatte, Gott weiß es, Kunst genug: Tempel, Säulen, Statuen, Thermen, Gold und Elfenbein und Glanz ringsum, unermeßliche, für uns gar nicht mehr auszudenkende Pracht. Und alle diese Römer, die inmitten solcher Pracht wandelten, was waren sie anders, als elende Hunde, schuftige Bluthunde samt und sonders. Sie peitschten Sklaven, schlachteten Gefangene, ließen zu ihrem Ergötzen Gladiatoren sich zerfleischen, arme Menschen von Bestien zerreißen und lustwandelten im Scheine von brennenden Pechfackeln, deren Kern lebende Menschen waren. Und so seht Ihr, was Eure Kunst nützt. Das Christentum allein hat die Sitten gemildert, die Rohheit gezähmt, den Menschen das Gemüt erschlossen; ein geistlich Lied, das ich zu meiner Laute singe, gibt meinem Gemüte mehr Trost, mehr Gottvertrauen, als alle Statuen aller griechischen Bildhauer, alle Thermenhallen aller römischen Imperatoren. Darum sag ich: tut Christentum in Eure Kunst, oder sie nützt uns nichts.«

»Und ich«, entgegnete Rafael, »antworte euch: Gebt uns ein Christentum, das unsere Kunst in sich aufnehmen kann!«

»Ihr habt das Christentum«, rief Bruder Martin aus ... »Euch ist es gegeben die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen, sagt der Herr.«

»Nein, wir haben's nicht«, erwiderte Rafael. »Euer Christentum, wie Ihr's gestaltet habt, taugt nicht für uns. Es hat lange peinigend in mir gelegen, und oft ist's zu einer wahren Qual in mir geworden, da ich's wohl fühlte und mir dennoch nicht gestand; die Klarheit aber ist endlich wie eine innere Offenbarung über mich gekommen. Wollt Ihr hören wie? Es war in Siena, sieben oder acht Jahre mögen es sein. Ich war in die Stadt gekommen, um mit Messer Pinturicchio in der Bibliothek der Kathedrale neue Wandbilder auszuführen. Eines Tages war ich allein in diesem großen Bibliothelsaal eingeschlossen. Ich war eifrig darüber aus eine christliche Heilige, eine arme gepeinigte Märtyrerin zu entwerfen. Ich zeichnete, ich vertilgte meine Linien wieder; ich machte neue und fühlte, daß ich Stümperarbeit schuf. Gequält, geriet ich in eine gereizte Stimmung. Die Heilige mit ihrem Mondscheinleibe, ihren verschmachteten Zügen, beängstigte mich endlich wie ein Gespenst! Ich konnte die Formen, die Züge nicht finden; sie legte sich auf mich wie ein Alp, der uns den Atem beklemmt. Müde vom Ringen mit ihr wischte ich die Stirn und warf die Kohle fort und tief aufatmend wendete ich mich ab ... und siehe, als ich mich wende, fällt mein Auge auf jene inmitten des Saales aufgestellte antike Gruppe der Grazien, jene Gruppe, die man in Siena im dreizehnten Jahrhundert aus dem Schutte ausgrub und die trotz ihrer Verstümmelung noch heute so wie einst im vollen Glanze ewiger Jugend und hoheitsvoller Schönheit leuchtet. Mein Auge ruhte wie von Zauber gebannt auf diesen Gestalten; es war, als ob unsichtbare Fäden mich zu ihnen zögen, in meine Seele aber fällt es wie ein Licht, und mit dem Licht kommt es wie ein innerer Jubel über mich; ich ergreife, im tiefsten Innersten erschüttert, meinen Stift wieder, ich werfe das Blatt mit der mißratenen Heiligen herum und auf der Rückseite zeichnet meine Hand, wie von Ekstase beflügelt, die heidnischen Marmorgestalten, die nackten Götterweiber. Von da an ward es klar in meiner Seele – der Bibliotheksaal zu Siena war mein Weg nach Damaskus.

»Paulus ward ein Christ, Ihr ein Heide!« entgegnete Bruder Martin trocken.

»Nicht ganz«, versetzte Rafael. »Aber lassen wir einen Streit fallen, den wir nie enden würden. Kommt her und seht Euch diese Zeichnungen an; vielleicht lernt Ihr doch einst anders darüber denken.«

Er stand auf und ging in den Raum, wo seine Schüler beschäftigt waren.

Hier öffnete er eine Mappe und zog ein großes Blatt, das mit einer Zeichnung bedeckt war, heraus. Damit kam er zurück und stellte es auf seine Staffelei.

»Seht«, sagte er, als die beiden Männer herzutraten, »das ist der Entwurf eines Gemäldes, das ich für Messer Agostino Chigi bestimmt habe. Er will droben am Tiberufer eine Villa bauen, und ich habe übernommen sie ihm mit Fresken zu schmücken. Eine davon, so wünscht er, soll die Geschichte der Galathea darstellen ... wenn Ihr in der heidnischen Mythologie weniger erfahren seid, Fra Martino, so wird unser gelehrter Bischof hier desto gründlicher Auskunft geben können, wer Galathea war ...«

»Die Auskunft steht zu Dienst«, fiel der gelehrte Bischof und Bibliothekar ein. »Ihr müßt zuerst wissen, daß es der Galatheen drei gibt. Von der einen spricht uns Theokrit; sie ist eine junge lustige Sizilianerin, welche nach Polyphem's Schafen mit Äpfeln warf, um des Riesen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sein Verlangen zu erregen. Die zweite, die Galathea Lucian's, ist nicht just so keck und ausgelassen, aber eine hochmütige Dorfschönheit, die Geliebte Polyphem's, und sehr stolz auf die Eroberung des Riesen. Ganz anders die dritte, eine Nereide, von der Ovid's Metamorphosen erzählen; sie ist ein reizendes, in Leidenschaft entflammtes Weib, das den schönen Acis liebt und eines Tages, an seiner Seite ruhend, von dem ungeschlachten Riesen überrascht wird, der, von Eifersucht entbrannt, ein Felsstück auf den armen Acis schleudert, das ihn zerschmettert. Galathea aber, in tödlichem Schmerz, entflieht dem Riesen, sie stürzt sich in das Meer, um sich auf dessen Grund in ihres Erzeugers Nereus Haus zu retten.«

»Nun seht«, sagte Rafael, als Tommaso Inghirami geendet, »diese Zeichnung an. Wäre ich ein Heide, wie Ihr sagt, so hätte ich die sinnlich begehrliche Galathea des Theokrit oder die selbstbewußte, ihrer Schönheit frohe und hochmütige des Lucian vorgezogen und zu meiner Darstellung gewählt. Ich wählte die des Ovid, weil sie allein sich rein und keusch und sozusagen mit dem Inhalt einer Seele darstellen ließ, mit einer Seele voll eines schönen, veredelnden, menschlichen Schmerzes, dessen um den erschlagenen Geliebten. Dieser Schmerz gibt ihr das Heiligende, Verklärende, Keusche – so habe ich's wenigstens gemeint, gewollt; ich habe eine ideale Schönheit und ein Seelenwesen darstellen wollen, von dem ich am Ende doch nicht glaube, daß Ihr es bei den Heiden findet!«

»Und das«, fiel jetzt Tommaso Inghirami, die Zeichnung Rafaels betrachtend, ein, »habt Ihr meisterlich erreicht, Freund Rafael; diese nackte Schönheit, dieser unverhüllte blühende junge Leib mit dem edlen, wie klagend aufwärts blickenden Haupt ist über jedes Sinnenverlangen hinausgerückt, weil Ihr eine Seele in sie hineinzulegen wußtet, und wo eine Seele ist, da ist nicht mehr, was unser deutscher Frater Heidentum schilt. Es blickt aus Euren Werken Heidentum und Christentum heraus, die Formenschönheit des einen und die Seele, die Gemütstiefe, die der Welt doch wohl nicht ohne das Christentum gegeben wären. Innigkeit und Zerschmelzen in Gottesliebe und schwärmerisches Hinüberleben in das Jenseits haben schon Giotto und Fra Angelico darzustellen gewußt. Ihr aber habt es verstanden, das, wonach unsere Kunst seit einem Jahrhundert vielleicht schon ringt, was unsere Geister in ihrer freieren Bildung fordern, die freie schöne Form für das Seelenleben zu finden, und ihm, indem Ihr es in diese Form brachtet, das über die wahre Natur Hinausgezerrte, Verzerrte, zu nehmen ... Und so habt Ihr, scheint mir, durch die Verschmelzung der heidnischen Form und des christlichen Ideals unserer Zeit ihr höchstes Siegel aufgedrückt.«

»Ihr lobt mich zu viel, Monsignore«, sagte Rafael; »wär's so wie Ihr sagt, so müßte, denk' ich, auch unser deutscher Mönch hier zufrieden sein. Und doch hadert er mit mir!«

Bruder Martin stand schweigend in den Anblick der Zeichnung der Galathea versunken.

»Ich hadre mit Euch«, sagte er nun, »weil Ihr trotz allem, was dieser ehrwürdige Bischof von Christlichkeit spricht, nicht Gott dient. Es ist nichts von der Lehre in Euren Werken. Die Lehre aber ist unsere Geistessonne. Was hilft mir, daß Ihr von dieser Sonne ein wenig Licht vielleicht auf Eure Werke, ein wenig Wärme vielleicht in Eure Gestalten fallen lasset. Malt die Sonne selbst, wie sie in der Welt aufgeht und ihr leuchtet!«

»Die Mönche«, antwortete Rafael lächelnd, »haben zu viel Staub und häßliche Wolken gemacht vor der Sonne – man sieht sie nicht mehr.«

»Und wenn wir armen vielgescholtenen Mönche Euch diesen Staub und diese Wolken wieder entfernten, würdet Ihr sie dann malen?« fragte Bruder Martin wie kleinmütig.

»Ja, gebt Eurer Lehre, die jetzt nichts ist als eine Dressur gedankenloser Menschen, ihre Seele wieder; macht sie zur Lehre von der Liebe, die das Menschliche mit dem Göttlichen versöhnt und verschmilzt, vom Einssein des Menschlichen mit dem Göttlichen durch die Liebe, und ich will Euch Bilder für diese neue Lehre malen. Ich will Euch nicht mehr die bloße schöne Sinnenwelt malen, sondern Bilder, worin Erde und Jenseits sich begegnen: die Madonna, die Weib und doch auch Himmelskönigin ist; die Verklärung, die durch den menschlichen Leib Christi seine himmlische Natur strahlen läßt; Gott Vater selber, ein Mann wie Zeus, und doch der ewige Weltgeist und Allerbarmer ... An Eifer und Trieb zu solchen Gestalten wird es in mir nicht fehlen, sorgt Ihr nur dafür, daß Eure Sonne, über die Ihr so viel heilige Karwochen-Hungertücher und Schweißtücher der Veronika und anderes Lappenwerk gehängt habt, rein und hell werde und ich sie durch Eure Lehre hindurch erblicke.«

»Dann«, sagte Bruder Martin, ironisch lächelnd und doch mit einem Seufzer, »müssen wir freilich schon ein Herz fassen und sehen, was sich tun läßt, das »Lappenwerk« zu zerreißen und die Wolken zu vertreiben, die Euch die Sonne verdüstern.«

»Und so«, fiel der Bischof von Ragusa, seine Hand auf die Schulter des Mönchs legend, scherzend ein, »wird dies unser gelehrtes Gespräch noch die Wirkung haben, daß Ihr, mein eifriger Bruder Martin, in Euer querköpfiges und streitlustiges Deutschland zurückkehrt, und dort eine große Wolkenjagd, eine große Ausstäubung und Aufräumung in der Kirche beginnt, nur damit der Meister Santi hier frömmere und mystischere Bilder malen könne; und Meister Santi wird, wenn Ihr von der Sonne die Lappen gerissen und das reine Gotteswort wiederhergestellt habt und die Welt einen Umschwung zum Christlichen und zur gereinigten Lehre genommen, Euch Bilder dazu malen, wie sie die Welt nie gesehen, das Diesseits durch das Jenseits verklärt, das Jenseits plastisches Diesseits geworden! Es wird das freilich sehr schön und erbaulich werden, doch rate ich Euch, wirbelt bei Eurer Kirchensäuberung nur nicht zu viel Staub auf! Ihr könntet viel zu schlucken bekommen! Bis zum Ersticken viel.«

»Ihr scherzt«, versetzte Bruder Martin, die Hände über der Brust verschlingend, und sein Feuerauge auf Rafael richtend. »Mir aber kommt im Ernst das Gefühl, als könnten ein paar rechte Männer der Welt von heute einen großen Dienst leisten. Die Welt von heute bedarf der Männer!«

Tommaso Inghirami hörte auf diese erregt ausgesprochenen Worte nicht mehr, ebensowenig wie er ahnte, welche Erfüllung seinen scherzhaft hingeworfenen Worten werden sollte. Denn wie der einfache Bruder Martin, der da vor ihm stand, über die Alpen gehen würde, um in der Tat der Welt einen »großen Dienst« zu leisten, konnte er nicht voraussehen. Er konnte nicht voraussehen, wie dieser Dienst, die Zurückführung der Welt zu einer tieferen und innerlicheren Auffassung der Lehre des Christentums, der ganze Umschwung im Empfinden und Denken, der so rasch auch in Italien auf jenen »Dienst« folgen sollte, auf den großen Meister von Urbino wirken würde, dessen Wendung nach dem Visionären, nach den Verklärungen, nach Werken wie die Sixtinische Madonna, die Vision des Ezechiel, die heilige Cäcilia, der Spasimo di Sicilia usw. doch wohl im innerlichen Zusammenhange steht mit der neuen Weltströmung, in die Luther die Gemüter der Menschen riß; mit jenen Analogien des Protestantismus, die um dieselbe Zeit Sannazar ein Gedicht de partu virginis schreiben und die berühmtesten Humanisten, wie Bembo, Sadolet, Contarini, eine Bruderschaft, ein Oratorio del divino amore stiften ließen, zu der vielleicht auch Rafael selber gehörte, so daß man sagen könnte, Rafael sei ein Heide gewesen und ein protestantischer Christ geworden.

Tommaso Inghirami, wie gesagt, hatte Bruder Martins Antwort nicht mehr gehört; er hatte sich eben gewendet und seinen goldverzierten Hut genommen, um zu gehen, als in das Atelier Margarita trat, begleitet von einem jungen Mädchen fremdländischen Aussehens, das ein Papier in der Hand trug.

»Das Mädchen will sich nicht abhalten lassen zu Euch einzudringen, Signori«, sagte die Fornarina; »sie behauptet, sie habe Wichtiges an einen der Herren auszurichten und ihm einen Brief, der keinen Aufschub dulde, zu geben.«

»Verzeiht, daß ich mich eindränge«, sagte in ihrem deutsch betonten Italienisch das erhitzt und aufgeregt aussehende junge Mädchen, das niemand anders als Irmgard war; »ich habe einen Brief an den Bruder Martin ... Ihr seid es wohl«, fügte sie dem Letzteren nähertretend hinzu. »Da ist der Brief, er kommt vom Grafen Egino von Ortenburg; er ward zur Bestellung in sein Quartier gebracht und sollte rasch befördert werden ... das schien mir beunruhigend; gewiß enthält der Brief nichts Gutes, ich bitte Euch, lest ihn, lest!«

Bruder Martin sah ein wenig überrascht das junge Mädchen an, das mit so drängender Hast ihm das Schreiben hinhielt, dann nahm er dies, öffnete und durchflog es, während Irmgard ängstlich in seinen Zügen las.

»Es steht eine seltsame Kunde in dem Briefe«, sagte Bruder Martin. »Graf Egino hat ein wundersames Abenteuer erlebt; er hat sich in ein Kloster zurückgezogen und hat in dessen Nachbarschaft einen – nun, sagen wir, er hätte unerwartet einen großen Schatz, ein Kleinod aus alter Zeit, an das die Menschen nicht mehr dachten, gefunden. Ich soll augenblicklich kommen, um ihn zu sehen, diesen Schatz und ihn mit ihm zu verehren.«

»Und das, das ist alles?« fiel Irmgard aufatmend ins Wort.

»Alles? Ist es nicht genug?«

»Ich dachte nur, es könne ihm ein Unfall zugestoßen, er könne unter böse Menschen geraten sein ...«

»Davon, mein Kind, steht nichts im Briefe und Du magst Dich beruhigen«, antwortete Bruder Martin. »Wie ward es Dir möglich, mich hier aufzufinden?«

»In Eurem Kloster sagte man mir, Ihr seiet nach der Bücherei des Papstes gegangen und als ich diese auffand und an die Tür pochte, öffnete mir ein Diener, der mir antwortete, ein deutscher Frater, wie ich ihn suche, sei mit dem Bischof von Ragusa fortgegangen und dieser habe zurückgelassen, daß er zum Meister Rafael Santi gehe. So fragte ich mich hieher.«

»Also hast Du tüchtige Wege gemacht in Deiner Sorge um diesen jungen Grafen Ortenburg«, erwiderte Bruder Martin, sie fixierend.

Während sie bei diesem Blicke höher errötete, legte Rafael die Hand leise auf ihre Schulter.

»Und da Du nun so beruhigt bist, junge Donna, so laß mich Dir einmal ins Auge schauen!«

»Was wollt Ihr von mir?« antwortete Irmgard fast barsch, sich dem Maler zuwendend, der sie scharf und, wie ihr schien, unverschämt musterte.

»Du mußt wissen«, entgegnete Rafael lächelnd, »Du bist hier in etwas wie eine Löwenhöhle geraten, aus der ein Geschöpf, das die Natur bildete wie Dich und das ein Antlitz hat wie das Deine, nicht sobald wieder entlassen wird. Ich werde diese beiden ehrwürdigen Herren da fortschicken und Dich bei mir behalten.«

Irmgard trat erschrocken zurück und rief zornig aus:

»Das ist ein häßlicher Scherz, den Ihr Euch erlaubt.«

»Kein Scherz, da ich Dich zeichnen will! Wo fände ich je wieder solch ein zierlich Urbild blonden deutschen Jungfrauentums? Bist Du nun beruhigt?«

»Ich bin nicht gekommen, um mich zeichnen zu lassen!« antwortete Irmgard stolz und gereizt.

Rafael und Tommaso Inghirami lachten.

»Und weshalb nicht?« rief der Letztere aus. »Du mußt wissen, stolze und spröde Jungfrau, daß Fürstinnen und Kardinäle eitel darauf sind von der Hand dieses Meisters gezeichnet und auf seinen Tafeln verewigt zu werden.«

»Und ich«, sagte Irmgard, »bin viel zu wenig eitel, um solchen erlauchten Personen, auch nur auf den Tafeln dieses Meisters den Platz nehmen zu wollen.«

»Du willst in der Tat nicht?« rief Rafael aus. »Auch wenn ich Dir sage, daß ich es wünsche, daß ich Dir dankbar sein, daß ich Dich, womit Du willst, belohnen werde?«

Irmgard schüttelte sehr energisch den Kopf und sich an Bruder Martin wendend, sagte sie:

»Ich kenne den Weg zum Grafen von Ortenburg; wenn Ihr Euch von mir führen lassen wollt, ehrwürdiger Bruder, so bin ich bereit; ich möchte gehen.«

»Du willst gehen«, fragte Tommaso Inghirami, »bevor Du noch in diesem Raume Dich umgeschaut, noch einen Blick auf diese Zeichnungen, diese Arbeiten geworfen? Weißt Du, in wessen Mannes Hause Du bist?«

»In eines Malers Haus – und ich bin es nicht zum erstenmale«, antwortete Irmgard kühl; »daheim in Ulm war solch ein Schilderer unser Nachbar. Ich sah gar oft sein Gebahren mit den Farben und den Pinseln, wenn er Heilige für die Stationen in der Kirche oder weiße Rosse und goldene Löwen für die Herbergsschilder malte.«

Die drei Männer lachten herzlich.

»Ihr seht, wie unerbittlich sie ist und müßt sie schon mit mir gehen lassen«, sagte Bruder Martin.

Dann nahm er von dem Bischof und mit einem warmen Händedruck von dem Meister Abschied und entfernte sich mit dem jungen Mädchen, das seine Führung übernommen.

»Nun seht da des Künstlers Lohn, Monsignore Phädra«, rief Rafael, als sie gegangen waren, aufseufzend aus. »Diesem Mönch ist all mein Arbeiten nur ein Ärgernis, weil ich nicht orthodox male, und diese Dirne wirft mich zusammen mit ihrem Nachbar, der Herbergsschilder malt! Ist's nicht demütigend? Wahrhaftig, ich will Euch bitten zu unserem heiligen Vater zu gehen und ihn zu fragen, ob nicht irgend ein Bistum in der Gegend von Ragusa erledigt sei, womit er mich versorgen könne!«

»Weshalb nicht?« antwortete Monsignore Phädra ... »ein Mann wie Ihr verdiente nicht ein Bistum, sondern einen Kardinalshut.«

»Ich bin mit weniger zufrieden«, versetzte lächelnd der Maler, »und wenn Ihr's mir erwirkt, will ich Euch zum Lohne die erste schöne Kunstarbeit zuwenden, die ich bei unseren Ausgrabungen entdecke.«

»Es wäre das ein Geschäft!« fiel lachend Inghirami ein, »irgend eine schöne Venus, Diana oder Leda für einen Kardinalshut.«

»Es ist mein Ernst«, fuhr ebenfalls lächelnd Rafael fort, »ich lasse in den nächsten Tagen Ausgrabungen an einem noch undurchforschten Orte beginnen und hoffe Wunderdinge da zu finden.«

»Ach, bleibt in Eurer Werkstatt, Meister«, sagte der Bischof, sich zum Gehen anschickend, »und wenn's auch nur Herbergsschilder wären, was Ihr malet, Ihr wäret doch glücklicher da, als wenn Ihr im violetten oder roten Rock einhergehen und nichts tun solltet. Keine saurere Arbeit als der Genuß, der Arbeit wird. Auch müßt Ihr Euren Pinsel in Bereitschaft halten, um Euer Wort gegen diesen deutschen Mönch zu lösen, denn vielleicht löst er, wie ein Wundertäter das seine. Der Mann hat in seinem Auge etwas, das an den großen Girolamo mahnt; nur ist's heller, man fürchtet sich nicht davor. – Und nun gehabt Euch wohl, teurer Meister; habt Ihr die neueste Hofnachricht erfahren, daß Fabricio Colonna, der wackere Feldhauptmann, der einst Alfonso von Ferrara's Kriegsgefangener war und in dieser Gefangenschaft sein Freund wurde, Alfonso den Frieden bei unserer Heiligkeit ausgewirkt hat, und daß dieser an unserem Hofe erscheinen wird?«

»Ich erfuhr es und freue mich den edlen kunstliebenden Herzog hier begrüßen und ihm huldigen zu können! Vielleicht auch ist Messer Ludovico in seinem Gefolge ...«

»Schwerlich«, fiel lächelnd der Bischof ein; »Messer Ludovico hat unsers heiligen Vaters Antlitz einmal zu sehen bekommen und verlangt nicht nach dem zweiten Male!«

»In der Tat, ich vergaß es«, erwiderte leicht auflachend Rafael.

»Also – auf Wiedersehen, geliebter Freund«, sagte Monsignore Phädra und reichte Rafael die Hand zum Abschied.


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