Maximilian Schmidt
Der Zuggeist oder die erste Zugspitzbesteigung
Maximilian Schmidt

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XIII.

Ein herrlicher Sommertag begünstigte die Feier des kronprinzlichen Doppelfestes, kein Wölkchen war am Firmamente sichtbar, welches sich im reinsten Blau über die gigantischen Berge und die blühende Landschaft wölbte. Die Berge erglänzten in weißlichem Lichte, und befriedigt blickten die Landleute nach dem hohen Daniel, dem Wetterpropheten dieser Gegend, welcher sein stolzes Haupt unverhüllt und in wunderbarer Reinheit über die Törleswand emporhob und für den heutigen Tag das herrlichste Wetter verkündete. Die Türmer von Partenkirchen zogen schon am frühesten Morgen mit klingendem Spiel das Dorf auf und ab, von allen Seiten erdröhnten Böllerschüsse und ihr vielfacher Wiederhall an den felsigen Wänden verkündete laut die allgemeine Anteilnahme an dem Doppelfeste des geliebten Königssohnes.

Von allen Seiten kamen heute in seltener Anzahl die Leute zum sonntägigen Gottesdienste herbei, darunter eine Menge von Scheibenschützen, teilweise aus weiter Ferne, die Kugelbüchse um die Schulter und den grünen Rucksack auf dem Rücken, denn das große Festschießen in Graseck lockte nicht nur die jungen, sondern auch die grobknochigen alten Schützen aus der ganzen Umgegend mit unwiderstehlicher Gewalt auf den Kampfplatz.

Das Schützenwesen wird im bayerischen Gebirge mit 133 »Wohlstand und Ernst« behandelt. Die Rechte desselben sind im Heiligtum alter Zeiten begründet und geben dem Niedrigsten, der sich dazu verbindet, ein Ansehen und solche Vorrechte, deren er außerdem nirgends gewürdigt wird. Hier kann der niedrigste Tagelöhner mit seinem Herrn wetteifern und dieser hält sich dadurch für nichts weniger als erniedrigt. Selbstredend finden nur ehrliche, rechtschaffene Männer Aufnahme in der Schützengilde und wird lüderlichen, verrufenen oder sonst unehrlichen Leuten das »Einschreibbuch« nicht eröffnet. Es ist, als kämen zu einem solchen Wettschießen die Abgeordneten verschiedener Stämme zusammen, da bei den Einwohnern der nur wenige Stunden aus einander liegenden Ortschaften die Kleidung in Form und Farbe oft sehr verschieden ist. Durch diesen Zusammenfluß aber wird die Geselligkeit befördert und der Gemeineifer der Geschicklichkeit auferweckt.

134 Wie sich der Ernst des Schützenwesens früherer Zeiten bis in unsere Tage erhalten hat, so ist auch die alte Heiterkeit bei diesen Festen lebendig geblieben und soll bei der Schützenhütte der Schollerplatz auch künftig nicht vergessen sein. Hierher zählt als echt bayerische Eigentümlichkeit auch die Strafe für allerlei bewiesene Ungeschicklichkeit mittelst des unsterblichen Volkshumors. Die Schnadahüpfeln des Pritschenmeisters, der die Dummen und Pechvögel gehörig auszusingen hat, verfehlen auch heute noch nicht ihren Zweck und bilden nicht selten den heiteren Teil auf den gern besuchten Schießplätzen. Schon die Einladungsschreiben gewähren einen Einblick in das von Frohsinn getragene, muntere Treiben der Bergschützen und spiegeln so ganz die Volksseele in ihrer harmlosen, gemütlichen Lokalfarbe wieder.Hartwig Peetz, Oberbayrisches Archiv 41. Band enthält über diesen Gegenstand eine höchst interessante Abhandlung.

Als Preise waren die altherkömmlichen Festgaben: eine Lederhose auf einer Zinnschüssel, Geld und geschmückte Hammel (Widder) im Gebrauche.

Die Teilnahme des weiblichen Geschlechtes, welches sich im bayerischen Hochlande von jeher tapfer im Gebrauche der Schießwaffe übte, war bei solchen Festen nicht ausgeschlossen, denn ihr Anteil an den Grenzkämpfen von 1705 und 1809 hat den Mädchen und Frauen dieses Recht errungen und wird ihre Thaten stets in hohem Andenken erhalten.

So kam denn auch Afra mit ihrem Vater und Base Liesbeth im flotten Gespann und wohlversehen mit Büchse und Schußzeug, bei Zeiten angefahren. Liesbeth und Afra saßen in festtäglichem Anzuge auf dem gepolsterten Sitze 135 des kleinen Schweizerwägelchens, während der Bärenmartele vom Bocke aus mit sicherer Hand das Fuhrwerk lenkte.

Afra hatte sich heute ganz besonders geputzt. Sie trug einen grünen Bänderhut, ein weißseidenes, mit Goldborten und am Rücken mit goldgestickten Blumen geziertes, weit offenes Mieder mit grünem Brustfleck und mit blauen Schnürriemen geschlossen, einen dunkelblauen, kurzen und engen Unterrock, welcher hellblau besetzt und mit Spitzen versehen war. Das weißleinene Goller hatte sie über der Brust mit vier Knöpfen und unter der Achsel mit Silberkettchen befestigt und der mäßig kurze, schwarze Wollenrock hatte einen Umlauf von Seide. Dazu trug sie weiße Strümpfe und ausgeschnittene Schuhe. Die alte Lisbeth dagegen trug eine niedere Pelzhaube mit breitem Boden, ebenfalls einen schwarzen Rock und ein Korsett aus schillernder Seide. Um den Hals war ein schwarzer Seidenflor mit einer Silberfiligranschnalle befestigt und neben ihr lag eine Art Wettermantel, eine braune, bis an die Kniee reichende Lodenjoppe. Der Bärenbauer trug einen schwarzen Bandelhut mit mächtigem Gupf und Rand, die breite Doppelschleife von Seide, mit Spielhahnfeder und Gamsbart geschmückt. Seine weitere Kleidung bestand in grüner Joppe, einem pfirsichroten Leibl mit Purpurseide ausgenähten Knopflöchern und mit einer Reihe silberner Spitzknöpfe, darüber Hosenträger aus grüner Borte mit schmalem, gelbem Rande, um die Lenden eine schmale Lederbinde, die lederne Kniehose, Wadenstrümpfe und weit ausgeschnittene Schuhe.

Aehnlich, mehr oder minder reich, waren alle Landleute aus der Umgegend gekleidet, nur unterschieden sich die jungen Burschen dadurch, daß sie den Bänderhut von 136 lichtgrüner Farbe wählten und neben den Gamsbart ein kleines Blumensträußchen steckten.

Beim »Stern« in Partenkirchen ordnete sich nach beendetem Gottesdienste der wohl an hundert Teilnehmer zählende Schützenzug und unter lustigen Musikklängen, den tollen Sprüngen der Pritschenmeister und dem Flattern der Preisfahnen ging es dann dem etwa fünf Viertelstunden entfernten Vordergraseck zu.

Der zwischen dem Eselsberge und Risserkopf mit frischer Kraft daherbrausenden Partnach entlang gelangte der Zug in das Thal der Wildenau, von wo der Steig empor kriecht, steiler und immer steiler, während von unten das Brausen und Tosen der durch die gewaltige Schlucht den Weg sich brechenden Wogen an das Ohr tönt. Nach fünfviertelstündiger Wanderung gelangte der Zug nach dem auf einem Hochplateau liegenden, von sonnigen Auen und dunklen Wäldern umgebenen Forsthause Vordergraseck. Entzückt schweift hier das Auge hin zu den von grellem Sonnenglanz beleuchteten Wänden des Wettersteins und der Dreithorspitze, unter welcher deutlich das Frauenälple und die Schachenplatte hervortritt.

Das im Gebirgsstil erbaute Haus des Forstwartes ist zugleich Einkehrhaus und in seiner Nähe befindet sich die Schießstätte. Vom Hause und auf hohen Masten wehten lustig die blauweißen Fahnen und ein riesiges, aus Eichenlaub gewundenes »L« zeigte an, daß das Festschießen zu Ehren des Kronprinzen Ludwig abgehalten wurde.

Hundertfaches Juhu ertönte bei Ansichtigwerden des geschmückten Festplatzes und von dröhnenden Böllerschüssen begrüßt, kam der Festzug an seinem Ziele an.

137 Alsbald knallte es lustig aus den Stutzen, und von Fels zu Fels hallte der gellende Juhschrei der Zieler und kündete von dem sicheren Auge und dem festen Arme dieser Alpensöhne. Die wenigen Tische rings um das Forsthaus waren schnell besetzt, und wer hier nicht Platz fand, lagerte sich auf dem Rasen, und als der Schützenmeister das Scheibenschützenlied anstimmte, sangen alle Anwesenden freudig mit:

»Hui auf! hui auf! wer's schießen ka'
Der richt eam heut sein Stutzen a',
Es glanzen d'Scheib'n lusti 'rei',
Es wehn die Fahna woltern fei',
Schlagts die Kugel nei', hui auf!
Schlagts die Kugel nei', hui auf!

A Schuß is grad an' Augenblick,
Und rund is d'Kug'l, wie das Glück,
Drum habts die Augen hell und frisch
Und zappelts nit, als wie die Fisch.
Sunst'n treffts'n Wisch. Hui auf!
Sunst'n treffts'n Wisch. Hui auf!

Hui auf, wann los der Böller geht,
Und prächti die Maschin aufsteht,
Der Zieler kaam seinen Augnen traut
Und alles lauft, und fragt, und schaut,
Bua, da is's so laut, hui auf!
Bua, da is's so laut, hui auf!

Und wann der Zieler springt und tanzt
Und's Blei am gelben Punkte glanzt,
Da giebt's oan bis ins Herz an' Riß,
Wer nit a Nudelwalger is,
Ja, ja, dös is g'wiß. Hui auf!
Ja, ja, dös is g'wiß. Hui auf! 138

Es lebe hoch der Schützenstand,
Und kaam der Feind ins Boarnland,
I woaß's, er bleibet g'wiß nit lang,
Wir naahmen in glei als Kugelfang,
Ja, als Kugelfang. Hui auf!
Ja, als Kugelfang. Hui auf!

Die Schützen hatten vollauf zu thun, ihre Anzahl Schüsse auf Glück-, Haupt- und Ehrenscheibe abzugeben, und man vermeinte, ein ununterbrochenes Pelotonfeuer zu vernehmen. Außer Afra beteiligten sich noch mehrere Frauen und Dirndln an dem Wettschießen, so besonders Förstersfrauen und Töchter, und die Zieler machten die tollsten Sprünge und »Faxen«, wenn von diesen ein guter Treffer anzuzeigen war.

Der Bärenmartele war heute in seinem Elemente, aber auch Mathies stellte seinen Mann und war hoch erfreut, wenn ihm Afra bei jedem gelungenen Schusse freundlich zunickte.

Auch die in Partenkirchen anwesenden Offiziere kamen nachmittags auf den Festplatz und alle drei gaben manch gelungenen Schuß ab.

So war alles froher Dinge, nur des schwarzen Görgl hatte sich eine tiefe Mißstimmung bemächtigt. Die kurze Dauer seiner Besserung hatte noch nicht genügt, ihm den Zutritt zu der Schützengilde zu gestatten. Er wurde, da er sich meldete, als übel beleumundeter Bursche abgewiesen und diese Schande erfüllte sein Herz mit unsäglicher Bitterkeit. Er wußte, daß Afra sich beim Schießen beteiligte, und vor ihren Augen wollte er Beweise seiner Geschicklichkeit abgeben und sich dadurch ihre und ihres Vaters Achtung erringen. Er hatte den Leutnant gebeten, sich für ihn zu verwenden, daß er zum Schießen zugelassen werde, und 139 dennoch war er abgewiesen worden, zurückgeschleudert in die Erbärmlichkeit seines früheren Lebens.

Es ist hart, die Nacht der Vergangenheit in die lichten Tage der Gegenwart mit hinüberschleppen zu müssen, hart, wenn selbst das Gesühnte nicht vergessen wird und dem Unglücklichen anhaftet durchs ganze Leben als unerbittliche Strafe.

Alle guten Vorsätze, welche in Görgls Sinn bereits feste Wurzel gefaßt, wurden mit dieser vernichtenden Zurückweisung seiner Bitte um Aufnahme in die Gesellschaft der Ehrlichen wieder gelockert, und als er jetzt aus der Ferne dem fröhlichen Getriebe unbemerkt zusah, als er sah, wie Afra mit Stolz ihren Stutzen vom Scheibenstand trug und ihr der Zieler Ehre um Ehre erwies, da überkam ihn eine namenlose Wehmut, und wie damals am Totenbette seiner Mutter, vergoß er auch hier bittere Thränen, denn erst jetzt fühlte er, daß ihm Ehre und Ansehen für immer gestorben, daß er der Lump bleiben müsse, der er war, weil er nun einmal als solcher galt.

Mehr, denn je, wünschte er sich heute, reich zu sein. Er verfluchte seine Armut, und der Gedanke, daß es ihm bei der für den morgigen Tag bestimmten Zugspitzbesteigung glücken könnte, sich auf übernatürliche Weise in den Besitz eines großen Schatzes zu setzen, erfüllte bald sein ganzes Herz und die Hoffnung gewann in demselben einen neuen Platz.

In diesem Augenblick löste sich ein Böller und für Afra ward auf der Ehrenscheibe mit großem Jubel ein Punkt angezeigt; dies war ihm ein gutes Zeichen. Auch ihm sollte und mußte ein Meisterschuß glücken, der – nach Afras Herzen. War er auch heute noch von seinem Ziele 140 weiter als je, in wenigen Tagen schon konnte es anders sein, bald war die Frist um, welche sich das Mädchen zur Antwort auf seine Frage erbeten, und er gab sich noch immer dem Wahne hin, daß er der Glückliche, der Erwählte sein werde.

Auf dem Festplatze selbst war aber noch eine andere Person zugegen, welche in die allgemeine Heiterkeit nicht einstimmte. Es war dies der Jägertoni von Garmisch. Er hatte bei seinen hundert Schüssen aufs Glück neunundneunzig Ausreden, womit er seine oft weit unter der Mittelmäßigkeit stehenden Treffer zu beschönigen suchte. Und wenn ihm der Pritschenmeister gar anzeigte, daß der Schuß daneben ging, und ihn komisch ermahnte, er möchte nicht alle Gemsen vom Wettersteingebirge schießen, dann wurde er bitter und schimpfte »wie ein Rohrspatz.«

»Die Kerl san blind!« schrie er. »I und d' Scheib'n verfehln; so was giebt's nit!«

Und wurde dann dem nachfolgenden Schützen ein Schwarzschuß angezeigt, so behauptete er fest: »Dös war mei' Schuß; i laß mir's nit nehma. Die Hanswursten da drauß soll ma aufhänga; es is's größt' Glück für sie, daß i nit außi därf.« Gelang es ihm dann einmal, ins Schwarze zu treffen, und juchzte der Zieler die vorgeschriebene Anzahl, so strich er sich seinen Schnurrbart und sagte zu den Umstehenden: »Ah, so is's bei mir mei' Lebta gwen, aber die Kampl dort drauß übersehgn absichtli meine besten Schüss'; die heb'ns für d' Dirndln auf, die Feinspinner, 'ßel kennt ma' scho'.« Und so oft für einen weiblichen Schützen ein Schwarzschuß angezeigt wurde, behauptete er wieder: »I schieß's und die hab'n d' Ehr. Wenn i nur koa' Weibets mehr am Schießstand sehget!«

141 Diese Verdächtigung der Zieler konnte sich der Schützenmeister nicht lange gefallen lassen und nachdem dem Jägertoni wieder unter Halloh ein Fehlschuß angezeigt wurde, befahl jener, die Scheibe herein zu tragen, damit sich jedermann von der Reellität der Pritschenmeister überzeugen könne.

Der Jägertoni suchte und suchte, aber auch er fand nichts.

»Nacha is namand dran schuld, als der Büchsenmacher, der mei' Bix vor etli Zeit g'richt hat,« meinte er. »Dös is a Glück für den, daß er nit da is. Jeß, wie i mir den z'leihen nehmat!«

Aber der Büchsenmacher war da und postierte sich vor dem Großsprecher mit den Worten: »Leih mir amal vor allererst dei' Bix, i will dir's zoagn, daß die nit dran schuld is, wennst a so schneiderst (fehlschießt).«

Und der Schwarzschuß, den er sofort damit erzielte, brach über den Jägertoni und seine neunundneunzig Ausreden vernichtend den Stab.

»No', was sagst itz?« fragte ihn der Büchsenmacher.

»Was will i sagn?« antwortete der Jäger in seiner unverfrorenen Weise. »A G'spaß muaß aa sei' und i hon mir heunt vürgnomma, gar nix z'treffa. I möcht heunt koa' Preisfahna hoamtragn, nit um alles in der Welt. A so bin i halt amal. Aber an' anders Mal, no' gute Nacht, da sollns juchezen durt draus, daß's alle schwindsüchti wern. Für heunt aber hör i's Schuißen auf und fang's Singa an. Hui auf! Aufgespielt Musikanten!«

Und an einem mit lustigen Burschen besetzten Tische tröstete er sich bald wieder durch heiteren Sang für sein Pech auf der Scheibe.

142 Der Abend kam heran. Die meisten Schützen hatten abgeschossen und mit Spannung sah man der Preisverteilung entgegen. Auf der Ehrenscheibe, auf welche jeder Schütze nur einen Schuß abgeben darf, war bis jetzt kein zweiter Punkt geschossen worden und Afra sah sich schon als beste; da gab ihr Vater, der Bärenmartele, noch den letzten Schuß darauf ab und siehe da, auch er traf das Zentrum. Nun mußten Vater und Tochter um den Preis rittern, was auf dem ganzen Festplatze das lebhafteste Interesse hervorrief. Alles drängte sich an den Schießstand heran, um den seltenen Kampf zwischen Vater und Tochter mit anzusehen, Wetten wurden abgeschlossen, und als jetzt Afra zum Stande trat und den Stutzen anschlug, herrschte plötzlich lautlose Stille.

Da knallte es. Der rotbejackte Zieler sprang zur Scheibe, zog einige Mal die Achsel in die Höhe, schrie einmal »Juchhe!« und verzeichnete dann einen schlechten, hart an der Grenze des Weißen sitzenden Einser.

»Waar ja justament der Teuxl, wenn i mei' Dirndl nit hinschießet!« rief jetzt der Bärenmartele und schritt siegesbewußt zum Stande.

»Laßt's d' Musikanten herkemma, daß 's ma an' sakrischen Tusch bringa,« befahl er; »da is a Kronthaler dafür. Und ös alle sollt's sehgn, was an' alter Schützenmoaster von Obergroana vermag.«

Die Musikanten waren sofort zur Stelle und wieder ward es stille ringsumher. Aller Augen richteten sich nach dem »Bären«, der seine Büchse in Anschlag gebracht. Der Schuß ward abgegeben und nun war der Zieler draußen das Augenmerk für alle.

»I vermoan, daß 's a dreier is!« rief der »Bär« 143 mit triumphierendem Blicke auf seine neben ihm stehende Tochter.

»Dessel muaßt erst sehgn!« versetzte diese schalkhaft lächelnd.

»Daß i besser bin, als du, siehgt ma scho' itz,« meinte der Bauer und blickte, die Hand über die Augen haltend, scharf nach der Scheibe. »Im Weißen drin steckt amal nixi, also hon i schwarz und leicht kaannt's a Vierer aa sei!«

Der Zieler, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gerichtet wußte, stellte die Neugierde aller auf eine harte Probe. Erst besah er sich die Scheibe ringsum, machte dann einige Purzelbäume, lief um die Scheibe herum, stellte sich wieder, als wollte er zu juchzen beginnen und vermöchte es nicht, bis er endlich mit der Zielrute das Zeichen gab, daß des berühmten Bärenmartele Ritterschuß die Scheibe gar nicht getroffen, sondern rechter Hand marschaus sei.

Erst folgte allgemeine Verwunderung, dann allgemeines Gelächter dieser unerwarteten Kundgebung des Zielers.

»I daschlag den Malefizlumpen, wenn er a Dummheit macht!« schrie der Bärenmartele und eilte, so schnell er es vermochte, zur Scheibe hinaus. Dort suchte auch er vergebens seinen Schuß – und so erschlug er den Zieler nicht.

»Die Sach hat sei' Richtigkeit,« sagte er, als er wieder zum Stande zurückgekehrt war. »In mein' Leb'n is mir so was nit passiert!«

Nun jubelten alle Afra zu. Die Musikanten bliesen ihr den Tusch, der Schützenmeister bot dem Mädchen den 144 Arm und führte es unter Vorantritt der einen lustigen Marsch spielenden Kapelle auf ihren Platz zurück.

Der Bärenmartele aber kratzte sich hinter den Ohren und verbarg seinen Aerger, so gut es ging. Afra schien ihm in diesem Augenblicke eine fremde Person; er vergönnte ihr schlechterdings den Sieg nicht.

»Muaß mi dös Sapperamentsdirndl z' Schanden schießen!« rief er erzürnt und verursachte dadurch neuerdings ein schallendes Gelächter der Umstehenden.

Die Aufmerksamkeit der Schützen, wie der Gäste lenkte sich nun auf die beginnende Preiseverteilung, und lauter Jubel begleitete die Ueberreichung des ersten Preises auf der Ehrenscheibe an Afra, der in einer prächtigen Fahne und einer auf einer zinnernen Platte liegenden, ledernen Hose bestand.

Der Bärenmartele erhielt auf der Ehrenscheibe den zweiten Preis. Auch der Lechner Mathies hatte sich eine Preisfahne erschossen und Afra winkte ihm freundlich zu.

Sobald es aber anging, suchte sie in seine Nähe zu kommen und flüsterte ihm ins Ohr: »Hiesl, a guat Ding von dein' Hozetgwanda (Hochzeitgewand) hon i scho' daschossen, laß dir nur 's ander glei dazu machen. Itz g'winn i's 'n Vata scho' ab.«

Die Rückkehr nach Partenkirchen wurde bei herrlicher Abendbeleuchtung und in fröhlichster Stimmung angetreten.

Dort angekommen ließ der Bärenbauer sofort anspannen. Mathies, welcher Liesbeth gebeten hatte, seine Preisfahne dem Ahnle zu bringen, war dabei behilflich und der Bauer dankte ihm, indem er beifügte: »Heunt hast dein' Mann g'macht, Mathies; a so g'fallst ma scho' besser.«

145 »No', und was werd's erst sagn, wenn's mi übermorgn z' Mittag auf 'n Zugspitz ob'n stehn sehgt's?« fragte Mathies den Alten lächelnd.

»Auf'n Zugspitz?« fragte dieser entgegen. »Dös muaß i erst sehgn, eh i's glaub. Aber sitta daß i heunt d'Scheibn verfeit hon, halt i alles für möglich.«

»I aa!« setzte Liesbeth lachend, aber behutsam hinzu.

»Hi!« rief der Bauer, und das Gefährte setzte sich in Bewegung. Im scharfen Trabe ging es von dannen. Die bunten Preisfahnen flatterten rechts und links des Wagens, welchem Mathies mit freudestrahlenden Blicken folgte. Die Musikanten aber bliesen den Scheidenden einen lustigen Marsch nach.

Fröhliches Jauchzen tönte von allen Wegen, auf denen die Schützen ihre Heimkehr antraten. Es war ein schön verlebter Tag für alle gewesen, freudiger und stolzer aber blickte niemand darauf zurück, als die preisgekrönte Schützenkönigin, die schöne Bärenafra. 146


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