Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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26. Chi lo sà?

Während Irmgard so das Geplauder Beppos anhörte und in ihrem Kummer die Welt wie vom Schicksal in zwei Hälften geschieden, eine dunkle unterirdische für den armen Mühsalbeladenen, und eine helle sonnige Oberwelt für den mit dem »Vorrecht« Geborenen erblickte, ahnte sie nicht, daß sie unter diesen mit dem Vorrecht Geborenen, in einer stolzen Fürstenburg Wohnenden eine Schwester durch den Schmerz habe.

Corradina saß so vereinsamt, so von Kummer erfüllt, wie in ihrem dürftigen Gärtchen Irmgard, auf dem hochragenden, den Blick auf die ewige Stadt bietenden und wie es beherrschenden Balkone des Savellerhauses.

Und fühlte Irmgard zu dem Schmerz um Eginos Schicksal, zu der Sorge um ihn noch auf ihrem Herzen den Druck des bitteren Vorwurfs, den ihr Gewissen ihr machte – Corradina fühlte zu ihrer Sorge um den Verschwundenen den Druck der Beängstigung um sich selbst, um das eigene Schicksal!

Der Schmerz des Fürstenkindes war kein geringerer, als der des armen Mädchens aus dem Volke.

Sie saß auf dem Balkon neben dem kleinen Arbeitstische; auf demselben lag ein kleines Buch mit eng vollgeschriebenen Pergamentblättern, gebunden in zierlich gearbeitete Decken von glänzendem Metall; sie hatte eben darin gelesen, die Fingerspitzen ihrer rechten Hand lagen noch, um es aufgeschlagen zu erhalten, auf dem unteren Rande; aber sie blickte über die Blätter fort – was sie gelesen mußte tief und angestrengt ihren Geist beschäftigen.

Wie aus ihren Gedanken auffahrend, schlug sie dann das Buch zusammen und schob es von sich.

»Wenn sich ein Mann fände«, flüsterte sie dabei tief aufseufzend, »ein Mann für dieses Buch! Sie suchen den Stein der Weisen und hier, hier ist er, der Stein für einen Weisen; aber wo ist der Weise für ihn, wo die Schleuder, kräftig genug diesen Stein dem Goliath an den Kopf zu schleudern? Wo die Hand, stark genug diese furchtbare Waffe, die mein Ahnherr schmiedete, zu führen! Soll sie nie zu weiterem dienen, als in die Seele eines jungen Mädchens den Zorn zu gießen und durch den Zorn ihr Kraft zu geben?«

»Kraft, Kraft! Ach wie bedarf ich ihrer! Und wie lange wird die, welche in mir ist, reichen, aushalten, um mich aufrecht zu halten!«

Diese Worte, die leise und wie klagend über Corradinas Lippen kamen, wurden heute von ihr zum ersten Male ausgesprochen; und das Gefühl, welches sie ausdrückten, war seit einigen Tagen zum ersten Male in ihre Seele gekommen.

Etwas wie ein trutziger Stolz, wie ein hohes Bewußtsein sowohl, als das Zusammenleben ihrer Phantasie mit Gestalten der Vergangenheit hatten ihr diese Gedanken bisher ferngehalten. Sie hatte nicht verzagen können, wenn sie sich gesagt, daß die Männer und Frauen, deren Blut in ihr rollte, in so unendlich größeren und schwereren Kämpfen gestanden.

Heute hatten solche Betrachtungen nicht mehr die stählende Kraft für sie, wie früher.

Der Ring persönlicher Sorgen, die ihr unmittelbar ans Herz greifende Angst, legte sich zu schwer auf sie, um durch die Gestalten der Ferne und der Vergangenheit, mochte ihre Phantasie sich noch so viel mit ihnen beschäftigt, sie ihr noch so nahe gerückt haben, von ihr genommen werden zu können. Was waren alle toten hohen Ahnen gegen die lebendig atmende, ihr so nahe Gestalt eines jungen Mannes, der mit tollkühner Unerschrockenheit sich ihretwegen in eine Gefahr gestürzt, ehe er nur einen Augenblick Zeit genommen an die Größe dieser Gefahr zu denken.

Sie dachte an die Schar von Männern, die von ihrem Reichtum oder ihrer Schönheit gelockt, um sie geworben hatten; indem sie über sie alle mit einer Miene der Verachtung die Lippen kräuselte, fühlte sie eine Art von Stolz auf diesen Deutschen, den sie wie einen Landsmann betrachtete, eine Art von Stolz auf seine Neigung, die sich so ritterlich bewährt hatte.

Egino von Ortenburg stand ihrem Herzen nicht näher als irgendein anderer Mann. Eine so rasche Hingabe wäre diesem Herzen unmöglich gewesen. Ihr Blick wäre, wenn sie ihn zum ersten Male in einer Zusammenkunft unter anderen Menschen gesehen, kalt über ihn weggeglitten. Aber seine Wärme, sein Erglühen für Gedanken, die eben so in ihrer Seele lagen, hatten ihr ein Gefühl von Schwesterlichkeit für ihn eingeflößt, von starker und opfermutiger Freundschaft; und jetzt, wo sein Handeln auf ihre Phantasie gewirkt, wo seine Lage ihre ganze ängstlich bekümmerte Frauenanteilnahme erweckt, dachte sie mehr an ihn, als an jeden anderen Menschen auf Erden.

Mit einer unendlichen Erleichterung hatte sie von Livio erfahren, daß die Mönche drüben Egino ihren Verwandten nicht ausgeliefert. Sie hatte Padre Eustachio zu sich herüberholen lassen und versucht von ihm Kunde über Eginos weiteres Schicksal zu erhalten. Eustachio war darüber schweigsam gewesen; er hatte nichts angeben wollen oder können, als daß fürs erste wider Egino nichts vorgenommen werden könne, da er zu schwer verwundet sei; auch hatte er Corradina in seiner strengen, aber im Grunde des Herzens nicht harten und lieblosen Art zu trösten und zu beruhigen gesucht. Sie hoffte auf Eustachio, hatte er sich doch gleich von vornherein auffallend mild und schonungsvoll gegen Egino betragen – hätte der Mann nicht seine mönchischen Glaubensvorstellungen gehabt, es wäre etwas Menschliches und Freies in ihm gewesen.

Doch reichten Eustachios Worte nicht hin Corradina so zu beschwichtigen, daß sie sich zu stiller Untätigkeit hätte bewegen lassen. Mit Plänen und Gedanken, wie dem Gefangenen zu helfen, wie ihn zu retten, zermarterte sie sich das Hirn. Von ihren Dienstleuten konnte sie keinem trauen: Sie wußte das. Sie dachte daran Livios Gattin, Cornelia Savelli, ins Vertrauen zu ziehen. War es nicht möglich, daß diese eine Befriedigung darin fand den deutschen Ritter dem Hasse ihres Gatten zu entziehen, seiner Rachsucht einen Streich zu spielen? Corradina kannte Cornelia zu gut, um es nicht wahrscheinlich zu finden; aber wenn sie dieser Cornelia von dem Deutschen sprach, so wußte sie auch, daß Cornelia an ihre Liebe zu dem Deutschen glauben werde, sie sah im Geiste schon die Augen dieser leichtsinnigen Frau spottend auf ihr liegen. – Corradinas Stolz empörte sich bei dieser Vorstellung aufs heftigste und so entging ihr der Mut zu einem solchen Entschluß.

Sie hatte versucht ihre Leibdienerin, die sie dem Herzog und Livio verkauft wußte, durch Gold und Zusage größerer Vorteile für sich zu erkaufen. Sie hatte darauf die schönsten Versprechungen erhalten. Und in der Tat, diese Frau hatte ihr wenigstens Nachrichten zu bringen gewußt, die Corradina für wahr halten mußte.

Teresa trat eben jetzt wieder durch die Fenstertür auf den Balkon, mit einem Gesichte, als ob sie Wichtiges zu melden habe.

»Was bringst Du, Teresa, was erfuhrst Du?« fragte Corradina erregt, »Gutes oder Schlimmes?«

»Eh«, versetzte das Mädchen, »wer weiß es! Ich erfuhr, daß Graf Livio mit seinem Diener Sor Antonio in die Gewölbe und Kellerräume unter uns hinabgestiegen ist, und daß sie lange da geweilt haben.«

»Ah«, sagte Corradina, »mir scheint, das bedeutet klar genug das Schlimmste. Denn was kann Graf Livio da wollen, als sich in den Gewölben und Verließen nach einem Kerker für jenen unglücklichen Deutschen umsehen – vielleicht ist er genesen und die Mönche zeigen sich bereit ihn auszuliefern ...«

Teresa schüttelte den Kopf.

»Möglich, möglich«, sagte sie ... »aber ich glaube nicht daran, daß die Mönche ihn ausliefern; er soll ein Ketzer sein, hat Fra Alessio mir anvertraut und dann dürfen sie ihn nicht ausliefern, die Ketzer gehören ihrem Orden, Madonna.«

»Aber was glaubst Du, Teresa, was Graf Livio sonst bewogen da hinabzusteigen?«

Teresa dämpfte ihre Stimme bis zum Flüstern:

»Die Gewölbe unten stoßen an die Gewölbe unter dem Kloster, worin die Gefängnisse sind.«

»Sie stoßen daran? Aber sie werden doch getrennt sein durch dicke Mauern?«

Teresa zuckte die Achseln.

»Chi lo sà? Wer weiß es«, versetzte sie, »ob Graf Livio die Mauern, welche sie trennen, so dick findet, daß sie ihn hindern hindurchzugelangen, falls er es will!«

Corradina, deren Antlitz allmählich bleicher geworden war, schwieg eine Weile. Dann sagte sie:

»Aber was könnte es ihm helfen hindurchzudringen, Teresa, Du hast mir ja versichert von Fra Alessio erfahren zu haben, daß Graf Egino nicht in dieser untersten Kerkerregion gefangen liege, sondern in einer höheren Zelle mit gutem Licht und guter Luft, und daß ihn der Padre Infirmario wohl verpflege?«

»So ist es, so ist es – Fra Alessio sagt so«, fiel Teresa ein. »Aber kann ich wissen, ob Fra Alessio die Wahrheit sagt? Und ob, wenn der Deutsche vielleicht geheilt ist, sie ihn nicht in schlimmere Kerker, vielleicht gar in die Kapelle der Muraten bringen wollen? Sagen sie uns die Wahrheit in solchen Dingen?«

»Du hast recht«, versetzte Corradina mit zitternder Lippe und ihre Sorge namenlos gesteigert fühlend.

»Und dann«, fuhr Teresa fort, »muß ich Euch gestehen, daß ich gestern auch diesen Fra Alessio in einer geheimen Zwiesprache mit Sor Antonio drüben im Klostergarten sah. So sah ich sie; sie saßen unter dem Ölbaum des heiligen Dominikus drüben und verhandelten gar eifrig mit einander. Wissen wir nun, ob uns Alessio sagt, was aus ihm kommt, oder was ihm von Sor Antonio eingegeben ist?«

»Glaubst Du das, Teresa?«

Teresa zuckte die Schulter.

»So daß wir so gut wie gar nichts müßten?«

»Wenn nicht das, was Alessio sagte, auch das Wahrscheinlichste wäre, ich würde es denken.«

»Und Eustachio hat mich ja auch dasselbe vermuten lassen«, sagte Corradina.

Teresa nickte; und da sie nichts Weiteres zu berichten wußte, ging sie, um wo möglich im Stillen auszukundschaften, was Graf Livio in den unteren Regionen der Burg vorgenommen. Sie ließ Corradina in größerer Pein und Sorge zurück. Die junge Frau zermarterte ihr Hirn mit Gedanken und Plänen, wie Egino zu retten und unter allen war doch keiner, der nur entfernt eine Hoffnung des Gelingens enthielt.

Nach einer Weile schlug sie beide Hände vor das Gesicht und machte dann eine Bewegung mit diesen Händen, wie um etwas fortzuweisen, wie ein Bild der Phantasie abzuwehren und dabei war es, als ob ein leiser Schauder durch ihre Gestalt ziehe.

»Fort damit, fort!« flüsterte sie dabei. »Warum drängt sich diese entsetzliche Gestalt mir auf! Freilich, durch ihn, durch ihn wär's möglich! Durch diesen Kardinal Riario! Er würde helfen! Aber könnt' ich je so tief sinken? Würde Egino selbst es wollen, daß ich um seinetwillen so tief mich demütigte?«

»Und doch ... doch, weshalb bin ich nicht erzogen zu solcher Demut, solcher Taubensanftmut! Auf diesem Wege könnte die Rettung liegen für den Deutschen und mich. Wenn ich die Lippen öffnen könnte vor Riario und mein Herz klar legen vor Egino – ich würde glücklich sein – mit dem Geretteten könnte ich fliehen in eine bessere, edlere, friedfertige Welt: vor mir läge eine Zukunft, ein Leben mit Hoffnungen, mit Bildern künftigen Glückes darin! Und jetzt, jetzt liegt vor mir das Dunkel und das Grauen vor dem neuen kommenden Tage und was er bringen mag!

»Aber ich kann nicht anders! Ich kann mich nicht erniedrigen, und wenn ich's könnte, ich könnte es nicht so sehr, daß ich's je vergäße, daß ich mich erniedrigt und ich müßte mich selbst hassen darum.

»So muß das Schicksal getragen werden, bis es Gott gefällt es zu wenden und Erbarmen mit einer Seele zu haben, die so ist, wie er sie schuf! Und sehr, sehr unselig dadurch!«


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