Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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V.

Der Bärenmartele war über das lange Ausbleiben seiner Tochter in der That im höchsten Grade unwillig. Die Schmerzen an der Achsel steigerten sich von Minute zu Minute, er konnte nicht liegen und sitzen, und stöhnend schritt er, den Arm in eine Binde geschlungen, in der großen Stube hin und her. Diese war durch einen Buchenspan erhellt und zeigte von bäuerlicher Wohlhabenheit, welche man dem im Gebirgsstile erbauten Hause auch schon von außen ansah. Die Grundzüge dieses Baustiles sind der daran überwiegende Holzbau, das Flachdach und der das obere Stockwerk rings umgebende Söller. In seiner inneren Einrichtung giebt solch ein Haus das übliche Gelaß, bestehend in Küche, Stube und Stall, hie und da auch noch ein Nebenstüblein im Erdgeschoß, in der eigentlichen Kammer, dem Schlaf- und Prunkgemach des Hausherrn und seines Weibes, nebst den Nebenkammern für Kinder und Gesinde im oberen Stocke. Der Hinterteil des Hauses enthält die Räume zur Unterbringung der Erntevorräte und die Dreschtenne, oft auch die Ställe.

Des Bärenmartele Stube enthielt außer dem allgemein Ueblichen noch andere auf das Weidmannsleben seiner Vorfahren bezügliche Gegenstände. Da hingen an passender Stelle prächtige Hirschgeweihe und Gemskrückeln, vor allem aber fielen zwei große Bärenköpfe auf, Trophäen der Urahnen, welche, wie schon erwähnt, als Hauptjäger im 49 Werdenfelsschen gerühmt waren. Zwei alte Kugelbüchsen, ebenfalls alte Erbstücke, flankierten die Bärenköpfe. Des jetzigen Besitzers Büchsen und Jagdgeräte hingen in einem eigens hiezu aufgestellten hölzernen Kasten.

Hier nun residierte der weit und breit bekannte Bärenmartele, oder, wie er eigentlich hieß, der Bauer Martin Ostler. Das edle Weidmannswerk betrieb er nur aus ererbter Passion und er hatte zu diesem Zwecke vom Staate ein großes Jagdgebiet in Pacht. Sein eigentlicher Stand war der eines Viehzüchters und Oekonomen, und da er ein allgemein geachteter Mann war, der sich auch aufs Lesen und Schreiben verstand, so ward er auch, wie schon der neben der Hausthür aufgehängte vergitterte schwarze Kasten mit etlichen Bekanntmachungen anzeigte, mit der Würde eines Gemeindevorstandes betraut und als solcher war er eben so energisch als wohlwollend. Die Leute sagten ihm zwar nach, er sei zu Zeiten »fetzengrob«, aber unter'm Brustfleck sei's mit ihm doch richtig bestellt.

Sein Weib war ihm kurz nach Afras Geburt durch den Tod entrissen worden, weshalb eine Base Ostlers, die Lisbeth, die Führung des Hauswesens und Afras Erziehung übernommen hatte. Diese Base war eine überaus brave und fromme, etwa fünfzigjährige Jungfrau, eine in ihrem ganzen Gemüte, in ihren Gedanken und Handlungen fromme Matrone und in Gestalt und Wesen das Gegenteil ihres Vetters.

Der Bärenmartele war ein großer, grobknochiger, dabei etwas hagerer Mann mit einem sehr energischen Gesichtsausdrucke, buschigen, dunklen Augenbrauen, unter welchen zwei dunkle, in tiefen Höhlen liegende Augen hervorblitzten. Ueber eine etwas niedere, faltenreiche Stirne 50 fiel noch üppiges, schwarzgraues Haar herein, seinen großen, struppigen Schnurrbart hatte er in der Regel keck nach aufwärts gedreht. Er trug die Gebirgstracht, Joppe und Kniehösln, und seinen nackten Knieen sah man es an, daß er einer der leidenschaftlichsten Gemsjäger war, die, den hohen Steigstock in der starken Hand, auf dem Rücken die schwere Büchse und an den Füßen die Steigeisen, in die Berge steigen, um dort Tage lang herumzustreifen, sich in halsbrecherischem Sprunge von Fels zu Fels zu schwingen auf die eisigen Wände, wo sie sich »anleimen« mit ihrem eigenen Blute. Je größer die Gefahr ist, desto mehr Reiz finden sie in ihr.

Heute aber war der stolze, selbstbewußte Ausdruck aus dem Gesichte des Bärenmartele geschwunden. Kalte Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne, er stöhnte und ächzte unter recht jämmerlichen Grimassen. Dabei fluchte er heftig, daß sich die fromme Lisbeth die Ohren zuhielt, oder sich hastig bekreuzte, als fürchte sie, der »Gottseibeiuns« käme jeden Augenblick in die Stube und hole nicht nur die heftigen Schmerzen, sondern den lästernden Bauer selbst. Ihre Mahnungen zur Sanftmut verhallten unter seinem Schelten, denn die Schmerzen waren unerträglich und weder kalte Umschläge, noch sonstige Hausmittel hatten bis jetzt auch nur die leiseste Linderung zur Folge gehabt. So blickte der Kranke sehnsuchtsvoll nach der Thüre, ob die Tochter mit einem schmerzstillenden Mittel nicht bald zurückkäme. Endlich erschien die Hilfe spendende alte Frau selbst mit Afra auf der Thürschwelle und ein Hoffnungsstrahl leuchtete aus den Augen des Leidenden.

»Gelobt sei Jesus Christus!« grüßte die Alte beim 51 Eintritt, indem sie sich mit Weihwasser aus dem neben der Thüre hängenden Kesselchen besprengte.

»In Ewigkeit, Amen!« lautete Lisbeths Gegengruß.

Der Bauer rief ihr sofort zu:

»Mariannl, der Tuifi is in meiner Achsel drin, treib mir 'n außa, i kann den Wehthoa' nimmer aushalten. Treib'n außa, eh er mi z' tot martert, mit Schand und Spott, wie 's 'n z' Ammergau drobn außitriebn habn aus der Passion – den Tuifi!«In den früheren Passionsspielen zu Oberammergau spielte der Teufel, der in keinem mittelalterlichen Kirchenspiele fehlte, eine Hauptrolle. Er ratschlagte auf hohem Throne mit seinem Hofstaate, wie die Menschheit zu verderben und dem Erlöser entgegenzuwirken sei. Er verführte den Judas und, nachdem sich dieser erhenkt hatte, sprangen eine Menge kleiner Teufelchen hervor, rissen ihm die Eingeweide heraus und schmausten sie. Man darf sich über solche Szenen in Bauernspielen nicht wundern, da man ganz ähnliche in gleichzeitigen Werken anerkannter Schriftsteller findet. Sie waren im Geschmacke jener Zeit und thaten dem Ansehen und der Heiligkeit des Ammergauer Spieles keinen Eintrag. Im Jahre 1806 stand es in so gutem Rufe, daß das dortselbst konzentrierte französische Korps eine Extravorstellung begehrte, über welche sich die Offiziere äußerst lobend aussprachen.

»No', mit dem wern ma aa firti wern,« meinte die Alte lächelnd. »Laß mir'n amal sehgn, den Pfifferling,« fuhr sie fort, indem sie den Ueberschlag von des Bärenmartele Achsel nahm und sich die Schmerzensstelle besah. »Hellseiten! Bua, dös is ja mentisch angschwolln, aber es hat si' nur a Muskel verdehnt. Du vergißt halt, daß d' schon a Sechziger bist, kraxelst alleweil no' ummanand wie r a Dreißger, thuast aa oft a so, 's is aber nit wahr, du luigst (lügst) di grad an.«

52 »Wennst mit dem Gsalbader nit glei aufhörst, kannst macha, daß d' weiterkimmst. Helfen sollst mir, aber nit vorpredigen.«

»No', no', i hilf dir aa. Da hon i a Salbl, dös brennt, wie's höllisch' Feuer.«

»No', dös wird 'n Tuifi scho' recht sei'!«

»Ah was, Tuifi! Warum sollt der hochang'sehene Bärnmartele nit aa r amal 'n Wehthoa' kenna lerna?«

»Einschmiern sollst mi und staad sei'!« schrie der Bauer ungehalten.

Die Alte that nach seinem Wunsche. Aber die Salbe verursachte sofort ein so heftiges Brennen und erhöhte die Schmerzen, daß der starke Mann förmlich zu brüllen begann.

»Dös halt i nit aus!« rief er, »glei wischt es wieder awa. Hätt' mir's z'erst denken kinna, daß's nix is mit deine Faxen. Jegale, jegale, du hast mir ja's reinst' Feuer onigschmiert. Recht hat d' Wagnerin von Untergrainau, wenn's sagt, daß d' a Trud bist; recht hat's!«

»Was?« rief Mariannl, aufs höchste erzürnt und an allen Gliedern zitternd. »Dös Schandwei wetzt scho' wieder sein Schnabel an mir? Und du, der Gmoa'vorstand, laßt dir so was vorsagn? Bist du aa r a Mann? du traust dir sogar und sagst es nachi, du, mei' Nachbar? Di und d' Wagnerkanalli klag i beim G'richt. Dös leid i nit!«

»I dabrenn, wennst dös Hexensalbl nit awithuast;« rief der Bauer wieder.

»Extra laß i's brenna!« entgegnete die erzürnte Mariannl, »und so lang laß i's brenna, bis d'ma g'recht wirst, du Wildling, du!«

»No' ja, es is ja nit so gmoant gwen –«

53 »Versprichst ma, daß d' die bös Zanga kemma laßt und recht supperamentisch awaschimpfst, weil's so verleumderisch daherred't?«

»Versprich's, Martele,« begütigte jetzt Lisbeth, die Hauserin; »du därfst es als Vorstand nit leiden, daß d' Mariannl g'schänd't wird.«

»'s Salbl thua ma weg!« schrie der Bauer der alten Fretterin zu.

»Wennst nach mein' Will'n thuast?« antwortete diese.

»No' ja – in Gottsnam!« versprach der Geplagte; »i thua nach dein' Will'n!«

»Is recht. Itz aber bet'st no' in der G'schwindigkeit fünf Vaterunser, sunst is alles umsunst.«

»Dös kann i itz nit!«

»Dös kannst scho'! Fang nur schnell an. D' Lisbeth und i bet'n dir vür.«

Und sofort begann sie laut zu beten. Lisbeth stimmte sogleich mit ein. Der Bauer machte anfangs Grimassen, als ob wirklich der Teufel aus ihm getrieben würde, aber schon bei dem dritten Vaterunser wurde er ruhiger, beim vierten betete er leise und beim fünften sogar laut mit. Sein Gesicht hatte sich plötzlich erheitert und als das Gebet zu Ende war, rief er: »Ja was is denn dös? Der Wehthoa' is wie weggflog'n! Mariannl, itz glaub i's aber wirkli, daß d' hexen kannst, aber im guaten Sinn. Jesses, is mir auf amal so pudelwohl! Lisbeth, stopf ma mei' Ulmerpfeiferl und bring der Mariannl a Glasl Tiroler.«

»Z'erst laß dir's Salbl wegwischen,« sagte die Alte.

»Na', na', laß's nur drauf, dös is a rar's Salbl! Itz woaß i aber nit, hat's Salbl gholfen oder aber die fünf Vaterunser.«

54 »Alles hat zamg'holfen,« belehrte die Alte. »Moanst, so a Kranket kann ma' nur so mir nix dir nix wegsturmbartln (wegschimpfen)? Nix auf der Welt voliert ma härter, als d' G'sundheit, zumal wenn's Moos scho' auf oan wachst. Moanst alleweil, du bist no' der alt' schneidi Bua und denkst nit an dös G'sangel:

Gmale voliert si' dö Schneid,
Gmale vostreicht oan d'Zeit,
Ewenn ma' si' umschaut, ewenn ma' si' b'sinnt,
Vatrenzt ma' sei' Lebn, als vatragets da Wind.
(Allmälich verliert sich die Schneid,
Allmälich verstreicht einem die Zeit,
Eh man sich umschaut, eh man sich besinnt,
Vertröpfelt man sein Leben, als vertraget es der Wind.)

So, und itz ruahsame Nacht! In etli Stund, falls der Wehthoa' wieder kemma sollt, soll d' Lisbeth no'mal mit der Salbn einschmiern, nacha aber brauchst den Soafageist, er ist vom Mathiesl. Gel, du woaßt's no' gar nit, daß der heunt wieder z'ruckkemma is?«

»So, so!« machte der Bauer und schmauchte sein Pfeifchen mit sichtlichem Vergnügen. »Thuat ma anemal load um den saubern Buam, daß i'n niermals siehg mit ara Bix, auf koan Scheibenstand, auf koana Jagd. I kann mi in so an' Menschen gar nit einidenken. So oana schleicht ja dengerscht durchs Lebn ohne Freud und Leid. Und sakaradi! I moan, so oana hätt' nit amal a Schneid auf a Dirndl; dös siehgt ma ja an dein' Mathiesl. Er treibt si' auf koan Kirta rum, i hör nix von ara Bekanntschaft, die er hätt' – kurzum, i halt 'n für koan lebfrischen Buam.«

»Da sei unbekümmert,« sagte die Alte. »Der Mathies hat in Frankreich drin sein Mann g'macht, und i moan, dös hätt mehr Wert, als dahoam am Scheibenstand, wo 55 neamd gegn oan schießt. No', und wer hat eams denn jemals z' Fasching als SchellntragerIn Obergrainau findet zur Fastnachtszeit das Schellengeläute statt. Dem oft sehr pikanten Maskenzuge geht ein robuster vermummter Bursche voran, welcher um die Mitte des Leibes einen sehr starken Riemen geschnallt hat, woran sich mehrere kupferne Schellen, gewöhnlich fünf befinden. Da der Klöpfel nun auf der untern Seite der Schelle aufliegt, so kann derselbe nur durch einen sicheren taktmäßigen Gang und durch eine eigentümliche Schwenkung des Oberleibes in Bewegung gesetzt und das Geschelle hervorgebracht werden. Der Schellenträger ist die vornehmste Person der Narrengesellschaft, und jeder, der glaubt, es ihm nachmachen zu können, macht sich eine Ehre daraus mit diesem Geläute unvermummt im Dorfe auf- und abgehen zu dürfen. nachigmacht von di Burschen ringsumadum? Is dir ebba ebba bekannt? Mir itta. Freile, auf die Berg kann er nit rumsteign, weil er si' durch d' Arbet a Geldei verdeana muaß. Selber is er nit jagdgerechtsam und mit die andern gehn und für die andern schießen – a Rekration is's ja, aber halt eintragn thuat's nix. Und daß er an' Wilderer macht, wie viele andere, no', dös wirst wohl nit von eam verlanga?«

»Du moanst, wie sei' ehemaliger Kamerad, der schwarz' Görgl? I woaß 's recht guat, daß si' der diermal in mein' Revier vergeht, aber i kann eam derntwegn nit feind sei'. Wenn er nit gar so a Loder waar, i hätt'n scho' längst als Jaga bei mir aufgnomma. Ja, von dem wenn dei' Mathies nur a Zehntel hätt', dös stand eam wohl guat an. Da hätt' i Respekt vor eam. Aba von dem hört ma's gwiß nit, daß er auffikraxeln möcht auf d' Alpspitz oder gar auf 'n Zugspitz.«

»No', g'setzt'n Fall, er steiget auffi auf 'n Zugspitz, ma' red't nur davon, machest'n ebba nacha gar zu dein' Schwiegersuhn?« lachte die Alte.

56 »Wie kimmst denn auf so a Frag?« meinte der Bauer.

»Nu, freili,« fuhr die Alte lauernd fort, »der hochang'sehne Bärenmartele suacht si' nur an' reichen Buam aus, dem er sei' Afra amal giebt.« –

»Dös grad aa nit!« versetzte Martele. »I woaß an an' Mann manches z'schätzen, auf was andere nit viel Wert legn, aber vordersamst muaß mei' Tochtermann a schneidiger Kerl sei', der auf dem Hof da, wo von uralters her die besten Jaga ang'sessen warn, mit Ehr'n weiterjagert; nit im Thal muaß er si' rumplagn, sondern obn in die Berg; auf d' Gams muaß er si' verstehn und aufs Bergsteign, z'höchst obn muaß er sei' Hüatl schwinga über's Boarnland, obn auf'n Felsblock, auf den si' no' neamd traut hat. So oan gebet i mei' Kind, g'setzt daß'n mag, und wenn er sunst nix hätt', als grad sei' Schneid.«

»Du möchtst wohl oan, der mit'n Teufi im G'spiel is?« fragte die Alte. »Woaßt nit, daß der koan auffi laßt auf den Felsen, den du im Sinn hast? Denkst nit an'n Zuggeist?«

»Grad an den denk i, den möcht i dalösen,« sagte der Bauer, und als ihn die Frauen erschrocken ansahen, fuhr er fort: »Versteh mich recht; i halt nix drauf auf die Gspensterei und grad dernthalben möcht i, daß amal oana auffikraxln thaat, daß's bekannt wäret, daß oan der Zuggeist nit anfechtet, wenn ma nur den rechten Anstieg gfunden hätt'. I war schon a etli Mal scharf dran und hon mi eing'haut zwischen die Kamin am scharfen Eck, aber nit der Zuggeist hat mi z'rucktrieben, sondern die Steiln, die gar koa' End mehr nimmt. Mit mein' Fuaß, den ma d' Tiroler anno neune a so zuag'richt habn, kann i so was nimmer 57 leisten, aber jung wenn i no'mal wär, höllfaxendi! Da solltets 'n Bärnmartel kenna lerna!«

»No', i kenn oan, der d' Zugspitz nit scheut, wenn er si' damit dei' Afra ersteign kann,« sagte die alte Mariannl.

»Der soll kemma!« rief der Martele. »I moan aber, dersel kimmt nit.«

»Martele, mirk dir's, was d' itz alles daherplauscht hast,« entgegnete Mariannl; »d' Lisbeth hat's aa g'hört. Für heunt aber will i nit länger ung'legn sei'. Thua mit dein' Arm, wie i g'sagt hon und brauchst mi morg'n no'mal, so schick um mi. Aber vergiß d' Wagnerin von Untergrainau nit, sunst reib i di no'mal ein, daß 's no' ärger brinnt.«

»Nit vonnöten!« entgegnete der Bauer lachend. »Guate Nacht! Mei' Schuldigkeit werd i scho' entrichten.«

»Dös is's Wiederkemma!« antwortete die Alte. »Guat Nacht alle mitanander!«

Wie beim Eintritte, so besprengte sie sich auch jetzt mit Weihwasser und ging, von Afra, die sie an der Thür erwartet hatte, geleitet, ihrem Häuschen zu.

Mathies führte dann die Alte schweigend in die Stube und wünschte ihr gleichfalls gute Nacht.

Da sagte die Großmutter zum Enkel: »Itz wüßt i an' Weg, auf demst d' Afra kriegest, aber es is a schwaarer Weg.«

»I schreck vor nix z'ruck!« beteuerte Mathies.

»Wennst vom Zugspitz awajuchzest, gehört d' Afra dein!«

»O weh!« erwiderte der Bursche, »dös wird kaam mögli sei'. Da müaßt i d' Afra für verlor'n geb'n.«

58 »Narret!« versetzte die Großmutter, »heunt brauchst nimmer auffi z' kraxeln. Kimmt Zeit, kimmt Rat.« –

Der schwarze Görgl war nach seiner Serenade zum nahen Walde, dem sogenannten hintern Brühl, hinabgeeilt, um sich seine daselbst versteckte Flinte zu holen. Der Mond leuchtete ihm auf seinem nicht ganz ungefährlichen Wege, denn das ganze Waldterrain ist übersät mit kleinen und großen Felsentrümmern, und es bedurfte aller Aufmerksamkeit, um keinen Fehltritt zu machen. Görgl war aber seines Pfades sicher, und alsbald hatte er seine Büchse über der Schulter hängen. Er wollte seinen Weg über den Badersee nach dem am rechten Ufer der Loisach sich befindlichen G'schwandwald einschlagen, wo er mit Beginn des jungen Tages einen Auerhahn abzubäumen hoffte.

Am kleinen Waldsee angekommen, mußte er unwillkürlich anhalten. Die Erzählung der alten Mariannl stand lebhaft vor seinem Geiste und ein Schauer überfiel ihn bei dem Gedanken an die Möglichkeit einer Begegnung mit dem Bergfräulein, das ihm Gold und Edelsteine in die Tasche stecken oder eine mit Dukaten gespickte Börse finden lassen könnte.

Der kleine, 2500 Fuß über dem Meeresspiegel liegende, krystallhelle Badersee blinkt inmitten herrlicher Tannen- und Buchenwälder, überragt von den schroffen Felsen des Waxensteins, der Riffelwand und Zugspitze und dicht am Fuße derselben, in geradezu bezaubernder Pracht, wie ein durchsichtig grüner Edelstein aus den Wäldern, die ihn umschließen, in unglaublicher Klarheit hervor. In seiner krystallenen Tiefe spiegeln sich die weißen Felsen des gigantischen Gebirges und das dunkle Laub des umgebenden Waldes mit einer Schärfe, daß man nicht weiß, wo die 59 Grenze zwischen beiden zu suchen ist. Eine wunderbar anheimelnde Stille umfängt den Besucher. Nicht gewohnt, während seiner Kantate gestört zu werden, scheucht der Vogel aus dem niederen Geäste kaum auf, unbekümmert wechselt der Hirsch über die nur spärlich betretenen Waldpfade, gleich dem Flüstern des stillen Beters lispelt die starke Waldluft durch die grünen Wipfel. Im See aber, unter den schaukelnden Silberreigen der ruhigen, klaren Flut, flunkert es wie seltenes Geschmeide von grashellem Smaragd. Seine Farbe wechselt vom hellsten Gelbgrün bis zum dunkelsten Blaugrün, aber immer ist er durchsichtig klar und die auf seinem Grunde sich befindenden Höhlungen scheinen wirklich ein Eingang in das Zauberschloß der Nixen und Najaden zu sein.

Macht dieser märchenhafte See schon am Tage einen so wundersamen Eindruck, so ist sein Anblick in mondhellen 60 Nächten geradezu von hinreißendem Zauber. Das Silberlicht, welches die trotzigen Felsenhäupter umflirrt, die sich in der in allen Farben des Regenbogens blinkenden Wasserfläche deutlich wiederspiegeln, erschafft eine Welt, wie sie keine Feder zu beschreiben vermag.In diesem wunderbaren Erdenfleckchen befindet sich jetzt eine mit allen Bequemlichkeiten der Neuzeit eingerichtete Pension, und dürfte ein lieblicherer und auf gereizte Nerven überarbeiteter Köpfe wohlthuenderer Aufenthalt auf der ganzen Welt nicht aufzufinden sein.

Dem Wilderer war freilich dieses nächtliche Bild nichts Seltsames, seine nächtlichen Waldzüge hatten ihn schon oft hierher geführt, aber heute fühlte er sich doch eigentümlich davon ergriffen. Seine Augen waren auf den aus dem See aufragenden Felsblock gerichtet, es war ihm, als müßte auf demselben die Bergfee erscheinen und ihm zurufen: »Folge mir!«

Da hallte ein gellender Schrei durch die Stille der Nacht. Görgl riß unverzüglich sein Gewehr von der Schulter, denn er erkannte sofort, daß es das Röhren eines Hirsches gewesen. Gleich darauf erblickte er auch den prächtigen Zwölfender am jenseitigen Ufer. Der Hirsch blieb stehen und äugte einige Augenblicke überrascht sein aus dem See ihm entgegenstrahlendes Spiegelbild an.

Der schwarze Görgl zielte, aber er zögerte, abzudrücken. Die lichte Farbe des Tieres erinnerte ihn, daß Mariannl von weißen Hirschen erzählte, welche die Lieblinge der Bergfee wären, deren Tod sie bitter rächen würde. Er gedachte des ungetreuen Hirten und seines jähen Endes am Frillensee, einen Moment gedachte er auch des Unrechtes, welches er zu begehen im Begriffe war; aber all diese Bedenken mußten weichen bei der Aussicht auf den Gewinn, 61 welchen ihm die sichere Beute bringen würde. Seine Leidenschaft ließ ihn auf nichts mehr achten, es zog ihm den Finger mechanisch nach dem Hahne, ein Schuß dröhnte durch die Nacht – darauf Totenstille. Doch mit einem Male hallte mit grollender Stimme das Echo aus den Felsklüften, als zürnten die Berggeister über die Störung ihrer Ruhe, und wieder und wieder ertönte dieser drohende, grollende Donner, als wenn alle Schrecken des Himmels losgelassen wären.

Görgl war vor Schrecken in die Kniee gesunken, es war ihm, als hätte ihn ein Blitzstrahl getroffen, in dem donnernden Getöse glaubte er ein höhnisches Lachen gehört zu haben, der Hirsch aber flüchtete scheinbar unverletzt von dannen. Aber auch den Wilderer trieb es jetzt fort von dieser Stelle, er fürchtete, jeden Augenblick von den rächenden Geistern der Bergfee gepackt und in die Flut hineingeschleudert zu werden. Wie von Furien gejagt floh er dem Ablaufe des Seebeckens entlang und atmete erst wieder erleichtert auf, als er den Wald hinter sich und das nach dem Eibsee führende Sträßchen erreicht hatte. Vom Turme Obergrainaus schlug die Mitternachtsstunde.

Es war ihm für heute die Lust vergangen, noch weiter im Walde Umschau zu halten, selbst nach der Auerhahnbalz sehnte er sich nicht mehr. Er begriff sich selbst nicht mehr. Es war doch alles, was ihm begegnet, ganz natürlich und gewöhnlich, und doch fühlte er sich so eigentümlich ergriffen.

Ueber die Felsenwände herauf stiegen dunkle Wolken. Das Mondlicht schien anfangs mit ihnen zu spielen, es verbrämte ihre Ränder mit lichten Farben, bald bedeckten die dunklen Massen die leuchtende Scheibe, immer düsterer 62 ward es am Firmamente, düsterer aber auch im Innern des erschreckten Wilderers.

Sinnend schlug Görgl über Untergrainau den Weg nach seiner Heimat ein. Er mußte seiner alten, kranken Mutter gedenken, die er trotz ihrer Krankheit den ganzen Tag allein gelassen. Er sah ihr bleiches, ernstes Angesicht lebendig im Geiste vor sich, Gewissensbisse marterten ihn und fürchtend, von der Kranken mit gerechten Vorwürfen über seine Lieblosigkeit empfangen zu werden, beschleunigte er seine Schritte.

An einem der äußeren Häuser von Untergrainau hörte er sich aus einem Fenster des oberen Stockes angerufen. Es war die Wagnerin, auf welche die alte Mariannl so schlimm zu sprechen und die in der That wegen ihrer Bosheit und Ehrabschneiderei allgemein gefürchtet und gehaßt war.

»Görgl, schlaunt's dir?« rief sie dem Burschen zu. »San dir leicht d' Jaga auf der Fersen. I hon schon schuißen hörn drent im Brühl.«

»Da irrst di schon,« entgegnete Görgl, »i bin's net gwen. Du sehgest mi sunst nit so laar hoamgehn.« –

»No' ja, ma kann denken, was ma will!« meinte die Wagnerin lachend.

»So is's!« antwortete der Bursche. »I denk mir aa, daß 's gscheita wär, du legest di auf dei' Haut, als daß d' no' so rumspionierst, du wilde Vogelscheuchen du!«

»Was thua i? Rumspioniern? Und a wilde Vogelscheuchen hoaßt mi? Du recht schlechter Flank du!« schrie das erzürnte Weib dem nicht weiter Redestehenden nach, der über diesen Zornesausbruch herzlich gelacht hätte, wenn ihm nicht ein unerklärliches Etwas das Herz gepreßt hätte. 63 Ohne ein weiteres Hindernis kam er an dem am Eingang zum Höllenthal gelegenen Weiler Hammersbach an.

An einem kleinen, ärmlichen Häuschen öffnete er die unverschlossene Thür und begab sich in seine kleine, dürftig eingerichtete Kammer. Nebenan lag seine alte Mutter. Görgl rief ihr zu, sie antwortete nicht. Sie schien in festem Schlafe zu liegen. Görgl warf sich angekleidet auf das Bett, wirre Träume beunruhigten ihn; er schoß nach dem prächtigen Hirschen, aber die rächende Bergfee hielt schützend die Hand über ihren Liebling, über ihm selbst aber stürzten die Felsenmauern in Trümmer und sprudelten die tosenden Wasser – ein Schreckensruf löste sich aus seiner Brust und er erwachte.

Ein düsterer, mit Wolken bedeckter Himmel blickte durch das kleine Fenster herein und der heulende Wind schlug schwere Regentropfen an die zerbrochenen Scheiben. In der Kammer seiner Mutter war es trotz der schon vorgeschrittenen Tageszeit noch ganz stille. Eine fürchterliche Bangigkeit überfiel jetzt den Burschen. Er eilte mit ängstlicher Hast in das Gemach. Da fand er die Mutter blaß und tot im Bette.

Ein Schreckensruf rang sich aus Görgls beklommener Brust, dann warf er sich laut weinend über die Leiche.

»Dös hat mir die Bergfee anthan!« rief er. »Verfluacht sei 's Wildern auf ewige Zeiten! Muatterl, i hon di am Gwissen! O könnt' i 's machen, daß d' no'mal lebest, es wäret anders!«

Und wieder schluchzte er bitterlich, es war ihm, als würde sein Herz dadurch erleichtert, denn die Thränen der Reue sind Perlen, welche die Schuld aufwiegen, sie vergeben. – 64



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