Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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IX.

Der Jägertoni, in alter Joppe, grünem Hute und Kniehösln, von einem anstrengenden Pürschgange zurückkehrend, trat soeben mit seinem sehr ermüdeten Dackl in die Stube. Er war ein hagerer Mann in den Vierzigern, hatte eine spitze Nase, ein sehr faltenreiches, wetterdurchfurchtes Gesicht, weißgelbe, kurz gehaltene Haare und einen struppigen Schnurrbart; außerdem lichtblaue Augen mit stets geröteten Augenlidern, und galt als ein närrischer Kauz. Seine Parole war: »Alleweil kreuzfidei!« Und Zither und Gesang waren hörbar, wo er zu Gaste.

Als er jetzt den Floßmeister die Kronenthaler einstecken sah, sagte er:

»B'fehl mich! Da kimm i ja grad recht zum mithalten, denn woaßt, i hoaß Toni, koa' Geld hon i, Toni hoaß i, koa' Geld woaß i.«

»Und von dein' heuntigen Schußgeld sagst nix?« erwiderte der Floßmeister. »Bringst an' Bock?«

»Himmel Million, nix bring i!« rief der Jäger verdrießlich, indem er Gewehr und Bergstock wegstellte und seinen Rucksack ärgerlich zu Boden warf, den sich der Dackl sofort zum Lager auserkor.

»Also nix unterwegs kemma?« fragte der Floßmeister abermals.

»Dös is's ja,« antwortete der Jäger. »Aber Vroni, 94 bring mir z'erst a Maßl. Wenn i's reden amal anfang, krieg i z' viel Aerger und der kunnt mir schaden, trinket i'n nit weg!«

Die alte Kellnerin kam seinem Wunsche sofort nach, und nachdem er auch gesorgt, daß sein Hund Wasser bekam, that er einen tüchtigen Schluck aus dem Kruge.

»Ah!« machte er wohlgefällig, indem er sich den Schaum von Bart und Mund wischte, »bei dem bleibn ma heunt!« Aber plötzlich den Floßmeister grimmig anblickend, sagte er: »Nix unterwegs moanst is mir kemma? A Kapitalbock – grad vor mir auf etli dreiß'g Gaang. I halt grad auf'n Kopf, a Kernschuß, es kann si' nit feihln; wo i amal so hinhalt, dös g'hört mir. I druck ab – bum – der Bock is marschaus.«

»Da hast woltern an' Hochschuß g'habt,« meinte der Floßmeister, »es kimmt ja leicht vür, daß d' Jaga aa diem (hie und da) nixi treffen.«

»Recht hast, an' Hochschuß hon i g'habt,« rief der Jäger, »der Sapperamentsbüchsenmacher, er hat mei' Bix zum Frischen g'habt und er muaß mir's G'schau durchanand bracht habn. Siehg i da glei drauf a Wildtaubn streichen, schier hätt' i's mit der Hand dalanga könna. I schieß'n Lauf mit 'n leichten Zeug (Schrot) ab – pumps di – d' Wildtaubn lebt itz no'!«

»Da hast ja woltern an' Tiefschuß g'habt,« entgegnete der Floßmeister, dem Jäger seine Schnupftabakdose aus Birkenrinde präsentierend.

»No', was sag i denn!« rief der Jägertoni. »Der Malefizbüchsenmacher! Is d' Flinten allweil guat ganga; itz hon i Tiefschuß; du möchst ja glei a Hirsch wern! Denk i mir, wie i draus am Schießstand vorübergeh', an' alte 95 Scheibn hängt dort – probierst dei' Bix, daß d' siehst, wo's feit (fehlt). I schieß mit 'n groben Zeug auf anständige Weiten, große Schrot sans ja dengerst gwen – bum! Ich schau außi auf d' Scheibn, hätt i nur den Büchsenmacher beim Kravattl g'habt in dem Augenblick, i hätt'n umg'bracht – so a Schneiderei! nit an' oanziger lausiger Schrot is in d' Scheibn. So was giebt's nimmer!«

Der Floßmeister und die Knechte lachten über die Wut des Jägers und ersterer sagte: »Da hat dei' Bix entweder Kurzschuß oder Seitenschuß.«

»Freili hat's Kurzschuß! Dös mirkt ja a Tollpatsch und i wollt wetten, daß 's an' Seitenschuß hat. Elendiger Büchsenmacher! Alle Truden vom Werdenfelserlandl solln über eam kemma! Da wenn i 'n hätt' – jeß, was is dös für a Glück für den, daß 's eam grad nit einfallt, beim Husaren a Maß Bier z'trinken! I hon heunt koa' solches Glück g'habt. Alle Teufel no'mal, wie is's mir ganga!«

Jetzt brachen die Flößer in ein schallendes Gelächter aus. Der Jägertoni wußte nicht gleich, sollte er sich darüber ärgern oder selbst mitlachen und da er beides abwechslungsweise that, indem er bald lachte, bald wieder ein fuchsteufelswildes Gesicht machte, so regte er dadurch die Lachlust der Anwesenden nur um so mehr an. Aber nicht nur die an seinem Tische Sitzenden lachten, sondern auch der fremde junge Mann auf dem Sopha, so daß des grimmigen Nimrods Blicke erst jetzt aufmerksam dorthin gelenkt wurden.

»Wer is denn dös Bürschl dort hinten?« fragte er ziemlich anmaßend.

»Den kenn' i nit,« entgegnete der Floßmeister. »Er 96 schaugt si' aber für an' Jaga oder Schützen her; siehgst nit sein' Büchsenranzen?«

»Gigez (lach) nit so dahinten!« rief Toni dem Fremden zu; »setz di vüra zu uns, wennst a Landsmann bist und wennst konna bist, setz' di aa her.«

»Is mir a große Ehr!« sagte der Fremde, noch immer lachend, nahm sein Glas und begab sich damit zum Tische der anderen.

Toni fixierte ihn sehr scharf vom Kopfe bis zu den Füßen, besonders aber blieben seine Blicke an den Knieen haften, welche erkennen ließen, daß sie schon sehr viel mit den Felsen und Schroffen in Berührung gekommen waren.

»Hon di no' niermals bei uns g'sehgn,« sagte er dann. »Du schaugst di auf an' Gamsjaga her, i moan, i hon's daraten. Wie hoaßt denn?«

»Kobell hoaß i,« antwortete der Fremde.

»Hon no' nix g'hürt von dir. Kobell schlechtweg?«

»No', halt Kobellfranzl.«

»Und i bin der Jagatoni von Garmisch,« stellte sich dieser vor. »Auf Weidmannsheil!«

Sie stießen mit einander an. Die andern thaten desgleichen.

»Wo kimmst denn her?« examinierte der Jägertoni weiter.

»Z' Mittenwald bin i gwen beim Schießets. No' und da kimm i heunt über Partenkirchen, wo i an' guaten Freund von Münka (München) troffen hon, der mit mir da umma is, weil er beim Landrichter was z' b'sorgn hat. I hon nit mit eam aufs Landg'richt woll'n, weil i gar so meschant ausschau. Also dawart i 'n halt da.«

»No', und hast z' Mittenwald mitthoa' kinna bei die 97 Scharfschützen, lauter Manna, die scho' mit an' Punkt auf d' Welt kemma san?«

»Is mir nit schlecht ganga,« erwiderte Kobell; »'s Zwoat hon i mir g'holt auf der Ehrenscheibn – fünf Dukaten is a koa' Pfifferling.«

»G'wiß nit – wenn ma 's g'wiß hat,« sagte der Jägertoni, ihn mißtrauisch anschauend.

Kobell merkte dies. Er zog einen verbrauchten, ledernen Zugbeutel aus der Tasche und zeigte dem ungläubigen Jäger die in ein Papier gewickelten fünf nagelneuen Dukaten.

»Respekt!« rief dieser, »itz sollst glei no'mal lebn! Du muaßt a guate Bix hab'n«

»No', von selber trifft's nit,« lachte Kobell. »I hon mir's halt durch koan Büchsenmacher verderbn lassen, wie du die dei', und so hon i koan Hoch- und Tief-, koan Kurz- und Seitenschuß kriegt, wohl aber an' Schwarzschuß und dös is ja allemal d' Hauptsach. Aber is's erlaubt, so laß i a Maßl bringa? Und was is's denn mit enk, Flößer? Enka Moasta wird nix dagegn hab'n, wenn's mir oan von die Dukaten vertrinka helft's. Hon alleweil so viel g'hört vom Garmischer G'sang und dieweil is's so staad da, wie r in ara Gruftkapelln.«

»Beim G'sang bin i glei dabei!« rief jetzt Mathies. »Vroni, nur her mit der Zidan (Zither).«

»Bist von Mittenwald dahoam?« fragte Toni den neuen Tischgenossen, »oder hast dir dort nur an' Preis g'holt?«

»Dahoam bin i wo anders,« entgegnete Kobell. »Aber i hon mir scho' no' was g'holt von dort, nämli die schö' Cenzi vo' Mittenwald.«

98 »So?« fragte der Jäger mit großen Augen. »Wo hast es denn, die schö' Cenzi?«

»Da drin hon i's,« erwiderte Kobell, nach der Seitentasche deutend, in welcher er sein Notizbuch stecken hatte.

»A narrisch!« rief der Jägertoni, »du wirst es dengerscht a nit im Keiler (Tasche) hab'n«

»Im Büchl hon i's drin.«

»Ja so, du moanst halt a Bildl. No', mir kann's recht sei'. Wenn i z'nachst ummi kimm, werd i's aufsuacha, die Cenzi, und schö' grüaßen von dir.«

Vroni hatte inzwischen auf Kobells Rechnung frisches Bier gebracht. Auch dem Floßmeister stellte sie einen vollen Krug hin, den dieser nur unter der Bedingung annahm, daß die nächste »Ladung« auf seine Rechnung gehe. Der Jägertoni aber benützte den Anstich zu einem Toaste, indem er rief:

»Die schö' Cenzi von Mittenwald, vivat, sie soll leb'n! Hoch!«

Mathies hatte in die Saiten der Zither gegriffen und machte einen Tusch dazu.

»Itz singa ma oans!« rief der Jägertoni, der nunmehr ganz sein heutiges Pech vergessen hatte, »aber was zünftigs, a Jagaliad. Kannst oans?« fragte er Kobell.

»I moan scho« entgegnete dieser. »Singa ma: Wie freut mi mei' Bix.«

»Wenn mi aa heunt mei' Bix nit freut, 's G'sangl g'freut mi,« sagte Toni, »und also singa ma. Mathies, zupf dei' Zidan und fang an.«

Und lustig hallte es aus den kräftigen Kehlen mit Jodlern untermischt: 99

»Wie freut mi mei' Bix,
Da drüber geht nix,
Und wann i mei' Bix nimmer führen soll,
Is mir auf dera Welt nimmer wohl.
Wie freut mi mei' Bix,
Da drüber geht nix.

Wie freut mi die Birsch
Auf d' Gams und auf d' Hirsch,
Wann i nimmer birschen und jagen soll,
Is mir auf dera Welt nimmer wohl.
Wie freut mi die Birsch
Auf d' Gams und auf d' Hirsch.

Kann nix Schönres geb'n,
Als jagerisch leb'n,
Wann i nimmer jagerisch leb'n soll,
Is mir auf dera Welt nimmer so wohl.
Kann nix Schönres geb'n,
Als jagerisch leb'n.«

Nachdem mit diesem Liede einmal der Anfang gemacht war, folgten noch andere nach und Kobells Aufmerksamkeit richtete sich ganz besonders auf den zitherkundigen Mathies, der mit der schönsten Fistel sich sogleich die erste Stimme angeeignet hatte und zwischen den Liedern lustige Ländler auf der Zither spielte, daß die anderen vor Vergnügen auf die Schenkel zu klatschen begannen, mit den Fingern schnalzten und mit der Zunge schnackelten.

Inzwischen war noch ein weiterer Gast hinzugekommen in der Person des Gmoa'wastls von Untergrainau, der, wie aus der unter dem Arme getragenen Lederrolle ersichtlich war, Material für sein ehrsames Schusterhandwerk eingekauft hatte. Er setzte sich mit den Worten: »Wenn's verlaubt is,« und brachte bald vor Vergnügen seinen weiten Mund nicht mehr zusammen.

100 »Heunt wird's fidei!« rief der Jägertoni, mit dem neuen Tischgenossen freudig anstoßend, und dann wandte er sich zu Kobell und fuhr fort: »Gel, da schaugst, wie die Floßknecht singa kinna, grad wie d' Nachtigalln, b'sunders der Lechner Hies? Ja, dem thuat's koana nachi; und wennst 'n erst Schnadahüpfln singa hörest! Mi ausgnomma giebt's im ganzen Landl koan bessern mehr.«

»No', willst es 's Ansinga mit mir probiern?« fragte Kobell den renommierenden Jäger. »I versteh mi aa drauf und was gilt's, i sing di hin?«

»Du mi?« rief der Jäger. »Dös wirst dir überlegn.«

»Traust dir leicht nit?« fragte Kobell lachend. »An' Dukaten setz' i ein gegn dein' Schlagring.« Und er legte einen Dukaten auf den Tisch.

»Du junger Fant rennst ja schnurstraks in dei' Verderbn!« entgegnete der Jäger. »Aber mir kann's recht sei'. Also, da is mei' Schlagring. Wer'n andern hinsingt, is matsch. No', du paß auf mit deiner schöna Cenzi.«

Und Kobell, unendlich vergnügt, begann sofort, den Jägertoni anzusingen.

Dieses Ansingen, das im Hochland sehr häufig vorkommt, ist der Wettkampf zweier Sänger, welche sich mit anzüglichen, nur für den Augenblick improvisierten Strophen im Wechselgang so lange bekämpfen, bis der eine sich nicht mehr durchzufinden weiß und unter allgemeinem Gelächter auf das Wort verzichtet, oder etwa auch, bis der Kampf des Geistes in einen leiblichen übergeht und sich in blutiger Streit entfacht.

Das Schnadahüpfel macht den Großteil der alpinen Volkspoesie aus. Es besteht aus einer vierzeiligen, ganz oder teilweise gereimten Strophe, welche mit Beigabe eines 101 bezüglichen Bildes oder auch unmittelbar einen Gedanken ausspricht. Es sind dies Gesangsstücklein, die allerlei Anspielungen, Neckereien, Liebeserklärungen und Herausforderungen enthalten. Man kann sie als kleine Blumen der Geselligkeit betrachten, welche ebenso in der einsamen Sennhütte, wie bei Trunk und Tanz und Fest florieren und ein belebendes und vergnügendes Element bilden, wie anderwärts nichts Aehnliches bekannt. Das Schnadahüpfel der süddeutschen Gebirgswelt ist eine der lieblichsten Erscheinungen der Volkspoesie und das würdigste Seitenstück zu den Märchen des Nordens. Diese einfachen Feldblumen der Poesie dürften oft durch Innigkeit und Zartheit des Gefühls manchen Städter beschämen. Meist sind sie jedoch nur Kinder des Augenblicks, das unbedeutende stirbt auch im Augenblick seiner Geburt, denn was sich auf dem Lande fortpflanzen und erhalten will, muß sozusagen »klassisch« sein. Das echte und rechte Schnadahüpfel gleicht einem Rätsel – die ersten drei Zeilen sind wie eine Frage, die vierte ist die Antwort darauf.

Der Kobellfranzl begann unter Mathies Zitherbegleitung sofort seinen Angriff, die übrigen sangen jedesmal die Melodie ohne Text nach, während dem der Gegner Zeit fand, sein G'sangl auszudenken:

»Der Garmischa Jaga
Is gar a verdrahta,
Hat a nigl nagl neue Bix,
Aber treffen thuat er nix.«

Der Jägertoni entgegnete nach dem üblichen Chorus sofort:

»Jatz hör i oan singa,
Er singt grad zum Trutz, 102
Und a sellener Spitzbua
Is selt'n was nutz.«

Und nun begann ein wahrer Wettkampf hinüber–herüber. Auf jeden Angriff Kobells folgte ein schallendes Gelächter der Zuhörer. Das Erlauschte über des Jägertonis verfehlte Schüsse, sein Lamento über den Büchsenmacher waren für den Gegner eine wahre Fundgrube des Witzes und er verstand es meisterlich, stets eine überraschende Wendung, eine unerwartete Aufklärung, eine neue Moral, etwa auch eine nicht geahnte Dummheit vortreten zu lassen. Aber auch der Jägertoni stellte seinen Mann. Allmählich aber erlahmte er, die Chorsänger mußten öfters zweimal ihr »tralala« wiederholen, bis ihm die rechte Antwort beifiel. Der Schweiß stand ihm bereits auf der Stirne und endlich ging ihm, wie er selbst sagte, das »Trumm« aus. Er wußte dem Jäger nicht mehr zu antworten, und der Floßmeister, als Schiedsrichter, erkannte Kobell als Sieger an und übergab ihm den Schlagring des Jägertoni, den sich der Sieger mit großem Vergnügen an den Finger steckte.

Der Jägertoni suchte sich mit einigen kräftigen Zügen für den Verlust des Schlagringes und die erlittene Niederlage zu trösten. Aber er blickte fuchsteufelswild auf den jungen Sänger und meinte:

»An' anders Mal geht's umkehrt. Die groß' Hitz heunt hat mi matt g'macht, aber du find'st aa scho' no' dein' Herrn.«

»Also her mit dem Herrn!« rief Kobell. »Hat leicht von enk no' oana Schneid, mi anz'singa?«

»I möcht's grad scho' probiern,« sagte Mathies.

»Alle vier därft's gegn mi singa, aa der Schuasta, 103 wenn er mag,« antwortete Kobell lachend, »aber schö' oana nach'n andern. Da san zwoa Dukaten, die g'hörn enk, wenn mi oana maultot macht.«

»Es gilt!« rief Mathies. »Was setzen wir dagegen?«

»Nix sollt's setzen,« sagte der Floßmeister; »i bin für enk Zahler.«

»So möcht' i dös G'häng an Enkera Uhrketten,« versetzte Kobell.

»Dös G'häng mit die silberg'faßten Murmelzähn, mit die schön' Hirschkranl und der Geierkralln?« fragte der Floßmeister, die bezeichneten Gegenstände durch die Finger streifend. »Gern gieb i's nit her – aber was! – i krieg ja dengerst die zwoa Dukaten. Also, es gilt!«

Und nun begann ein neuer Wettkampf. Mathies machte den Anfang, ihm sollten der Seehansele, der Gmoa'wastl und dann der Floßerjakele folgen. Sobald einer den Chorus zweimal singen ließe, ohne ein neues Schnadahüpfel zu beginnen, sollte er für besiegt gelten. Kobell mochte es dem blauäugigen Obergrainauer ansehen, daß er verliebter Natur war, und so sagte er ihm, er sollte »d' Liab« erwählen, es müßte nicht immer getrutzt sein.

Mathies war dies wohl zufrieden und begann sofort:

»Was wird denn die Liab sei',
Wer kannt mir dös sagn,
Und i hon hin und her denkt,
Und kann's nicht dafragn.«

              Kobell:

Die Liab is a Schießet
Auf a schneeweiße Scheibn,
Und da kennst di nit aus,
Därfst es wohl a Weil treibn. 104

            Mathies:

Und d' Liab is a G'schicht
und die geht gar nit aus
und wird überall verzählt
Und is überall z' Haus.

              Kobell:

Und d' Liab is a G'spiel,
Da kannst g'winna gar viel,
Und no' mehra verlier'n,
Kannst's dei' Lebta lang g'spüren.

            Mathies:

Und d' Liab is a Vog'l
Der war nach mein' Sinn,
Und mei' Dirndl is der Käfig,
Da flutschert es drin.

              Kobell:

Laß mi aus mit der Liab,
Schau, i hon's scho' probiert,
Und sie hat mi gar schö
An der Nasen rumg'führt.

In solcher Weise, die schönsten, bilderreichsten Vergleiche erdichtend, ging es eine Weile fort. Plötzlich aber hielt Mathies ein und sagte: »Itz fallt mir nix g'scheit's mehr ein und was unsaubers mag i über d' Liab nit singa.«

»Dös is a schön's Wort,« sagte Kobell, »und ehrt di. Also, die andern weiter!«

Dem Floßmeister wurde um sein Gehäng bange. Der Jägertoni aber zitterte vor Aerger über die »Triumphe« des jungen Fremden und that einen tüchtigen Schluck nach dem andern.

Der Gesangskampf gestaltete sich bald wieder sehr heiter und Kobell blieb seinen drei Gegnern nichts schuldig. 105 Er folgte dem Sprichwort: »Wie man in den Wald ruft, so hallt es wieder.«

Man blieb jedoch nicht bei dem einen Thema und Kobell warf u. a. auch die Frage auf: »Was is a Schnadahüpfei?« wobei die verschiedensten Antworten zum Vorschein kamen, wie:

A Schnadahüpfei
Hat an' schneidinga Gang,
Und steigt z' höchst ins Gebirg,
Wird nit schwindli und bang.

A Schnadahüpfei
Is a Vogl in Wald,
Bal' er trauri will wer'n
Nacha stirbt er aa bald.

A Schnadahüpfei
Is a tanzender G'sang
Und a trauriger Tanz,
Bua, der dauert nit lang.

A Schnadahüpfei
Is a offenes Briefei,
Und da steht's deutli drin,
Wie dir is in dein' Sinn.

A Schnadahüpfei
Is a Bleaml vom Feld,
Es wird just nit viel g'acht'
Kimmt do' furt auf der Welt.

A Schnadahüpfei
Hat an' lustinga Stand,
Und macht überall auf,
Is a Landmusikant. u. s. w.

Beim Floßerjakele aber kam grobes Geschütz ins Treffen, nachdem sich der Gmoawastl schon nach den ersten, 106 mit mehr meckernder, als singender Stimme vorgetragenen Strophen für besiegt erklärt hatte. Hier nur einige Proben von G'moawastl's Muse:

Ehmal ham ma Schuahein (Schuhe) g'habt
Ehmal nit aa,
Ehmal ham ma Sohln' d'rauf g'habt,
Ehmal nit aa.

In Eschenloh unt'
Is a Katz und a Hund,
Und a Katz und a Hund
Is in Eschenloh unt'.

Dort ob'n auf der Alm
Is a Kalbn awagfall'n,
Wär' d' Kalbn nit auf d' Alm
So war's nit awagfall'n.

Nicht lange dauerte es, so mußte auch der letzte Kämpfer, der Jakele, sich ergeben, und Kobell befestigte mit unsäglichem Vergnügen das gewonnene Gehäng an seiner Uhrkette. Alle gönnten ihm dasselbe gern, nur der Jägertoni wur ganz »fuchtig« über den wiederholten Sieg und in seiner bereits hochgradigen Bierbegeisterung rief er Kobell zu: »Mirkst es denn nit, daß ma dir gern und nur aus Barmherzigkeit hab'n alles gewinna lassen? Moanst, es braucht weiter nix, als auf Garmisch geh'n und die best'n Singer tot z' machen! Da hast di g'schniden!«

»Na', na',« mischte sich der Floßmeister ein, »di Sach is richti und ehrli vor sich ganga, alle seid's matsch worn, und du, Jagatoni, du großmauliger Mensch, bist gar grad a Pfifferling z'gegen den da.«

»Was?« schrie Toni, »i a Pfifferling? No', dös sollts glei' sehgn.« Dabei erhob er sich und machte gegen Kobell eine angreifende Bewegung.

107 Dieser jedoch sprang rasch auf und sagte lachend: »Möchtst ebba dein' Schlagring am Kopf spüren? Dös kann scho' g'schehgn, wennst es hab'n willst.«

»Halt's mi! halt's mi!« schrie Toni und streckte, damit dies leichter geschehen konnte, seine Hände nach rückwärts den Floßknechten entgegen, welche sie auch lachend festhielten.

»Halt's mi! halt's mi!« schrie er dann wiederholt, »oder es g'schieht an' Unglück.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre und der Landrichter von Garmisch trat mit einem fremden Herrn in die Stube.

»He, was ist los?« rief der Beamte.

108 »Ein Sängerkrieg in Garmisch mit obligatem Ausgang,« erwiderte Kobell lachend.

»Z' Schanden hat er uns alle g'sunga,« erklärte Mathies, »und dös hat'n Jagatoni g'fuxt. Aber g'schehgn is nix, da hab'n ma scho' g'sorgt.«

»Herr Doktor, man hat Sie doch nicht insultiert?« fragte der Beamte.

»Bewahr Gott!« erwiderte Kobell lachend. »Alles ging in Liebe und Eintracht. Z'erst hab'n wir trunken, dann g'sungen und d' Zither g'schlagn und zum Schluß g'rauft. Alles nach der schönsten Ordnung.«

»Was? A Doktor is dös?« riefen die Tischgenossen Kobells erstaunt.

»No', da san ma alle mitananda schö' einganga,« meinte der Floßmeister.

»A Doktor?« wiederholte der Jägertoni. »Ja no', da habt's es, nur a Doktor kann uns z' Schanden singa. Oes müaßt's mir scho' verzeihn,« wandte er sich dann an Kobell; »i hon Enk für an' Jagdspezl von mir g'halten, Oes habt's Enk aa so g'moan gebn, daß d' nix anders denken kannst. Enk vogunn i mein Schlagring –«

»Und i mei' G'häng,« setzte der Floßmeister hinzu.

Jetzt zeigte der junge Doktor seinen Freunden die in dem Singkampfe eroberte Siegesbeute mit den Worten: »Das wird mir zeitlebens ein heiteres Andenken an den heutigen Tag sein.« Und sich zu den besiegten Gegnern wendend, fuhr er fort: »Itz aber, Leutln, eßt's und trinkt's; heunt bin i Zahler. Singt's, so lang's könnt's. Du, Jaga, kriegst scho' ebbas von mir für dein Schlagring.«

Dann wandte er sich zum Floßmeister: »Sie, Herr Floßmeister, werden mich einmal in München besuchen, 109 wenn Sie wieder dorthin kommen, und wir werden dann quitt.«

»Der Herr Doktor soll leb'n! Vivat hoch!« rief der Jägertoni, und die andern stimmten ein.

»Das ganze Vergnügen verdanke ich eigentlich dir,« sagte Kobell jetzt zu dem mit dem Landrichter eingetretenen Herrn, den Mathies bereits als seinen früheren Leutnant Naus erkannt und begrüßt hatte.

»Mir?« fragte dieser.

»Natürlich; weil du mich so lange warten ließest.«

»Wie ich hörte, bleiben Sie längere Zeit bei uns in Garmisch?« fragte der Landrichter den Doktor.

»Wenn i für mein' Nachtgroschen a Stroh krieg?« fragte dieser lachend die Kellnerin.

»Jetz, itz is's recht!« rief Vroni etwas beschämt. »Die schö' Stubn is für'n Herrn Doktor aus München scho' etli Tag herg'richt und i hätt'n auf'n Stroh wolln schlafa lassen!«

»Wär' nicht zum ersten Mal gewesen,« versetzte Kobell. »Aber wenn man's besser haben kann, greift man nach dem Besseren. Nicht wahr, das ist auch Soldatenart?« fragte er seinen Freund, den jungen Offizier.

Leutnant Naus war ein Mann von mittlerer Größe und kräftig gebaut. Er hatte üppige, blonde Haare, blaue Augen, ein kleines Schnurrbärtchen und ein freundliches, äußerst lebhaftes Gesicht. Seine Kleidung bestand in einem grauen Sommeranzug und einem großen, weiten Strohhut. Er nahm mit Mathies sofort Rücksprache wegen des anzutretenden Dienstes als Meßgehilfe und bestellte ihn für übermorgen nach Partenkirchen, an welchem Tage sie dann ihr Werk beginnen würden. Er fragte auch nach dem 110 schwarzen Görgl, welcher dem Landrichter vom Gemeindevorstand in Obergrainau als einer der vorzüglichsten Bergführer in Vorschlag gebracht wurde.

Mathies konnte in dieser Beziehung nichts an Görgl tadeln. Er selbst war nur in dem seinem Dörfchen zunächst liegenden Teile des Gebirges bekannt und niemals auf die weiter entlegenen Berge gekommen, und so war allerdings ein Führer nötig. So wurde Mathies beauftragt, auch Görgl mitzubringen, wenn dieser auf allen Bergen Bescheid wisse.

»Dös woaß er,« bestätigte Mathies, »denn in die Berg is er dahoam und 's Steigen sei' Freud. Er gaang justament bis auf 'n Zugspitz auffi.«

»Auf 'n Zugspitz?« rief Naus. »Bring ihn mir; das ist schon mein Mann.« 111


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