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Von der Straßburger Jubelfeier.

Beilage zur Allgemeinen Zeitung. München, Nr. 102 vom 7. Mai 1897.

Worte im Namen der früheren Lehrer der Kaiser Wilhelm-Universität, gesprochen zu Straßburg am 1. Mai 1897.

»Magnifizenz, hochgeehrte Festversammlung, werte Kollegen, liebe Kommilitonen! Es ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, im Namen der früheren Lehrer dieser Hochschule dem jetzigen Lehrkörper unsern herzlichsten Dank dafür auszusprechen, daß Sie uns zu diesem Feste geladen haben, und Ihnen zugleich unsere wärmsten Glückwünsche für Gegenwart und Zukunft darzubringen.

Ich tue es bewegten Herzens! Denn unwillkürlich steigen in diesem Augenblicke alle die Erinnerungen an die Jahre 1872-1882, die ich hier unter Ihnen weilen, mit Ihnen lehren durfte, in mir auf. Die treuen Genossen und Mitarbeiter, die nicht mehr sind, gehen an meinem Blicke vorüber; bin ich doch von den Rektoren der ersten Jahre heute der einzige Überlebende. Aber ich sage Ihnen meine Glückwünsche zugleich freudigsten Herzens, denn die Universität kann stolz darauf sein, was sie der Wissenschaft, der Welt und dem Vaterlande in diesen 25 Jahren geleistet hat, und was bisher geleistet wurde, verheißt gleiches in der Zukunft. Die heutigen Lehrer haben nicht nur behauptet, was wir begonnen; sie haben es befestigt und vermehrt.

Und wenn ich nun versuche, zu sagen, was nach meiner Meinung die eigentümliche Stellung und Bedeutung der Universität Straßburg ausmache, so möchte ich das anknüpfen an die Frage, welche Rolle die Universitäten im Geistesleben des deutschen Volkes in unserm Jahrhundert überhaupt gespielt haben. Man hat oft gesagt – und in gewissem Sinne mit Recht –, die Universitäten hätten heute einen geringeren Einfluß als früher. Ich sage: das sei in gewissem Sinne wahr: denn ihre Lehrer greifen heute nicht so offen, so deutlich, so häufig ins praktische Leben der Nation, der Politik ein wie früher. Ob aber ihr indirekter Einfluß, die Macht ihrer Lehre, der Strom der von ihnen ausgehenden Anregung nicht heute doch ein größerer sei, darüber wird man mit Recht streiten können. Ich glaube es fast. Und es scheint mir mit eben den Ursachen zusammenzuhängen, welche die Größe Straßburgs ausmachen.

So oft in den letzten Jahrhunderten in Deutschland neue große Universitäten gegründet wurden, waren es zwei Faktoren, die zusammenwirkten: große politische Ereignisse und Veränderungen des nationalen Lebens gaben den Anstoß, die Mittel; und diejenigen geistigen und wissenschaftlichen Strömungen, die eben in diesem Moment die aufstrebenden, die kräftigsten, die gesündesten waren, die kamen nun auf der neu gegründeten Hochschule naturgemäß so viel stärker und reiner zum Ausdruck, als auf den alten Universitäten, daß der neuen Schwester nicht bloß äußerlich eine führende Rolle, ein ganz besonderes Ansehen zufiel, sondern daß sie auch für ein oder zwei Menschenalter in der Tat mehr leistete, als die meisten anderen Universitäten.

Als Berlin und Bonn im Anfang unseres Jahrhunderts begründet wurden, da konzentrierte sich an ihnen der eigentümliche Geist jener tief bewegten, auf hoch gespannte Ideale gerichteten Zeit; starkes nationales Empfinden, ernster historischer Sinn für die deutsche Vergangenheit, ein philologisch-literarisches Studium, das von der Abendröte unserer großen klassischen Literatur seine Farben empfing, eine große spekulative Philosophie, eine Naturforschung, wie sie in Alexander v. Humboldt ihren klassischen Vertreter hatte, das waren die wichtigsten Elemente, welche vorherrschten. Wer unter den heute Lebenden die deutschen Universitäten schon in den fünfziger und sechziger Jahren kennen lernte, weiß, daß noch damals in der älteren Generation diese Tendenzen vorwalteten. Jeder Gebildete stand damals noch unter dem Zauber dieser urbanen, feinfühlig universal gebildeten, idealistisch oder romantisch gefärbten alten Herren. Und jeder historisch Denkende weiß, daß diese Richtung den Kern und die Kraft der deutschen Universitäten in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ausmachte. Aber die Gelehrten jener Zeit waren nicht frei von Romantik, von einem Idealismus, der zu viel wollte, und darum der Forschung hinderlich wurde. Die bloße Spekulation, das Herausspinnen aus Begriffen herrschte zu sehr vor. Ahnungen, Konstruktionen waren zu umfangreich in das Wissen eingemischt.

Es mußte eine andere geistige und wissenschaftliche Strömung kommen; nüchterner, kritischer, vielleicht weniger liebenswürdig, aber tiefer bohrend, weniger ästhetisch empfindend, weniger literarisch geschult, aber mit mehr Energie der Wahrheit ins Antlitz schauend, so trat eine jüngere Gelehrtengeneration auf. Ein Hunger nach Tatsachen, nach Wirklichkeit war entstanden, die empirische Beobachtung und Forschung wurde überall nötig. Der Realismus verlangte sein Recht gegenüber den Übeln eines absterbenden Idealismus. Die besten Köpfe der Philologie, der Historie, der Naturwissenschaft hatten längst dahin gedrängt. Aber langsam war ihr Vordringen auf den Lehrstühlen. Helmholtz und Zeller konnten erst 1871 bis 1872 in Berlin einen Platz finden.

Der Geist, der diese Männer in die deutsche Reichshauptstadt führte, hat obgewaltet bei der Auslese der Männer, welche die neue Universität Straßburg bildeten. Unter ihnen waren nur wenige Ältere, nur wenige, welche schon einen erheblichen wissenschaftlichen Namen in weiteren Kreisen hatten. Die sogenannten berühmten Namen, die Sexagenarii, versagten, sie waren zu einer Verpflanzung und Neugründung auch nicht so zu brauchen. Wir, die wir uns 1872 hier versammelten, waren meist kaum über 30 Jahre alt. Ein geistvoller sarkastischer Beobachter, der Straßburg in jenen ersten Jahren kennen lernte, faßte den Eindruck, den wir ihm im Gegensatz zu den älteren Universitäten machten, in dem Wort zusammen: es komme ihm vor, wie wenn man lauter Assistenten zu ordentlichen Professoren gemacht hätte.

Ja, es gab damals in Straßburg nur wenige Lehrer, deren Jugendeindrücke und Schulung vor die Zeit von 1848 fiel. Und die wenigen, die älter waren, paßten nach Methode und Geistesrichtung zu uns Jüngeren, wie z. B. der große historische Theologe Reuß. Mit wenigen Ausnahmen waren die sämtlichen Lehrer der jungen Universität Vertreter eben jenes Realismus in der Wissenschaft, der in allen Gebieten zu schärferer Kritik, zu strengeren Methoden, zu neuen Resultaten führte. Mochte man einseitig sein, mochten wir keine Juristen, Historiker, Mediziner mehr haben, die zugleich als große parlamentarische Redner glänzen wollten und konnten: im Hörsaal, im Seminar, im Laboratorium und Institut stellten wir unsern Mann. Ob beredt oder nicht, wir wollten lernen und lehren, wir waren ganz nur erfüllt von unserer Lehrtätigkeit, und darum fanden wir Schüler. Und bald hieß es: wer etwas lernen will, muß nach Straßburg gehen; in Straßburg ist man fleißiger als anderwärts; dort sind Institute, dort hat man etwas vom Dozenten.

So ist, will mir scheinen, der Name Straßburgs als Universität erwachsen, nicht durch glänzende Namen und Redner, durch pathetische und ästhetisch auf Stimmung und Richtung wirkende Akademiker, sondern durch ehrliche, einfache, empirische Arbeit in der Wissenschaft, dadurch, daß wir dem berechtigten Realismus der Zeit einen stärkeren Ausdruck geben konnten als die anderen Universitäten; wir gehörten alle derselben Generation an, feuerten uns deshalb gegenseitig an, förderten uns gegenseitig, und wir erhielten von einer hochherzigen Regierung so reiche Mittel für Unterrichtseinrichtungen, wie sie den alten Universitäten erst langsam, nach und nach zuflossen.

Der Realismus, dem ich so das Wort rede, ist mit dem wahren Idealismus wohl verträglich, ja er setzt ihn voraus; er steht nur im Gegensatz zum falschen, geschwätzigen, täuschenden Idealismus, der das Dach decken will, ehe er die Fundamente gelegt. Der rechte Idealismus soll die innere erwärmende Kraft bilden, die den Zusammenhang der Dinge fühlt, ahnt und unsere Seele zu den höchsten Zielen leitet. Der falsche Idealismus in der Wissenschaft will es sich leicht machen; er scheut die Mühe und die empirische Detailarbeit; er will Gefühle an die Stelle der Forschung und der Gedanken setzen.

Wir Deutschen mußten auf allen Gebieten aus den Nebeln heraus auf den festen realen Boden der Wirklichkeit treten. Auch der große Gründer des Deutschen Reichs und sein edler Herr und Kaiser konnten nur als entschlossene Realisten uns wieder ein einiges großes Vaterland geben. Und doch waren sie beide zugleich die echten und wahren Idealisten.

Auch die großen Aufgaben idealer politischer Art, welche die Universität hier im Lande zu erfüllen hatte, konnten am besten durch diese Art wissenschaftlichen Unterrichts, durch wirkliche Forschung, durch echtes rücksichtsloses Streben nach Wahrheit erfüllt werden. In diesem schönen Lande nüchternen Denkens und Handelns mit seinen politischen und religiösen Gegensätzen, seinen vom Kriege her blutenden Wunden durfte man den Schwerpunkt des Universitätsunterrichts nicht etwa darauf verlegen, einseitig und voreilig deutschen Patriotismus zu predigen, sondern man mußte einfach zeigen, daß die Universität nicht im Dienste der Tagespolitik, sondern in dem der Wahrheit steht, daß sie auf allen Gebieten Gutes, Brauchbares, Nützliches den Landeskindern bietet, daß sie Früchte zeitigen kann, die man in ganz Deutschland wie in ganz Frankreich zu schätzen wisse.

Der Geist, die Methoden, die wissenschaftlichen Richtungen, die 1872 in Straßburg sich zusammenfanden, haben dann mehr oder weniger auf allen Universitäten gesiegt. Es war damit auch gegeben, daß der nüchterne, vorsichtigere realistische Betrieb der Wissenschaft nicht mehr so direkt wie der ältere Idealismus, ich möchte sagen durch große Schlagwörter, auf die Massen wirken konnte. Aber der indirekte Einfluß der Universitäten ist, glaube ich, heute ein um so größerer. Die Zahl der Studierenden ist gewachsen und das, was sie aus den Universitäten mitbringen; sie lernen und wissen heute mehr und Sichereres, Brauchbareres. Wir brauchen also nicht zu verzagen, daß man uns nicht genug anerkenne, daß man heute weniger von den Professoren rede. Und vollends diese Hochschule wirkt heute so segensvoll, wie je eine große, neu gegründete Universität es getan hat. Möge ihr stets nur gelingen, so an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts zu bleiben wie bisher. Straßburg und die anderen deutschen Universitäten sind heute so sehr wie jemals die Hüter des heiligen Feuers, aus dem die geistige Kraft der Nation hervorgeht. Sie sind die Bildungsanstalten, welche die berechtigtste Form der Aristokratie erzeugt, die des Geistes und des Charakters, – die Aristokratie, welche in Deutschland bisher stets vorherrschte, welche stets im Bunde stand mit den monarchischen Traditionen, welche die Kraft unseres Staatswesens ausmachen, und mit den echt und gesund demokratischen Tendenzen, wie sie der Gesittung der Gegenwart entsprechen!«

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