Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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21. Cinque-Cento.

Das Fest, zu welchem Callisto den Bruder Martin zu führen versprochen, fand in einem Hause statt, das jenseits des Tiber und unweit des Klosters von Sant Onuphrio lag, da etwa, wo heute an der Straße Longara der botanische Garten sich am Fuße des Monte Ianicolo ausbreitet, beschattet von der steil ansteigenden waldigen Bergwand des letzteren.

Das Haus war nicht groß, und obwohl es ein mit einem alten Wappen geschmücktes Portal hatte, doch kaum mit dem Namen Palazzo, zu dem sonst Wappen und Portal das Haus des Römers berechtigen, zu benennen; es stand allein, hohe Mauern trennten seinen Bereich rechts und links von der Straße und grüne über diese Mauern sich streckende Wipfel zeigten, daß es an einem weit sich erstreckenden Garten lag, und in der Tat war dieser Garten sein Hauptvorzug.

Man trat durch das Portal in eine Treppenhalle und vom ersten Absatz der breiten, im Hintergrunde dieser Halle emporführenden Stiege in einen karg erleuchteten Vorsaal. Aus ihm gelangte man in einen großen Festsaal mit kassettierter kunstreicher Holzdecke und Wänden, welche a tempera gemalte mythologische Schildereien zeigten. Aus diesem trat man in jenen Garten, zunächst auf eine breite, marmorgedielte Terrasse, auf der an der Hauswand entlang Bänke und Tische zum Sitzen einluden, während auf der gegen den Garten hin abschließenden Brustwehr auf kleinen Pfeilererhöhungen sich schön gearbeitete Büsten berühmter Männer des Altertums und römischer Imperatoren aufgestellt zeigten, an deren Namen, wie dem des Marc Aurel, des Trajan, des Antoninus Pius und des Titus, sich Gedanken humaner Bildung knüpften.

Von der Terrasse führten sehr breite, niedere, für den Schreitenden kaum merkliche Stufen in den wohlgepflegten Garten mit seinen dunklen immergrünen Hecken, auf deren Hintergrunde die weißen Hermen schimmerten, hinab; eine Marmorstatue erhob sich hier am Ende jedes Seitenganges, ein Bild stiller und keuscher Schöne in der umschattenden üppigen Pflanzenwelt.

Der in den Garten hinabführenden Terrassentreppe gegenüber, am Ende des breiten Mittelganges, zeigte sich eine über mannshoch im Halbrund aufgeführte Dekorationsmauer, mit einer vasengekrönten Brustwehr darüber; ein rundes Bassin wurde von dieser Mauer zur Hälfte umfaßt, in dem ein Springbrunnen mit hellem Rauschen eine starke Wassersäule hoch auf in die Luft warf. Rechts und links von dem runden Becken des Springquells führten sanft sich windende Treppenfluchten auf eine weit höher als die erste liegende, mit der Dekorationsmauer gleich hohe Terrasse, deren Breite sich in dem Wald verlor, der hier mit dichtem Gebüsch und prachtvollen Korkeichen an der Bergseite emporstieg.

Rechts und links an den Enden dieser Terrasse erhoben sich zwei zierliche Bauten, kleine vorn offene und säulengestützte Hallen oder Pavillons, mit Draperien von farbigen Stoffen, die, wenn sie niedergelassen wurden, die lauschigsten Versteckwinkel aus diesen kleinen Zierbauten bildeten.

Das Haus gehörte dem reichen Messer Agostino Chigi aus Siena, dem, wie man sagte, reichsten Kaufmann Italiens, der nach Rom gezogen, um hier sein großes Wechselgeschäft zu betreiben, dem Freunde Rafaels und Michel Angelos und so vieler ausgezeichneter Männer, demselben Agostino Chigi, dem Baldassare Peruzzi eben weiter abwärts am Tiberufer die schöne Villa baute, deren der Meister von Urbino im Gespräch mit Bruder Martin erwähnt hatte. Bis zu ihrer Vollendung gab Messer Agostino hier seine üppigen und berühmten Feste, zu denen er alles zu vereinigen wußte, was Rom an großen Namen und hervorragenden Männern und Frauen besaß; Feste, die mit seiner Sitte auch manches verbanden, was, durch die Begriffe der Zeit gerechtfertigt, heute nicht mehr die Anmut heiteren Lebensgenusses, sondern oft entfesselte Genußsucht und schwelgerische Ausgelassenheit genannt werden würde. Rom besaß nicht das, was Florenz und Neapel an ihren Akademien, jenen Mittelpunkten zur Pflege der wissenschaftlichen und geistigen Interessen und des Gedankeninhalts der Zeit besaßen; aber Agostino Chigis Haus bot etwas Ähnliches, nur Ungebundeneres, mehr dem Zufalle, wie er die Gäste eben zusammenführte, Anheimgegebenes dar.

Er gab heute sein Fest als eine Art von Abschied für viele seiner Bekannten, welche das Nahen der heißen Jahreszeit von Rom fort und auf ihre Sitze im Gebirge oder an das Meeresufer trieb.

Als Bruder Martin an Callistos Seite in das Haus eintrat und sie in die schon dunkelnde mit Dienern erfüllte Vorhalle gelangten, fanden sie auf hohen bronzenen Kandelabern Fackeln aufgesteckt, von denen drei brannten – ein Zeichen, wie Signor Callisto seinem Begleiter erklärte, daß drei Kardinale oder römische Fürsten das Fest durch ihre Anwesenheit ehrten.

Ein Kranzgewinde umschlang die Eingangstür zum Festsaal, an deren Pfosten Sonette angeschlagen waren, bewillkommnende Dichtergrüße für die Gäste; andere von Freunden des Hauses gebrachte Gedichte fanden sie an die Wände des Bankettsaales selbst geheftet. In diesem letzteren zeigte sich eine reich bedeckte, mit kunstreich gearbeiteten Aufsätzen, Blumen und geschliffenen Schalen, reichen Silberkrügen und glänzendem Gerät aller Art besetzte Tafel – in dem Zustande, wie sie, von den Gästen eben verlassen, zu sein pflegt. Der Wirt hatte die nächsten seiner Bekannten und Freunde zum Mahle gebeten, den weiteren Kreis derselben aber, zu dem Signor Callisto Minucci gehörte, zur »Conversazione«, deshalb war der Saal auch beinahe von allen Gästen bereits verlassen, der ganze bunte Schwärm belebte die Terrasse vor demselben, den Garten und die höhere Terrasse im Hintergrunde des Gartens.

Als Bruder Martin die glänzende Ausstattung dieses Hauses, die mit solcher Pracht ausgestattete Tafel in dem schönen Festsaal mit seinem Bilderschmuck erblickte, und dann durch offene Fenstertüren hinaus auf die Terrasse mit den reich und üppig gekleideten Frauen und Männern, auf den Hintergrund des so reizvoll und mit so viel edlem und reinem Schönheitssinn angelegten Gartens seine Augen warf, machte das Ganze auf ihn den Eindruck einer zauberhaften Traumwelt. Solch eine Welt des idealen Lebens in einer aus reinen künstlerischen Formen gebildeten Umgebung, auf der sich vom dunkelblauen Himmel der Glanz der Abendsonne goldig ergoß, über welche die Töne einer mächtigen und ergreifenden Stimme bald anschwellend, bald leise verhallend dahinzogen – war dem deutschen Wallfahrer, der daheim außer engen Klosterzellen und außer nicht viel größeren Kemnaten und Gelassen deutscher Bürgerhäuser oder enger Burgställe nicht viel Nennenswertes gesehen, ein Anblick, der ihn betroffen machte und die ängstliche Scheu erhöhte, womit er an Callistos Seite jetzt unter all diese fremden Menschen trat, welche so viel Reichtümer, Würden oder stolze Namen trugen; er, der arme namenlose Bergmannssohn in der weißen Kutte des Eremiten-Mönchs.

Callisto führte ihn dem Hausherrn zu, einem kleinen, sehr beweglichen Manne, der eben lebhaft redend vor einem noch jungen und schönen Manne im roten Kardinalsgewande stand, welcher letztere sich halb rückwärts lässig auf die Brustwehr der Terrasse lehnte. Der Kardinal blickte hochmütig und mit zerstreuter Aufmerksamkeit auf den Mönch nieder, während Callisto ihn dem Hausherrn vorstellte.

»Messer Agostino«, sagte er, »erlaubt mir, daß ich Euch einen Gast zuführe, der mich mit mehr Zuversicht als wenn ich allein gekommen, Euer edles Haus, den Vereinigungsort so vieler gelehrter und ausgezeichneter Männer, betreten läßt. Denn während ich sonst wohl fühle, daß ich gar arm und gabenlos hier unter so vielen reichen und verehrungswürdigen Gästen erscheine, weiß ich heute, daß ich Euch etwas bringe, in diesem gelehrten, in den Schriften der alten Welt ebenso erfahrenen, wie freilich der römischen Welt unerfahrenen Deutschen, einem Freunde, den ich zudem nicht heimkehren lassen darf, ohne daß er Euch und Euer Haus kennen gelernt, denn alsdann hätte er das schönste Stück der römischen Welt nicht kennen gelernt.«

Messer Agostino Chigi reichte zuvorkommend Callisto und dann Bruder Martin die Hand und sagte lächelnd zu diesem:

»Seid willkommen, herzlich willkommen. Was Ihr jedenfalls von Rom bereits kennen gelernt, das ist der beredteste aller Prokuratoren der Rota; nur solltet Ihr, Signor Callisto, nicht so darauf ausgehen mich zu beschämen und in Eurem Freunde Vorstellungen zu erwecken, die mein Haus nur dann erfüllen kann, wenn es von Gästen geehrt wird, wie ich sie heute mit so großer Freude bei mir sehe.«

Messer Agostino machte hiebei dem Kardinal eine leichte Verbeugung, der lächelnd zum Bruder Martin gewandt sagte:

»Ihr seht, daß in guter Redewendung Messer Agostino keinem Prokuratoren der Rota nachsteht.«

»Ich sehe«, versetzte Bruder Martin, »daß er sehr gütig ist den eingeladenen Gast mit so viel Wohlwollen aufzunehmen.«

Messer Agostino lächelte über den fremden Akzent, mit dem Bruder Martin sein Italienisch sprach, und während der Kardinal wieder mit dem kalten hochmütigen Blicke auf den Mönch schaute, fuhr jener zu Callisto fort:

»Ihr müßt nun aber auf Euch nehmen für Eures Freundes Stärkung und Erfrischung und seine Unterhaltung zu sorgen und ihn den Männern bekannt zu machen, mit denen er wünschen kann in Berührung zu kommen.«

Callisto verbeugte sich schweigend und trat mit seinem Begleiter zurück.

Sie gingen, auf einer unbesetzten Bank, hinter einem kleinen Tische, der mit Wein, Früchten und Gebäck beladen war, Platz zu nehmen. Die freundliche Aufnahme des Hausherrn und die Wahrnehmung, daß viele Männer in kirchlichen Gewändern und in Ordenstrachten sich in der Gesellschaft befanden, hatte Bruder Martin seine Scheu genommen, die, wie er sah, bei dem zwanglosen Wesen, womit alles sich durcheinander trieb und bewegte, auch in der Tat sehr überflüssig war.

Callisto füllte ihm und sich ein paar hohe Flügelgläser mit Wein an und sagte:

»Ihr werdet nicht ganz ohne Bekannte sein in dieser Gesellschaft, Bruder Martin; ich sehe dort eben Rafael Santi und Monsignore Phädra, dort drüben seitwärts von dem Springbrunnen schreiten sie die Treppe hinauf.«

»Ihr habt recht ...«, fiel Bruder Martin ein, »aber wer ist der hohe Mann neben ihnen, der mit so wuchtigem Schritt die Stufen aufwärts geht?«

»Kennt Ihr ihn nicht? Jedes Kind in Rom kennt ihn und würde ihn kennen, auch wenn er nicht diese mächtige Gestalt und die häßliche breite Nase, die ihm als Knabe Torrigiani einschlug, hätte ..., es ist der Florentiner Buonarotti.«

»Hätte er das dunkle Haar nicht, ich hätte ihn für einen Deutschen angeredet«, sagte Bruder Martin.

»Er hat vom Deutschen wohl nur den harten eigenwilligen Kopf«, gab lächelnd Callisto zur Antwort. »Mich wundert, daß er gekommen, denn obwohl Messer Agostinos Freund, ist er doch die ungeselligste und einsiedlerischste Natur, die Ihr Euch denken könnt; er gehe schweigsam und allein wie der Henker, hat ihm ja Rafael Santi entgegnet, als er diesem eines Tages vorwarf, daß er stets von einem Schwarm und Gefolge begleitet sei, wie der Bargello, das Haupt der Häscher. Aber werft Euer Auge auf die zwei Männer dort, welche eben quer über die Terrasse schreitend in den Garten hineinwandeln.«

»Wer sind sie?« fragte Bruder Martin. »Der eine, der im Prälatengewande, ist Herr Pietro Bembo, ein Mann, ausgezeichnet durch Fülle und Liebenswürdigkeit des Geistes und der eleganteste Schriftsteller unserer Zeit; er gehört dem glänzenden und durch so viel große Männer hervorleuchtenden Hofe von Urbino an, ist aber hierher geführt, wie er sagt, durch den Wunsch unseren heiligen Vater zur Errichtung einer Schule von Geschwindschreibern zu gewinnen, da er die Kunst einer abgekürzten Geschwindschrift, wie schon Cicero zur Aufzeichnung seiner Reden sich ihrer bediente, neu zu beleben strebt; im Grunde jedoch mag er ebensowohl hier sein, um seine Geliebte, die reizende Marosina zu sehen und zu bewegen ihm nach Urbino zu folgen. Habt Ihr nicht von dem Buche Gli Ascolani gehört, worin er so scharfsinnig wie elegant über die Natur der Liebe dialogisiert, in die Madonna Marosina ihn so gründlich eingeweiht hat – vielleicht, wie die böse Welt sagt, auch ein wenig Madonna Lucretia?«

»Ich lese,« erwiderte kopfschüttelnd Bruder Martin, »die Dialoge nicht, in denen Männer der Kirche, wie er doch nach seinem Gewande ist, über ihre Liebe reden!«

»Dann dürft Ihr auch die kecken Lustspiele nicht lesen, welche den andern der beiden Männern berühmt machten. Denn auch er ist ein Mann der Kirche, wie Ihr am Gewande seht und Bembos Freund; ein beredter und sehr witziger Mann, Bernardo Dovizio, da Bibiena genannt.«

»Ihr habt mir,« fiel Bruder Martin ein, »noch nicht gesagt, wer der Kardinal ist, mit welchem Messer Agostino sich unterhält und der, als wir zu ihnen traten, so stolz auf uns niederblickte.«

»Das ist der Kardinal Rafael Riario – ein Mann von so glänzenden Geistesgaben, wie sein stattliches und schönes Äußere sie ankündigt. Er ist aus vornehmem Hause, gewandt, gebildet, ehrgeizig – es fehlte ihm nichts dazu einmal die dreifache Krone zu erlangen, als leider der Ruf besserer Sitten ... man sagt ihm zu viel Glück bei den Frauen und zu viel Eifer es zu suchen, nach!«

»Er hat ein schönes Antlitz«, erwiderte Bruder Martin, »und dennoch etwas, was mich abstößt – es ist mir bei ihm zu Mute, wie beim ersten Anblick von Menschen, denen man später im Leben noch einmal begegnen soll, und dann in Span und Hader ...«

Ihre Zwiesprache wurde durch ein lautes Lachen und Geplauder einer Gruppe schöner und ohne Ausnahme junger Frauen unterbrochen, die mit einer auffallenden und eigentümlichen Freiheit des Wesens sich ihnen näherten, indem sie eine aus ihrer Schar umringten, die mit einem seltsamen Kleidungsstück, welches sie trug, zur Ergötzung der andern sehr anmutige Bewegungen machte. Es war das ein Kopfputz aus seidener Gaze, und mit einem Zipfel am Gürtel befestigt; die Schöne aber warf ihn wie zu verschiedenen Zwecken, bald als Haube, bald als Schleier, bald wie zur Verhüllung irgendeines Teiles ihrer Züge, um den Kopf, und schien den andern Damen unter Gelächter und Lärm Unterricht darin zu erteilen, welche Vorteile sich aus dieser gefährlichen Waffe der Koketterie, die sie Candale nannte und die, wie Callisto aus ihrem Plaudern heraushörte, venetianischen Herkommens sei, ziehen ließen. Männer traten an den Kreis; dieser war bald von Zuschauern umschlossen. Auch der Kardinal Rafael Riario war hinzugetreten; aber bald, wie von dem Spiele gelangweilt, legt er die Hand auf die nackte Schulter einer dieser Frauen, der schönsten und stattlichsten von ihnen, und sie sanft an sich ziehend, schritt er mit ihr die Terrasse hinunter; den Arm und die Hand ließ er auf ihrem Nacken und ihrer Schulter ruhen, indem er neben ihr dahinschritt.

»Seht doch, wie vertraut der Kardinal Riario mit jener Donna plaudert«, flüsterte Bruder Martin betroffen ihnen nachschauend. »Ist es seine Schwester?«

»Schwester?« gab Callisto lächelnd zur Antwort. »Guter Bruder, was denkt Ihr! Es ist Imperia, die schönste der römischen Kurtisanen – seht, sie wenden sich und nähern sich uns wieder. Ihr könnt jetzt selbst sehen, wie edel und schön dieses stolze Frauenantlitz ist.«

»Bei allen Heiligen, ich sehe nur, daß dies das furchtbarste Ärgernis ist, welches mich je empört hat... Dies Betragen eines Kardinals! Und eine Kurtisane, sagt Ihr, ist das schöne Weib?«

»Gewiß – wie die ganze Gruppe dieser mit dem venetianischen Kopfputz da scherzenden Damen! Honesta meretrix – Ihr könnt es über der Tür von mehr als einer von ihnen lesen. Diese Imperia ist für einen Teil der römischen Welt was für einen Teil der athenischen Aspasia war – jene andern sind so viel wie Lais oder Phryne oder andere berühmte Hetären der Griechenwelt. Sie gehören zu unseren Sitten, sie machen zum Teil unsere Sitten. Sie bilden Mittelpunkte für einen Teil unseres geselligen Lebens, und es sind Frauen von guter Geburt unter ihnen, Frauen, die alle Eigenschaften des Geistes und des Herzens haben, ausgenommen die Tugend. War doch die schöne Julia Farnese, unseres früheren Herrn, Alexanders VI. Geliebte, die ihren Bruder trotz seines wüsten Lebens zum Kardinal machte, nicht viel anderes. Und doch hat jener größte aller Sünder sie als Madonna und sich zu ihren Füßen kniend malen lassen. Ihr entsetzt Euch darüber? Ihr habt recht, Bruder Martin, aber betrachtet das Leben, wie es hier ist, und gesteht dann, daß solche Erscheinungen, wie dieser Stand ehrbarer Kurtisanen, ihr sehr Gutes und Nützliches haben. Wir haben tausend Männer in den verschiedensten Stellungen, welche, weil sie der Kirche angehören, kein Weib nehmen dürfen. Wir haben tausend andere Männer, Gelehrte, Künstler, Soldaten, deren Verhältnisse ihnen nicht erlauben mit einem ebenbürtigen Weibe einen Hausstand zu gründen. Sollen sie alle darauf angewiesen sein, mit ihrem Liebesbedürfnis in die untersten und gemeinsten Sphären, die uns denn leider auch nicht fehlen, der ein zahlloser Bruchteil unserer Bevölkerung angehört, zu versinken? Nein, nein, die griechische Hetäre und die römische Kurtisane ist ein Institut, das einen großen Fortschritt aus der rohen Sittenlosigkeit heraus darstellt.«

Bruder Martin stand auf und sagte:

»Kommt nur fort aus der Nachbarschaft dieser lachenden Damen und der Nähe dieses mit seiner »Anstandsdame«, wie Ihr sie nennt, lustwandelnden Kardinals – ich mag sie nicht ansehen und nicht dieselbe Luft mit ihnen atmen.«

»Und doch gibt es keinen Platz, auf welchem wir besser die Gesellschaft überschauen als diesen; aber wie Ihr wollt, es mag auch Zeit werden, daß wir uns nach dem Herzog von Ariccia umschauen.«

»Gewiß, laßt uns, wenn er nicht hier auf der Terrasse ist, in den Garten hinabgehen!«

Sie schritten an dem Kardinal und der Donna Imperia vorüber, der Gartentreppe zu, Callisto sagte dabei:

»Unrecht habt Ihr aber doch, Bruder Martin, dieses Mädchen oder Frau, wie Ihr wollt, nicht anzublicken. Schaut doch in ihre Züge. Ihr seht nicht leicht ein schöneres und geistvolleres Gesicht und eine edlere Gestalt.«

Bruder Martin hatte zu dem allen, während er seinen Schritt beeilte, nur ein verdrossenes Achselzucken. So gelangten sie in den Garten hinab. Auch die Gänge des Gartens waren mit Gästen gefüllt, die auf- und abwandelten.

Callisto fragte einen der Begegnenden nach dem Herzog von Ariccia und erhielt zur Antwort, daß er am Ende eines Ganges gesehen worden – als Callisto und Bruder Martin den Gang weiter hinabschritten, sah jener den Herzog mit einer schönen stattlichen Frau – es war eine jener Frauen, die Egino bei der Trauung Corradinas wahrgenommen – sich lebhaft unterhalten.

»Der Mann mit der Nase eines Habichts und den starken buschigen Brauen ist der Herzog«, sagte Callisto; »die Frau, welche vor ihm auf der Bank sitzt, seine Schwiegertochter, Madonna Cornelia Savelli – aus dem Hause Colonna-Paliano.«

»Wollt Ihr mich vorstellen?« fragte Bruder Martin.

»Setzen wir uns hier und warten wir, bis dies eifrige Gespräch, in dem er begriffen, abgebrochen wird«, versetzte langsam ihm nähertretend Callisto und nahm Platz auf einer den Redenden nahen Bank.

Von der Unterredung drangen einzelne Worte zu ihnen herüber – für Bruder Martin mit seiner schwächeren Kunde der Sprache unverständlich; Callisto verstand einzelnes, doch hätte er hinüberhorchen wollen, er wäre bald gestört worden, denn ein lebhafter, beweglicher kleiner Mann trat zu ihnen, reichte Callisto die Hand und begann mit großer Zungengeläufigkeit ein Gespräch mit ihm – er schien einer jener Mäckler im großen Tauschgeschäft der Geselligkeit, die jedermann kennen, an jeglichem Ding Interesse nehmen und die von Teilnahme für Personen und Zustände förmlich dampfen, einer Teilnahme, die dann freilich auch nur Rauch ist.

»Ihr kamt spät, spät, Signor Legista«, sagte er, »und wo ist Donna Ottavia, Eure Gattin! habt Ihr sie nicht mitgebracht – sie liebt die großen Gesellschaften nicht, ich weiß es, aber heute hätte sie kommen sollen, denn unser edler Wirt, Messer Agostino, dieser König aller Kaufleute, bereitet uns die schönsten Überraschungen vor – ich war eben dort oben im Walde und warf einen Blick in die geheimnisvollen Zelthütten, aus denen uns sicherlich irgendein Geheimnis entgegenschreiten wird – Ihr seht die verhangenen Pavillons an den Enden der Terrassen da oben – aber ich will nichts von dem, was Euch überraschen soll, verraten, Ihr werdet ja sehen. Selbst der menschenscheueste Mann in ganz Rom ist herbeigelockt worden ...«

»Ihr meint den Buonarotti?«

»Eben den, und, was noch mehr, er hat uns beim Aufbruch von der Tafel ein Sonett vorgelesen – so wohlgelungen und schön, daß man, behaupt' ich, weit mehr den Dichter in ihm bewundern muß, als den Bildhauer und Maler; denn in beiden Künsten ist er, wißt Ihr, nicht ganz nach meinem Geschmack ...«

»Nicht nach Eurem Geschmack, Messer Sylvestro – und was tadelt Ihr an seiner Weise?«

»Was ich daran tadle? Buonarotti will nur zeigen, daß er ein Hexenmeister im Zeichnen ist. Er lacht mich ingrimmig aus, wenn ich's ihm sage, aber hab' ich nicht recht? Messer Michel Angelo Buonarotti, sag' ich ihm, Ihr seid ein so einsichtsvoller Mann und werft Eure gute Zeit an die Darstellung von Dingen, an die niemand mehr glaubt, und die, wie Ihr sie darstellt, auch niemandem gefallen können. Ist mir, wenn Ihr mir malt, wie Sokrates oder Phocion, diese edlen Menschen, den Giftbecher trinken müssen, nicht ein ergreifenderes Bild, als der wüste nackte Menschenknäuel Eures jüngsten Gerichts, über das ich lache, das in's Reich der Fabeln gehört?«

Bruder Martin, der immer mehr staunend dem gesprächigen Manne zugehört hatte, unterbrach ihn hier, indem er sich langsam, wie dräuend, flammenden Auges, vor ihm erhob – aber an sich haltend und rasch zu Callisto gewandt, sagte:

»Ist diesem Schwätzer das alles Ernst, oder will er mein Gewand verspotten?«

Callisto legte die Hand auf Bruder Martins Arm und zog ihn wieder auf seinen Platz.

»Seht Ihr denn nicht, daß das nicht im Traum Signore Sylvestros Absicht ist?«, sagte er lächelnd.

»Und Ihr denkt wirklich, wie Ihr sprecht«, fuhr Bruder Martin zu dem, überrascht bald auf Callisto, bald auf den Mönch blickenden Herrn gewendet fort: »Ihr habt wirklich so allen Glauben abgetan, so alle Scheu ...«

»Glauben!« rief lachend Signor Sylvestro aus. »Guter Bruder, Ihr seid komisch. Ich geh zu Beichte und Abendmahl und nehme Ablaß und bestelle Messen, wie jeder gute Bürger und Christ. Aber wenn ich für das alles mein gutes Geld zahle, was verlangt Ihr dann mehr? Die Kirche verkauft mir ihre Ware, ich zahle in guter Münze dafür – nun wollt Ihr auch noch Glauben? Hat der Kaufmann, der mir Ware gibt und dafür mein Geld empfängt, nach meinen Gedanken zu fragen?«

Bruder Martin war verstummt. Er blickte mit düstern Augen den Mann an; es war ihm eine Erleichterung, als dieser sich lachend abwandte, um Vorübergehende anzureden.

»Ihr seid wie niedergeschmettert, Bruder Martin!« sagte Callisto.

»Das bin ich«, versetzt dieser ... »Denken viele Menschen so?«

»Viele!« sagte Callisto.

»Euer Meister Santi, sah ich, hat sich doch nur kühl von der Kirche abgewendet; dieser aber ist ihr Feind geworden!«

»O nein«, versetzte Callisto, »glaubt das nicht. Er beugt sich unter sie, wie wir ja müssen, und da er sich beugt, läßt sie ihn seine Wege gehen! Aber denken wir an unsere Absicht. Der Herzog erhebt sich eben, treten wir ihn an.«

Der Herzog erhob sich in der Tat; aber ihn anzureden blieb für Callisto untunlich, denn die Donna, seine Schwiegertochter, die neben ihm gesessen, erhob sich ebenfalls und sagte, wie um ihn zurückzuhalten seinen Arm ergreifend, lauter als sie bisher gesprochen und eifrig:

»Exzellenza, Ihr müßt mir mehr davon erzählen so entkommt Ihr mir nicht!«

»Ich weiß nicht mehr, als ich Euch sagte«, versetzte der Herzog, »nichts weiteres, als daß Livio einen heftigen feindlichen Zusammenstoß mit einem fremden Manne, einem Deutschen, gehabt hat, den er bei ihr entdeckte... und daß ich denke, Livio wird jetzt, wo er hat erfahren müssen, daß Corradina nicht allein ihn nicht liebt, sondern auch einen andern in ihrem Herzen trägt, der, ohne daß wir's ahnten, in ihrer Nähe sich aufhielt – Livio wird nun seine törichten Pläne auf Corradina fahren lassen und vernünftig werden. Ihr wißt, daß ich, unruhig und besorgt, Livio führe eine Gewalttat wider Corradina im Schilde, in ihrer Nähe, in der Burg auf dem Aventin blieb ...«

»Ich weiß, daß Ihr in ihrer Nähe bliebt, und das gewiß nur, um sie zu schützen, freilich!« schaltete Cornelia Savelli ein – die Worte ein wenig spöttisch betonend. »Denn«, setzte sie hinzu, »seit Ihr aus Furcht vor Livio vermocht wurdet in die Trauung Corradinas zu willigen, die doch von ihnen nur ersonnen war, um Euch einen Querstreich zu spielen, scheint mir, daß Ihr dabei kein anderes Interesse mehr haben könnt!«

Ohne etwas darauf zu äußern, fuhr der Herzog fort: »Euch, Cornelia, kann ich nur den Rat geben, jetzt, da Livio von seiner verrückten Leidenschaft mindestens ein wenig abgekühlt sein muß das Eurige zu tun, um ihn ganz zu heilen.«

»Ich hätte viel zu tun, wenn ich alle von Corradina eingeflößten verrückten Leidenschaften heilen wollte!« versetzte Cornelia sarkastisch im wegwerfenden Tone. »Also das ist alles, was Ihr mir gestehen wollt?«

»Was soll ich Euch mehr sagen, Cornelia«, erwiderte der Herzog nun mit boshaftem Lächeln. »Der deutsche Geliebte Corradinas und sein Schicksal wird Euch nicht interessieren, und da Euch, wie Ihr sagt, so wenig interessiert, ob Livio, Euer Gatte, nach dieser Erfahrung Euch wieder gewonnen werden könne oder nicht, so können wir das Gespräch fallen lassen. Gebt mir Euren Arm, die Sonne ist untergegangen und die kommende Nachtluft mahnt uns uns auf die Terrasse oder ins Haus zurückzuziehen.«

Er reichte ihr den Arm; da aber die den Römern eigentümliche Sorge vor den schädlichen Einflüssen der Abendluft nach Sonnenuntergang bereits viele der Gäste desselben Weges geführt und der Gartengang menschenleer geworden, konnte der Herzog von Ariccia nicht an Callisto vorübergehen, ohne ihn zu bemerken. Er erwiderte seine Verbeugung mit einem kurzen:

»Ah, Signor Legista – bona sera, – es scheint, Ihr gebt jetzt auch Unterricht in der Theologie, da ich Euch mit einem jungen Mönche sehe, wie unlängst mit einem juristischen Scholaren!«

»Ich gebe Unterricht allerdings, Exzellenza«, versetzte Callisto unbefangen, »doch nicht in der Theologie, sondern in römischen Personen, Verhältnissen und Sitten. Mein Begleiter, dieser junge Augustiner-Bruder, müßt Ihr wissen, ist ein Neuling in allen Dingen, da er erst vor kurzer Zeit aus Deutschland gekommen. Aber da Ihr mich eben an meinen früheren Schüler, den Juristen, mahntet, so lasset mich hinzusetzen, daß dieser da just der Widerpart von jenem ist – im eigentlichsten Sinne – Widerpart in einem Prozesse; auch könnte er Euch die Auskunft über ihn geben, welche Ihr von mir verlangtet und die ich nur so unvollständig zu erteilen imstande war – um so zuverlässiger, als er, der an der Rota hier mit ihm haderte, seine Herkunft und Verhältnisse wohl kennt ...«

Der Herzog maß Bruder Martin mit einem mißtrauischen Blick, und sagte dann zu Callisto gewendet sehr spöttisch:

»So so ... es ist wohl dieser deutsche Frate, nach dem der junge Herr, um den ich Euch befrug, gesandt hat ... wahrscheinlich, um einen Vergleich in seinem Prozesse mit ihm abzuschließen! Sagt Eurem neuen Scholaren alsdann Signor Minucci, daß er wohl getan nicht zu kommen, und einen Vergleich anzunehmen – jener deutsche Herr wird, fürchte ich, auf längere Zeit verhindert sein seinen Prozeß nachdrücklich zu führen, und sein Widerpart wird also jetzt doppelt günstiges Spiel haben. Felicissima notte, Signor Minucci!«

Der Herzog ging mit stolzem Kopfnicken; Madonna Cornelia rauschte an seiner Seite dahin; Callisto sah ein wenig verdutzt ihm nach und dann Bruder Martin an.

»Da ist nichts zu machen«, flüsterte er, »der Herzog ist argwöhnisch ...«

»In der Tat – er ist ein schlauer Herr; mein unglücklicher Landsmann muß also davon geredet haben, daß er mich in seinem Kloster erwarte. Man könnte ihm gram werden wegen seiner ewigen Unvorsichtigkeiten. Die arme Irmgard. Sie harrt auf eine tröstliche Nachricht von mir – so werde ich ihr keine zu bringen haben.«

»Und welches böse Schicksal lassen die höhnisch betonten Worte des Herzogs für den armen Grafen Egino fürchten«, sagte Callisto.

»Es ist eine unselige Geschichte!« fiel Bruder Martin ein – »statt mit Trost und guter Hoffnung für ihn, gehen wir mit doppelter Sorge – können wir gehen?«

»Nicht wohl«, versetzte Callisto; »Ihr seht es drängt sich alles auf der Terrasse und in dem Festsaal zusammen, wo neue Erfrischungen gereicht werden – man wird uns da kaum durchlassen, wenn wir schon jetzt gehen wollten. Messer Agostino bereitet seinen Gästen sicherlich noch irgend eine Überraschung, ein Schauspiel vor; es würde zu viel Aufsehen machen, wenn wir gingen, und wenn es dieser schlaue Herzog sähe, er würde sicherlich den Argwohn fassen, daß wir eben nur deshalb, um uns ihm zu nähern, gekommen. Darum müßt Ihr schon noch eine Weile aushalten.«

»Was mir schwer genug wird!«

»Weshalb? Ist diese Gesellschaft nicht glänzend? Lehrt sie Euch nicht die Welt kennen, eine Welt, die Euch fremd ist?«

»Die Lehre, die sie mir gibt«, antwortete Bruder Martin, »drückt mir einen Stachel ins Herz wie einen glühenden Stahl, und als sie mir fremd war, war mir wohler. Die christliche »Mythologie« wie die heidnische, es ist alles gleich; nicht einmal mehr den Lauen, die ausgespieen werden, gleichen sie, ihr Herz ist kalt, kalt wie das Nichts – so stehen sie am Abgrund, und wer sie zurückreißen wollte vom jähen Rand des ewigen Verhängnisses, dessen Stimme würde sein wie die eines Rufenden in der Wüste!«

»Bei manchen, vielleicht. Manche andere würde die Stimme zurückrufen, wenn es die rechte Stimme wäre!«

»Euch selber?« fiel hier mit raschem, scharfen Blick in Callistos Züge Bruder Martin ein. »Sagt einmal selber, was ist Euer Credo?«

»Mein Credo? Das ist eine Gewissensfrage, guter Frate«, gab Callisto zur Antwort. »Ich habe kein Credo. Aber ich habe eine Anschauung, eine Philosophie, wenn Ihr wollt. Es ist die Philosophie aller erleuchteten Geister unserer Zeit, die Philosophie Platos.«

»Begnügt Ihr Euch dabei nicht, wie so viel »erleuchtete Geister«, mit dem Wahn die Philosophie Platos sei in Euch, ohne Euch doch Rechenschaft geben zu können, was denn Platos Philosophie ist?«

»Nein«, versetzte Callisto, »für so oberflächlich haltet mich nicht. Ich weiß sehr wohl, was von Plato, was von den Vorstellungen der Stoa, was auch von christlicher Verfeinerung und Vertiefung der heidnischen Anschauungen in meinem Denken ist. Glaubt mir, trotz aller Versumpfung der Kirche, aller Ausgelassenheit der Sitten, aller Roheit der Leidenschaften und Unverschämtheit des Egoismus, die wir in unserer Zeit wahrnehmen, liegt über ihren edleren Geistern doch eine sehr ernste weihevolle Stimmung, ein Sehnen nach dem Schönen und ein Verlangen nach Wahrheit, wie wohl über keiner früheren Zeit. Es ist wie die Vorabendstimmung eines großen Ereignisses in der Geisterwelt – wie einer kommenden Lichterscheinung, wie ein stilles Ahnen in den Gemütern, die da lauschen, ob nicht durch die Wipfel der Zypressen, unter welchen der stille Denker ruht, der sinnende Künstler träumt, der Herr mit lindem Säuseln fahren werde!«

Bruder Martin antwortete nicht. Er ging zu Boden blickend neben Callisto her. Sie stiegen über die Treppe zur Terrasse hinauf, wo Callisto von einem andern Bekannten angeredet und in ein Gespräch verwickelt wurde, das nicht so bald enden zu wollen schien, da der Bekannte von juristischen Dingen mit Callisto zu reden begann.

Verdüsterten Auges wandte sich Bruder Martin von ihnen und die Stufen in den Garten wieder hinab. Dort schritt er den breiten Mittelpfad zu dem Springbrunnen hinunter. Es tat ihm wohl eine Zeitlang allein zu sein. Es war ihm schwül geworden; er atmete schwer auf. In der Tat war der Abend sehr schwül, als ob ein Gewitter nahe; am Himmel hatten sich Wolken zusammengezogen, die sich immer mehr verfinsterten. Dadurch hatte sich außerordentlich rasch die Dämmerung, die dem Sonnenuntergang gefolgt war, mit tiefem Dunkeln über den Garten gelegt.

Bruder Martin kam bis an den Springbrunnen; er stieg rechts von ihm die Treppe zu der höheren, im Hintergrunde des Gartens liegenden Terrasse empor; er sah, daß hier einige Männer mit Aufstellung und Zurüstungen von eisernen Schalen, die wie Feuerbecken aussahen, mit dem Ausbreiten von Teppichen und dem Hin- und Herrücken niederer Sitze beschäftigt waren, während ein anderer ein Bündel kurzer Speere brachte und dann mit einem Paare schöner Wolfshunde, die ihm gefolgt waren, spielte.

Der deutsche Mönch wandte sich und warf rückwärts seine Blicke auf Garten und Haus; der Festsaal begann von Beleuchtung aufzuglänzen und den Schein von zahllosen Lichtern auf die vor dem Hause liegende Terrasse auszugießen, auf die geputzten, in mannigfaltigen Lichteffekten von dem hellen Schein umflossenen Gestalten.

Bruder Martin starrte eine Weile auf das Schauspiel hinab, dann kam ihm der Gedanke, ob er, wenn er geradeaus weitergehe und in den Wald hineinschreite, der die rückwärts steil umfassende Bergwand bedeckte, nicht oben rasch die Umfassungsmauer erreichen und darin irgend einen Ausweg finden könnte ... er hätte viel darum gegeben entschlüpfen zu können, um mit sich und seinen Gedanken allein zu sein.

Er verließ deshalb die Terrasse, die er erstiegen und klomm durch das Gebüsch dahinter rasch aufwärts, durch Unterholz und unter hohen Bäumen empor. Es war seltsam lebendig in dem Gehölz; Gestalten, die wie sich vor ihm flüchteten, glitten durch das Buschwerk ... weißglänzende, und ... in der Tat, nackte Gestalten, zwei halbnackte Mädchen waren es, die vor ihm jetzt um ein Dickicht schlüpften und lachten und flüsterten.

Erstaunt blieb er stehen; er fuhr mit der Hand über sein Gesicht. Es konnte ja doch nur ein Traum sein!

Er ging dann weiter und blieb wieder stehen; er atmete rascher; seine Pulse begannen wild zu schlagen, sein Atem stockte und es war ihm, als ob ein Schwindel ihn in der nächsten Minute befallen müsse ... was war das, was bedeutete das, was bedeuteten diese Gestalten, die jetzt, schon eine kurze Strecke unter ihm, an der Bergwand von allen Seiten aus dem Gebüsch zusammen kamen, zu der Terrasse niederstiegen – eine ganze Schar, alle kaum halbgewandet oder nackt, trotz leichter flatternder Hülle – was wollten sie da unten, weshalb ließen sie sich da auf den Teppichen nieder, lehnten sich, die eine in dieser, die andere in jener Stellung aneinander, hier vereinzelt, dort zu fünf und sechsen gesellt? Und nun, wurden da in der Tat Lichter angezündet, die aufgestellten Feuerschalen entflammt, ein plötzlicher greller Schein hervorgezaubert, um, während zugleich aus dem Garten eine schmetternde Jagdfanfare erscholl und dann in eine sanfte Musik überging, diese nackten Weiber zu beleuchten?

So war es; es war wirklich so. Eine große Bewegung entstand drüben in dem Festsaale, wie Bruder Martin durch die erleuchteten Fenster wahrnehmen konnte – Alles stürzte aus demselben auf die davor liegende Terrasse, lachte, klatschte, ließ hundert Bravos erschallen.

»Brava, Bravissima, Diana und ihre Nymphen!«

Montium custos, nemorumque, Virgo!
Diva triformis!

vernahm Bruder Martin – es war als ob Signor Sylvestro es rufe; zahllose andere Rufe folgten.

Die Worte gaben ihm etwas wie einen Schlüssel zu dem, was unter seinen Augen vorging; es war eine Darstellung des Jagdlagers der Diana und ihrer Jägerinnen, ein lebendes Bild, wie wir sagen würden, das Messer Agostino Chigi anordnen lassen und das auf seiner Terrassenhöhe, vor dem Hintergrund des grünen Buschwaldes, mit geschickt angeordneter Beleuchtung von drüben, von unten her malerisch und zauberhaft genug anzublicken sein mochte; woher sonst der laute Jubel, mit dem es aufgenommen wurde, und der sich ins Enthusiastische steigerte, als die Flammen in den Feuerbecken begannen in einem anders gefärbten Feuer zu strahlen und bald purpurn, bald violett, bald grün aufzulodern.

Von oben, vom Standpunkt Bruder Martins gesehen entbehrte das Bild der Göttin der Jagd mit ihren Nymphen, mit ihren Speeren, ihren Hunden, dies Gewirr nackter Leiber und Glieder mit allerlei farbigem Faltenwurf leichter Hüllen dazwischen ganz des Zaubers, den es für die unten Stehenden hatte; es fehlte der Sinn im Ganzen, den nur die rechte Anordnung, das rechte Licht geben konnte; wären die Klänge der Musik nicht gewesen, welche für Bruder Martin wie etwas das Krasse der Szene Milderndes waren, die es so zu sagen der gemeinen Wirklichkeit entrückten und aus dem wirklichen Leben ins Land des Traumes hoben – er hätte nicht einmal die leiseste Erregung der Sinnlichkeit dabei gefühlt, er wäre einfach empört, entsetzt worden.

Und doch empört, entsetzt war er auch so; er stand und schaute starren Blickes auf das ganze Bild da unten vor ihm hinab ... wie lange es dauerte, dies Schauspiel, er hätte es nicht zu sagen gewußt; er nahm nur mit einem Male eine sehr plötzlich in das Lager der Nymphen geratene Aufregung wahr – sie zuckten zusammen, leise Schreie wurden laut, einige sprangen auf, zogen, was sie an Gewand an sich trugen, eng um sich her; die anderen folgten ihrem Beispiel – es waren dicke niederfallende Regentropfen, die auf die nackten Schultern und Rücken aufschlagend, so plötzlich den panischen Schrecken in dies Lager geworfen. Sie rauschten jetzt schon über Bruder Martins Haupt in den Blättern der Bäume. Diana und ihre Nymphen stoben davor auseinander, nach rechts und links hin suchten sie Unterkunft in den beiden Pavillons am Ende der Terrasse und waren nach wenig Augenblicken hinter den Vorhängen derselben verschwunden.

Das Gewitter, welches die dunkel sich zusammenballenden Wolken angekündigt hatten, schien ausbrechen zu wollen – sein erster Gruß waren die dick niederschauernden Tropfen. Ein die Wipfel der Bäume kräuselnder Wirbelwind fuhr von oben her über die Bergseite. Bruder Martin stieg langsam an derselben nieder, um im Hause Schutz zu suchen. Er kam auf die Terrasse unter ihm, und quer über die ausgebreitet daliegenden Teppiche schreitend, hielt er plötzlich inne, um zu einem aufzuckenden Blitzstrahle empor zu schauen.

Er fühlte zugleich, daß das Niederfallen der Tropfen aufgehört hatte; nur ein zweiter Windstoß kam und bewegte heftig die in den Feuerbecken zur Rechten und Linken lodernden farbigen Flammen.

So blieb er stehen und die Arme über der Brust verschlingend, sah er zum Himmel auf, wie erwartend, daß ein zweiter Blitz kommen werde seine Zacken an die schwarzdunkelnde Himmelswand zu schreiben.

Der Blitz kam; er zerriß jäh und schmetternd die Wolkenmassen bis auf die Erde hinab, und ein dumpfer Donner grollte ihm nach. Bruder Martin streckte unwillkürlich die Hand aus, wie in einer Wallung zorniger Freude über dies Schmettern, das er wie einen schreckenden Gottesruf hätte in diese Welt zu seinen Füßen schleudern mögen.

»Sieh doch den Mönch da oben«, sagte unterdessen auf der unteren Terrasse am Hause einer der Gäste sich rückwärts wendend zum andern.

»Ah!« rief dieser aus, »wie fahl der Wind die blaue Flamme der Feuerschale über ihn wirft!«

»Und jetzt, wo der Blitz über ihn dahin zuckt, – er steht da wie eine dräuende Vision.«

»Wie dräuend er die Hand wider uns ausstreckt!«

»Girolamo Savonarola, der im Feuer wiederkehrt!« rief lächelnd ein Dritter.

»Seine Blitze in unser Fest zu schmettern.«

»Nicht doch«, fiel eine Stimme in ihrer Nähe ein – es war die Signor Callisto's – »diese dräuende Gestalt da oben auf der Höhe, die Euch wie eine Vision erscheint, ist nur ein deutscher Mönch, der Bruder Martin Luther aus Wittenberg«.


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