Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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XI.

Der St. Johannistag ist für das Volk in den Bergen von jeher von großer Bedeutung gewesen. Viele Bauernregeln knüpfen sich an das Wetter dieses Festes, viel Glaube und Aberglaube hat sich seit undenklichen Zeiten von diesem Tage der Sonnenwende bis jetzt erhalten. Vor allem ist es die altheidnische Sitte der Sonnwendfeuer, welche nachts von den Spitzen der Berge leuchten und zunächst den Ortschaften angezündet werden, und über welche das junge Volk lustig hinüberspringt. Auch manch andere sinnige Sitte findet dabei statt.

Am Herde prasselt an diesem Tage das Feuer ganz außergewöhnlich, denn jede Bäuerin setzt eine Ehre darein, prächtige, goldgelbe Küchel und Stritzel in neunerlei Art zu backen und den Unbemittelten von dem Ueberflusse mitzuteilen.

Die Dorfjugend hat es aber am Johannistage ganz besonders wichtig. Kaum ist die nachmittägige Vesper zu Ende, geht es ans Sunnwendholzsammeln. Zu diesem Zwecke spannen sich die jungen Leute, oft zu zehn und zwanzig Paaren, an einen Karren und fahren von Haus zu Haus, von Hof zu Hof. Dabei singen sie:

»Heiliger Sankt Veit,
Schenk uns a Scheit,
Heiliger Hans,
A recht a lang's. 118
Heiliger Sixt,
A recht a dicks!
Heiliger Florian,
Zünd' unser Haus nit an!«

Hierauf beginnen die Jüngeren als erster Chor:

»Ist ein braver Herr im Haus,
Reicht er uns ein Scheit heraus,
Zwei Scheiter und zwei Boschen,
Macht es brennen und gloschen.«

Diesen folgen die älteren Buben als zweiter Chor:

»Wir kommen von Sankt Veit.
Gebt's uns aa r a groß's Scheit
Gebt's uns aa r a Steuer
Zu unsern Sunnwendfeuer;
Wer uns koa' Steuer will geb'n,
Soll heuer koan schön Flachs daleb'n.«

Wenn man sie dann mit Holz und oft auch mit Kücheln beschenkt hat, ziehen sie das erbettelte Holz jubelnd auf einen erhöhten Platz, auf welchem das Sunnwendfeuer angezündet wird. Aus dem größten Teil des Holzes wird hier ein hoher Scheiterhaufen aufgerichtet, die sogenannte »Hex«, und mit Tannenreisern überdeckt, welche beim Abendläuten als Schlußeffekt angezündet wird. Jung und alt sammelt sich um die kleinen Feuer und wer sich noch springfähig fühlt, hüpft einzeln, meistens aber Paar um Paar, d. h. Bub und Mädchen, Mann und Frau, über das Sunnwendfeuer.

Auch in Obergrainau erfreute sich die gesamte Bevölkerung an der Lust des Sunnwendfeuers, der Bärenmartele mit Afra und Lisbeth, und auch Mathies mit seinem Ahnle waren selbstverständlich zugegen. Aber auch von Untergrainau und Hammersbach fanden sich viele ein, 119 darunter der »Gmoa'wastl«, die böse Wagnerin und der schwarze Görgl. Letzterer erschien heute in ganz neuer, flotter Gebirgstracht mit wohlgepflegtem Haupt- und Barthaar.

Mathies begrüßte ihn und entledigte sich des Auftrags, den ihm sein Leutnant gegeben, und Görgl war natürlich mit Freuden bereit, diesen außerordentlichen Führerdienst zu übernehmen. Er verfehlte nicht, sich bei dem Bärenbauer eigens zu bedanken, daß er ihn für diese Stelle in Vorschlag gebracht und versprach, sich dieses Wohlwollens würdig zu zeigen.

Der Bärenmartele freute sich darüber, daß es ihm so schnell gelungen, den früher so verkommenen Burschen auf den richtigen Pfad gelenkt zu haben. Daß derselbe alles nur Afra zuliebe that, das freilich ahnte er nicht.

Die Kinder sprangen paarweise über ein kleineres Feuer, welches durch das darauf geworfene frische Reisig einen starken Rauch verursachte, der schnurgerade zum Himmel aufstieg. Ueber ein solches zweites Feuer sprangen die Burschen und Mädchen, und auch Afra folgte den an sie gestellten Anforderungen der Burschen, je dreimal mit ihnen den Feuersprung zu wagen. Selbstverständlich that dies auch Mathies, und die alte Mariannl, welche die Gewohnheit hatte, laut vor sich hinzusagen, was sie eben dachte, machte die Bemerkung:

»Dös is halt dengerscht 's schönste Paar, oder ebba itta? (oder etwa nicht?)«

»Natürli,« versetzte die in ihrer Nähe auf dem Rasen sitzende Wagnerin von Untergrainau, welche diese Worte gehört hatte, »da Mathies hat ja von dir d' Schön, da feit si' nix.«

120 »Sei staad, du Laster,« entgegnete mit wackelndem Kopfe die Alte. »Dei' Spöttelei is mir molest (lästig), red mi nimmer an.« Und sie brummte noch eine Weile vor sich hin, zum Spaße ihrer Umgebung. Da ließ sich der Gmoa'wastl neben ihr nieder und suchte sie zu beruhigen, und nachdem ihm dies gelungen, teilte er ihr sein Anliegen mit. »Mariannl, du muaßt ma an' Rat gebn,« sagte er; »mei' scheckige Kuah geit (giebt) scho' etli Tag ganz a wasserige Milli, was's aufsetzt (Rahm giebt), is schier itta zu verkenna, und d' Scheck hat woltern bis itz die mehra Milli gebn. Wie vermoanst, was da Schuld is? Und weißt du ebbas dagegn, so thaatst mir an' großen Gfalln, Mariannl.«

Die Alte blickte eine Weile stier vor sich hin; da schlug wieder das hämische Gelächter der Wagnerin an ihr Ohr und – das Rezept für die Kuh des Gmoa'wastls war fertig.

»Woaßt, Wastl,« sagte sie, »so ebbas kimmt diemaln wohl von an' bösen G'schau.«

»Ja, ja,« pflichtete Wastl bei, »i hon aa scho' dran denkt.«

»Hast z' Untergroana koan Feind oder aber a Feindin?«

»Kaannt nix sagen,« antwortete der Gefragte nachdenkend; »san mir alle Leut guat – bis auf d' Wagnerin, du kennst ja eh ihra bös's Maul.«

»Da hab'n ma's scho'!« fiel die Alte rasch und schelmisch lächelnd ein. »Schau nur ihr bös's G'schau an, i wollt' wetten, die bringt di no' um d' Milli von der andern Kuah aa, wennst ebba itta vürsorgst.«

»Hon i mir's dengerscht schon a etli Mal denkt,« 121 erwiderte Wastl, »daß dös Laster mi sekiert. Ja, ja, es is a so; schau nur, wie 's itz wieder herfeuert zu uns. Ge, dö verhext mi am End aa no' –« und er rückte ängstlich zur Seite.

»Na', na',« tröstete die alte Mariannl, »geg'n d' Manna vermag ihra G'schau nix mehr, sie kann's grad mit die Ochsen und d' Küah. Aber i verwoaß dir a Mittel.«

»Is's wahr?« rief Wastl erfreut. »Sag' mir's nur glei. I werd' a ruinierter Mann, wenn i mir's Schmalz kaufa müaßt. 's Wei' hat heunt scho' koane Johannisküachl mehr backa kinna. Also, wie moanst, was is dös Mittel?«

»Dös will i dir sagn. Heunt is d' Johannisnacht und da wirkt dös, was i dir sag, am allerbesten. Wennst auf d' Nacht hoamgehst und d' Wagnerin unterwegs is, so, daß d' es guat dalanga kannst, so haust ihr im Namen der heiligen Dreifaltigkeit drei Watschen doni (drei Ohrfeigen hin), sie därf's scho' g'spürn. Und du wirst sehg'n, dei' Scheckin geit morgn wieder ihra Milli, wie sunsten.«

»Aber dös schickt si' dengerscht nit für an' Gmoadeaner,« wendete Wastl ein, »der so viel is, wie d' Obrigkeit; in mein Uniformsrock da kann i ja dengerscht nit a so a bös's Beispiel gebn.«

»Da woaß i dir an' Rat; den Rock ziagst aus, und wennst in 'n Hemdärmeln bist, so bist nix anders, als a Bauernschuasta und du haust di aa leichter in 'n Hemdärmeln, denn g'spürn muaß sie's, sunsten hilft's nix.«

Der Gmoa'wastl fand dieses Auskunftsmittel für sehr richtig.

»Sie wird's scho' g'spürn! Dieweil vergelt's Gott!« Mit diesen Worten entfernte er sich von der Alten, die sich vergnügt darüber die Hände rieb, daß sie einmal 122 Gelegenheit fand, sich an ihrer Feindin, dieser bösen und ehrabschneiderischen Person, zu rächen.

Unterdessen nahm das »Fuirhupfen« seinen ungestörten Fortgang. Es war auch dem schwarzen Görgl einmal vergönnt, mit Afra über die lodernden Flammen zu springen, eine Auszeichnung, die den heißblütigen Burschen mit den kühnsten Hoffnungen erfüllte, und als die Dämmerung eintrat und das hier übliche ScheibentreibenDieses Scheibentreiben findet auch am sog. Funkensonntag, dem ersten Sonntag in der Fasten, statt, an welchem in dieser Gegend die Jugend gleichfalls Feuer anmacht, um über dieselben zu springen, und glühende Scheiben in die Luft schleudert, um daraus wahrzusagen. Oft zündet man ein mit Stroh umwundenes Wagenrad an und rollt es von der Höhe ins Thal hinab. begann, war er einer der eifrigsten und glücklichsten Schläger.

Es werden zu diesem Behufe Abschnitte von hölzernen Brunnenröhren, die man glühend gemacht, mittelst eines Stockes in die Luft geschleudert, so daß der flammende »Bolzen« einen schönen Bogen am dunklen Nachthimmel beschreibt. Dabei wird folgendes Sprüchlein gesungen:

»Diese Scheiben will ich treiben
Dem und dem und der und der!«

Oder, wie Görgl und Mathies sangen:

»O du mei' liabe Scheib'n,
Wo will i di heut hintreib'n?
In die Obergroana Gmoa',
I woaß scho', wen i moa',
D' Afra ganz alloa'!«

Natürlich sprachen sie den Namen nur ganz leise vor sich hin, ohne daß ihn die Umstehenden vernehmen konnten, aber Afra wußte doch, daß Mathies nur ihr zu Ehren die Scheiben so schön in die Luft schleuderte, daß sie in weitem 123 Bogen den Hang hinab sausten, aber sie fürchtete auch, daß der schwarze Görgl in gleicher Weise nur sie im Gedächtnis habe. Sie sollte bald Gewißheit hierüber erlangen.

»Afra, hast mei' Scheib'n g'sehgn?« fragte sie der Bursche. »I hon's dir zu Ehr'n g'schlag'n und koana hat mi übertriebn.«

»Mir z' Ehr'n?« that Afra verwundert. »Wie kimmst denn da dazua?«

»Sag, Afra, veracht'st mi?« fragte der Bursche dagegen.

»Wißt itta (nicht) warum,« erwiderte das Mädchen. »Du bist ja itz am besten Weg, a braver Bua z' wern.«

»Dös will i. Aber, wie moanst, Afra – kurzum, sag mir, wie steht's mit dein' Herzen?«

»Dös is a g'spaßige Frag',« lachte Afra.

»Sag mir's, i bitt' di drum, denn –«

»I muaß zu mein' Vatan,« fiel Afra dem Burschen schnell in die Rede, »aber i will dir dengerscht a Antwort gebn. Eh n Vierteljahr verganga, sollst du und die ganz' Welt wissen, wie's mit mein' Herzen steht. B'hüt Gott!«

Und Afra eilte zu ihrem Vater. Görgl sah ihr fragend nach. Wie sollte er sich diese Worte deuten? Wollte sie ihm dann sagen, daß sie ihm ihr Herz geschenkt? Warum aber erst in einem Vierteljahre? Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß das Mädchen erst abwarten wolle, ob seine Besserung wirklich Bestand habe und er nahm sich vor, auch fernerhin keinen Anlaß zu einer Klage zu geben. Und wiederholt trieb er seine Scheiben in kühnem Bogen hoch in die Luft.

Aber Afra sprang jetzt wieder mit Mathies Hand in Hand über das Feuer, sie verstanden sich durch einen leisen 124 Händedruck und Afra flüsterte ihm zu: »Bis der Hirgst (Herbst) kimmt, g'hörst mei'!«

Mathies machte seiner freudeerfüllten Brust durch einen Juhschrei Luft. Da hallte es überall lustig von den Bergen und im Thal, und bald loderten von allen Spitzen und Graten, soweit sie ersteigbar waren, mächtige Flammengarben empor, am Kramer und Eckengebirge, am Schellkopf und allen anderen Höhen leuchteten die Bergfeuer, und die Thalbewohner jubelten zu ihnen auf.

Sobald die Abendglocke ertönte, wurden auch im Thale die neben den Sunnwendfeuern errichteten großen »Hexen« angezündet, um welche dann alt und jung herumtanzt. Erst als diese Hexen gänzlich zu Asche verbrannt waren, ward die Heimkehr unter fröhlichem Geplauder angetreten. Jauchzen und Gesang ertönte überall, man war allenthalben guter Dinge. Da, in der Nähe von Untergrainau, wo sich der Weg nach dem Wagneranwesen abzweigte, erschallten plötzlich drei Klatschsalven, denen eine Flut von Schimpfworten folgte. Der Gmoa'wastl hatte, hinter einer Staude versteckt, die Wagnerin erwartet, an ihr, »im Namen der heiligen Dreifaltigkeit« das ihm von der alten Mariannl empfohlene Sympathiemittel versucht und sich dann so eilig entfernt, daß es völlig unbekannt blieb, wer der Attentäter gewesen.

Dank dem guten grünen Futter gab die Schecke schon am nächsten Morgen wieder die gewohnte Quantität Milch, sie war auch so gut und fett wie sonst, und der Gmoa'wastl beeilte sich, der alten Mariannl diese frohe Botschaft zu bringen, indem er zu ihr sagte: »Vergelt's Gott für dein' guaten Rat; hätt' woltern nit denkt, daß d' Watschen so viel Guatthat san.«



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