Levin Schücking
Luther in Rom
Levin Schücking

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9. Der Schild der Hohenstaufen.

Der leidenschaftliche Ausbruch, mit welchem Egino den unauslöschlichen Eindruck gestanden, den die Braut des toten Savellers auf ihn gemacht, hatte nichts zu Heftiges, zu Feuriges, nichts Unwahres gehabt. Was er seinem Begleiter gesagt, geschildert, das fühlte er; er fühlte es in unverminderter Stärke während der Nacht, die er schlaflos zubrachte; er fühlte es am folgenden, an allen nachfolgenden Tagen, während denen er die Stunden einsam in seiner Kammer zubrachte, untätig, träumend, stumpf wider alles andre, oder umherschlich, einsame Wege aufsuchend, den Anblick von Menschen meidend, schon die Stimme der Menschen scheuend und umherirrend wie ein Verlorener.

Und je mehr er still gegrübelt und gedacht, desto mehr versank er in die heillose Verzweiflung, die sich seiner bemächtigt hatte ... die Verzweiflung des Willens in Ketten der Leidenschaft, welche ihre Stirn wider die eherne Mauer des Unmöglichen einrennt. Unmöglich, unmöglich ... es war ja unmöglich für ihn, den Fremden, Hilflosen, sich einen Weg in die Burg des gewalttätigen Geschlechts zu bahnen und das Opfer zu befreien, das nach seiner Vorstellung keinen andern Retter, Rächer, Schützer hatte als ihn – es war tausendfach unmöglich!

Unmöglich – schon durch ihn selbst, vielleicht am meisten durch ihn selbst. Hätte nicht ein anderer in seiner Lage Mittel und Wege entdeckt sich den Savelli bekannt zu machen, ihre Freundschaft, ihr Vertrauen zu gewinnen, sich in ihr Haus, auf ihre Villen laden zu lassen, sich der Corradina so zu nähern, ihre Gesinnungen zu erforschen, um ihre Neigung zu werben? Alles das hätte ein anderer gekonnt. Aber Egino dachte nicht daran. Sich verstellen, eine Maske vornehmen, Freundschaft und Ergebenheit heucheln, wo er haßte, bis aufs Blut haßte – seine ehrliche deutsche Natur war nicht im Stande dazu! Er hatte wider die Lüge nur die Wahrheit, wider die Tücke nur den Zorn, wider die Gewalt nur die Gewalt als Waffen. Und diese Waffen, was nützten sie!

Egino fühlte sich versinken, verkommen, untergehen in dieser entsetzlichen Lage. Er kam nicht mehr los aus dem engen Gedankenkreise, der ihn umspann, gefangen hielt, umschloß wie ein eiserner Ring, der ihm den Atem, die Kraft zu leben raubte ... aus den Gedanken an das unglückselige wunderbare Weib und an ihr Los und die Tatsache, daß er sie retten wollte, retten mußte, und daß er so ohnmächtig sei wider diejenigen, welche ihr junges Leben vernichteten, wie ein armer Vogel ohnmächtig ist wider die Mauer, gegen die er flattert.

Eines Abends kam Egino todmüde von einem langen Spaziergange heim; er war in der Campagna umhergeirrt, unter Ruinen alter Grabmäler an der »Königin der Straßen«. Als er in seine Wohnung trat, meldete ihm sein Diener Götz, Signor Callisto Minucci sei dagewesen, um ihn zu einem Gange zum Kapitol abzuholen.

»Und was sollt' ich mit ihm auf dem Kapitol?« fragte Egino.

»Es wird da einer von den Großen bestattet, in einer der Kirchen da oben«, versetzte Götz.

»Einer der Großen Roms wird auf dem Kapitol bestattet?« rief Egino aus. »Er heißt Luca Savelli, dieser Tote?«

»Ich glaube, ein Name, der so klang, war es«, versetzte der Diener. »Wollt Ihr nachgehen, Herr?«

Egino warf sich erschöpft in seinen Armstuhl.

»Nein«, sagte er. »Ich brauche ihn nicht bestatten zu sehen, um zu wissen, daß er tot ist. Geh' Du, wenn es Dich lockt. Geh'! Doch halt, gib mir mein Schwert, meinen Mantel zurück; ich werde gehen und Du folgst mir.«

Egino verließ eilig das Haus wieder. Der Gedanke war ihm gekommen, daß bei dieser Bestattung die Frauen des Hauses Savelli anwesend sein könnten und daß es möglich sei, daß er Corradina unter ihnen erblicken würde.

So schritt er in Hast, von seinem Diener gefolgt, den Corso hinab und dem Kapitol zu, dann die hohe Treppe mit der endlosen Folge von Marmorstufen zur Kirche Ara Celi hinauf.

Das Portal war schwarz verhangen.

Als er in das Innere trat, das mit schwarzem Tuche ausgeschlagen war und von zahlreichen flammenden Wachslichtern und Fackeln erhellt wurde, hörte er einen düsteren Trauergesang sich entgegenschallen, der aus einer der Seitenkapellen rechts am oberen Ende der Kirche kam. In der Mitte des Schiffes sah er einen von brennenden Fackeln umgebenen Katafalk ... er war leer, der Sarg war heruntergenommen; den Sarg hatte man bereits da oben in der Kapelle in die Gruft gesenkt.

Eine große Menge von Zuschauern und Leidtragenden verlief sich nach allen Richtungen; – das Ganze war zu Ende, und Frauen, schien es, hatten keine anderen daran Teil genommen, als die der Klienten des Hauses und die aus dem Volke, das rechts und links von Egino jetzt dahin strömte die Kirche zu verlassen.

Auch Egino wendete sich zurückzukehren. Als er durch das Schiff der Kirche wieder an dem Katafalk vorüberschritt, fiel sein Auge auf dies mit schwarzen Samtdecken und Goldstoff verhüllte Gerüst. Die Ahnenwappen des Hauses Savelli waren daran angebracht, wie ein Kranz seine Basis umgebend; am Kopf- und am Fußende das Wappen des eben bestatteten Toten selbst; das letztere zeigte Luca Savellis und seines Weibes Schild nebeneinander gestellt. Auf dem einen der Löwe der Saveller und die Schwerter der Erbmarschallswürde, auf dem andern, dem Schilde der Frau aber ... was bedeutete das? .. auf diesem Schilde, auf den blutig der Schein der Fackeln fiel, zeigte sich auf goldenem Grunde ein zweiköpfiger schwarzer Adler, der auf seiner Brust einen Herzschild mit einem springenden roten Löwen trug ... das war das deutsche Reichs-, das deutsche Kaiserwappen, wie es das Geschlecht Friedrichs von Büren, das Geschlecht der Hohenstaufen, geführt. Seltsam! Was hatte die Gräfin Corradina von Anticoli mit den Hohenstaufen zu schaffen?

Egino stand versunken in dem Anblick. War das Wappenschild eine märchenhafte Runenschrift, ein Zauberpentagramma, das ihn festbannte, über das er nicht hinwegkonnte? Er stand und schaute darauf, bis die Kirche völlig menschenleer geworden, – auf das Hohenstaufenwappen, das plötzlich vor seinen Augen auf dem Kapitol aufgetaucht war – an einem Katafalk!


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