Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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4. Parva domus; magna quies.

Graf Egino hatte den Weg abwärts am Tiber entlang eingeschlagen; am Fuße der schroff sich erhebenden Tufsteinhöhen zu seiner Linken, ritt er auf dem schönen Rappen von edelster Zucht, der ihn trug, dahin. Rechts von ihm erhoben sich die Bogen der Milvischen, noch mit einem festen Turme gesicherten Brücke über den gelben Fluten, die geschwellt unter ihnen fortrauschten. Als er sie und damit den alten Flaminischen Weg erreicht hatte, folgte Egino, sich links wieder der Stadt zuwendend, diesem. Er war belebt von Fußgängern, von lässigen Burschen, die auf Eseln saßen, im Schatten eines über ihren Köpfen erfinderisch an dem Sattel aufgebauten dreieckigen Daches von alter schmutziger Leinewand; von Weibern mit Kindern an der Hand und langen Cannabündeln auf den Köpfen; von Pilgrimen, Reitern, von Bauern der Campagna, welche schwerfällige Büffel vor schwerfälligen Wagen führten und mit langen stachelbewehrten Stecken antrieben. Das alles lärmte, schrie und regte eine Wolke von Staub auf, der sich Egino nicht ausgesetzt haben würde, wenn sein nächstes Ziel nicht an dieser Via Flaminia gelegen hätte. Es war die Villa eines Freundes, die sich links hinter endlos langen Mauern erhob, welche den Weg begleiteten und ihn von den zur Seite liegenden Vignen und Gärten abtrennten. Die Villa lag etwa in der Mitte zwischen dem Ponte Molle und dem Flaminischen Tore; eine Fülle von blühenden Rosen hatte sich an der Stelle, wo sie begann, über den Mauerkamm geworfen. Zypressen und Lorbeerbäume erhoben dahinter ihr dunkles Grün und kündigten ein schattiges Asyl der Ruhe und des sommerlichen Stillebens an. Man konnte von dem heißen, hoch mit Staub bedeckten Boden der sonnigen, lärmerfüllten Straße nicht durch das graue schwere Bohlentor, an das Egino klopfte, in diesen grünen Bering eintreten, ohne durch ein tiefes Atemholen sein innerliches Erquicktsein und ein über alle Gefühlsnerven kommendes Behagen an den Tag zu legen.

Das Casino oder Wohnhaus der Villa stand im Hintergrunde, mit der Rückseite dicht an den steilen Höhenzug, der hier jäh abfallend das Tibertal beherrscht, gerückt. Es erhob sich zweistöckig über einer Terrasse; von dieser führte rechts eine Steintreppe auf eine offene kleine Säulenhalle oder »Pergola« hinauf, aus der man dann in den Hauptstock des kleinen Gebäudes trat.

Es war klein, das Ganze; am Fries über den oberen Fenstern, deren vier waren, stand die Inschrift:

Parva domus; magna quies.

Egino führte sein Pferd, als er in die Villa, die ihm ein alter Gärtner geöffnet, eingetreten, selbst in die beschränkte, eigentlich nur für ein paar Ziegen eingerichtete Stallung, die sich neben dem Tor an die innere Seite der Mauer lehnte. Dann schritt er zum Casino, schon von fern den zwei Personen winkend, welche er unter der Säulenhalle an einem Frühstückstische sitzen sah. Es war ein Mann und eine Frau. Jener erwiderte mit der Hand lebhaft seinen Gruß, die Frau trat an die Balustrade der kleinen Halle und rief ihm zu:

»Der heit're Morgen bringt willkommnen Gast.«

Egino eilte die Stufen zur Terrasse und zur Halle hinauf, um die befreundeten Hände zu schütteln, die sich ihm entgegenstreckten.

Er saß bald zwischen ihnen an dem mit Wein, Brot, Honig und Früchten besetzten Tische; die Dame kredenzte ihm das venezianische Flügelglas, das der Hausherr mit Monte-Pulciano gefüllt hatte, und bald war man inmitten einer lebhaften Unterhaltung, die eine Richtung nahm, um derentwillen man sie den geistigen Spiegel der Umgebung hätte nennen können.

In einer Säulenhalle, in deren Wände alte Bildhauer-Arbeiten, Überreste klassischer Kunst in kostbaren Fragmenten, eingemauert sind; in einer Villa, wo das Auge auf den immergrünen Wänden der Lorbeeren und Zypressen ruht, während springende Brunnen mit rastlosem Plätschern die Luft kühlen; auf einer Höhe, von der hinab man den gelben Tiber strömen und die Ruinen des heidnischen und die Basiliken des christlichen Rom vor sich schaut – an einer solchen Stelle, zwischen geschätzten und verehrten Menschen, deren Seelen wir lieben, weil sie uns gleichgeartete Seelen sind, kann nur ein Gedankenaustausch entstehen, der etwas von derselben Schönheit spiegelt, welche ihren Zauber auf die Umgebung gebreitet hat.

»Magna quies« sagte Egino, »habt Ihr selbst das oder etwa Euer Vorgänger im Besitz an die Front Eures Hauses geschrieben, Signor Callisto?«

»Ich ... nachdem ich mein Weib in dies Haus geführt!« antwortete Signor Callisto, ein fein gebauter Mann in den Dreißigern mit intelligenten Zügen und einem Munde, um den ein spöttisches Lächeln zuckte, wenn er nicht gerade, die Augen halb wie träumerisch geschlossen, seine Blicke in die Ferne schweifen ließ.

»Euer Gatte«, wendete sich Egino an die junge und schöne Frau, die in ihrem leichten Morgengewande das Bild einer stattlichen und vornehmen Römerin darstellte, nur zarter, kleiner, und auch anmutiger, wie der gewöhnliche Typus der römischen Schönheit ist ... »Euer Gatte spricht ein großes Lob für Euch aus, Donna Ottavia, wenn ich anders Quies mit Frieden übersetzen darf!«

»Ihr versteht sein spöttisches Lächeln schlecht, Signor Conte Gino«, versetzte Donna Ottavia, »wenn Ihr es als ein Lob für mich auslegt. Es ist nichts als ein Epigramm auf mich.«

»Ein Epigramm? Und wie könnte es das sein?« fragte Egino.

»Er will andeuten«, fuhr Ottavia, ihren Gatten schelmisch ansehend, fort, »daß ich ihn lange in böser und stachelnder Pein und Unruhe des Herzens erhalten, so lange, als ich gefallsüchtig ihn um mich werben ließ. Nun, seitdem ich ihm meine Hand gereicht, hat er – Ruhe. Die Herzensflamme ist erloschen!«

Sie gab ihm einen leichten Schlag auf den Oberarm.

Alle lachten.

Graf Egino sagte dann:

»Lassen wir die Inschrift, mag sie bedeuten, was sie will, sie beweist jedenfalls, wie reich doch die Welt und wie bedeutungsvoll jedes Einzelne in ihr. Man braucht nur um sich zu blicken, wie hier von dieser Pergola, um tausend Gegenstände zu entdecken, die unseren Geist gefangennehmen und unser Gemüt in Schwingungen setzen; man braucht nur zwei Worte zu lesen wie die Inschrift Eures Hauses und man findet Stoff, um stundenlang ihren Sinn erörtern zu können.«

»Bis man gelernt hat«, fiel Callisto ein, »für das bewegte Gemüt den Ankergrund solcher quies zu finden und den Geist nicht mehr gefangen nehmen zu lassen, sondern ihn widerstandsfähig für beirrende Eindrücke zu machen.«

»Das lernt sich schwer«, erwiderte Egino. »Mich erregt noch im tiefsten Innersten dieser Reichtum der Welt, und just der Welt, die mich hier umgibt, und reißt meinen Geist bald zu dieser, bald zu jener Gestaltung, die hier vor mir auftaucht, bald in dieses, bald in jenes Reich der Gedanken und Empfindungen. Es hat etwas Sinnverwirrendes, ich möchte ausrufen zuweilen: wohin rett' ich mich vor diesem Rom! Da ist die alte Welt, da sind ihre Monumente, ihre Trümmer, ihre zerschlagenen Säulen, ihre verstümmelten Marmorwerke; da sind hoch in die Lüfte ragende Steingebilde, deren stolze Linien mich mit den Gedanken an die Größe und Geisteshoheit der Alten erfüllen; da sind die leuchtenden Standbilder antiker Kunst, die Marmorgestalten alter Götter und Heroen, aus denen der Gedanke der Schönheit mich, ich möchte sagen, überströmt! – Da sind alle die Schöpfungen des christlichen Roms, seine Basiliken, seine Märtyrergräber, seine Stein und Metall gewordene Tradition von dem erhabensten Mysterium, von der Tatsache des vermenschlichten Gottes, der nun die Menschen vergöttlicht. Da ist, von jedem irdischen Glanz umgeben, der Heilige Vater, jener wundersame Mann, der in seiner halb der Erde, halb dem Himmel angehörenden Doppelnatur mit den Füßen am Grabe der Apostel steht, mit dem unfehlbaren Haupte über unseren Sehkreis empor in die Wolken des Himmels ragt, wo ihm der Heilige Geist seine Eingebungen zuflüstert. Da ist der Mittelpunkt der Welt, der Punkt, von wo die Bildung der Menschheit des Abendlandes ausging, wohin ihre Verehrung, ihre Gedanken, ihr Hilfeflehen zurückströmen. Unter meinen Schritten hier tönt die Wölbung der Katakomben wider, der Mine, die, still unter dem Boden der alten Heidenwelt ausgewühlt, diese endlich in die Luft sprengte; unter meinen Fußtritten hier wirbelt Staub auf, der vielleicht die Asche der Scipionen, der Cäsaren enthält. Im Sturme, der über mein Haupt hinfährt, höre ich bald den brausenden Ruf des Volkes bei dem Triumphzug seiner Imperatoren, bald das Wehegeheul der Erschlagenen und Sterbenden unter den Tatzen der Arena-Bestien – bald den gellenden Aufruhrschrei der Menge, die Neros goldene Bildsäulen zerstört. Ich kann dort den Tiber seine Wellen nicht wälzen sehen, ohne im Geiste die Götterbilder zu erblicken, die auf seinem Grunde ruhen; die Mauer Aurelian's nicht ragen sehen, ohne mir die gewappneten Scharen der Prätorianer vorzustellen, wie sie über ihre Zinnen dahinschreiten, die Blicke gen Norden gewendet, von woher die Heere des Alarich und Theodorich, die hohen Gothen dräuend herannahen. Und so erregt, bestürmt, erschüttert, ja oft berauscht, wenn Ihrs so nennen wollt – woher soll da dem Gemüt die Seelenstille, die magna quies kommen!«

Donna Ottavia hatte dem erglühenden jungen Manne still zugehört; jetzt sagte sie:

»Ihr seid fremd in diese Welt geworfen, Signor Conte Gino – und Ihr seid jung; was Euch so bewegt und nicht ruhen läßt, mag deshalb so auf Euer Herz wirken, weil dieses Herz frei ist von eigenem Leben. Seid Ihr erst wieder daheim, so wird sicherlich eine liebe Hand Euch an Eures Hauses deutschen Söller schreiben dürfen, was mir Signor Callisto auf den Fries unseres kleinen Casino schrieb.«

»Grundgütiger Himmel«, rief Egino aus, »wenn das Herz so voll ist, so nennt Ihr es ohne eigenes Leben und gar leer?«

»Conte Gino«, versetzte Ottavia, »Ihr seid ein Stück von einem Poeten und deshalb werde ich mich Euch nicht verständlich machen können mit meiner Meinung, die Euch nur nüchtern erscheinen wird. Ihr versteht mich nicht, Don Gino – geht und verliebt Euch erst, verliebt Euch ein wenig unglücklich und Ihr werdet mich verstehen.«

»Ich danke Euch für den Rat, Donna Ottavia«, erwiderte lachend Egino, »aber ich denkt ihn nicht zu befolgen – ich bin viel zu sehr beschäftigt dazu, und eine Liebe, zumal eine unglückliche, würde mich stören.«

»Was hätte ein junger Fürstensohn, wie Ihr, so viel Dringendes zu tun?«

»Genug, um die Tage rasch wie Traumgewebe an mir vorüberfliegen zu sehen. Heute zum Beispiel habe ich mit Eurem Gatten die Schrift durchzugehen, welche Signor Callisto in dem Prozeß, den ich hier an der Rota betreibe, aufgesetzt hat; dann nach Tische habe ich Freunden versprochen mit ihnen zum Colosseo zu gehen, wo ein Stierkampf gehalten wird, und am Abend endlich muß ich zum Albergo bei Pellegrini tedeschi wandern, um nach einem wunderlichen Landsmann und seiner hübschen Nichte zu sehen, die ich eben an Aqua Acetosa traf, als ich vorüberritt, und denen ich dann meine Hilfe bei ihrer Niederlassung in Rom zusagte.«

»Weil die Nichte hübsch war?« fragte Donna Ottavia lächelnd.

»Nicht deshalb – sondern weil ich sie geschlagen habe und dies gutmachen möchte.«

»Ihr habt sie geschlagen ... unmöglich – ein Mann schlägt kein Weib!«

»In Italien!« antwortete Egino. »Wir Deutsche sind darin roher, ich muß es leider gestehen, obwohl ich nicht so unritterlich handelte, wie meine Worte glauben lassen. Das Mädchen hatte sich um ihrer Sicherheit während der weiten Wanderfahrt willen als Knaben verkleidet; ich verlangte von diesem jungen Burschen eine kleine Hilfeleistung, und da sie mir verweigert wurde, fuhr ich in gedankenlosem Ärger mit der Gerte darein – der Junge schien mir so halsstarrig! Und ich wußte ja nicht, daß sie ein Mädchen, daß beide Deutsche waren! Aber habe ich nicht recht es wieder gut machen zu wollen?«

»Das habt Ihr, Don Gino. Macht's nur nicht zu gut!« lächelte die Frau vom Hause. »Also an unsere Arbeit«, unterbrach Signor Callisto, sich erhebend, »auch ich habe zu tun, – ich habe noch heute für ein Brautpaar aus einem der größten Häuser Roms einen Ehevertrag vorzubereiten ... für eine seltsame Ehe ... ich werde meine Gedanken sehr angestrengt dabei zusammennehmen müssen, damit ich beider Klienten Vorteil wahre und der stärkere von beiden nicht zu sehr den Löwenanteil bekommt.«

»Du redest von den Savelli ... wird diese Ehe wirklich geschlossen? Das arme Mädchen!« rief Donna Ottavia aus. »Ich bitte, nimm Dich ihrer an, damit sie so unabhängig gestellt, und ihres Gutes Herrin bleibe, wie es Dir möglich ist ihr zu erwirken.«

»Gewiß werde ich tun, was ich vermag«, entgegnete Signor Callisto – »wir Juristen sind, wenn wir an solchen Banden schmieden helfen, nie so unerbittlich wie die Preti, die, weil sie selbst kein Weib nehmen dürfen, den andern die Fessel eisern und unzerbrechlich machen. – Aber nun kommt, Signor Conte, zu unsern Akten!«

Mit diesen Worten öffnete der Rechtsgelehrte die ins Innere des Hauses führende Türe, um Egino in sein Arbeitsgemach zu führen und ihm dort vorzulegen, was er als sein Prokurator an der Rota Romana in den Angelegenheiten, die den jungen Deutschen nach Rom geführt, geschrieben und getan.


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