Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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XVIII.

In seinem Quartier angekommen, war die erste Frage des Leutnants Naus, ob während seiner Abwesenheit ein Brief eingetroffen sei. Die Wirtin teilte ihm mit, daß dies schon vorgestern früh gleich nach seinem Weggange der Fall gewesen sei.

»Er hat doch kein schwarzes Siegel?« fragte der Offizier nicht ohne Bangen.

»Leider ja!« lautete die Antwort.

Naus mußte sich an dem Geländer der Treppe festhalten, so sehr erschütterte ihn diese Nachricht. Er ermannte sich aber rasch wieder und stürmte die Treppe hinauf in sein Zimmer. Es war seines Vetters Handschrift, schwarz war das Siegel und schwarz wurde es auch vor seinen Augen. Hastig öffnete er das Schreiben und las erbleichend und zitternd den Inhalt:

Lermos, den 25. August 1820.

Mein lieber Pate Joseph! Unsere geliebte Bertha weilt im Himmel. Heute morgen wurde sie ganz unerwartet von einem jener Blutsturzanfälle heimgesucht, die mich schon längst um sie besorgt machten. Es war ihr letzter – die eingetretene Bewußtlosigkeit ging in den Todesschlaf über. Sie sprach in den letzten Tagen viel von dir und freute sich unendlich auf deine baldige Hierherkunft; auch sprach sie oft davon, wie sie am kommenden Dienstag gegen Mittag 186 hingrüßen wolle zum Zugspitz, dessen glückliche Besteigung ihr deinethalben unendlich an dem Herzen lag. Wenn dir das große Werk gelingt, wenn du wirklich um die bezeichnete Zeit grüßend niederblickst auf deinen Heimatsort, da wirst du wohl nicht ahnen, daß vielleicht gerade in jener Stunde Bertha zu Grabe getragen wird, deren letzte Lebenstage durch deine sie so beglückende Liebe verschönert, geheiligt wurden. Sollte dich dieser Brief noch vor deiner Bergtour antreffen und es dir möglich sein, zum Leichenbegängnis hierher zu kommen, so wäre dies mir und meiner bis in den Tod betrübten Frau ein milder Trost. Wir grüßen dich von ganzem Herzen.

Dein treuer, tiefgebeugter Pate

Anton.

Naus war von diesen Zeilen aufs schmerzlichste berührt. Seine Furcht, seine Ahnung waren also nicht grundlos gewesen. Heiße Thränen quollen aus seinen Augen, er küßte den Alpenstrauß, welchen er im Rainthal für die Geliebte gepflückt, nun sollte er ihr Grab zieren, er selbst wollte ihn darauf legen. Allein in seinem Zimmer, gab er sich ganz seinem Schmerze hin; die Kameraden störten ihn nicht. Sie hatten durch die Wirtin von dem plötzlichen Tode Berthas erfahren. So wurde die Freude des braven Offiziers über die glücklich vollendete Expedition ans jähe Weise gestört.

Anders hatte es sich bei Mathies gestaltet.

Während sein Herr in Schmerz und Thränen auf seinem Zimmer weilte, saß der glückliche Bursche in der Wirtsstube neben dem Bärenmartele und verzehrte mit Heißhunger das ihm vorgesetzte Mahl. Dabei erzählte er dem Bärenbauer, dessen übergroße Freundlichkeit er sich 187 gar nicht zu erklären vermochte, von der gestrigen Bergfahrt.

»Brav, Bua,« lobte der Bauer ihn öfters, »du hast ja a sakrische Schneid! Dös gfallt mir.«

Dann ließ der vergnügte Bauer eine Flasche Wein und zwei Gläser bringen und füllte dem Burschen, der ihn überrascht ansah, das Glas mit den Worten:

»Stoß ma an und laß' ma dös neue Brautpaar in Obergrainau leben!«

Mathies wurde dunkelrot bei diesen Worten. Der Bauer sah so vergnügt aus, daß er nicht umhin konnte, ihn stotternd zu fragen:

»Is 's ebba – is 's ebba gar –?«

»No', was moanst denn? Kannst raten? lachte der Bauer.

Mathies nahm einen Anlauf. »I wollt halt, daß i's wär und d' Afra!« platzte er heraus.

»Verflixter Bua, aufs erst' Mal hast es daraten!« rief er. »Stoß an mit mir, daß's g'wiß is. Oes zwoa sollts lebn!«

Mathies leerte das Glas. Dann aber nahm er den Bauern bei der Hand und sagte mit großer Rührung: »I werd d' Afra glückli machen, so wahr i will seli wern!«

»Dessel glaub i dir,« entgegnete der Bauer mit feuchten Augen. »Schau, daß d' glei mit mir fahrn kannst; 's Dirndl is in Angst um di, da wird's gscheita sei', i bring di glei als ganza mit.«

»Damit bin i einverstanden!« versetzte Mathies. »Der Herr Leutnant braucht mi so in die nächsten Tag nit, weil's Vermessen ausg'setzt wird. Dieweil geh i mit enk hoam. I wer 'n ge glei bitten, daß er nix dawider hat.«

188 Er eilte nach dem oberen Stock, um dem Herrn sein Anliegen vorzutragen. Als er aber die Veränderung in dessen sonst so freundlichem Gesichte wahrnahm, fragte er ihn besorgt, ob er sich krank fühle. Naus teilte dem ehemaligen Kriegskameraden die Nachricht von dem plötzlichen Tode seines Bäschens mit, das Mathies ja auch gekannt hatte. Letzterer fühlte das aufrichtigste Mitleid mit dem Schmerze seines Herrn.

»Dös arme Fraaln!« sagte er. »Hat eam sei' Lebn so g'freut, und hat eana so viel gern g'habt! Der Herr geb ihr die ewi Ruah!«

»Amen!« versetzte der Offizier.

Mathies getraute sich jetzt kaum, sein Anliegen vorzutragen, aber sein Herr kam ihm auf halbem Wege entgegen.

»Ich werde morgen mit der Post nach Lermos fahren und drei Tage dort bleiben. Inzwischen kannst du nach Hause gehen und deiner Afra von den Erlebnissen der letzten Tage erzählen. Grüße sie mir. Dein Alpenstrauß, den du am Anger für sie gepflückt, wird ihr große Freude machen. Der meinige da war für Bertha bestimmt – nun muß ich ihn auf ihr Grab legen. Laß dich nun nicht mehr aufhalten. Für die gestrige Anstrengung und den dabei bewiesenen Mut werde ich dich schon noch eigens belohnen. Geh jetzt, denn du hast noch einen weiten Weg zu machen.«

Nun erzählte Mathies noch, daß der Bärenmartele ihn mit seinem Fuhrwerke nach Hause fahre und daß er dort Afra als seine Braut begrüßen dürfe.

Naus wünschte ihm mit den wärmsten Worten Glück zu diesem freudigen Ereignis.

»Ich hoffte bis zu dem heutigen Tage, daß auch mir 189 ein gleiches Glück beschieden sei,« sagte er, »indessen ist es anders gekommen. Geh jetzt; in drei Tagen auf Wiedersehen!«

Dem Burschen traten die Thränen in die Augen, als er den Händedruck des jungen Offiziers erwiderte. Schweigend entfernte er sich.

Fünf Minuten später fuhr er mit seinem künftigen Schwiegervater über Garmisch gegen Grainau. Die Sonne war bereits hinabgesunken und die Berge waren von leichter Abendröte angehaucht.

Während der Fahrt kam der Bärenbauer auch auf den schwarzen Görgl zu sprechen. Er war nicht wenig überrascht, zu hören, daß auch dieser auf Afra Absichten hatte und deshalb heute von Mathies gezüchtigt worden war.

»Recht hast eam tho',« pflichtete der Alte bei. »Aber i halt'n für rachsüchti und du därfst woltern auf eam acht habn. Is mir doch gwen beim Ummafahrn, als hätt' i'n am Gangsteig bei die Heuhüttln dahinschiebn sehgn. Er wird ja dengerscht nit Obergrainau zua sei' und d' Afra mit seine Faxen plag'n? Da därf' ma schlauna – hi! hi!«

Und in schärfster Gangart ging es von dannen.

Aber kurz vor Untergrainau verlor das Pferd ein vorderes Eisen und der Bauer hielt es für nötig, dasselbe in der dortigen Schmiede wieder befestigen zu lassen. Mathies aber sprang vom Wagen und eilte zu Fuß dem nahen Heimatdörfchen zu. Es war ihm, als müßte jeder Augenblick Versäumnis Schaden bringen, und er legte den Weg mehr im Laufschritt als im Gehen zurück.

Und er hatte nicht umsonst Schlimmes geahnt. –

190 Afra hatte schon lange vergebens nach dem Vater ausgeschaut und je tiefer sich die Schatten in das Thal breiteten, desto größer wurde ihre Bangigkeit. In ihrer Unruhe schlug sie den Weg gegen Untergrainau zu ein. Gleich unter dem Dörfchen breitet sich ein üppiger Wiesengrund aus, durch welchen ein Fußweg nach dem Eibsee führt. Nach etlichen Schritten auf diesem Pfad gelangt man zu einem altehrwürdigen Kruzifix, einem Feldkreuz, vor welchem ein Betschemel angebracht ist. Afra wählte diese Stelle zu ihrem Ziele, um dem Himmlischen ihr und ihres Mathies Geschick anzuvertrauen.

Aus dieser Andacht schreckte sie plötzlich der Gruß des unbemerkt herangekommenen, nun hinter ihr stehenden schwarzen Görgl auf.

»Grüaß di Gott, Afra!« rief der Bursche ihr zu.

»Jeß, du bist da?« sagte Afra, sich erhebend. »Wird do nix passiert sei'?«

»Moanst, weil i so z'rissen ausschaug?« entgegnete Görgl lachend. »Woaßt, wennst auf'n Zugspitz auffi und wieder awikraxelst, geht's Klüftl (Gewand) aus'n Leim.«

»Also is's guat ganga? Koa' Unglück is gschehgn?« fragte Afra mit leuchtenden Augen.

»Nixi hat si' gfeit und so viel is gwiß, der Zuggeist is dalöst sitta gestern, aber hart gnua hat er's uns g'macht.«

»Wer war denn aller ob'n?« fragte das Mädchen.

»Halt i – und nacha der Leutnant und –«

»Und der Mathies, gel?«

»So is's. Aber von dem red mir nimmer; i hon mi heunt mit eam z'keit (gestritten) und er bleibt mei' Feind.«

191 »Warum denn?« fragte Afra mit der heitersten Miene, denn die Nachricht, daß Mathies kein Unglück begegnet, hatte ihr plötzlich das Herz froh und leicht gemacht.«

»Warum?« antwortete Görgl; »z'wegn deina.«

»Z'wegn meina?« fragte Afra. »Wie so dös?«

»Ja no', i hon'n Hies anvertraut, daß i di gern hon, über dös hat er mi tribuliert, i ho'n packt, und hätt'n si' d' Offizier nit dreing'mischt, wer woaß, wie's ganga hätt'.«

»Aber hör',« sagte Afra jetzt ernst, »z'wegn meina brauchst du di mit neamad z'kein, am wenigsten mit'n Mathies. Wer giebt dir a solches Recht?«

»Ah was, Recht!« rief Görgl. »I hon di amal gern, Afra, und daß i dir nit gleichgülti bin, dös hast mir bewiesen durch die viele Guatthat, diest mir antho' hast. Es is itz woltern bald a Vierteljahr, daß d' zu mir g'sagt hast: in drei Monat kannst es dafahrn, wie's um mei' Herz b'stellt is. Also sag mir's itz. I vermag ohne di nimmer 192 z'lebn, i denk an nix anders Tag und Nacht, als an di, und dir z'lieb bin i ordentli worn und hon mi gwend't, auf daß d' mi respektiern sollst und daß d' di nit schaama därfst mit an' Häuslersbuam.«

»Görgl,« erwiderte Afra, »halt ein! Der Häuslersbua kimmt bei mir niermals in Betracht. Aber du bist der Häuslersbua nit, den i mir ausgsuacht hon und auf den i stolz sei' kunnt. Und itz laß mi gehn. I hon auf dei' Sprach hin koa' Lust mehr, mit dir no' länger daz'stehn. Adis!«

»A so kimmst mir nit davon!« rief Görgl. »Wenn si's Dirndl spreizt, muaß der Bua sei' Kouraschi zoagn. Afra, du muaßt ma itz a Bussei gebn, nach dem i gschmacht hon, wie r a Hirsch nach 'n Quell sitta Jahr und Tag.«

»Kimm mir nit z'nah!« rief Afra, empört über die Frechheit des Loders.

Görgl kehrte sich nicht darnach. Im nächsten Augenblick hatte er das Mädchen an sich gerissen, das, hilferufend, sich vergebens von ihm loszumachen suchte.

Da fühlte sich der Bursche plötzlich von rückwärts von kräftigen Armen ergriffen und mehrere Schritte weit hinweggeschleudert.

»Mathies!« rief Afra. »Mathies! Gott sei's gedankt!«

»Elender Bursch!« schrie Mathies dem sich aus dem Grase Aufraffenden zu, »mach nur, daß d' augenblickli verschwindst oder –«

»Was geht di mei' Dirndl an?« rief Görgl, schäumend vor Wut.

»Daß d' es woaßt,« entgegnete ihm Mathies, »d' Afra is mei' Dirndl, sie is mei' Braut. Und is dir dei Lebn liab, so machst, daß d' verschwindst.«

193 »Is dös a Thatsach?« fragte Görgl das Mädchen. »Is's koa' Lug?«

»Na',« erwiderte dieses. »Es is d' Wahret, i g'hör 'n Hies, er is mei' Hochzeiter.«

Sie hatte diese Worte kaum gesprochen, als Görgl, seiner Sinne kaum mehr mächtig, den Knicker zog und mit Blitzesschnelle auf Mathies zueilte, um ihm das Messer in den Leib zu stoßen. Dieser machte jedoch eine rasche Wendung, packte ihn beim Arm und drehte ihm das Handgelenk um. Vor Schmerz laut aufschreiend, ließ Görgl das Messer fallen, das Afra sofort zu sich nahm. Nun warf ihn Mathies mit wenig Anstrengung abermals zu Boden. – Der Kampf war beendet.

»Wag di no'mal an mi,« rief er dem Besiegten zu, »und du hast ausgschnauft; für heunt hast dein Teil. Geh, Afra!«

Er legte seinen Arm um das vor Schrecken noch am ganzen Leibe zitternde Mädchen und schlug mit ihm den Weg zum Dorfe ein. Bei den ersten Häusern angekommen, blickten sie nochmals zurück, und bemerkten, wie der schwarze Görgl sich erhoben und nun mühselig seinen Weg nach Hammersbach zu einschlug. Afra erkannte in der Dämmerung, wie er mit erhobenem Arm ihnen nachdrohte, als wollte er sagen: »Wir kemma scho' no' zam!«

»Moanst, er sinnt nit auf dei' Verderbn?« fragte sie ängstlich ihren Begleiter.

»Sinna kann er ja drauf,« antwortete dieser, »aber i hon meine Augen offen und Gnad eam Gott! wenn er no'mal was probiern sollt gegen di oder mi. Itz aber furt mit dem Gedanken an den Loder! Freu'n ma uns mit 194 anander, daß ma uns endli ghörn därfen vor Gott und der Welt.« –

Beim Bärenmartele gab es an diesem Abend im Beisein der alten Mariannl ein lustiges Verlobungsfest, und die Hochzeit ward auf Mitte Oktober festgesetzt. Mathies jubelte laut auf über dieses unerwartete Glück, der Bauer, Liesbeth und die alte Mariannl nahmen mit Rührung daran Teil; nur Afra wollte nicht recht froh werden, des schwarzen Görgl Drohung wollte ihr nicht aus dem Kopfe und hallte in ihrem Innern nach.

Die alte Mariannl aber tröstete das Mädchen, indem sie lachend sagte: »Laßts nur mi über eam, i werd mit eam firti, so oder so, und müaßt i'n glei verhexen, er kimmt mir itta aus!« 195


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