Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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10. Stanza della Segnatura.

Einige Tage nach dem Begräbnisse des Luca Savelli war Egino bei seinen irrenden Wanderungen auf den Platz vor der Peterskirche geraten und schaute mit apathischem Blicke in das ameisenhafte Treiben um die Baustätte, in deren Mitte sich die vier Pfeiler erhoben, die heute die Kuppel tragen, während man zwischen diesen Pfeilern hindurch im Hintergrunde in das großenteils durch Bretterwände verdeckte Innere der alten Peterskirche blickte, deren einzelne Teile man nur in dem Maße abtrug und zerstörte, in welchem dies das Bedürfnis für den Neubau Raum zu gewinnen, nötig machte.

Egino starrte auf dies Schauspiel und setzte sich dann auf einen daliegenden Marmorblock, ohne wahrzunehmen, daß er beobachtet wurde. Nach einer Weile legte sich eine Hand auf seine Schulter und aufblickend schaute er in das Gesicht eines jungen Mönchs, der ein Untergewand von weißem Wollenstoff und ein weißes Scapulier, darüber eine vorn offene schwarze Kutte mit weiten hängenden Ärmeln trug; er hatte den ledernen Gürtel, der zu seinem Kostüm gehörte, abgenommen und über die Schulter geworfen, weil ihm an dem warmen Tage in seiner Mönchstracht zu heiß geworden sein mochte.

Der junge Mönch sah mit seiner festen und gedrungenen Gestalt, seinem dicken blonden Kopfe, seinen derben Zügen, denen ein breites, unternehmendes Kinn den Charakter des Mutigen und Energischen aufdrückte, ganz wie ein Deutscher aus. Es war nicht möglich, daß anderes als germanisches Blut durch diese kräftige untersetzte Gestalt rollte. Nur was in seinen auf Egino lächelnd niederblickenden Augen lag, dieses eigentümliche glänzende Leuchten, dieser Wechsel zwischen Hellem Strahlen und tiefem Glühen, den er bald bei der Erregung zeigte, in welche ihn die Unterhaltung mit Egino führte, hatte nichts von nationalem Typus; es war ein eigentümliches, ganz diesem jungen Mann im Habit der Augustinermönche Eigenes, das stets eine Art von Zauber auf den, der ihm in dies tiefe flammende Seelenauge blickte, übte.

»Sieh, sieh, Graf Egino!« sagte denn auch in deutscher Sprache der junge Mönch lächelnd. »Da sitzt das junge deutsche Fürstenblut und läßt sich von der Sonne den Rücken braten, um zu betrachten, wie sich die römische Kirche neu auferbaut.«

»Bruder Martin«, rief Egino aus, »Ihr seid es? Nun ja, ich schaue zu und betrachte all die Hast und sehe, wie der hitzige Meister Bramante seine Arbeiterscharen in Atem zu halten weiß.«

»Und was denkt Ihr bei diesem Anblick, Ihr deutsches Fürstenblut?« fragte der Bruder Martin, indem er sich vertraulich neben Egino auf den breiten Stein setzte.

»Was ich dabei denke?« fuhr Egino fort. »Nun, wenn Ihr's wissen wollt, ich denke: es ist eine alte Lehre, wenn man in einem bescheidenen und engen alten Hause lange Glück und Gedeihen gefunden, soll man's nicht verlassen, um ein glänzenderes, größeres zu beziehen; das Glück weigert sich dann wohl mitzuziehen in das neue Haus. Wer weiß, ob die Zukunft der Kirche in dem neuen Hause da so glücklich ist, wie die Vergangenheit im alten war.«

»Ihr seid etwas von einem Ketzer, Graf Egino«, antwortete kopfschüttelnd der Mönch. »Glück? Was ist Glück? Bedarf die Kirche seiner?«

»Wäre ich ein Ketzer, so würde ich im Gegenteil sagen, es ist gut, daß die Kirche anfängt sich neu aufzubauen, denn wie sie war, war sie doch ein wenig verfallen und morsch.«

»Und doch ließe sich das schon eher hören«, gab Bruder Martin nickend zur Antwort. »Bei jedem Ding auf Erden muß das Verfallene erneuert werden; und es ist leider auch in die Kirche, wie sie in die irdische menschliche Erscheinung tritt, viel, sehr viel des Verfalls und Fäulnis gekommen und neue Arbeit tut not den Glanz des Tempels und die reine Schönheit des Heiligtums wieder herzustellen.«

»Dürft Ihr das sagen, Mönchlein?« fragte Egino.

»Weshalb soll ich nicht sagen, was vor aller Welt Augen liegt? Ich sehe hier viele schmutzige Hände den Schatz der Kirche hüten; der Schatz ist darum nicht geringer, wenn ich spreche: wascht eure Hände. Ich sehe, daß sich viel Moos gesetzt hat an die Säulen des Tabernakels; die Säulen sind darum nicht weniger von Porphyr und Gold, wenn ich sage: scheuert dies garstige Moos und diesen Rost ab von ihnen. Ich sehe, es liegt Schutt und Unrat auf dem Boden um den Altar her; der Altar ist darum nicht minder eine heilige Opferstätte, wenn ich sage, feget den Unrat hinaus! Hab' ich Recht, Graf Egino von Ortenburg, oder hab' ich es nicht?«

»Ein Mann wie Ihr, Bruder Martin, hat immer Recht«, gab Egino zur Antwort. »Ihr seid eben ein absonderlicher Geist und leistet als ein Mönch schon das Unglaubliche, wenn Ihr überhaupt nur den Schmutz an den Händen, den Rost an den Säulen und den Schutt um den Altar wahrnehmt und einräumt.«

»Ah, ah, da redet Ihr wie einer, der nichts von den Dingen versteht«, fiel hier Bruder Martin ein. »Der Mönch, weil er ein Mönch ist, sollte sein wie der demütige Hund, der den Großen und den hochmögenden Würdenträgern die Füße leckt? Ich weiß, die Welt betrachtet den armen Bettelmönch so. Aber Ihr irrt; wenn er Euch Kindern der Welt doch einmal zum Gespött sein soll, hättet Ihr eher Recht das arme bettelnde Mönchlein den Hofnarren der Kirche zu nennen, denn der Hofnarr, wißt Ihr, hat das Recht, rund heraus die Wahrheit zu sagen.«

»Die Wahrheit! Pilatus fragte Christum, was ist Wahrheit; einen Bettelmönch hätte er sicherlich nicht danach gefragt. Vielleicht höchstens einen so gelehrten Augustinerbruder wie Euch, Bruder Martin.«

»Wir sind auch nur arme Eremitenbrüder, weiter nichts, und halten uns nicht für klüger als die in den geflickten braunen Kutten mit langen oder kurzen Kapuzen, mit langen oder kurzen Bärten. Und aus dem armen Kloster ist immer der Widerstand wider die steigende Verweltlichung der Kirche hervorgegangen, ja kühne, widerbellerische Sekten, wie die Fraticelli und die Umiliati, oder ganze Kongregationen, wie die Minoriten-Celestiner, gegen welche die Inquisition scharf genug aufgetreten ist ...«

»Das wißt Ihr alles freilich besser als ich«, unterbrach ihn Egino, »ich bleibe nur bei meinem Satz, daß mir die neuen Kirchenbauten nicht gefallen, danach fragtet Ihr mich ja, Bruder Martin. Weshalb immer größere Kirchen bauen, während der Geist, der drinnen regiert, sich immer mehr so gestaltet, daß er fromme Menschen abschreckt hineinzugehen?«

Bruder Martin hatte seinen Ledergürtel von der Schulter gezogen und beschäftigte sich damit spielend die Spange auf- und zuzuschnallen.

Dabei sagte er:

»Ihr redet darüber wie ein deutscher Junker. Der Geist, der drinnen regiert, ist derselbe, der war von Anbeginn, wenn er auch sich um- und fortgestaltet. Jedweder Geist ist eine Strömung. Auf ein fortwährend Erzeugen immer besserer Gestaltung, darauf geht der Trieb in allem, was Leben hat.«

»Gestaltet und entwickelt nur nicht zu viel und nicht Dinge, welche die Menschen, Euch zu folgen, abschrecken«, fiel Egino ein. »Soviel habe ich in Bologna im Kolleg des gelehrten Griechen Tryphon gelernt. Die großen Ketzereien sind immer durch den Protest wider Eure Neugestaltungen entstanden. Vor der Neugestaltung der Lehre von der Gottheit des Sohnes sind die Arianer stehen- und zurückgeblieben; vor der Entwickelung der päpstlichen Allmacht die Waldenser, vor dem Dogma, das den Kelch beseitigte, die Hussiten; alle diese Ketzer haben sich immer nur gegen die »Neugestaltung« gesetzt und beim alten ursprünglichen Gotteswort bleiben oder zu ihm zurückkehren wollen; und ich fürchte, es werden ihrer noch viele, viele zurückbleiben, wenn diese Entwicklung neuer »Gestaltung«, neuer Machterweiterung, neuer für Geld zu habender himmlischer Gnaden so fürder schreitet.«

»Was versteht Ihr davon und Euer tückischer Grieche in Bologna, der dort die deutsche Jugend verführt«, antwortete Bruder Martin. »Soll ich Euch die Ehre antun eine theologische Disputation mit Eurer jungen Weisheit zu halten?«

»Ach nein«, versetzte Egino lächelnd, »ich räume Euch ein, daß meine junge Weisheit dazu nicht im Stande ist – niemals weniger als jetzt ...«

»So kommt lieber und folgt mir, ich kann Euch zu einem Anblick verhelfen, der nicht jedermann schon jetzt zu Teil wird.«

»Und das wäre?«

»Ich gehe zu dem Bruder meines Ordens, dem Sakristan des Heiligen Vaters. Er hat mir zugesagt mich in die Gemächer dort oben – der Mönch deutete rechts auf den hoch über ihnen sich erhebenden Bau der päpstlichen Residenz – zu führen, den ein junger, aber gar berühmter Meister mit Schildereien ausgeschmückt hat, wie man sie niemals und in keinem Lande schöner soll erblickt haben.«

»Ah, so viel hab' ich gehört von diesem Meister und seinen Gemälden im vatikanischen Palast«, rief hier Egino aus; »Ihr leistet mir damit einen großen Dienst, Bruder Martin.«

»Nun so kommt.«

Egino erhob sich und die beiden Landsleute wendeten sich rechts hin, wo sie sich bald auf einer steil emporführenden Straße befanden, die sie zwischen Substruktionen des Palastes und hohen Futtermauern hinführte und auf der sie langsam schreitend emporwandelten, mit Leuten in den verschiedensten Trachten sich kreuzend, mit Männern in geistlichen und weltlichen Kostümen, Hofdienern, Prälaten, Schweizer Söldnern in ihrer malerischen Landsknechttracht, römischen Großen in stattlichem Aufzuge und mit bewaffnetem Gefolge; es schien hier ein ewiges Ab- und Zufluten zu sein in der hohen Königsburg des irdischen Statthalters der Himmelsmacht.

Bruder Martin schien den Weg schon mehr als einmal gemacht zu haben; als er mit Egino den Damasushof erreicht hatte, wendete er sich einem Portale zu, hinter welchem unmittelbar eine breite Steintreppe emporführte. Auf dem ersten Treppenabsatz stand ein Söldner still auf seine Partisane gelehnt, der die beiden Männer apathisch nach dem Wohin fragte, und als Bruder Martin Fra Anselmo, seinen Ordensbruder, genannt, sie ebenso apathisch durch eine bloße Kopfbewegung weitergehen hieß.

Oben gelangten Egino und Martin an einen Vorhang von grünem Tuche, an dem ein Türhüter sie noch einmal anhielt; auf Martins Auskunft, wohin sie wollten, lüftete er den Vorhang und die beiden Deutschen traten in einen Raum, halb Halle, halb Korridor, mit gewölbter Decke, mit Wandmalereien, die Bilder aus dem alten Testament darstellten, mit wenigen hohen und ein nur unzulängliches Licht gewährenden Fenstern. Bänke liefen rund an den Wänden umher, mit gewirkten Stoffen und Polstern belegt, und Matten aus feinem Flechtwerk bedeckten die Steinplatten des Bodens. Langsam wandelnd schritten auf diesen Matten mehrere Gruppen von Männern auf und nieder, zwei von ihnen in der roten Kardinalstracht; andere saßen zusammen plaudernd auf den Bänken zur Seite – Männer im verschiedensten Alter, von den verschiedensten Nationen der Welt; der Gesandte des deutschen Ordens aus dem fernen Norden neben dem langbärtigen Prior eines spanischen Mönchsklosters; ein ungarischer Bischof neben einem schottischen Herzoge in der Tracht seines Landes – Männer mit stolzen und ausdrucksvollen Köpfen und schlaue magere Gesichter mit bewegtem Mienenspiel, alle herbeigeführt von demselben Zwecke, hier an diesem Mittelpunkt geistlicher Weltherrschaft irgendein für sie eine Lebensfrage bildendes Begehren erfüllt zu sehen, mochte dies nun das Anliegen eines Souveräns oder ein Bistum, ein Rechtsspruch oder ein Privileg, eine Dispensation von einem Gesetz oder eine Absolution von einer Sünde sein; dieser Vatikan war ja damals noch das Herz eines großen Adern- und Venensystems, in dem das religiöse Leben der Welt pulsierte; durch die Adern flossen die geistlichen Gnaden der Welt zu und durch die Venen floß – Geld zurück.

Die beiden deutschen Männer, welche in diesen Raum eingetreten, ließen forschend ihre Blicke über die Versammlung gleiten, als ihnen ein ältlicher Mönch in weißem Habit, wie es Bruder Martin unter seiner schwarzen Kutte trug, vom andern Ende des Raumes, wo er mit einem Manne in geistlicher Tracht geplaudert hatte, entgegenkam und dem letzteren schon von weitem freundlich zunickte.

»Es ist Bruder Anselmo, der Sakristan und Beichtvater Sr. Heiligkeit«, sagte Martin zu seinem Begleiter.

Dann sich in lateinischer Sprache an den Kommenden wendend, fuhr er fort:

»Ihr seht zwei wißbegierige Deutsche statt eines, ehrwürdiger Vater. Dies ist ein junger Graf von jenseits der Alpen, der hieher gekommen ist, um einen Prozeß wider mich und unser Kloster zu führen. Doch sind wir darum nicht minder gute Freunde und werden uns schon vergleichen, wenn uns die Rota nicht vergleicht.«

»Recht, recht so,« antwortete Fra Anselmo, Egino mit einem freundlichen Lächeln anblickend, »besser, daß zwei Freunde eine strittige Frucht spalten, als daß der Streit um die Frucht die Freunde spaltet. Ihr wollt also sehen, was unser junger Urbinate in der Sala della Segnatura malt?«

»Da Ihr es mir verhießt es mich sehen zu lassen, ehrwürdiger Vater«, fiel Martin ein.

»Ich weiß, ich weiß und erwartete Euch. Folgt mir. Nur verratet dem Meister Eure Anwesenheit nicht durch zu lautes Reden; er wäre dann wohl imstande uns alle drei scheltend fortzusenden.«

Fra Anselmo schritt dem anderen Ende des Raumes zu und die Deutschen folgten ihm; durch einen zweiten Vorhang kamen sie in einen schmalen Korridor und dann in einen gewölbten Saal von mäßiger Ausdehnung.

»Hier ist, was Ihr zu sehen verlangt«, flüsterte Fra Anselmo beim Eintreten.

Die beiden jungen Männer traten wenige Schritte vor, dann blieben sie beide wie verschüchtert stehen, die überraschten Blicke umherwerfend, über die Pracht der Farben und Gestalten, welche sie umgab.

Der ganze Bilderschmuck des Raumes war eben vollendet, die Gerüste waren entfernt, nur einige Planken und Seile lagen noch auf dem Boden; einige Arbeiter waren beschäftigt auch diese zu entfernen, während mehrere junge Leute in leichten hellen Kitteln über ihren Gewändern in einer Gruppe am Fenster zusammenstanden, eine Zeichnung betrachtend, welche auf der Fensterbrüstung ausgebreitet vor ihnen lag.

Nachdem die beiden Deutschen das, was sich ihren Augen darbot, eine Weile stumm überblickt, rief Egino aus:

»Bei meinem Schöpfer, Bruder Martin, und wenn man mir auch drohte mir die Zunge auszuschneiden, ich könnte nicht stumm bleiben hier, nicht leise flüstern; mich faßt etwas wie ein Übermächtiges, wie die Gewalt eines Wesens, das ich nie geahnt, wie ein Rausch, nicht weil ich Wein, sondern weil ich etwas wie Himmelsluft getrunken! – Bruder Martin, Martin, ist's Euch denn nicht auch so zu Mute ... dies ist ja schön, schön, um in den Tod zu gehen dafür ... ein Welt von Schönheit, vor der man sich in entzückter Andacht auf die Knie werfen möchte.«

Bruder Martin blieb schweigend. Er schaute schweigend mit einem eigentümlich flammenden Blick das Bild an, das man die »Disputa« nennt. Dann erhob er das Haupt, um die Deckengemälde, die Gestalten der Theologie, der Poesie, der Philosophie und der Gerechtigkeit anzuschauen; und endlich sich wendend, ließ er lange Zeit sein Auge auf der der Disputa gegenüberliegenden Wand, auf dem »Parnaß« und der »Schule von Athen« ruhen.

»Nun, Bruder Martin«, rief Egino wieder aus, »Ihr könnt stumm und schweigend das alles betrachten?«

Bruder Martin fuhr sich mit der Hand über Stirn und Gesicht, wie um sich zu sammeln.

»Wie könnte mans anders als schweigend betrachten?« sagte er alsdann halblaut. »Gibt es doch eine Welt zu denken auf.«

»Zu denken? Ei, wer mag da denken? Wenn Euch große Schwingen an die Schultern gesetzt werden, was denkt Ihr? Armselige Seele, die da denkt – man schlägt die Schwingen auseinander und fliegt – auf, auf, ins Morgenrot, in die Himmelsluft und in die Strahlenwelt der Sonne.«

»So empfindet Ihr, Graf Egino«, versetzte wie in Verwirrung und Betroffenheit der deutsche Mönch. »Hier aber ist eine Himmelsluft, in die ich zagen würde mich aufzuschwingen und zu verlieren. In diesen Bildern ist viel von Gott, denn in der Schönheit ist immer etwas von Gott, und so ist auch die Schönheit Tugend ...«

»Aber?«

»Aber«, fuhr Bruder Martin fort, »diese Tugend ist durch die Schlange verführt und hinter ihr steht der Teufel!«

»Ach, nun möcht' ich lachen, wenn mir nicht so heilig ernst zu Mute wäre!«

»Lacht nicht! Es ist so; das Menschengeschlecht, der irdische Leib, unsere elende Körperlichkeit in dieser freien Schönheit dargestellt, das ist ja eine Vergöttlichung der Kreatur, als ob sie ohne Sünde geboren sei! Seht diese Gestalten! Sind das irdische Geschöpfe, für den Schmerz geboren, wie wir Menschen es sind, und der Erlösung durch Christi Opfertod, der Gnade bedürftig, um zu leben, um im Schmerz nicht unterzugehen? Stehen sie nicht da in stolzer Selbstgenüge und als ob sie der Rechtfertigung nicht bedürften, weil sie gerechtfertigt durch sich selbst sind? Predigt die neue Kunst im Hause des Heiligen Vaters das Heidentum?«

»Weshalb nicht das Heidentum«, sagte Egino, »wenn das Heidentum so schön und, wie Ihr selbst sagt, so tugendhaft ist?«

Bruder Martin sah ihn groß an, er antwortete nicht, er blickte wieder auf die Gestalten der Bilder und versank in ihren Anblick.

Unterdessen hatte aus der Gruppe der jungen Leute am Fenster der, welcher den Mittelpunkt derselben gebildet und die Zeichnung erklärend das Wort geführt, sich herumgewendet. Es war ein Mann von Gestalt nicht groß und mehr zierlich als stark, von auffallend schönen Zügen, mit reichen, auf die Schultern niederfließenden braunen Haaren. Er trug den Kopf auf dem langen Halse ein wenig vorgebeugt; schöne, weit geöffnete braune Augen glänzten darin, die Haut war von einer feinen olivenfarbenen Blässe bedeckt, es war eine ganz geistige, fast Sorge einflößende Erscheinung. – Einen Schritt nähertretend, fixierte er den deutschen Mönch; Fra Anselmo trat an ihn heran und flüsterte ihm einige Worte wie zur Entschuldigung, daß er die Fremden hergebracht, zu. Der Maler nickte und sagte dann lächelnd:

»Und was spricht Euer Ordensbruder da zu seinem Landsmann ... er scheint mit meiner Arbeit nicht sonderlich zufrieden zu sein?«

Dabei warf er mit einer Kopfbewegung, die für einen Mann beinahe zu viel Anmut und etwas Weibliches hatte, das lange Haar zurück; die Stimme, womit er sprach, hatte etwas Klares, Silbertöniges, was eigentümlich zum Herzen drang.

Der deutsche Mönch wendete sich von den Bildern ab und trat dem Maler einen Schritt entgegen, wie betroffen und hingezogen von dieser merkwürdigen Erscheinung.

Auch Egino konnte nicht anders, als seine Aufmerksamkeit von den Bildern abziehen, um sie den sich gegenüber tretenden beiden Männern zuzuwenden, dem schönen seelenleuchtenden Antlitze des jungen Malers, aus dem voller heiterer Lebensmut bei einem seltsamen, fast Scheu erweckenden Ernste blickte, und dem festgemeißelten Kopfe des Mönchs, der um anzuziehen, nichts hatte, als die in diesem Augenblicke von einem ganz eigentümlichen Feuer belebten Augen; es war, als ob aus den vier sich so begegnenden Augen sich kreuzende Strahlen geworfen würden, unsichtbare Geistesfäden hin- und herzuckten, die eine Verbindung suchten und sie nicht finden könnten, ein wechselndes Suchen der Seelen und ein trotziges Herausfordern.

»Welch einen Kopf Ihr habt, guter Frate«, sagte mit überlegenem Wesen dann lächelnd der Maler; »hätte ich ihn eher gesehen, hätt' ich ihn dort unter den Männern der streitenden Kirche brauchen können.«

Er wies nach rechts hin auf das Gemälde der Disputa.

»Vielleicht aber«, fuhr er fort, »hättet Ihr ihn nicht dazu hergegeben; Ihr macht ein gar ernstes und wie erschrockenes Gesicht zu diesem Bilde.«

Er hatte dies in ziemlich fließender lateinischer Sprache gesagt und Bruder Martin versetzte in derselben:

»Erschrocken, doch nur über die Schönheit Eurer Darstellungen, die darauf deuten, daß Ihr mehr in Platos Gastmahl als in der Bibel gelesen habt.«

Der Maler nickte lächelnd.

»Ich habe Platos Gastmahl gelesen, aber die Bibel auch; es hat, sagt es selbst, meinen Bildern nicht geschadet?«

»Nicht Euren Bildern, vielleicht aber schadet es den Seelen, welche sich in diese Bilder versenken.«

»Und weshalb?«

»Weil sie wie ein berauschender Zaubertrank sind. Diese Fülle von Schönheit ist zu groß, um nicht das Herz gefangen zu nehmen und es in einen gefährlichen Traum von menschlicher Hoheit, Größe und Schönheit zu lullen. Seid nur ganze volle Menschenbilder, also predigt Ihr da von diesen Wänden herab, und Ihr habt der Schönheit, des Glückes, der inneren Harmonie genug; Ihr strahlt dann als freie Könige der Welt, Ihr seid dann die Gestalt gewordenen ewigen Ideen, die aus dem Schoß des göttlichen Wesens Euer griechischer Philosoph hervorgehen läßt – Ihr bedürft nicht mehr!«

»Und soll ich solche Wesen nicht darstellen?« sagte der junge Maler. »Ist der Gott der Bibel schwächer, ohnmächtiger als das ewige Wesen Platos, und wenn dies Ideen bildet, die, zur Gestalt geworden, sich als Ideale schöner Erscheinungen darstellen, soll ich dann den Inquisitor wider sie machen und sie als heidnisch, unchristlich und sündhaft vernichten, sie in der Glut meiner christlichen Devotion als Ketzer verbrennen? Sind die Geschöpfe des christlichen Gottes schwächer und ungesunder, und erkennt Ihr nur die gestümperten als seine Kinder, die wie die langen mageren und verdrehten Heiligen in Euren deutschen Kathedralen und leider auch in unseren italischen aussehen?«

»Der Gott Platos ist nicht unser Gott«, erwiderte lebhaft der deutsche Mönch. »Der Gott Platos ist der Gott der heidnischen Welt. Was die alte Welt darstellt, was die heidnischen Künstler bilden, das ist eine Welt des Glücks, des Heldentums, des Sieges, der Kraft, des sich selbst genügenden Seins, der Daseinsfreude. Das Altertum ist das Erdenglück. Das Christentum aber ist der Schmerz. Im Altertum gehört der Mensch der Natur, im Christentum dem Geiste. Es herrscht im Christen der Zwiespalt zwischen Mensch und Natur. Die Sünde hat den Zwiespalt zwischen sie gebracht. Der Zwiespalt geht bis zum völligen Auseinanderscheiden beider, dem Tode, und so ist unser ganzes Leben ein schmerzhafter Kampf, ein Sichdurchschlagen bis an jenes dunkle Tor ins Jenseits, an dessen Schwelle wir zusammenbrechen und durch das sich dann ein rettender Arm hervorstreckt, um uns hineinzureißen in die Burg des ewigen Friedens. Darum, Meister, tut Ihr Unrecht, wenn Ihr Menschen malt, in denen kein Zwiespalt ist, die nicht sterben können, weil ihr harmonisches Sein in einer Herrlichkeit des Geistes und der Gestalt dasteht, an der keine Sünde ist, und die nicht zu kämpfen brauchen bis an den Tod. Wir sind Christen und wissen, daß wir der Gnade bedürfen, wollen wir das Leben haben. Ihr aber, Meister, bildet Göttermenschen.«

Während der Mönch so sprach, hatte das Antlitz des jungen Malers einen Ausdruck angenommen, der es eigentümlich veränderte.

Es war, als ob der Hauch jugendlicher Schönheit, der darauf geruht, sich leise verzogen habe, um einem ernsten Denkergesicht mit den Runzeln der Anstrengung darauf Platz zumachen. Seine Augenhöhlen hatten sich vertieft, der leise Schimmer von Röte auf seinen Wangen war verflogen.

Er kreuzte die Arme über der Brust, er sah eine Weile stumm den Bruder Martin an, dann, wie in der Zerstreuung, warf er auch die Hemmung der lateinischen Rede ab und antwortete in italienischer Sprache:

»Wenn Du so sprächest in Deiner Zelle jenseits der Berge, deutscher Mönch, möchtest Du recht haben. Jedes System gilt so weit, als es Macht über die Gemüter hat, über diese Grenze hinaus wird es Torheit und der Kinder Spott. Ist Dein System nicht in mir, wenn ich male, so kann ich auch Deine Schmerzmenschen nicht malen. Laß mich der Welt Gestalten zeigen, in denen nicht Zwiespalt, sondern Eintracht zwischen dem sinnlichen Sein und der Seele ist, Gestalten, die mit schöner Seele in schöner Form die Freiheit gefunden haben, und mit der Freiheit das Glück, die Daseinsfreude; Gestalten, die nicht des Schmerzes Knechte, sondern seine Herren sind. Vielleicht ... Du nennst es ja eine Predigt, vielleicht wirkt diese Predigt an die Menschen auch ihr Gutes. Verstehst Du mich?«

»Ich verstehe, Signore Rafaele«, antwortete Bruder Martin in derselben Sprache; »aber laß mich fortfahren, in lateinischer Sprache zu reden, da ich nicht so geläufig die Deine rede. Ich würde Dich Deine Gestalten malen lassen, wie Dein Auge sie erblickt, Dein Gemüt sie schafft und Deine bewunderswürdig kunstfertige Hand sie in unnachahmlicher Vollendung, gleich als ob sie atmeten, hinzuzaubern weiß, wenn Du nicht eben predigtest, zu deutlich und zu aufrührerisch. Du stellst das Menschentum nicht allein dar, wie es von den Heiden dargestellt wurde, Du erbaust Dir auch die Welt, wie der Christ sie nicht auferbaut sehen darf. Dort der Verherrlichung der Religion auf dieser Wand hier stellst Du auf der gegenüberliegenden Wand, wo Deine Weltweisen versammelt stehen, die Verherrlichung der Philosophie gegenüber; dort die Kirche mit ihrer Offenbarung, hier den selbständigen Menschengeist, und die Heroen des forschenden Denkens! Du gibst ihnen also gleiches Recht in Deiner Welt! Da oben über uns leuchtet in ergreifender Schönheit neben der »Theologie« die »Poesie« und dort das »Recht«. Sind das die gleich starken Grundpfeiler Deiner moralischen Welt? Kunst, Recht, Philosophie, sind sie Dir dasselbe, was die Religion? Und so stellst Du sie in dem Hause des Nachfolgers der Apostel hin? Dort die Kirchenväter und hier Apoll und die Musen? Den Parnaß gegenüber der Eucharistie? Der Geist, der eine solche Anschauung der irdischen Dinge hegt, kann freilich auch irdische Menschen wie Götter, wie »Herren des Schmerzes« schaffen. Eritis sicut deus! sagt die Schlange.«

Der Maler sah wieder ernst, sinnend, wie in Gedanken verloren den Mönch an und antwortete lange nicht. Wohl nie hatte ein Beschauer seiner Werke so mit dem ersten Blick erkannt und ausgesprochen, was der weltgeschichtliche Inhalt seiner Kunst war: die Aufnahme des heidnisch humanen Prinzips in die christliche Kunst.

»Höre, Mönch,« sagte er dann, stolz das gesenkte Haupt erhebend, »Du predigst wie Du mußt. Das ist Dein Handwerk. Aber rührt Dich meine Kunst nicht, so rührt mich Deine Predigt nicht. Ich stelle nicht allein Recht und Poesie und Weltweisheit gleichberechtigt neben Deine Theologie, nein, sogar mich, den lebendigen Menschen. Ich weiß, Gott hat mich, wie ich bin und wirke, geschaffen, aber ich habe ein gut und schwer Stück Arbeit und sauren Schweiß daran gewendet dem lieben Gott nachzuhelfen, um zu werden, wie ich bin; nun aber habe ich eine Kraft in mir, das ist eine gute Kraft, der ich, wenn ich im Feuer des Schaffens bin, die Zügel schießen lassen darf voll Vertrauen, daß sie, des Rechten sich bewußt, die rechten Bahnen wandelt. Und so mach ich's denn. Jammerst Du, daß ich die Gestalten nicht kirchlich male? Ich male sie, wie richtige Menschen sind; fallen sie nun nicht kirchlich aus, so muß es daran liegen, daß Gott den richtigen Menschen nicht geschaffen und nicht bestimmt hat für Dein Kirchentum. Willst Du ringende, gefesselte Leiber sehen, die unter der Sünde wie unter einer Felsenwucht ihre Muskeln spannen und ihre Glieder stemmen, so geh' in die Kapelle drüben, wo Michel Angelo malt. Täte ich so, so frevelte ich an mir selber und würde ein Heuchler, denn ich, ich erkenne und sehe nicht so. Des Malers Offenbarung ist sein Auge. Mag unter dem Mantel des hageren Heiligen die ganze Theologie des Thomas von Aquin stecken, in der nackten Schulter der Muse ist eine höhere Theologie, die Gottesgelehrtheit, die vom Schönen gepredigt wird und mehr des Ewigen vielleicht, wie in der scholastischen »Summa«. Und weil Du so klug aus Deinen feurigen Augen blickst, deutscher Frate, so nimm einen Rat von mir. Ich habe mich frei gemacht und so die Schönheit gefunden. Geh' Du Dich frei zu machen, um die Wahrheit zu finden!«

Damit nickte der Meister Rafael Santi dem Bruder Martin einen kalten stolzen Gruß zu, winkte den anderen jungen Männern und ging, von ihnen geleitet, davon.

Der deutsche Mönch blickte ihm mit finsterer und gerunzelter Stirne nach.

»Ihr seid betroffen und stumm geworden, Bruder Martin?« sagte nach einer Pause, während welcher er ihn beobachtet hatte, Graf Egino.

»Betroffen, ja, das bin ich«, rief der Mönch aus, »und ich denke, Ihr dürftet es auch sein! Dort drüben« – er deutete nach der Richtung der Peterskirche hin – »bricht der Papst selber den heiligen Dom der Christenheit, in dem die Gräber der Apostel sind und jeder Fleck durch tausendjährige Verehrung geheiligt ist, nieder, um ein neues Werk im heidnischen Stil zu erbauen, und hier in seinen Kammern malt ihm der erste Maler der Welt das lichte Heidentum an die Wände. Nun sagt mir, Graf Egino, was soll aus der Kirche werden?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Egino achselzuckend. »Mir scheint nur, daß, wenn die höchsten Geister nicht mehr zur Kirche kommen, die Kirche am Ende doch wohl tun wird zu den Geistern zu kommen.«

Bruder Martin versetzte nichts. Er erhob langsam sein Auge zu dem Gemälde der »Disputa«. Eginos Blicke aber hingen flammend und entzückt auf den Gestalten der anderen Wände.

»Das Schöne«, rief dieser endlich aus, »wo liegt es hier? Ich glaube, es liegt in der makellosen Reinheit dieser Gestalten. Wenn dieser Meister von Urbino nackte Leiber malt, so stehen sie da, wie aus dem Schoße der Natur hervorgegangene Wesen, für die Ihr so wenig eine Hülle fordert, wie für den Baum, an dem Euer Weg vorüberführt. Wenn Ihr den Duft einer Blüte einsaugt, denkt Ihr daran, ob sie männlichen oder weiblichen Geschlechts ist? Ja, ja, in seiner hellen Seelenreinheit liegt das Geheimnis dieses Malers. Mögt Ihr ihn heidnisch nennen, so viel Ihr wollt, in seiner Keuschheit liegt sein Christentum, und wenn er die heidnische Form zwang der lebendige atmende Ausdruck einer reinen und idealen Seele zu werden, so solltet Ihr ihn loben und nicht ihn tadeln!«

»Kommt, kommt«, sagte der Bruder Martin, »gehen wir, ich sah genug. Mir ist weh in meinem Herzen geworden an diesem Orte!«


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