Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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X.

Die drei Herren begaben sich, da es inzwischen im Gärtchen vor dem Hause kühler geworden, dorthin und verblieben hier, bis Leutnant Naus seinen Heimweg nach dem nahen Partenkirchen einschlug. Der Landrichter und Kobell geleiteten ihn eine Strecke Weges. Die Bergspitzen leuchteten herrlich im Abendrote.

»Morgen, wenn die »Sunnwendfeuer« brennen, möcht ich oben stehen auf der Alpspitze,« wünschte Kobell.

»Und ich auf dem Zugspitz!« rief Naus, mit leuchtenden Augen emporblickend zu dem im Abendlichte glühenden, gegen Osten jäh abfallenden Felsenblock. »Ich hoffe, nicht nach München zurückzukehren, ohne von dort oben niedergeschaut zu haben auf die schöne Welt.«

»Glück auf dazu!« rief Kobell. »Ich jag nächster Tage mit dem Förster von Graseck im Rainthal, vielleicht gelingt es mir, für dich einen richtigen Steig zu finden. Wenn du, als der erste, droben stündest auf dem unbezwinglichen Zugspitz, das wär' ein anderer Sieg, als der meinige mit den Schnadahüpfeln!«

»Zu beiden gehört ein gesunder Leib, Geist und ein frisches Gemüt,« meinte der Landrichter. »Die jungen Herren sind damit gut versehen und Ihr Aufenthalt in unserm Gau wird uns gewiß köstliche Gaben bringen. Wir werden endlich eine gute und richtige Terrainkarte erhalten, die wir bis jetzt entbehrten, und Sie, Herr Doktor, werden 112 nicht nur Ihre Mineraliensammlung durch die Funde in dieser Gegend vermehren, sondern auch manch schönes, reiches Stück Erz aus dem herrlichen Schachte des Volkslebens fördern und zu Gold verarbeiten. Beiden Glückauf zur Aufgabe, Glückauf zur Lösung!«

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen waren sie bei stets zunehmender Dämmerung bis an die ersten Häuser des von Garmisch etwa eine halbe Stunde entfernten Partenkirchen gelangt, und Kobell sagte zu den Freunden: »Im Hinblick auf unser Unternehmen ziemt sich's, daß wir beim »Stern« drinnen im alten Parthanum auf den Stern unserer Zukunft mit gutem Tiroler anstoßen.«

Der Landrichter fand das für ganz richtig, und so ward der junge Offizier bis zu seinem Quartier im genannten Gasthause geleitet.

Der am Fuße des Eckenberges gelegene Gebirgsort Partenkirchen ist, wie schon oben erwähnt, das Parthanum der Römer. In alter Zeit ging der Handelszug aus der Levante nach Augsburg hier durch. Die noch jetzt hierher führende Straße, ehemals Rottstraße genannt, war eine der belebtesten Deutschlands und die Bewohner dieses Landstrichs machten bedeutende Geschäfte. Noch jetzt sieht man zu Partenkirchen und Schongau die geräumigen Häuser, wo die Ballen und Kisten niedergelegt und umgepackt wurden, und die Werdenfelser Händler, unter welchem Namen sie durch ganz Deutschland bekannt waren, hatten nicht nur ihre Niederlagen, sondern besaßen solche auch in vielen Städten Italiens, in Amsterdam, Warschau, Wilna &c. und man nannte die Grafschaft mit Recht »das goldene Ländl.«

In unserer Zeit ist das freilich anders geworden. Die Bewohner sind auf die Benützung dessen angewiesen, was 113 die Natur ihnen spendet, vorzüglich auf den Holzhandel, der nebst der Viehzucht ihre Haupterwerbsquelle ausmacht.

Der Ort bestand zur Zeit unserer Erzählung zunächst aus einer langen, schrägen, nicht sehr breiten Straße, an welcher sich zu beiden Seiten die hölzernen Wohngebände mit ihren weit vorspringenden Legschindeldächern in wirrem Durcheinander reihten. Der Spitzturm der Pfarrkirche schaute gar friedlich auf dieselben nieder. Die sich in mäßiger Höhe auf dem Rücken des Angetsberges befindliche Wallfahrtskirche St. Anton bildet den prächtigsten Hintergrund dieser Ortschaft, welche nicht nur in landschaftlicher Beziehung das höchste Interesse beansprucht, sondern auch in historischer, denn hier fand jener so tief und mächtig in die Geschichte eingreifende Auftritt statt, welcher den Sturz der Welfen in Deutschland zur Folge hatte. Hierher berief der von den Aufrührern hart bedrängte Kaiser Friedrich Barbarossa die deutschen Fürsten, unter ihnen Heinrich den Löwen, Bayerns Herzog, um ihre Hilfe nachzusuchen. Heinrich der Löwe, der mächtigste unter den Fürsten, versagte dem Kaiser seine Hilfe, grollend darüber, daß Friedrich die welfischen Güter in Schwaben, welche dem Herzog einst als Erbe zugefallen wären, durch Kauf an sich gebracht. Heinrich blieb unbeweglich, selbst dann noch, als der Kaiser in Schmerz und Verzweiflung ihm flehend zu Füßen gefallen war. Da trat des tief gedemütigten Kaisers Gemahlin voll edlen Unwillens hinzu und rief: »Stehet auf, mein Herr! Gott sei dieses Zustandes gedenk!«

Wieder heimgekehrt in die deutschen Lande fand der Kaiser bald Gelegenheit, sich an dem Bayernherzog zu rächen. Dieser ward seiner Herzogtümer Bayern und Sachsen verlustig und in die Reichsacht erklärt, worauf der 114 Kaiser seinem tapferen und getreuen Freunde Otto von Wittelsbach am 16. September 1180 das Herzogtum Bayern für sich und seine Nachkommen als erbliches Eigentum auf ewige Zeiten verlieh.

Dieser berühmte Fußfall des Kaisers fand in dem massiv gebauten, altertümlichen Gasthause »zum Stern« statt, woselbst Leutnant Naus sein Quartier aufgeschlagen hatte. Hier trat er mit seinen Begleitern alsbald in die Herrenstube ein, wo sie sich an einem großen, runden Tische niederließen, an dem die Forstbediensteten, der Pfarrer und Kooperator des Ortes und mehrere andere Herren saßen. Natürlich hatte hier der liederkundige Kobell bald wieder die Guitarre zur Hand und sang seine selbst verfaßte Lieblingsweise:

»Es lebe der Wald,
Und es leb' das Gejaid,
Und der uns das Pulver erfunden!
Ging's ledern und stille, das wäre mir leid,
Dem Knall bin ich lieber verbunden,
Es schalle und hall':
Heut reihen sich fröhliche Stunden!«

»Du glücklicher Sänger!« sagte der Offizier im Verlaufe des Abends zu ihm, »du vermagst nicht nur alles, was dein Auge entzückt, mit dem Stifte in deinem Skizzenbuche festzuhalten, sondern auch jede Regung des Herzens in gelungener Weise wiederzugeben. Könnte ich doch auch manchmal meiner Stimmung in solcher Weise Ausdruck verleihen!«

Kobell blickte auf den etwas schwärmerisch dareinschauenden Freund.

»Du möchtest wohl ein Liebesgedicht machen?« fragte er.

115 »So ist's,« entgegnete dieser.

»Sie ist fern von dir und da überkommt dich ein Gefühl der Sehnsucht? Ich kenne das; es geht mir oft nicht besser. Trinken wir auf das Wohl meiner liebenswürdigen Kousine Karoline.«

»Sie soll leben!«

Die beiden Freunde stießen an und es gab einen guten Klang.

»Jetzt beichte du!« sagte Kobell, nachdem die Gläser geleert und wieder gefüllt waren.

»Auch ich besitze ein liebenswürdiges Bäschen,« erwiderte der Freund, »die Tochter des Doktors von Lermos, wo ich meine schönsten Jugendjahre zugebracht. Als ich heute in Garmisch die Loisach überschritt, da war mir's, als müßte ich an ihren Ufern aufwärts wandern und meinem nahen Lieblingsorte zueilen. Siehst du, wenn ich dichten könnte, wie du, hätte ich diese sehnsuchtsvolle Regung in schöne Verse gekleidet und sie meiner lieben Bertha geschickt. Ich weiß, das hätte ihr Freude gemacht.«

»Lassen wir deine Bertha leben!« rief Kobell, mit dem Freunde anstoßend. »Das sind oft die besten und interessantesten Gedichte, die man nur fühlen und ungeschrieben lassen kann. Glück auf! Dein Bäschen soll leben!«

Und als der Landrichter zur Heimkehr nach Garmisch mahnte, sang der junge Meistersinger mit Bezug auf das soeben stattgehabte Zwiegespräch für heute sein Schlußlied, dessen Refrain von sämtlichen Anwesenden im Chor mitgesungen wurde: 116

»Liebt die Mädchen, liebt den Wen,
Leert die Gläser, schenkt sie ein!
Seht die Glut im Glase blinken,
Freundlich winkend, sie zu trinken;
Ohne Mädchen, ohne Wein
Kann die Welt nicht reizend sein!
Wer sich in der jungen Zeit
Dieser beiden nicht gefreut,
Der wird noch in späten Tagen
Drüber klagen.
Ohne Mädchen, ohne Wein
Kann die Welt nicht reizend sein.« 117


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