Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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III.

Die Erzählung der alten Mariannl war etwa folgende:

Vor Zeiten hütete ein bildschöner und braver Hirte friedlich eine ihm anvertraute Herde am Ufer des kleinen, waldumgürteten, am Fuße des himmelanstrebenden Waxensteins gelegenen Badersees. Er trug die Armbrust um die Schulter, um sich gegen die Luchse, Wölfe und Bären, welche dazumal das wilde Dickicht an der Loisach und Partnach durchzogen, wehren zu können, niemals aber wagte er es, einem edlen Wilde, am wenigsten den weißen Hirschen, welche öfters, sich zu tränken, an den krystallhellen See kamen, etwas zu leide zu thun, wußte er ja, daß dies die Lieblinge des Bergfräuleins waren, welches in den Felsen des Waxensteins und des Zuges ihr Zauberschloß hatte und mit seinen Schwestern öfters zu Tage erschien, um die Menschen zu beglücken. Da schwebte einmal ein riesiger Geieradler (Lämmer- oder Gemsengeier) durch das Gezweig, der Hirte sendet ihm seinen Pfeil nach und im nächsten Augenblicke fällt eine eigentümlich geformte, spinnenähnliche Wurzel, welche der Aar in seiner Kralle gehalten, zu Boden, während jener pfeilschnell dem Gebirge zuschwebt. Der Hirt erkannte die gemachte Beute sofort freudigst als eine zauberhafte Springwurzel, welche er sich oft im stillen gewünscht. Kaum hielt er sie in der Hand, so öffnete sich der aus dem kleinen See emporragende 28 Felsen und ein wunderholdes Fräulein kam an die lichte Spalte. Von zartem, rosigem Schimmer umflossen, wallte glänzendes Seidenhaar in reicher Fülle über ihren Rücken, ein goldener Gürtel hielt den köstlichen Stoff ihres Gewandes, das mit freundlicher Himmelsbläue die schlanken Glieder umfloß. Ein unschätzbarer Kranz von Edelsteinen leuchtete auf dem Lockenhaupte und zahllose Perlen glitzerten an dem Saume ihres Kleides. In den klaren Augen des zauberischen Wesens lag aber so viel Milde und Güte, daß der erstaunte Hirte bald seines Schreckens vergaß und ohne Furcht zu der schönen Erscheinung hinblickte.

Diese lächelte und sagte jetzt mit lieblicher Stimme:

»Nimm die Springwurzel und folge mir!«

Der Hirte schiffte sich auf einem Baumstamme zum kleinen Felseneiland hin und stieg zu dem Fräulein empor. Das Felsenthor erweiterte sich und, geleitet von der Hand der reizenden Fee stieg der Entzückte in einen unterirdischen, von Gold und Smaragden funkelnden Gang, der tief unter dem See hinführte zum Waxenstein. Kamen sie auf ihrem Wege zu einem Thore oder sonst verschlossenen Gange, so mußte des Hirten Springwurzel sie öffnen. Nach längerer Wanderung gelangten sie in einen unbeschreiblich schönen, hellglänzenden Saal, wo ein zahlloser Geisterchor mit unbeschreiblichem Gepränge den verwirrten Jüngling umgaukelte. In einem zweiten, aus buntglitzernden Edelsteinen gebauten Saale saßen zwei andere Jungfrauen auf goldenen Stühlen, wovon die eine Seide spann, die andere von einer Spule sie abwickelte. An dem Tische, an welchem sie saßen, lag zu ihren Füßen der »Gott sei bei uns«, oder der böse »Zuggeist« in Gestalt eines Geieradlers, machtlos gebunden. Ringsum waren Körbe, 29 angefüllt mit Gold und leuchtendem Edelgestein. Lange weilte er in den glanzreichen Hallen, der leiseste Wunsch fand augenblickliche Erfüllung, und als er sich endlich zur Heimkehr anschickte, sagte die Bergfee zu ihm:

»Nimm dir von den Schätzen mit, so viel du willst!«

Ohne Zaudern griff er zu und füllte seine Taschen.

Die Bergfee aber sprach weiter:

»Tief im Höllenthale, wo dröhnendes Gestein den Sturz des Wildbaches verkündet, da sollst du Gold und edles Metall in Menge finden; aber versprich mir, niemand von dem zu erzählen, was du gesehen und nie ein edles Wild in meinem Bereiche zu erlegen.«

Der Hirte schwur ihr das zu.

»Vergiß das Beste nicht,« mahnte die holde Fee.

Der Jüngling hielt hierfür die Schätze und glaubte, sich mit ihnen wohl versorgt zu haben. Es war aber die Springwurzel, die das Fräulein meinte, welche er über seinen Reichtum vergaß und achtlos auf dem Tische liegen ließ. Wie träumend schlug er nun den Rückweg ein; als er jedoch den Eingang am kleinen Badersee wieder erreicht hatte, schloß sich die Felsenpforte dröhnend hinter ihm, um sich nie wieder zu öffnen. Aber in dem unterirdischen Gang, in welchen das Tageslicht eingedrungen, ward dieses festgehalten bis zum heutigen Tage; es schimmert durch die krystallenen Wände und spiegelt im kleinen Waldsee den Glanz der blauen und grünen Edelsteine wieder, jedes Auge entzückend.

Und rings um den See, wo sonst nur Wildnis herrschte, erblühten die prächtigsten Maiglöckchen, deren herrlicher Duft dem reichen, aber doch von unstillbarer Sehnsucht erfüllten Hirten gar oft die Sinne berauschte, wenn er 30 bittend und klagend nach dem kleinen Felseneiland blickte, das ihm verschlossen blieb, weil er die Springwurzel über dem Reichtum vergessen und nun keine solche mehr zu finden vermochte, so viel er sich auch Mühe gab.

Der im Bergessaale zurückgelassenen Springwurzel dagegen hatte sich, man weiß nicht wie, der Zuggeist bemächtigt, welchen die Bergfee in ihrer Gewalt hatte. Es gelang ihm, sich mittelst derselben einen Weg durch den Wetterstein zu bahnen und an der obersten Spitze des Zuges an das Tageslicht zu gelangen. Hier hielt ihn das Machtwort der erzürnten Fee gebannt. Er hatte die Wahl zwischen der Rückkehr in die Gefangenschaft oder in den brennenden Pfuhl der Hölle. Da bat der Böse, der zu keinem Lust hatte, ihm auf der Zugspitze so lange ein Freiasyl zu gönnen, bis dieselbe von Menschen erstiegen würde – er meinte damit auf immerdar.

Die Bergfee willigte ein, jedoch durfte er die Springwurzel nie wieder gebrauchen, sondern mußte sie in einer Felsenritze der obersten Zugspitze niederlegen. Und weiter lautete das Machtwort der Fee, daß er seiner Freistatt verlustig sein sollte, und wieder zur Hölle müsse, sobald, wie er selbst bestimmt, der erste Mensch die Felsenspitze betreten hätte, dem sodann die Springwurzel als Eigentum zufallen sollte. Der Zuggeist war dies wohl zufrieden und umgab seine Hochwarte mit unübersteiglichen Hindernissen.

Der liebeskranke Hirte konnte aber seines Reichtums nicht froh werden und der goldenen Schätze im finstern Höllenthale hatte er ganz vergessen über der Sehnsucht nach dem holden Bergfräulein in dem Zauberschlosse. Monde vergingen ihm so in größter Aufregung, da warf ein heftiges Fieber den Jüngling auf das Krankenbett. Mit 31 zärtlicher Sorgfalt pflegte die Mutter den Leidenden und durchwachte manche Nacht an seinem Schmerzenslager. Die sonderbaren Enthüllungen des Fieberkranken erregten bei dem guten Weibe mancherlei Besorgnis. Mit herzlichen Worten drang die bekümmerte Mutter in ihren Liebling, und dieser offenbarte endlich sein ganzes Geheimnis.

Wohl genas er wieder, aber das Unglück verfolgte ihn von der Stunde jener Enthüllung an unaufhörlich. Sein Reichtum wurde ihm geraubt, seine Herde von wilden Tieren zerrissen, alles Elend kam über ihn. Sehnsuchtsvoll blickte er oft nach dem verschlossenen Eingang in die Geisterwelt. Weinend bat er die Fee um Verzeihung, aber da half kein Flehen, und traurig blickte der Verlassene auf das regungslose Gestein im krystallenen Waldsee. Da gedachte er des Reichtums am Höllenthor. Mutig kletterte er in die grause Wildnis, und schon sah er es funkeln und blitzen das edle Metall. Noch ein kühner Sprung und der Jüngling war wieder reich. Gierig griff die Hand nach dem unermeßlichen Schatze, siehe, da verblich der Glanz, und das Gold wandelte sich in fahles Blei. Das teuflische Hohngelächter des Zuggeistes drang aus allen Rissen und Spalten, und vertausendfacht durch ein tückisches Echo hallte es lange fort in der Schlucht des Grauens. Entsetzt floh der Hirt den Höllenspuk, vernichtet, aller Hoffnungen bar, kam er ins Thal herab. In seiner Brust erwachte die Rachelust. Er griff nach seinen Waffen und irrte, spähend nach edlem Wilde, im Gebirge umher.

So kam er an die schauerlichen Ufer des dunklen Eibsees. Ein weißer Hirsch flüchtete sich hierher und dem schroffen Felsenabsturz des Zugspitzes zu vor seinem tödlichen Pfeile. Der Schütze folgte ihm und mit funkelnden 32 Augen sandte der kecke Jäger das scharfe Geschoß auf das flüchtige Tier. Im nämlichen Augenblick aber erbebte die Erde, die Felsen wankten, der Boden wich unter den Füßen des entsetzten Jünglings. Ein furchtbarer Abgrund verschlang ihn und ungeheure Wasserstrudel, die donnernd aus den Klüften brachen, deckten den Unglücklichen. Auf einem Vorsprunge des Zuges aber stand in verklärter Schönheit das Bergfräulein und legte schützend die Hand auf seinen Liebling, den gefährdeten Hirsch. Mit trübem Blicke sah die Zaubergestalt auf das wilde Wasser des so entstandenen Frillensees, der nun über den Treulosen flutete, dann kehrte sie traurig zurück in ihr Felsenschloß. Kein menschliches Auge hat sie jemals wieder gesehen. Nur von ferne wollen einige in lauen Mainächten, wenn das Silberlicht des Mondes die trotzigen Felsenhäupter umflirrt, an den Ufern des blaugrünen Badersees Harfentöne und Gesang vernommen haben, den Frühlingsreigen der Elfen begleitend, und die massenhaft den See umblühenden Maiglöckchen geben dazu das Geläute, so silberhell und rein, daß Herz und Sinn davon ganz wundersam gefangen werden.

Der Zuggeist aber bewacht nach wie vor seine Felsenwarte, und niemand wagt es, dieselbe zu ersteigen und sich die zauberhafte Springwurzel, welche den Weg zu den geheimnisvollen Schätzen des Felsengebirges öffnet, zu holen. – –

Den schwarzen Görgl überlief es eiskalt bei dem Gedanken an den schauerlichen Frillensee hinten in der Wildnis und gleichsam zu seiner eigenen Ermunterung sagte er:

»I, i wißt's gwiß, krieget i so an' Reichtum, mei' Bix 33 werfet i weg und d' Gams und d' Hirsch und d' Reh – mir laufetens guat.«

»Laß's heunt schon laufen,« sagte Mathies, »i rat dir's guat.«

»Ja, ja,« bestätigte die Alte, »dessel moan i halt aa, und itz is's Zeit, daß i schlafen geh; und für di, Görgl, is's Zeit, daß d' auf hoamzua roast, moanst nit aa? Dei' kranke Mutta wird di sehnsüchti dawartn. Da bring ihr in dem Flaschl an' Schluck Tiroler mit, der thuat ihr wohl und morgn kimm i scho' und bring ihr wieder ebbs. Grüaß mir's derweil'.«

»Ja, ja,« entgegnete Görgl aufbrechend, »i hon aber no' unterschiedliche Gschäft. I möcht morgn in aller Fruah an' Auerhahn verhörn und muaß mei' Bix suacha, die in ara Felsenspalt am Steig zum Badersee versteckt is. Der Herr Ma' macht mir 's ja leicht heunt. Und no' ebbas stecket mir ganz sakrisch im Kopf. Gasseln möcht i gehn bei der Afra drent, i woaß an' etli Reim, und auf meiner Mundharmoni möcht i ihr a lustigs Stückl blasen zum Guatnacht.«

»Dös wirst bleibn lassen!« rief Mathies, sich vergessend.

»No', no',« sagte die Alte, »er soll nur thoa', was er für guat halt. D' Afra möcht eh den ebba kenna lerna, von dem i ihr schon so viel erzählt hon, wie viel gern er's hat, weils 'n halt aa von Herzen gern hat, so arm er aa gegen sie is.«

»Gschwaatz!« rief Mathies. »Wie kann's denn ebban gern habn, den 's nit kennt?«

»Ja no', sie denkt si 'n halt. Der Görgl kimmt diermaln her zu mir in Hoagast, no', und da denkt sie si' halt, 34 es wird schon der Görgl sei'. Wahr is 's schon, Görgl, du bist a recht nütznutziger Loder, so was lebt nimmer, und i thua's nur dein' unglücklichen Vater z' liab, den i recht gern g'habt hon, weil er gar so rechtschaffen und der best' Spezi von mein' Suhn gwen is, ja, nur dem z' liab hilf i dir, daß d' Afra kriegst, wenn der alt' Brummbär, der Bärenmartele, nit unübersteigli is, wie d' Zugspitz obn. Aber mei', für jeden Menschen giebt's a Springwurzel und d' Hauptsach is d' Kurasche!«

»Die hon i!« rief Görgl, »und wer mir in Weg kimmt, um den is's gschehgn. Schon heunt steck i meine Huifedern vür. Solls ebba probiern, mir's awi z' schlagn!«

»Ho, ho!« rief Mathies, »nimm dei' Maul nit gar so voll, es künnt dir ebba wer in Weg kemma, mit demst nit so schnell ferti wirst.«

»Moanst, i streit mit dir?« antwortete Görgl. »I hon da z' trinka kriegt, dafür sag i Vergelts Gott! Du Fretter traust dir freili nit so hellaus (hoch hinaus), drum bleibst aa r an' armer Teufl. Guat Nacht itz mitanand, bald kehr i wieder zua und bin i amal da drent der Herr, nacha halt ma guate Nachbarschaft, dös soll a Thatsach sein! B'hüt Gott!«

»Unser Herrgott b'schütz di!« rief ihm die Alte nach.

»Der Teufl soll 'n b'schützen!« rief Mathies. »Aber Ahnle, was machst du für a dumme Gschicht. Den Loder zu der Afra richten? Dös is ja doch aus der Weis'!«

»Aber warum denn nit?« fragte die Großmutter. »Is ja sei' Vater so brav gwen und –«

»Ahnle,« unterbrach sie der Enkel, »i will dir nur a paar Wörtln sagn, damitst einsiehgst, was d' für a Dummheit g'macht hast. I selm hon ja d' Afra gern, mei' Schatz 35 is 's, wir halten 'zam wie Stahl und Eisen und mag's gehn, wie's geht. Ja, hast denn dös niermals gmirkt?«

»Allmächtiger Vater!« rief die Alte, die Hände zusammenschlagend und sich setzend, denn diese Nachricht war ihr durch alle Glieder gefahren. »Du, Mathies, möchtst d' Afra? Und i hon's 'n Görgl versprocha! I bin halt an' alt's Wei! Laß mi ins Bett geh'n und kennt koa' Liacht mehr an; i bin völli rot vor Scham. Aber mei', warum hast aa nit gschnauft davon? Gelt, itz hast an' rechten Fastidi (Verdruß) auf mi? Ui jegale, ui jegale, was bin i für a zwiders, alt's Wei!« Und sie brach in Thränen aus.

Mathies aber sagte: »Tröst di nur, Ahnle, d' Lieb von zwoa junge Herzen kann an' alt's Wei glücklicherweis' nit z' Grund richten. Vordersamst bleibt's aber no' a G'heimnis, bis die recht Zeit kimmt.«

»I bet schon, daß's kimmt!« versprach die Alte.

»Dös kannst und sollst, Ahnle,« meinte Mathies; »aber aa staad muaßt sei'!«

»Mathiesl, kannst mi denn no' leiden?« fragte die Alte unter Thränen. »I hon ja auf dera Welt sunst gar nix mehr, als dei' Liab, gelt, du nimmst mir's itta no' etli Schritt vor'm Grab? Gelt, du laßt mir's no'?«

»Guat's Ahnle!« erwiderte der Enkel, indem er ihr Hand, Kopf und Wange streichelte. »Itz aber ruahsama Nacht! Es wird schon recht wern, laß nur mi alloa' handeln, ehrli und redli'.«

»Geb's Gott! Mathies, gute Nacht, und die heili Dreifaltigkeit nimm di in Schutz, di und d' Afra!«

Sie wollte soeben ihre Liegerstatt aufsuchen, als sie durch ein unerwartetes Ereignis davon abgehalten wurde. 36



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