Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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VI.

Die ungeheure Schlucht des Höllenthales, durch welche sich der wilde Hammersbach seine Bahn bricht, wird von den südöstlichen Hängen des Waxensteins und den der Zugspitze gegenüberstehenden Wänden begrenzt und bildet mit seinen schon weithin sichtbaren Schneefeldern, vom Thal aus gesehen, einen der charakteristischen Hauptreize dieser schönen Gegend. Dicht am Eingange dieser grauenhaften Schlucht liegt der hinter Gebüschen versteckte, alte, nur wenige Häuser zählende Weiler Hammersbach mit einer kleinen Kapelle. Hier hausten vor Jahrhunderten die edlen Herren von Hammersbach, von deren stolzer Burg auf dem sogenannten »Turmanger« zunächst der Kapelle noch einige spärliche Mauerreste bemerkbar sind. Auch die Spuren eines ehemals hier angelegten Eisenhammerwerks sind noch sichtbar, denn die Herren von Hammersbach waren die ersten, welche im Werdenfelsschen Bergbau betrieben und zwar in der Gegend von Hammersbach und am Waxenstein, und mit der Schürfung auf Eisen und Galmei wurde auch die nach Silber verbunden.

Die Bischöfe von Freising betrieben den Bergbau in der Gegend noch bis zu Anfang dieses Jahrhunderts. Um die Metalle flüssig zu machen und in Form zu bringen, wurde der Hammer auf der Schmelz errichtet, weshalb der aus dem Höllenthal hervorbrechende Bach der Hammersbach genannt wurde; sonst heißt er »Ofenlain.«

65 Mit dem Einstellen des Bergbaues hatten die Bewohner des kleinen Dörfchens ihren Hauptverdienst verloren, denn sie waren zumeist Bergleute. Dieses Los hatte auch Görgls Eltern betroffen. Görgls Vater wußte viel zu erzählen von den Gold- und Silberadern, welche in der Klamm des Höllenthales noch unentdeckt und verborgen wären, und verband damit manch wunderbare Sage, die sich in Görgls für derlei Wunderdinge leicht empfängliches Herz prägten. Oft seufzte der alte, vielgeplagte Bergmann, der trotz aller Arbeit im dunklen Erdenschoße nur mit Not seine Familie zu ernähren imstande war:

»Ehrli is d' Arbeit schon, aber reich wird neamd durch d' Arbeit alloa'.«

Der Vater dachte nicht daran, daß sein kleiner Sohn sich diese Worte nach seinem Gefallen zurecht legen könnte, daß er schon von Jugend auf den leichteren Erwerb der Arbeit vorzog. Mit Edelweißbrocken und Wurzelgraben begann seine Thätigkeit auf den Bergen. Doch wenn neben dem jugendlichen Bergsteiger die flüchtige Gemse pfiff, das furchtsame Wild vor ihm floh, so gedachte er der Erzählungen seines Vaters, wie es in früheren Zeiten jedem gegönnt war, auf den Bergen zu jagen, und er wünschte sich jene ihm so wunderbar dünkende, köstliche Zeit wieder zurück. Als mit des Vaters Tode seine Mutter eine Bettlerin und auf die Mildthätigkeit der Gemeinde angewiesen war, als sie von Nahrungssorgen gequält wurden, da suchte er, wie so viele, das Gesetz zu umgehen und ward ein Wildschütze.

Die absolute Verweigerung jedweder Jagd gebar schon im vorigen Jahrhundert eine unbezwingliche Wildschützenlust, welcher weder Pranger noch Galeere, noch die 66 Vogelfreierklärung der Steinbockwilderer Schranken zu setzen vermochte. Man steckte die Wildschützen ohne Unterschied der Person unter die Soldaten und der Forstschutzmann durfte jeden niederschießen. So bildete sich die gegenseitige Devise: »Tod um Tod« aus. Erst als König Max I. von Bayern in Ansehung der vom Kriege zerrütteten bäuerlichen Verhältnisse die Ablösung von Forstrechten und den Uebergang von Domänen in Privathände einleiten ließ, wurde es besser. Viele der früheren Wildschützen wurden Jagdpächter und diese Reviere wurden in der Regel von den übrigen Wilddieben verschont, dagegen die dem Staate angehörigen Jagdgebiete aufgesucht, und da sie mit Vorliebe, wohl der persönlichen Sicherheit wegen, auf den steilen Felsen des Hochgebirges mit Mut und Gefahr die flüchtige Gemse jagten, so kam es, daß solche Freibeuter von ihren Landsleuten oft mit einem falschen Nimbus von Tapferkeit und Verwegenheit, zumal vom weiblichen Geschlechte umgeben wurden, denn:

An' Buam, der nit schneidi
Und der eam nix wagt,
Den mögn aa die Diandln nit,
Hon's oft schon dafragt.

Um den äußeren Schein zu wahren, machte der schwarze Görgl in den Sommermonaten einen Bergführer und Edelweißbrocker, im Winter schnitzte er Haselnußstöcke, meistens aber schlich er dem Fuchs nach, den er im Eisen fing und dessen Pelz er bei den Verfertigern der beliebten Fuchshandschuhe (Füchslinge) stets gut zu verwerten wußte.

Wenn er dann so einsam die Hochthäler und Waldungen durchwanderte, da war sein liebstes Denken und Sinnen, wie er es am leichtesten zu großem Reichtum bringen könne, 67 und da ihm das, wie er es schon von seinem Vater gehört, durch Arbeit nicht möglich schien, so hoffte er auf übernatürliche Hilfe und glaubte sich zu dieser Hoffnung, als ein Sonntagskind, vor allen berechtigt. In diesem glücklichen Wahn wagte er es auch, seinen Blick zu des Bärenmartele Afra zu erheben; sie zu gewinnen, war der höchste Wunsch seines Lebens. Um dieses zu erreichen, schreckte er selbst vor dem Zuggeist nicht zurück, an dessen Existenz er felsenfest glaubte.

Nur mit solchen Gedanken beschäftigt, hatte er sich wenig um seine arme, kranke Mutter bekümmert. Er ließ sie unter der Obhut einer alten Nachbarin, dem sogenannten Veilawidl, die auch von den Schätzen im Wettersteingebirge schwärmte, während sie die Kranke mit Wassersuppe und Erdäpfeln kümmerlich ernährte. Görgl hoffte, daß sich mit der besseren Jahreszeit die Krankheit seiner Mutter von selbst wieder heben werde, obgleich ihm dies die alte Mariannl, welche der Kranken mit Nahrungsmitteln und Medikamenten nach besten Kräften beistand, auszureden suchte. Daß aber die kranke Frau so rasch sterben könnte, daran dachte Görgl am allerwenigsten und sein Schmerz an der Leiche der, wie es schien, sanft Entschlafenen war aufrichtig und groß.

Die alte Veilawidl kam, um der Kranken eine Morgensuppe zu bringen, und fand Görgl vor dem Lager der Toten auf den Knieen liegend und bitterlich weinend.

In dem kleinen Dörfchen ging die Nachricht von dem Sterbefall rasch von Haus zu Haus; ein Bote eilte nach dem nahen Obergrainau, wohin Hammersbach eingepfarrt ist, um das Läuten des Zügenglöckleins zu veranlassen und den Todesfall bei dem Benefiziaten, sowie bei dem 68 Gemeindevorstand vorschriftsmäßig bekannt zu geben. Inzwischen verrichteten die Nachbarn die ersten Gebete in der Sterbekammer.

Diese wurden durch das rasche Eintreten von zwei Gendarmen plötzlich unterbrochen. Sie gingen direkt auf Görgl zu, und der ältere von ihnen, es war der Stationskommandant von Garmisch, sagte zu dem überraschten Burschen:

»Görgl, du bist arretiert!«

Dieser war so erschrocken, daß er völlig vergaß, sich vom Boden zu erheben.

»I? Arretiert? Und warum?« fragte er.

»Du hast heunt nacht im Staatsrevier an' Hirschen g'schossen. Der Förster hat auf 'n Weg zum Schnepfenstrich dös Tier g'fund'n und du bist der Wildschütz gwen. In Untergrainau hat ma den Schuß g'hört und bald drauf bist dort auf 'n Hoamweg g'sehn worn. Läugn's, wennst kannst und wennst dir traust vor der Leich von deiner Muatta.«

Görgl hatte sich erhoben. Er war schon im Begriffe, sich eine Antwort zurecht zu richten, als aber der Kommandant sozusagen die Leiche der Mutter zum Zeugen anrief, überlegte er doch einige Augenblicke.

Der zweite Gendarm war inzwischen in Görgls Kammer getreten und kam, dessen Flinte mit dem frisch abgeschossenen Lauf in der Hand, wieder herein.

»Aus der Bix ist heunt nacht gschossen worn,« sagte er, »man riecht noch den Brand vom Pulver.«

»Und wenn's so wär,« sagte jetzt der Wilderer, »i lauf enk nit davon, und i werd' mi auf 'n G'richt drin 69 verantworten, sobald i für mei' gstorbne Muatta alles g'richt' hon.«

»Dafür wird die G'meind sorgen,« erwiderte rauh der Kommandant; »wir habn di schon lang aufg'schrieben und du gehst jetzt glei mit uns, ob's dir recht is, oder nit.«

»Oes werd's mir ja dengerscht dös nit anthoa'?« rief Görgl.

In diesem Augenblick riß ihm der zweite Gendarm die Arme nach rückwärts und legte mit Hilfe des Kommandanten dem überraschten Burschen die Handketten an.

Görgl schrie laut auf vor Wut, dann sagte er, auf das Antlitz seiner toten Mutter blickend:

»Der da habt's es zu verdanken, daß in dem Augenblick koa' Unglück g'schehn is.«

Die erschrockenen, anwesenden Dorfbewohner drückten laut ihren Unwillen über die Arretierung aus und die Gendarmen fanden es für gut, so rasch als möglich mit ihrem Gefangenen das Haus zu verlassen.

»Gieb du Muatta für mi no' an' Weihbrunn,« bat Görgl die alte Veilawidl: »der Landrichter drin z' Garmisch wird schon an' Einsehgn hab'n und mei' arme Muatta soll nit eingrabn wern ohne mi.«

»Dös is 'n Herrn Landrichter sei' Sach,« erwiderte der Kommandant, »aber wir müssen unser Pflicht erfülln, wenn's uns auch schwer ankommt. Geh im guten mit uns und es wird gschehn, was recht und billig ist.«

Einer der Umstehenden setzte dem Gefangenen den Hut auf und nachdem Görgl noch einen langen Blick auf die tote Mutter geworfen, brach er in heftiges Weinen aus und verließ dann unter allgemeinem, lautem Bedauern der Anwesenden, welche bislang dem Burschen durchaus 70 nicht gut gesinnt waren, aber nun plötzlich für ihn Mitleid fühlten, mit den Gendarmen das Sterbehaus.

Um den Gemeindevorstand von Obergrainau von der Arretierung sofort in Kenntnis zu setzen, ward nicht der direkte Weg nach Schmelz, sondern der nach Obergrainau eingeschlagen. Ein kalter Regen fiel hernieder, dichte Wolkenmassen hüllten ringsum die Berge ein. Der schwarze Görgl schritt schweigend seinen Begleitern voran, gestern voll goldener Träume, heute in düsterer Stimmung und schaudernd vor äußerem und innerem Froste. 71


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