Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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17. Hohe Ahnen.

Egino hatte sich erhoben und ihrem Befehl gehorcht.

»Glaubt Ihr«, sagte sie, »als Padre Eustachio mir sein seltsames Begehren vortrug, ich solle einem fremden Mann Erklärungen geben, da hätte ich ihn Euch zu mir führen heißen, wenn er nicht den Namen Ortenburg genannt und dieser Name nicht der eines treuen Vasallengeschlechts meines HausesNach der gewöhnlichen Annahme erlosch das Hohenstaufensche Geschlecht mit Conradin 1268 und den Kindern König Manfreds. In der Tat aber hatte König Manfreds jüngerer Bruder Friedrich Nachkommen, die sich noch mehrere Jahrhunderte hindurch verfolgen lassen. gewesen wäre? Und nun sehe ich, Ihr habt Euch den Namen nicht ohne ein Recht zugelegt; ich sehe, daß Ihr Eurer Väter wert seid und ein treues Blut in Euch ist.«

»Ich weiß aus der Geschichte meiner Vorfahren, daß wir Eurem Hause Alles verdanken«, antwortete Egino. »Aber nicht das ist es, was mich so ergreift in diesem Augenblick, was mich so erschüttert und durchstürmt bei diesem Unverhofftesten, das je in mein Leben getreten. Ich sehe den Glanz des erlauchtesten Geschlechts und lichtumflossener Ahnen vor mir aufleuchten in Euch, in Euch, Madonna...«

»Laßt, laßt«, unterbrach Corradina ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung, »laßt mich beiseite und sprecht mir von Euch, von Eurem, von unserem Lande, von Deutschland. Ist die Erinnerung und die Überlieferung dort noch lebendig von dem, was einst gewesen, als noch das Reich...«

»Als das Reich noch die Welt, die geordnete Welt und der Allumfang der christlichen Menschheit war und Euer Geschlecht der Hort und der Hüter seiner Größe – o gewiß ist die Überlieferung davon noch lebendig! Sie läßt Euren Ahnherrn, den Rotbart, im Berge schlafen, aber sie selbst schläft nicht, sie kann und darf dem deutschen Volke nie verloren gehen, denn darin liegt ja sein ewiges Anrecht auf seinen Kaiserrang unter den Nationen, die ewige Mahnung an seine Pflicht vor den anderen Völkern auf der Bahn, die zu den Zielen der Menschheit führt, einherzuschreiten.«

Auf Corradinas Züge trat ein stilles Leuchten von Glück, als Egino so sprach. Sie atmete rascher und mit ihrem großen Blick ihn ansehend, sagte sie:

»Und man spricht noch von den Hohenstaufen?«

»Die Hohenstaufen! O glaubt mir, der Name hat einen Zauberklang in jeder deutschen Burg, in jedem Hause, in jeder Brust. Er stürmt einen Flug von Gedanken in uns auf, die wie Adler sind und über die Länder der Erde fliegen; er zaubert Bilder hervor von der Kraft gewaltiger Männer, die mit den Fesseln geistiger Knechtschaft ringen; er weckt ein Klingen und Tönen um uns her, als ob die goldenen Saiten wieder zu schwirren begännen, zu deren Klang die Sänger Barbarossas und Friedrichs von hoher Rittertat und Frauenliebe sangen, auf jenen Hochfesten im goldenen Mainz, am Strand des deutschen Stromes, oder in den Burgen Siziliens, am Ufer des blauen Mittellandmeeres; o, der Klang dieses Namens tönt uns entgegen wie das Rauschen, das durch die Wipfel deutscher Bergwälder mit alten Götterstimmen fährt; er webt den Sonnenglanz Siziliens um uns, er wirft uns den Blütenduft der Concha d'oro zu und sein Zauber baut vor uns die hohen Dome der Heimat auf – für ewig steht der Name der Hohenstaufen in den Grundstein eingehauen, über dem sich der Wunderbau des deutschen Gemüts erhebt!«

Corradina war aufgestanden; mit einer raschen Bewegung hatte sie beide Hände Eginos ergriffen und rief aus:

»Das, das macht Euch mir verbündet, Graf Ortenburg. Nicht Euer törichtes Begehren Euch in meine Lage drängen, den Ritter einer unterdrückten Frau, für die Ihr mich zu halten scheint, spielen zu wollen... aber diese Worte tun es, diese Worte und das Gefühl, aus dem sie quellen, machen mich glücklich ...«

»Und wie kann Euch mein Gefühl glücklich machen«, fiel Egino, ihre beide Hände fassend, ein, »wenn dies Gefühl für Euch, für Eure Verhältnisse nichts soll sein dürfen, Ihr keinen Dienst...«

»Ich bedarf Eures Dienstes nicht«, sagte sie, ihm die Hände rasch entziehend und sich wie plötzlich erkaltet abwendend.

»Verzeiht, wenn ich nicht daran glauben kann. Ein Weib, so jung, so schön, so hochdenkend und so warmfühlend wie Ihr, kann nicht gezwungen werden zu etwas, was Ihr doch nur gezwungen tatet, ohne –«

»Ich ließ mich nicht zwingen!« unterbrach sie ihn abermals, stolz das Haupt zurückwerfend. »Der tote Luca war – meine Wahl!«

»Unmöglich!« fuhr Egino auf.

»Und doch ist es so. Er war meine freie Wahl!«

»Ihr hättet wirklich ungezwungen einem Toten Eure Hand gegeben?«

»So tat ich – um für immer – doch was geht es Euch an!«

»Und dann«, rief Egino, »dann lastet nicht schwer wie ein Verbrechen auf Eurer Seele dieser entsetzliche Selbstmord, dieser Frevel an Eurer Freiheit, Eurem Leben, dies Gaukelspiel – verzeiht, der Eifer reißt mich hin –«

»Sprecht nur, sprecht. Ihr glaubt, ich hätte damit ein Verbrechen begangen? Ich leugne es. Ich weiß, was ich meinem Namen schulde. Ihr werft mir eine Gaukelei vor...«

»Ja, Ihr habt das Wichtigste, Ernsteste, Heiligste, den Schwur des Weibes vor dem Altare, zum Spott gemacht. Diese dunkle Witwentracht, ohne daß Ihr je eines Mannes Weib wäret, dieser Name der Savelli, den Ihr tragt, sind sie etwas anderes als eine Lüge, als eine falsche Maske...«

»Ich habe«, entgegnete Corradina ruhig, »mit Padre Eustachio darüber gesprochen, er ist mein Beichtvater. Und«, setzte sie mit einem Anflug milden Lächelns hinzu, »sollte er nicht ein besserer Richter darüber sein als ein junger deutscher Graf, der in Bologna wohl nicht Gottesgelahrtheit studierte?«

»Ob ein welscher Mönch ein besserer Richter sei als ein ehrliches deutsches Gewissen, fragt Ihr, hohe Frau? O gewiß, gewiß nicht! Und wenn Euch dabei von soviel Gewicht die Gottesgelahrtheit zu sein scheint, wohl denn, deutsche Gottesgelahrtheit wird sicherlich fühlen, urteilen, richten wie ich; wolltet Ihr es auf die Probe ankommen lassen, ich würde Euch einen deutschen Gottesgelehrten stellen, der es Euch bewiese. O hätte ich Bruder Martins Geist und seine Beredtsamkeit, um Euch zu sagen, was mich in Eurem Handeln empört, um Euch diese Maske ruhiger Zufriedenheit, die ihr mir zeigt, zu entreißen, um Euch dem Leben wiederzugewinnen, dem Ihr entsagtet – ich möchte seine Zunge besitzen...«

»Um mir eine Strafrede zu halten?« fiel Corradina in mildem Tone lächelnd ein. »Wer ist denn dieser beredte Bruder Martin?«

»Ein deutscher Mönch, ein wenig mein Freund und ein Mann wie ein Apostel.«

»Ein Mönch und dabei ein Apostel?« warf sie mit einem Achselzucken dazwischen.

»So sagt' ich, und wenn Ihr ihn hörtet, ihn sähet mit seinem blitzenden Auge...«

»Weshalb sollt' ich ihn nicht sehen? Ich habe nichts dawider. Bringt mir den Apostel; einen Apostel darf ein junges Weib über sich richten lassen, nicht einen jungen Ritter. Doch mögt Ihr dem Gericht beiwohnen und mich absolvieren hören. Um aufrichtig zu sein, wenn ich nicht Lust habe mich vor Euch zu verteidigen, so gebe ich doch ein wenig darauf vor Euch freigesprochen zu werden und gerechtfertigt zu sein. Und nun gehabt Euch wohl. Es ist besser, daß diese Unterredung jetzt endet. Kommt mit ihm, Eurem Wunder von Mönch, morgen, so Ihr wollt, um diese Stunde. Da er ein Ordensmann ist, wird ihm das Kloster von Santa Sabina ja offen stehen und das Geleit Eures Apostels werden die Mönche Euch sicherlich verstatten... wenn Ihr sagt, ich wünsche es! Gott behüte Euch!«

Sie reichte ihm nochmals die Hand, die er an sein Herz drückte.

»Ich gehe, glücklich, daß ich das Recht habe, das unantastbare Recht, als ein Ortenburg Euer Vasall und Dienstmann zu sein für ewig!«

Ein kühles Lächeln, ein kurzes Kopfnicken antwortete auf diesen Ausruf Eginos.

Egino ging.

Auf der Terrasse draußen war Padre Eustachio verschwunden. Egino fand ihn erst drüben im Garten des Klosters wieder.

»Und nun?« fragte ihn der Mönch, aus einem der Gänge auf ihn zuschreitend. »Seid Ihr beruhigt über Eure Gewissensskrupel?«

»Nicht ganz«, antwortete Egino, »doch soll ich es morgen werden. Bis morgen werdet Ihr mich also schon hier in Euren Mauern als Gast dulden müssen und einem deutschen Mönch erlauben mit mir denselben Weg zu machen, den ich heute ging.«

»Einem deutschen Mönch? – Weshalb? Wozu?«

»Weil er mein Freund ist.« Der Exerzitienmeister sah ihn an, nicht angenehm überrascht, wie es schien. Dann sagte er:

»Wenn es die Contessa Corradina wünscht – was könnten wir dawider haben?«

»Sie wünscht es.«

Der Exerzitienmeister nickte blos mit dem Kopfe und wendete sich den nächsten Gang hinunter zu schreiten, doch nach zwei Schritten sich umkehrend, aber Eginos Blick vermeidend, sagte er leise und mit einer eigentümlich ernsten Betonung:

»Signore Conte, ich habe getan für Euch mehr als ich durfte. Ich habe gegen meine Oberen geschwiegen, als ich Eure Absicht durchschaute; ich habe Euch Gelegenheit gegeben Euch zu beruhigen über das, was Ihr als auf Eurem Gewissen lastend vorgabt. Auch habe ich Euch gewarnt, nicht... Mangel an Ehrfurcht zu zeigen wider San Dominikos Söhne... jetzt warne ich Euch noch einmal. Verlaßt das Kloster und vergesset die Dame Corradina Savelli!«

»Sie hat mich geheißen zu ihr zurückzukehren«, versetzte Egino trotzig, »daran werdet Ihr mich nicht hindern wollen; ich denke Mangel an Ehrfurcht gegen eine Savelli stände San Dominikos Mönchen ebenso schlecht an, wie mir der Mangel an Ehrfurcht wider San Dominikos Mönche. Und so werde ich bleiben, wenn Ihr mich anders nicht austreibt und mich zwingt mir den Weg zu ihr durch ihre Burg, durch das offene Portal da drüben zu bahnen.«

»Was Euch doch schwer fallen würde«, antwortete Eustachio zu Boden blickend. »Doch, wie Ihr wollt! Gelobt sei Jesus Christus!« Der Mönch schritt langsam weiter.

Egino begab sich in seine Zelle, um einen Brief an den Bruder Martin im Kloster der Augustiner an Santa Maria del Popolo zu schreiben. Als er ihn vollendet, gab er ihn mit einem Geldgeschenke an seinen Laienbruder, daß dieser ihn in seine Wohnung im Albergo del Drago sende, wo Götz damit den Bruder Martin aufsuchen solle. Alessio versprach es wohl zu besorgen.


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