Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I.

Im Süden des bayrischen Königreiches zieht sich von Westen gegen Osten das mächtige, von allen Seiten durch Thäler abgeschlossene und somit vollkommen isoliert dastehende Kalkgebirgsmassiv des Wettersteins dahin, dessen Hauptstock in der vormaligen Grafschaft Werdenfels, dem sogen. Werdenfelser Landl, liegt. Dort steigt der König aller deutschen Berge, der an 2960 Meter über das Meer sich erhebende 4 »Zugspitz« mächtig empor, welcher den ungeheuren, natürlichen Grenzpfahl zwischen Bayerns und Oesterreichs Landen bildet. Dieser Gebirgsstock hieß in alten Zeiten gemeinhin »der Zug,« später »der Zugspitz« und wird erst in neuerer Zeit die »Zugspitze« genannt.

Von diesem höchsten Gipfel strahlen drei Gebirgszüge aus, deren erster mit dem gewaltigen Pfeiler des Waxensteins endigt. Er bildet mit dem zweiten Hochgrat, welcher in der 2636 Meter hohen Pyramide der Alpspitze zu seiner bedeutendsten Höhe ansteigt, das tiefeingeschnittene Höllenthal. Der dritte Zug ist die eigentliche Mauer des Wettersteins, die mit ihren riesigen Gipfeln: Wetter- und Reinthalerschroffen, Hochwanner, Dreithorspitz und dem eigentlichen Wetterstein bis Mittenwald läuft und von dem mittleren Zuge durch das wilde Thal der Partnach, das Reinthal genannt, getrennt wird.

Schließt man in den Rundblick des Gebirges den jenseits der Loisach gelegenen Kramer ein, sowie im Nordosten das Estergebirge mit dem Krottenkopf, dann die von Südwest herüberschauenden Schroffen des Karwendelgebirges und die den Westen abschließende Thörlenwand, hinter welcher der hohe Daniel sein stolzes Haupt erhebt, so hat man sich in seinen Hauptzügen das Panorama des üppig grünen Loisach- und Partnachthals festgestellt, über dem sich der Himmel so rein und tiefblau wölbt, wie über Italiens glücklichen Gefilden. Wo das Auge hinblickt, begegnet ihm eine Fülle von Naturreizen, die es anziehen, überraschen und bezaubern. In diesem herrlichen Panorama, über welches das erfrischende Leben der Alpennatur ausgegossen ist, wechseln die Gestaltungen auf die mannigfachste Weise. Bald sind es groteske Formen, bald sind 5 es die malerischen Gruppen Arkadiens; hier drohen grauenerregende, finstere Schluchten und Abgründe, dort lachen im heiteren Sonnenschein blumige Hochalpen; hier erfrischt sich das Auge an dem tiefen Grün des Laubwaldes, dort winkt der kühle Schatten malerisch gruppierter Gebüsche. Im Thale breiten sich in bunter Farbenpracht die Riesenteppiche aus, von silberhellen Bächen durchzogen, von den schwindelerregenden, zerrissenen Zinnen und Spitzen aber glänzt der ewige Schnee, und der Sonne goldene Strahlen gießen einen unbeschreiblichen Zauber über die ganze Landschaft, in welcher sich alle vier Jahreszeiten in ihrem eigentümlichen Charakter und Schmucke von den Schneefirnen bis zu den blumigen, smaragdgrünen Wiesen der Thäler aneinanderreihen. Von den Bergen aber wogen balsamische Lüfte und alles atmet ein begeistertes Leben.

Diese Gegend, welche von der auf gewaltiger Felsenstufe des Kramer thronenden, jetzt in Trümmer liegenden Burg ihren Namen erhielt, wurde bis 1813 von den Vögten der Freisinger Fürstbischöfe regiert. Von da an gehört sie zur Krone Bayerns. Die Hauptorte im Werdenfelsschen sind die reizenden Gebirgsorte Partenkirchen und Garmisch, woran sich Ober- und Untergrainau, Hammersbach und einige andere kleine Ortschaften und Einöden anschließen.

Die Werdenfelser sind tüchtige, biedere und arbeitsame Leute. Wiesenkultur, Viehzucht, Holz- und Alpenwirtschaft, sowie die Fertigung von Dachschindeln, Flößerei, Holz-, Bein- und Horndreherei beschäftigen hier zumeist die Bevölkerung, welche von frühester Jugend an harte und strenge Arbeit gewöhnt ist. Die Bewohner dieses Landstriches sind ein sehr kräftiger und schöner 6 Menschenschlag, mit voller und derber Muskulatur, dunkelbraunen Haaren und nicht selten mit blauen Augen. Man wird nicht leicht schönere Mädchen, mit feiner geschnittenen Gesichtchen, mit so schlankem und doch vollem Wuchse treffen, als gerade in dieser Gegend. Die männliche Tracht ist charakteristisch schmuck und zierlich; die weibliche Tracht hingegen weniger geeignet, den schönen Wuchs zu zeigen.

Sind auch die bis an das Firmament ragenden, senkrechten Kalkfelsen mehr dazu angethan, stille Bewunderung einzuflößen, als jubelnde Töne zu veranlassen, und scheint des Hirten Lied kein anderes Echo, als das der grausigen Schroffen und Klüfte wach zu rufen, so ist doch zu frohem Gesang überall viel Hang und Geschick. Wenn die ersten Sonnenstrahlen die höchsten Bergkuppen vergolden, jodelt die schon wache Sennerin und der flinke Jäger aus froher Brust seinen Morgengruß ihr entgegen; mit freudigem Gebrüll klimmt das Vieh unter harmonischem Glockengeläute die waldreichen Gebirgshänge hinan; fernhin tönt die Schalmei; der Gemsjäger späht auf schwindelnder Höhe nach der Spur des Wildes. Endlich wird es auch in den Thälern lebendig und alles regt sich mit steter Heiterkeit. Alles ist zufrieden inmitten der Wunder dieser großartigen Natur und hängt mit unverlöschlicher Liebe an seiner schönen Heimat. Deshalb erfaßt auch den Aelpler im fremden Lande eine unbezwingliche Sehnsucht nach der heimatlichen Hütte, nach den luftigen und sonnenreichen Höhen, und erblickt er sie wieder, so schlägt ihm freudig das Herz, und mit jubelnden Tönen begrüßt er seine teuere, ihm so heilige Heimat.

So sang auch der nach kurzer Abwesenheit wieder in sein Vaterhaus zurückkehrende junge Bursche, welcher 7 am St. Georgstag 1820 von Garmisch das Sträßchen aufwärts der Loisach festen Schrittes dahinwanderte:

Bald's überall hübsch aper wird (schneefrei von apert)
Bald's auf der Alma grün,
Der Geißer mit den Geißen fahrt,
Die Senndrin mit den Küh'n. –
Die Wälder wern scho' grea von Laab,
Die Wieslein grea mit Gras,
Und bald i an mei' Senndrin denk,
So freut's mi scho' wie was!

Die Sonne war bereits über die westlichen, den Thalkessel abschließenden Berge hinuntergesunken, aber der Zugspitz und die nördlichen Ausläufer desselben waren noch rosig angehaucht. Die Schneefelder glitzerten rötlich herab ins Thal, in welchem der Frühling bereits seinen Einzug gehalten und die Wiesen zunächst der rasch dahineilenden Loisach sich mit frischem, saftigen Grün und bunten Blumen geschmückt hatten.

Der kräftige, etwa siebenundzwanzig Jahre alte Bursche, welcher in heiterster Laune die Schritte nach dem auf einer Anhöhe am Fuße des Waxenstein reizend gelegenen Dörfchen Obergrainau lenkte, trug die malerische Gebirgstracht der Partenkirchner, den grünen, oben abgeflachten Hut mit Huifedern (Spielhahn) und Gamsbart, die graue Joppe, lederne Kniehösln, den roten, breiten, mit Querband verbundenen Hosenträger, Wadenstrümpfe, und feste, benagelte Schuhe. Den Hemdkragen hatte er zurückgeschlagen, so daß der Hals und ein Teil der gebräunten Brust sichtbar waren. Auf seiner Schulter trug er eine Hacke, an welcher ein Flößerseil und ein alter, nur die notwendigsten Habseligkeiten enthaltender, lederner Rucksack hing. Dichte, braune Haare fielen ihm über die Stirne 8 herein und zwei große, dunkle Augen blickten aus dem vollen, gesunden Gesichte, dem ein braunes Schnurrbärtchen besondere Zierde verlieh.

Als er zum ersten Male das Ziel seiner Wanderung, Obergrainau, erblickte, ließ er einen freudigen Juhschrei hinaufschallen zu seinem Heimatdörfchen, und von den Wänden des Waxensteins hallte es wieder, so frisch und hell, als käme das Echo aus einer zweiten freudig erregten Brust, als käme es von dem mit prächtigen Obstbäumen umgebenen, großen Bauernhofe, dessen Fenster, von der untergehenden Sonne beleuchtet, feurig herabglitzerten ins Thal. Es war dies das Anwesen des vermöglichsten Bauern in Grainau, des Ostler Martin, oder, wie es auf dem Hause von jeher hieß, des Bärenmartele, und der Juhschrei galt der einzigen Tochter des Bauern, der schönen Afra, oder, wie sie der Volksmund nannte, der Bärenafra.

Aber auch auf einer kleinen, ärmlichen Hütte nahe dem genannten Hofe blieb des Burschen Blick mit freudiger Miene haften; es war sein Heim, die Hütte seiner Großmutter, der alten Mariannl, die sicherlich jetzt mit Sehnsucht herabschaute auf den Weg und den Enkel erwartete, der seit mehreren Wochen als Flößer von der Heimat entfernt war.

Beschleunigten Schrittes, dem Saume eines Buchenwaldes entlang, zwischen moos- und grasbewachsenen, von einem Bergsturze herrührenden Felsentrümmern, eilte der Bursche dem Ziele seiner Wanderung zu. Da hörte er sich plötzlich angerufen.

»Lechner Mathies, laß dir's nit so schlauna; i möcht aa mit.«

Der Angerufene erblickte jetzt vor sich auf einem 9 Felsblocke sitzend einen in seinem ganzen Wesen sehr herabgekommenen Burschen.

»Jeß, der schwarz' Görgl!« rief der Flößer. »Wo aus willst du no' heunt? Hast oben in Grainau z'schaffen?«

»So is's,« entgegnete der schwarze Görgl, der lange, pechschwarze Haare und ein dunkles, fast mulattenartiges Gesicht hatte. Langsam erhob er sich und reichte dem Flößer die Hand, und als er bemerkte, daß dieser mit eigentümlichem Blicke seine zerrissene Joppe musterte, sagte er:

»Gelt, da schaugst, daß i an mein' Tag nit besser g'wandt bin, aber für mi is's lang guat. Da Lanks is da und apa (schneefrei) wird's, und bal d' Stadtleut wieder einakemma in die Berg, schneibt's mir d' Zwanger wieder und – brauchst nacha a Geldei, so woaßt mi z'finden hint' in meina Hirwa am Hammersbach.«

»Wie sollt' i dazua kemma, von dir a Geld z'braucha?« sagte Mathies lächelnd zu dem jetzt rüstig neben ihm herschreitenden Burschen. »Was i brauch für mei' alts Ahnle und mi, dös verdean i mir gottlob, und mehr brauch i net, als i hon.«

Mathies betonte das letztere sehr nachdrücklich, worauf aus den Augen des schwarzen Görgl ein feindseliger Blick zu ihm hinüberschoß. Gleich aber änderte dieser wieder seine Miene und sagte:

»Ja, ja, du plagst di und schind'st di ganz niederträchti, saufst Wasser und ißt an' Brei. So a Kost is mir in meiner Niedrigkeit z'schlecht. I muaß a Fleisch hab'n, dafür sorgt mei' Bix, und i möcht a Bier, diem (hin und wieder) aa r an' Wein, dafür sorgt halt aa mei' Bix.«

Und er sang mit Jodlern untermischt: 10

Gelts, dös wißt's, daß i a frischer Waldschütz bin,
Denn das Schießen freut und liegt mir stets im Sinn,
Der im Wald und auch am Schrofen Gamsböck schießt,
Das die Jaga oft so sehr verdrießt!

»Wenn dir aber d'Jaga amal dei' Bix dawuschen?« entgegnete Mathies lächelnd. »Dalaufa kannst d' Gams und d' Reh nit, nacha muaßt halt aa r arbeten, wie unseroans, und nacha wirst es scho' inna, daß der Brei aa guat is, wennst 'n rechtschaffen verdeant hast.«

»Mei', d' Arbet hat no' neamd reich g'macht; d' Flößerei scho' gar nit! Mei' Geist steigt höher auffi!« erwiderte der schwarze Görgl.

»Höher?« fragte Mathies mit spöttischem Lächeln, »netta gar bis auf 'n Zugspitz?«

»Du hast's daraten; bis auf 'n Zugspitz, grad bis auf 'n Zugspitz z'höchst auffi,« versetzte Görgl rasch. Und als ihn Mathies verwundert ansah, hielt er diesen zum Verweilen an, nahm ihn beim Arm und fuhr fort: »Mathies, geh mit, ich mach di reich, daß d' koan Flößer mehr z'machen brauchst im Summa und koan Schindelkluiba im Winter.«

»Mach koane Faxen,« entgegnete Mathies und schritt weiter.

Der schwarze Görgl aber hielt Schritt an seiner Seite.

»Faxen, moanst, san's?« sagte er. »Frag halt dei' Ahnle. Sollt dir die no' nix erzählt habn von der Springwurzel, die ma' oben find't auf 'n höchsten Spitz vom Zug. Da is's verwahrt in ara Felsenspalten und der Zuggeist bewacht's, daß's koa' Menschenkind dareicht. Nur der Greanspecht, d' Elstern und der Wiedehopf wissens z'holen, wenn sie's brauchen, und i bin just auf der Paß gwen, 11 wie's d' mi da unt' troffen hast. Siehgst da, dös rote Tüachl hon i unter an' Baan g'legt, wo i woaß, daß der Specht sei' Nest in a hohl's Loch oben bauen möcht. I hon dös Loch heunt fruah zuakeilt und hon paßt bis nach Sonnenuntergang. Find't nämli der Specht sei' Nest verkeilt, so fliegt er furt und holt d' Springwurzel, sie siehgt aus wie r a große Kreuzspinna, er bringt's im Schnabel daher und sobal er's vor den Holzkeil halt, so springt der raus, wie vom stärksten Schlag trieb'n. Versteckst di und machst, sobal er herg'pflog'n kummt, an' großen Lärm, so laßt er d' Wurzel erschreckt fall'n. Dös g'schieht aa, wennst a weiß's oder a rot's Tüachl unters Nest breitst, drauf wirft er d' Wurzel, sobal er's braucht hat. Nu, und drauf hon i heunt spekuliert, aber es war für heunt umsonst; morgen glückt's mir vielleicht, und hon i d' Springwurzel, nacha sollst 'n schwarzen Görgl kenna lerna.«

»I hätt' di für g'scheita g'halten, als an' alt's Wei,« sagte Mathies lachend. »Wirst dös Mandl do nit als Wahret nehma?«

»I nimm's als Wahret,« versicherte der schwarze Görgl rasch, »weil i dein' Ahnle glaub; die sagt nix, was nit wahr is – tranri, daß i dös besser woaß, als du, ihr Enenkel.«

Mathies errötete über diese Worte. Wußte er ja, daß seine alte Großmutter an den langen Winterabenden im Heimgarten und in der Kunkel mit Vorliebe dem jungen Volke die Märchen und Sagen der Umgegend vorerzählte und daß die Zuhörer, darunter oft auch ältere Leute, das Wunder- und Märchenhafte nicht selten für bare Münze hinnahmen.

12 Der ungeheuere Felsenkoloß, der Zugspitz, welcher ringsum nur mit schroffen, fast senkrecht aufsteigenden Wänden umgeben ist, galt nämlich bis zum Zeitpunkte dieser Erzählung, Anfang der zwanziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, für unbesteigbar; die geübtesten Steiger, die verwegensten Gemsenjäger suchten umsonst seine Zinne zu erklimmen, sie kamen alle nicht weiter, als bis an seinen ersten Kopf am Ende des Plattachferner. Wie sie hier die nackte Spitze fast pfeilgerade in die Höhe springen sahen, entsank ihnen der Mut, und jung und alt bezeichneten es als eine Unmöglichkeit, jemals auf diese Spitze zu gelangen.

Zu den natürlichen Hindernissen gesellten sich auch noch übernatürliche, denn das Volk erzählte sich, daß auf der obersten Spitze des Zuges der Zuggeist regiere, der mit Blitz und Erdbeben die menschliche Zudringlichkeit abhalte, seine Felsenwarte zu ersteigen, und vor welchem die Bewohner des Werdenfelser Landes noch mehr Respekt hatten, als vor den steilen Schroffen und Zinken. Wenn sich der schönste blaue Himmel über das Hochgebirge wölbte, verhüllte oft eine einzige Wolke tagelang das Haupt des Zuges, dumpfer Donner dröhnte herab in das Thal und grelles Wildfeuer blendete oft das Auge des mit stillem Grauen hinanblickenden Bewohners der vormaligen Grafschaft Werdenfels, den seine traurige Vorgeschichte gar sehr empfänglich gemacht hatte für den Glauben an Spuk und Zauber.

»Schon an' etli Mal,« fuhr der schwarze Görgl zu plaudern fort, »bin i übers Platt und übern Schneeferner hin zur gachen Felswand vor'm Zugspitz. I bin auffikraxelt zwischen zwoa Wänden mit Lebensg'fahr und nimmer hat viel g'fehlt, so hätt' i mei' Ziel erreicht. Da is 13 a fürchterlis Weda kemmn, blitzt hat's und dunnert, und pfiffen und g'saust hat's um mi her, als wenn die ganz Höll los wär, der Zuggeist is's gwen, der mi nit auffi lassen hat; aber i hon a Kreuz um mei' Brust g'hängt g'habt und so hat er mir nit ankinna. D' Händ san ma danart vor Kälten und es is ma nix überblieben, als daß i wieder z'ruck bin auf dem g'fährlichen Steig. Bald hätt i mi dastürzt, i woaß heunt no' nit, wie's mögli war, daß i no' lebendi z'ruckkemma bin. Aber dös schreckt mi nit ab – alloa nimmer, aber wenn i ebban find', der's mit mir probiert, nacha jagt mi koa' Teufl mehr z'ruck, denn daß i den richtigen Aufstieg g'funden hon, dessel is gwiß, und so gwiß als ebbs, steh i no' durt obn, wo 's itz grad so schö' awaleucht – und nacha, Mathies, hat d' Not und d' Sorg an' End.« Und er schickte zu der in Purpur schimmernden Spitze einen hellen Juhschrei hinan.

»Und was thuast nacha?« fragte Mathies lächelnd den Gefährten.

»Was i nacha thua?« entgegnete Görgl. »Dös Dirndl hol i mir, für dös i ja alles g'wagt hon, dös mi itz vielleicht veracht, weil i a Loder bin, an' armer Teufl. I hons aber schon so viel gern, daß 's mi Tag und Nacht sekiert. Wennst mi nit verratst, dir nenn' i 's; dei' Ahnle woaß 's ja eh, sie hat mir Muat und Ausdauer zuagsprocha und sie is's, die mir zu mein' Glück behilfli is.«

»Mei' Ahnle hilft dir dazua?« fragte Mathies etwas erstaunt. »So sag, wer's is; i verrat di nit.«

»D' Hand drauf, schlag ein! – D' Bärnafra is's, 'n Ostler sei' Dirndl.«

Mathies erblaßte. Mit einem Ruck hatte er seine Hand aus der des Görgl befreit und griff unwillkürlich nach 14 dem Stiel seiner Axt. Nur mit Mühe preßte er den zornigen Ausruf zurück, der schon auf seinen Lippen schwebte. Er überlegte einen Augenblick, während er den tollkühnen Burschen musterte; doch dieser Nebenbuhler schien ihm nicht gefährlich. Mathies fand es daher klüger, sein eigenes Geheimnis nicht zu verraten.

»Was hat's dir itz d' Stimm versagt und was bist kaasweiß im G'sicht?« fragte Görgl. »Gel, bist mir halt neidi um mei' Glück? Glaub's gern, du armseliger Floßknecht. So hoch außi kannst du nit denka, solche Gedanka kemma oan nur, wenn ma' z' höchst obn is auf die Berg, wenn's Bixel knallt und der Adler fallt, wenn's Gamsel burzelt übers Gwänd, und diermal aa, wennst mit 'n Enzian oder mit 'n Tiroler dei' miserables Elend vertrinka kannst!«

»Ja, ja, dös war heunt dei' Fall,« versetzte Mathies trocken.

»Fehlg'schossen!« rief Görgl. »Heunt bin i blank bis in d' Seel eini und dengerscht is mei' Tag; aa mei' Schutzpatron, der heili Georgi, hat mi vergessen, – oder aber sollt er di g'schickt hab'n, daß d' mi mitnimmst zur a Nachtsuppen und an' Glasl Tiroler? Du därfst es nit zwoamal sag'n, geh i mit dir hoam und feier dei' Hoamkehr mit. Woaßt ja voneh, wie gern i um dei' Ahnle bin.«

Sie hatten sich inzwischen dem Gebirgsdörfchen genähert und Mathies war in Verlegenheit, was er dem aufdringlichen Burschen antworten sollte. Er dachte soeben daran, sich durch einen Zwanziger von dem Kameraden frei zu kaufen, als er sich von seinem ihm mühselig entgegeneilenden Großmütterchen anrufen hörte.

»Büawal, Büawal, kimmst?« rief sie. »Gott sei's 15 gedankt! Und g'sund kimmst, und frisch kimmst? Willkomma, Mathiesl!«

Dieser ergriff die hagere Hand der Alten und erwiderte erfreut ihren Gruß.

Die alte Mariannl zählte bereits über achtzig Jahre, war jedoch noch ungemein rüstig. Unter den geröteten Augenlidern blickten noch zwei frische, dunkle Augen hervor. Ihr Gesicht, wie ihre ganze Gestalt war sehr hager. Sie trug ein rotes Kopftuch, einen alten, grünen Spenser, einen etwas kurzen, schwarz und rot gestreiften Rock, blaue Strümpfe, und aus Tuchenden zusammengestrickte, sogenannte Flecklschuhe.

Die alte Mariannl war »ein brav's, fromm's Leut,« aber auch eine »Fretterin« (Arzneipfuscherin) und war wegen ihrer Sympathiemittel, an welche sie selbst am stärksten glaubte, im ganzen Gau berühmt.

»Es hat mir ja g'schwant (geahnt), daß i heunt no' a Freud erleb!« sagte sie jetzt, neben ihrem Enkel hergehend; »'s Messer und d' Gabel san mir awig'fall'n und alle zwoa sans im Stubenboden stecken blieb'n – dös bedeut' an' Hoagast.«

»'s Messer is der Mathies und d' Gabel bin i,« mischte sich jetzt der schwarze Görgl, von dem die Alte bis jetzt noch gar keine Notiz genommen hatte, in das Gespräch.

»Jeß, du Loder, du bist aa da?« sagte sie. »Verflixt no'mal! gelt, heunt – is ja dei' Tag gwen? Da muaß i di ja glei drosselnEinen drosseln – ihm beglückwünschend um den Hals fassen. und dir Glück wünschen, wennst ebba no' koa' Kraut gessen hast, denn sonst nutzet's nix mehr.«

16 »Drossel nur zua, Mariannl,« erwiderte Görgl lachend; »mei' Mag'n is heunt no' so unschuldi, wie r a neugeborn's Kind; drossel nur zua und gieb mir was Guats z'essen und z'trinken.«

»Sollst was haben,« entgegnete die Alte, »kimm nur mit; 'n Mathiesl z' Ehren sollst was kriegen und woltern nix Schlecht's. Aber wie geht's denn dein' kranken Mutter? I bin heunt itta (nicht) hintere kemma zu eam. I moan halt, es mag nit mehr dauern (es wird mit ihr bald zu Ende gehen).«

»Mei', mit dera Krankheit wird ma' alt,« entgegnete Görgl nicht ohne Erröten, denn es überkam ihn doch wie Schande, daß er sich den ganzen Tag nicht nach der kranken, hilflosen Mutter umgesehen.

»Je nu, wie's kimmt,« versetzte Mariannl, »vor etli Tag hat's um 'n geistlin Herrn verlangt und wer woaß, was ihr da g'schwant hat. Unser Herrgott wird 's scho' richten, wie 's am besten is. Aber Mathiesl, du bist ja ganz maultot, was is's denn mit dir?«

Der Angeredete hatte all seine Aufmerksamkeit dem großen Bauernhause zugewendet, in dessen Nähe der Weg vorüberführte. Es war des Bärenmarteles Anwesen, im Gebirgsstil aus Holz erbaut, zweistöckig, mit einem breiten, schindelbeschwerten Dache. An dem oberen Gaden lief eine Galerie hin, die sogenannte Laaben, welche mit teilweise blühenden Blumenstöcken geschmückt war. Ueber diesen Blumen wurde jetzt ein frisches, blühendes Mädchengesicht sichtbar. Es war Afra.

Mathies lüftete seinen Hut und rief dem freudig errötenden Mädchen ein »Grüß Gott« zu.

Aber auch Görgl that dasselbe.

17 »Siehgst, wie 's rot wird, wenn's mi dablickt?« sagte er leise zu Mathies. »A Staatsdirndl! Wegen dera steiget i in d' Höll eini und nit grad auf'n Zugspitz.«

Mathies antwortete nicht. Vor der Wegbiegung warf er noch einen langen Blick zurück und er fühlte wohl, wie auch das Mädchen ihm freudig nachsah. Er konnte sich nicht enthalten, ihr noch einen frohen Juhschrei zuzusenden.

Nach wenigen Schritten waren sie an der heimatlichen »Hirwa« angekommen, welche er in Begleitung des ihm sehr ungelegenen Gastes weniger freundlich betrat, als es sonst der Fall gewesen wäre. Der schwarze Görgl sein Nebenbuhler! Es bemächtigte sich seiner ein eigentümlich unangenehmes Gefühl, wenn er den verwegenen und doch wieder so läppischen Burschen betrachtete, und er sagte sich ahnungsvoll:

»Dös geht nit ab ohne Unglück, aber vordersamst hoaßt's schaugn und staad sein.« 18


 << zurück weiter >>