Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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XIX.

Die Nachricht von dem Verspruche der reichen Bärenbauerstochter mit dem Flößer-Mathies bildete im ganzen Werdenfelser Landl ein wichtiges, vielbesprochenes Ereignis und man sagte mit Recht: »Dös is der best' Punkt, den's Dirndl gschossen hat.«

Trotz seiner persönlichen Rangerhöhung, die dem Floßknecht durch die Verlobung mit Afra in den Augen seiner Landsleute zu teil geworden, fiel es ihm gar nicht ein, seinen beschwerlichen Dienst bei Leutnant Naus aufzugeben.

Der unermüdliche Offizier hatte sofort nach seiner Rückkehr von Lermos, wo er am Grabe des geliebten Bäschens manch weihevolle Stunde zugebracht, seine anstrengende Arbeit wieder aufgenommen und war seine Thätigkeit schon vordem eine überraschende, so war es jetzt geradezu staunenerregend, wie er, jeder Witterung trotzend, die unwirtsamsten Gebirge nach allen Richtungen durchstreifte und seine Terrainaufnahme mit einer Sicherheit und Schönheit durchführte, die das Atlasblatt Werdenfels für alle Zeiten zu einer der schönsten Arbeiten des topographischen Bureaus stempelten.

In der Arbeit suchte der junge Mann das Weh seines Herzens zu vergessen, und die Freude an diesen Arbeiten, die sein ganzes Denken in Anspruch nahmen, milderte 196 allmählich jenen Schmerz. Die Herrlichkeit der ihn rings umgebenden großartigen Natur erheiterte wieder sein Gemüt, und der Gedanke an die Verblichene bildete sich zu süßer Wehmut, zu andachtsvoller Erinnerung.

Der schwarze Görgl dagegen suchte seinen Verlust im Müßiggange und in der Schlemmerei zu vergessen. Der Bader von Garmisch hatte ihm sein verrenktes Handgelenk wieder eingerichtet, doch vermochte er mehrere Wochen lang seine Büchse nicht zu handhaben. In dieser »Schlenkelweil,« wie er es nannte, war er in Garmisch und Partenkirchen ständiger Gast in den Schenken. So lange der Geldbeutel noch mit seinem Führerlohne gespickt war, trank er Wein. Später bequemte er sich zum Bier und als die Ebbe immer bedenklicher wurde, griff er zum Schnaps. Es konnte nicht anders sein, als daß er bei solcher Lebensweise und mit einem rauflustigen Temperament begabt, oft in Händel geriet und das Landgericht in Garmisch bald veranlaßt wurde, ihn auf mehrere Wochen in Sicherheit zu bringen.

Niemand war dies zu hören erwünschter, als Afra, die in fortwährender Angst um das Leben ihres Bräutigams war.

Das Mädchen war eifrigst mit den Vorbereitungen zur Hochzeit beschäftigt, sie selbst fertigte sich die hier zu Lande übliche Brautkrone aus Gold- und Silberdraht, künstlichen Blumen und Rauschgold und war nur darüber ungehalten, daß ihr Mathies fortwährend abwesend bei seinem Leutnant war. Dies sollte aber nunmehr anders werden, denn die zu Anfang Oktober bestimmte Begehung des Höllenthales sollte den Schlußakt der Expedition bilden und Mathies letzter Dienst sein.

197 Der junge Offizier hatte am Vorabend dieser beschwerlichen Tour sein Nachtquartier beim Benefiziaten in Obergrainau genommen, brachte aber einige Stunden im Bärenbauernhof zu, bei dessen biederen Bewohnern er sich ungemein heimisch fühlte. Natürlich benützte auch Mathies die Gelegenheit, sich bei seinem Bräutchen einzufinden. Der gesanglustige Bursche hatte bald die Zither vor sich liegen und sang mit voller Herzenslust, was ihm gerade in den Sinn kam.

Der alte Bärenmartele, dem der lustige Zitherklang über alles ging, fühlte sich wieder ganz jung und gab seine alten schönen Weisen zum besten, selbst Liesbeth sang ein frommes Lied und Afra begleitete sie mit glockenheller Stimme.

Da plötzlich klirrten die Fenster und ein Stein flog durch die Butzenscheiben ins Zimmer, glücklicherweise ohne jemand zu verletzen..

Der Bärenbauer riß die Flinte von der Wand und eilte mit Mathies gleichzeitig zur Thüre hinaus. Aber niemand war sichtbar, trotzdem daß der Mond hoch am Himmel stand und alles ringsum erhellte.

Da trippelte die alte Mariannl aus ihrem Häuschen heran und Mathies fragte die Großmutter, ob sie niemand hier gesehen habe.

»Grad deswegn bin i no'mal aus mein Bett gschlofen, um enk z'sagn, daß der schwarz Görgl unterwegs is. Er hat si' z'erst um mei' Häusl rumgschlichen und'n Laden aufg'macht zum Mathies seiner Kammer. Sobald er aber gmirkt hat, daß der nit dahoamt, is er gachs davon. Der sinnt auf irgend a Schandthat.«

Nun wußten sie, wer den Stein in die Stube 198 geschleudert, und der Bärenbauer rief laut: »Wart, Lump, morgn in aller Früah mach i di wieder sicher. Neamd braucht si' mehr z' fürchten vor eam, 's Landg'richt z' Garmisch wird scho' dafür sorgn.«

Die unterbrochene Lustbarkeit war aber gestört und wollte nicht wiederkehren. Afra fürchtete für Mathies, und als er ihr gute Nacht wünschte, sagte sie sichtlich ergriffen: »Wennst nur scho' wieder z'ruckwärst aus'n Höllenthal!«

Und als er am andern Morgen mit dem Leutnant die Tour dorthin antrat, und sie ihm nachgrüßte, da wünschte sie nichts sehnlicher, als ihn schon wieder zur glücklichen Heimkehr beglückwünschen zu können.

Der Offizier und Mathies hatten schon vor Tagesanbruch, vom schönsten Wetter begünstigt, ihre Expedition begonnen. Aus den Schluchten der Berge stiegen weiße Nebel empor und die unten im Thale dahinrauschende Loisach schien zu einem riesigen Strome angewachsen und sich bis zu ihrem früheren Ufer wieder ausgedehnt zu haben. Ein scharfer Bergwind strich den Waxenstein entlang und spielte mit den in allen Farben schimmernden vom Nachttau befeuchteten Blättern der Buchen und Birken und der Haselnußgesträuche, die sich am Hange hinzogen. Ein tiefblauer Herbsthimmel wölbte sich über der herrlichen Landschaft, die schroffen Spitzen und Kanten des fernen Soyengebirges erglühten in magischer Morgenbeleuchtung.

Der Bärenbauer hatte gleichfalls seinen Wagen frühzeitig hergerichtet und forderte Afra auf, mit ihm nach Garmisch zu fahren. Sie konnte dort mancherlei besorgen, während er beim Landgerichte die nötigen Schritte gegen den schwarzen Görgl unternehmen wollte.

199 Die alte Mariannl war heute von einer fieberhaften Unruhe befangen. Es trieb sie aus ihrem Häuschen in die Kirche und hier konnte sie wieder kaum den Schluß der Frühmesse erwarten. Nach derselben stieg sie den Hang hinauf bis zu dem Punkte, wo man einen Einblick in das Höllenthal hat. Dort setzte sie sich auf einen Stein und verweilte mehrere Stunden im Beten und Sinnieren, gegen Mittag sah sie den Gendarmerie-Kommandanten von Garmisch sich auf dem Wege von Hammersbach her nähern und sie eilte ihm, so rasch sie es vermochte, entgegen. Es war ihr, als müßte sie von ihm etwas Besonderes vernehmen.

Ihre Unruhe vermehrte sich, als sie durch diesen erfuhr, daß er auf dem Wege sei, den schwarzen Görgl zu suchen.

»Er wird dengerscht nit 'n Mathies nachi sei' ins Höllenthal?« fragte sie erschrocken. »Barmherziger Gott! Dös laßt ma koan Fried. Da muaß i nachi, da muaß i nachi!« Und ohne zu säumen, trippelte sie weiter.

Der Gendarm meinte zwar, Görgl würde eher seine Schritte der Grenze zu lenken, und er wollte sich am Eibsee nach ihm umschauen, aber die Alte hörte nicht auf ihn. Sie eilte hastig vorwärts, als fürchtete sie bei jedem Schritt neuen Zeitverlust. Ihr Herz sagte ihr bestimmt, daß dort im Höllenthale, aus welchem graue, düstere Nebel emporquollen, sich ein Unglück vorbereite, dessen Spitze auf ihr Lebensglück, auf ihren Mathies gerichtet sei.

Das Höllenthal mit seinen schon weithin sichtbaren Schneefeldern bildet, vom Thale aus gesehen, einen der charakteristischen Hauptreize der schönen Partenkirchener Gegend. Es ist gegen drei Stunden lang und liegt über 6000 Fuß hoch. Man gelangt in dasselbe auf einem 200 schmalen, den Felsen abgetrotzten Steige, »an der Stange« genannt, längs der himmelhohen Wand des Waxensteins. Wohin das Auge blickt, sieht es nur kahle, wildaufstrebende Felsen, deren einzelne Spitzen grausig in die Luft starren und teilweise von ewigem Schnee und Eis bedeckt sind. Tief unten tobt der Hammersbach, welcher sich den Weg durch totes Gestein sucht.

Ueberhängend und einsturzdrohend, stets düstere Schatten werfend, rücken die starren Flügel des Felsenrahmens immer näher und näher zusammen und beklommenen Herzens schreitet der Eindringling weiter am »bösen Wege« hinab zum sogenannten Höllenthor. Da öffnet sich eine schauerliche, fast bodenlose Kluft, über welche notdürftig eine Brücke gebaut ist. Tief im Felsenbauche wühlt sich der Hammersbach seine finstere Bahn und nun gelangt man in den wilden Höllenthalkessel. Der vielgezackte Gipfel des Waxensteinkammes, die furchtbar schroffen Abstürze der Riffelwand und Riffelspitze, an welche, den vergletscherten Hintergrund imposant umrahmend, sich die schneedurchfurchte, zerklüftete Zugspitzenwand anreiht, bilden mit der finsteren, gegen den Gletscher abstürzenden, gewaltig zerbröckelten Höllenthalspitze und der sich daran reihenden Felsenpyramide des Hoch-Blassen eine der denkbar großartigsten Szenerien der Alpenwelt.

Hier ist alles Leben erstorben, alles ist kahl und starr. Nur die verödeten Knappenhäuser des Bergwerkes flimmern wie freundliche Sterne von der Höhe in dieser grauenvollen Wildnis. Dort wurde einst mit wechselndem Erfolge nach Blei und Galmei geschürft; in sagenhafter Zeit jedoch funkelte und blitzte hier das edelste Metall in Menge, wie das Märchen vom Bergfräuleiu zu erzählen weiß.

201 Bis in diesen wilden Kessel hatte Mathies den Offizier geführt. Schon auf dem Herwege zeichnete Naus mit sichtlichem Vergnügen all die markierten Terraingestaltungen in das Steuerblatt ein und machte außerdem skizzenhafte Aufnahmen in sein Buch. Mathies, der wie gewöhnlich die kleine Platte des Zeichentisches um die Schulter hängen hatte und das Fußgestell als Stock benützte, hatte das Tischchen schnell zusammengestellt und mittels Geröllsteinen auf dem steinigen Boden nach Möglichkeit befestigt. Dabei rauchte er aus seinem Ulmerpfeifchen und sah mit sichtlichem Vergnügen auf die flinke und doch so sichere Arbeit des jungen Zeichners, der sich in leutseligster Weise mit ihm unterhielt.

Aber während die beiden Männer hier sorglos ihr Geschäft verrichteten, bereitete der schwarze Görgl am Höllenthor ihren Ruin vor.

Er hatte sich gestern aus dem Gefängnisse befreit und wollte die paar Stunden der Freiheit zur Ausübung seines Rachewerkes benützen. Er konnte und wollte dem Mathies sein Glück nicht gönnen. Er sah sich von ihm, dem er seine Liebe zu Afra schon damals zu Georgi vertraut, verhöhnt, verlacht. Diese Liebe aber bildete seit langem seine süßesten Träume, den einzigen, lichten Schein in seinem verfehlten Leben. Diese Liebe sollte ihn wieder zu einem würdigen Gliede der menschlichen Gesellschaft machen.

Neben diesen löblichen Gedanken wucherte aber die Sucht nach Afras Mitgift, träumte er von goldenen Schätzen, denn er war ja ein Sonntagskind und da konnte es ihm nicht fehlen. Er war gewiß eines jener Glückskinder, auf welche im Schlafe das Füllhorn der Glückseligkeit 202 ausgegossen wird. Und nun war mit einem Male der ganze schöne Traum in Nichts zerflossen.

Die große Ernüchterung, welche den langjährigen Träumen und Hoffnungen gefolgt, hatte ihm plötzlich allen Halt genommen. Sein Glaube war erschüttert, sein Gewissen stumpf geworden. Er wollte sich an dieser ganzen, miserablen Welt rächen, vor allererst an Mathies, seinem Nebenbuhler, der ihm nicht nur Afras Liebe entrissen, sondern ihn zu wiederholten Malen auch körperlich nachdrücklich bekämpft hatte. Er fühlte wohl, daß sein schwacher Arm gegen den sehnigen Arm des Floßknechtes nichts auszurichten vermochte, deshalb heckte er den Plan aus, dem Verhaßten meuchlings beizukommen.

Er hatte von der Expedition in das Höllenthal erfahren und es durchzuckte ihn sofort der teuflische Gedanke, dort in dem grausigen Höllenschlund sein böses Werk zur Ausführung zu bringen.

Mit einer Hacke über der Schulter eilte er am frühesten Morgen aus seiner Hütte in Hammersbach und versteckte sich am Eingange in das Thal so lange, bis er den Offizier und seinen Begleiter in dasselbe wandern sah.

Sein Plan ging dahin, den Balken der Höllenthalklammbrücke, welche sich über der dunklen Felsenspalte wölbte, die der Hammersbach, durch einen Wassersturz verstärkt, durchbraust, zu durchschlagen, so daß die arglos darüber Wegschreitenden in den grausigen Schlund stürzen und sich zerschmettern mußten.

Langsam und sich stets verbergend war er den Vorauswandernden gefolgt. Sobald diese nun die Brücke überschritten und sich gegen den Höllenthalkessel entfernt hatten, machte sich Görgl sofort an sein Werk. Er schlug am Anfang 203 der Brücke, oft selbst in Gefahr, hinabzustürzen, die beiden Tragbalken bis auf kaum zollbreite Dicke durch. Die Schläge der Axt verhallten im Tosen des Wildbaches und er konnte ungestört seine Arbeit vollenden. Es unterlag keinem Zweifel, daß die Brücke beim Betreten der Männer sofort vollends abbrechen und so Görgl seine böse Absicht erreichen würde. Die Möglichkeit, daß der Offizier zuerst und allein die Brücke betreten könnte, zog er gar nicht in Betracht. Es war ihm sehr erwünscht, wenn beide zugleich seiner Rache zum Opfer fielen, denn Naus hatte sich gleichfalls an ihm versündigt, indem er ihn als Führer verabschiedete und Mathies dagegen so hoch in Ehren hielt.

Nachdem Görgl das abscheuliche Werk vollbracht, trat er den Rückweg an, doch war es ihm, als hielte ihn eine unsichtbare Hand zurück, als läge Blei in seinen Füßen. Das Antlitz seiner toten Mutter schwebte drohend vor seinem Geiste; er mußte seines Vaters gedenken, der für eine edle Sache gefallen und welcher auf eben diesem Steige unzählige Male zum und vom Bergwerke gewandert als braver, arbeitsamer Mann. Er gedachte seiner Kindheit, da er in Mathies einen Bruder gefunden, und jetzt hielt er im Gehen an, er lehnte sich an die Felsenwand. Eine brennende Unschlüssigkeit kam über ihn, schließlich siegte der Gedanke, wieder umzukehren und die Bedrohten zu warnen. Er war entschlossen, den jenseits der Brücke Herankommenden seine Frevelthat zu enthüllen.

Da hörte er einen langgedehnten Juhschrei; er kam von Mathies.

Dieser Laut fuhr ihm wie ein giftiger Dolch ins Herz und schon wieder nahe der Brücke hielt er abermals an.

204 Da sah er, wie Mathies, und gleich hinter ihm der Offizier, dem Todessteg sich näherten. Es schwindelte ihm vor den Augen, rasch wandte er sich um und rannte von dannen.

Da gellt ein gräßlicher Schrei durch die Luft – dann tiefe Ruhe.

Görgl horchte, am ganzen Leibe zitternd. Sollte er zurückeilen, das Ergebnis seiner Frevelthat zu schauen?

Er wagte es nicht.

»Fort! fort!« rief es in seinem Innern, eine fürchterliche Angst überkam ihn, und alle häßlichen Zeichen des Verbrechens auf seinem Antlitz, eilte er dem Ausgange des grausigen Thales zu.

Da ward sein eiliger Schritt auf unerwartete Weise gehemmt. An dem sogenannten »bösen Weg« stand ihm plötzlich die alte Mariannl gegenüber.

Sie stand vor ihm, wie die rächende Vergeltung. Mit hoch erhobenem, hagerem Arme wehrte sie ihm den Weg und starrte einige Momente sprachlos nach Görgl, der wie gebannt, mit dem Kainszeichen des Verbrechers auf der Stirne, ihr gegenüberstand.

»Elendiger, was hast tho'?« rief sie mit einer Stimme, die dem Burschen schaudernd durch Mark und Bein fuhr. »Aus dein' G'sicht schaugt der Fluach! Görgl, wo is mei' Mathies?«

Der Alten Frage traf den wilden, schuldbewußten Burschen geradezu vernichtend. Er war, wenn möglich, noch mehr erblaßt, und er mußte sich an die Felsenwand lehnen, um nicht umzusinken.

»Wo is mei' Mathies?« wiederholte die Alte ihre 205 Frage und rüttelte ihn aus seiner Starrheit auf. »Du Gottverfluachter! Gieb Antwort! Wo is mei' Mathies?«

Die Berührung des Alten brachte den Burschen wieder zu sich. Ein einziger, starker Stoß von ihr genügte, ihn über die Felsenwand hinabzuschleudern. Er fühlte ihre Hand, kalt wie Eis, auf seiner Schulter liegen und er war fest überzeugt, daß sie ihn hinabschleudern würde, wenn er sein Verbrechen eingestand.

Die Gefahr verlieh ihm Mut und mit dreister Stirn sagte er: »Nix is gschehgn.«

»Du bist itta umsunst da!« sagte die Alte. Sie stand wie angewurzelt, ihm den Weg verwehrend, und Görgl erkannte, daß es da kein Entrinnen gebe.

»An der Klammbrucken hätt' i's vorg'habt,« sagte er ausweichend. »Macht's, daß er nit drüber geht, eilt's Enk, no' is nix verlorn.«

»Jeß, Maria und Josef!« schrie die Alte. »Lauf z'ruck, verhüt dös Unglück! Bei deiner toten Muatta beschwör i di!«

»I kann nit,« antwortete Görgl, jetzt in der That zusammenbrechend, »i hon Blei in meine Füaß, i muaß sterbn!«

»So sei verfluacht!« schrie die Alte und schritt über den vor ihr Knieenden hinweg, den gefährlichen Steig entlang.

Sie schien verjüngt zu sein. Mit sicherem Tritte eilte sie vorwärts und vorwärts, nur hie und da mußte sie »verschnaufen« und einen Moment stille halten; dabei blickte sie zu dem über der Schlucht nur als schmalen Streifen sichtbaren Himmel und flehte: »Herrgott, thua mir dös nit an! Laß mein' Mathies nit so elendi z' Grund gehn!«

206 Unterdessen wankte der Verbrecher dem Ausgange des Thales zu. Kurz vor demselben schlug er durch den sogenannten Stangenwald die Richtung nach dem Eibsee ein. Auf ihm wohlbekanntem Paschersteige hoffte er über die Landesgrenze zu gelangen, um der irdischen Gerechtigkeit zu entfliehn. In seinem Innern aber trug er das Gericht mit sich, die Hölle der Verzweiflung. 207


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