Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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XVI.

Friedl harrte mit Sehnsucht der von München Zurückkehrenden. Sein Herz war froh bewegt. Nun war ja alle Qual zu Ende. Die Schuld, die ihn so lange bedrückt, war gesühnt, der Weg zu Amrei war frei. Sein Gebet für Wendels Wohl hatte also doch gefruchtet; die Himmlischen hatten sich seiner erbarmt und den bösen Zauber zu nichte gemacht, den er in einer gottvergessenen Stunde sündhafterweise heraufbeschworen.

Am Dienstag gegen Abend erwartete er die Ankunft des Singerbauern und seiner Töchter. An diesem Tage fand auch der Einzug des Pfarrers statt. Es ließ ihm keine Ruhe mehr, schon in aller Frühe begab er sich hinaus zum Jochwirt. Er beschäftigte sich mit dem süßen Gedanken seiner Hochzeit und wollte sich einstweilen mit dem Wirte darüber besprechen.

Letzterer hatte durch einen von München heimgekehrten Jachenauer schon die traurige Nachricht von Wendels Tod erhalten, und als nun Friedl von seiner baldigen Hochzeit zu sprechen begann, fragte er ihn: »Moanst, die Trauer für'n Wendel macht dir koan Strich durch d' Rechnung?«

»Was denn für a Trauer?« fragte Friedl erblassend.

»Ja, no', du kannst es noch nit wissen, aber i hon's für gwiß g'hört vom Sachenbacher oben, dem's unser Herr Pfarrer gestern in Münka erzählt hat.«

192 »Was hat er ihm erzählt?« drängte Friedl den Wirt.

»No' ja, vom Waller Wendel. Die ganz' Zeit über is er frisch beinand g'wesen, da hat's noch etli Tag vor der Einschiffung a G'fecht gebn mit die Räuberbanden; der Wendel hat 'n Räuberhauptmann gfangen gnomma, nachdem er 'n z'erst keit (haut) hat auf oberlandlerisch. Ja, der Wendel, dös war a Mann!«

»Und was weiter?« fragte Friedl, der sich kaum zu atmen getraute.

»Weiter?« fuhr der Wirt fort. »Da san etli G'fangene durchbrennt, der Wendel mit a paar Soldaten hat's verfolgt, er hat si' z'weit einigwagt ins felsige Gebirg, du hat ma etli Mal feuern hörn, und aus war's – der Wendel is nimmer zruckkömma.«

»Tot?« rief Friedl, starr vor Entsetzen.

»In der Listen steht »vermißt,« sagte der Pfarrer. Aber natürli is er gfalln, kurz vor der Hoamreis'. Und er hat si' so viel gfreut auf sei' Jachenau. Aber was is dir denn, Friedl? Du bist ja kaasweiß! Dir is unguat? Wart, i reib di mit an' Branntwein ein und bring dir Tropfen. Schau nur, daß d' nit vom Stuhl fallst. Jeß! kimmt ma' heunt aus'n Schrecken nimmer außi!«

Der Jochwirt lief fort, um die bezeichneten Sachen zu holen. Schleunigst kehrte er zurück. Er rieb dem Fischer die Stirn mit Branntwein ein und gab ihm auf Zucker einige Tropfen Karmelitergeist.

»So – so, jetzt lebst schon wieder auf!« sagte er, nachdem er so eine Zeit lang an dem Burschen herumkuriert.

»Wollt i ja doch lieber, i därft sterbn,« sagte Friedl mit verstörtem Blick. »I – i bin an dem Unglück schuld!«

»Du? Ge, laß di auslachen! Die Räuber in dem 193 Land, aus dem der Schullehrer a Paradies gmacht hat, die san dran schuld.«

»Ja, ja,« antwortete Friedl, sich verbessernd. »Mir is, als hätt' i an' Rausch. Es is mir aber schon wieder besser – es wird mir so warm herin in der Stuben.«

»So geh außi zu die Dirndln, die binden Kraanz in der Tenna (Scheune) drauß für 'n Herrn Pfarrer sein Einzug. Da geht's lusti her. I hon eahna no' nix g'sagt von dem Unglück, dös 'n Waller troffen hat, sonst bindetens glei nimmer so frischweg; und es hoaßt zuagreifen, denn i verhoff, daß der Pfarrer bis um Fünfe eintrifft.«

»I will lieber hoamzua,« versetzte Friedl. »I muaß der Muatta die Botschaft bringa.«

»Thu, was d' für gut haltst,« sagte der Wirt. »Und fahr fein aa 'n Pfarrer entgegen bis zum Zigeunerbrunnen awi, wo der erst' Kranzbogen steht. Alle Bauern von der Jachenau fahrn und reiten ihm entgegen. Und nacha giebt's bei mir a gut's G'schäft. Hon i doch aa ebbs von Griechenland! Jetzt aber muß i außi zu die Dirndln und ihna was zum trinken bringa. B'hüt di, und klaub di wieder zam!«

Damit verließ der Wirt die Stube.

Auch Friedl machte sich auf den Heimweg. Ihm war zu Mute wie damals, als er mit Duli jene unselige That beging. Aber damals hatte er doch das Recht, zu hoffen, zu zweifeln, jetzt war alles aus. Wie er nach dem Verluste Amreis mit dem schuldbeladenen Gewissen noch weiter leben sollte, das wußte er nicht. –

Zu Hause angekommen, setzte er sich an den Tisch und stützte den Kopf in beide Hände.

»Was is 's? Bist krank, Friedl?« fragte ihn die Mutter besorgt.

194 »Narrisch bin i!« erwiderte er, indem er plötzlich laut und höhnisch auflachte.

»Was is dir denn?«

»Der Wendel is gstorben – der Wendel, für den d' mi hast beten hoaßen, für den i bitt hon alle Tag – du hast mir's ja graten, und was hat's gnutzt? Nix hat's gnutzt. Was sollt aa r a Vaterunser helfen!«

Und wieder lachte er krankhaft auf.

»So tröst Gott sei' arme Seel!« versetzte die Mutter. »Dös is wohl trauri für d' Wallerleut und für sei' Hochzeiterin.«

»No'? Und für mi nit? Weißt nit, daß d' Amrei jetzt für mi so viel wie tot is?«

»Gieb di, Friedl; drüber wird si' reden lassen.«

»Nix laßt si' reden. Mei' G'löbnis därf i nit brechen, oder aber – was brauch denn i 'n Himmi mei' Wort z' halten, der mi so viel straft, so viel elendi macht!«

»Und wennst drüber z' Grund gehst, Friedl, so mußt dös halten, was d'n Himmel versprochen hast.«

»I geh aa z' Grund drüber. Aber glauben thu i nimmer an a Gnad von durt oben, i glaub grad mehr an den Zauber, der vom Teufl kimmt.«

»Hör auf dei' Lästern, du kecker Bua!« rief die Mutter. »Damit söhnst di nit aus mit 'n Himmi.«

»I will aa nit ausgsöhnt sein. I glaub nix mehr! 'n Wendel könna die sieben Himmel nimmer lebendi machen.«

»Weißt nit, daß unser Herrgott selbst Tote auferweckt hat? Soll er dir z' lieb no'mal a Wunder thun? Denk dran, Friedl, daß d' a Mann bist! Trag dei' G'schick!«

»Grad den Duli, den elendigen Lumpen, wenn i da 195 hätt'!« rief jetzt der Bursche, die geballten Fäuste in der Luft schüttelnd; »i wollt ihm d' Seel außabeuteln, dem Hexenkerl!«

»Meinst 'n Zigeuner Duli, du Wildfang, du?« fragte die Mutter.

»Ja, der is an allem schuld, den sei' Hexenwerk is dran schuld.«

»Jetzt glaub i, daß d' überg'schnappt (närrisch) bist,« entgegnete die Frau. »Schaam di, so daher z' reden.«

»Den wenn i da hätt'!« rief Friedl wieder. »I wollt 'n martern für all den Jammer, den er mir gmacht hat.«

»Der Zigeuner Duli?« fragte die Mutter kopfschüttelnd.

»Ja, sag i. Der is dran schuld, daß der Wendel –«

Weiter kam er nicht. Ein Ausruf höllischer Freude brach aus seiner Brust hervor, denn die Thür hatte sich geöffnet und der Zigeuner Duli erschien auf der Schwelle.

Friedl starrte ihn eine Weile regungslos an. Dann aber stürzte er sich auf ihn gleich einem wütenden Tiere.

Aber der Zigeuner hielt ihn mit beiden Händen fest und die Mutter riß von rückwärts an ihm.

»'n Wendel verlang i zruck von dir!« schrie Friedl. »'n Wendel mach mir wieder lebendi oder –«

»Is er denn gstorben?« fragte Duli.

»Der Friedl sagt's,« erwiderte die Mutter; »er is ganz auseinander, er sagt, du bist dran schuld.«

»I?«

»So! Hon i nit mit dir 'n Hexenstrang dreht?«

»Ja, ja,« entgegnete der Zigeuner, verschmitzt lächelnd »Aber hab i dir nit gsagt, daß alles wieder gut werden kann nach zwei Jahren am Grab der Zigeunerkönigin?«

196 »Wie? Es könnt noch gut wern, itz noch? Duli, i glaub's nit. Aber dös wenn no'mal gut wern könnt, i gebet dir zehn Jahr von mein' Leben!« rief Friedl.

»Was thät i mit die zehn Jahr von dein' Lebn!« entgegnete Duli lachend. »I verlang nix, will nur, daß d' Zigeuner nit behandelt wern wie Hund, und daß's in der Jachenau gastlich aufg'nommen sind. Heut gegen Abend kommt der Stamm Aschani beim Zigeunerbrunnen an. Siebzehn Jahre sind vorbei und wir feiern den Tod der Zigeunerkönigin acht Tag und acht Nächt', dann ziehen wir wieder fort nach Siebenbürgen. I bin voraus, um zu sorgen für Lebensmittel.« Und in feierlicherem Tone, als bisher, sprach er: »Komm um vier Uhr zum Grab unserer Königin! Dort wirst du Ruhe finden und mit Duli zufrieden sein.«

Friedls Blick war auf den Zigeuner gebannt. Dieser sprach mit solcher Ruhe und Sicherheit, daß sich der erregte Bursche ganz sonderbar davon berührt fühlte. Er wußte nicht, was er denken, was er glauben sollte.

Die Mutter aber sagte:

»Duli, wennst's machen kannst, daß der Friedl wieder ruhiger wird, geb i dir so viel an Geld und Lebsucht, daß d' gwiß z'frieden sein kannst.«

»Soll a Wort sein!« rief der Zigeuner. »I komm morgen, alles abzuholn.«

»Siehgst, Muatta,« versetzte Friedl, »jetzt hat di der Zigeuner aa schon am Bandl –«

»Nur mit dem Unterschied, daß i erst dann an ihn glaub, wenn er halt', was er verspricht,« erwiderte die alte Frau.

197 »I halt mein Versprechen,« beteuerte Duli.

»Aber wie willst mir denn du helfen?« rief jetzt Friedl aufs neue erregt. »Der Wendel is tot – es is ja nimmer z' helfen, aus is's, aus is's! Was tot is, bleibt tot.«

Auch die Fischerin betrachtete zweifelnd den Alten.

»Ja, ja, Duli, i halt di für an' Schwänkmacher, für an' Leutanführer,« sagte sie. »Aber wenn's so is, wie der Friedl sagt, wennst wirkli die Leut 's Glück abbeten kannst und wennst es richten kannst, daß der Wendel jetzt wieder lebendi wird, so glaub i an dei' Hexenwerk und stimm mit'n Friedl ein, daß alles andere nix is. Verstanden wohl? Wenn du dös kannst! Aber du därfst es nit könna, du kannst es nit!«

»I kann's!« beteuerte Duli aufs neue. »Kommt nur zum Zigeunerbrunnen, wenn mein Stamm ankommt, und bringt zu essen und zu trinken mit, dann geb ich euch den Wendel lebendig wieder.«

»So bist der Teufl!« rief die alte Frau, sich bekreuzend.

»Bist, was d' willst, wennst nur wahr red'st!« meinte Friedl.

»Aber aus 'n Teufl seine Händ därfst kei' Glück nehma!« warnte die Mutter.

»I nimm's!« entgegnete Friedl. »I kenn' mi a so nimmer aus, was i glauben soll.«

»Friedl!« mahnte die Mutter.

Der Zigeuner aber nahm jetzt eine feierliche Miene an und die Hand erhebend, sagte er:

»An Gott sollst glauben, sonst an nix, und an die guten Menschen. Sind auch Zigeuner gute Menschen; ihr sollt's heut sehen. Kommt sicher und vergeßt nit: d' Zigeuner müssen leben.«

198 Damit entfernte er sich, Mutter und Sohn zweifelnd zurücklassend. Sie blickten ihm kopfschüttelnd nach. Seine letzten Worte hatten sie an ihm irre gemacht.

Friedls Aufregung hatte sich gelegt.

»Wie kann er denn 'n Wendel wieder lebendi machen?« fragte er die Mutter.

»Dalk!« sagte diese, »so is er halt gar nit gstorbn und die Botschaft war verlogen. Aber es is recht, fahrn ma awi zum Zigeunerbrunnen. Die Bauern von der Pfarrei fahrn ja eh bis dorthin 'n geistlin Herrn entgegen zum Willkomm. Richts 's Wagl zam. I möcht aa dabei sein, wenn's 'n Herrn empfanga, und möcht sehgn, wie der Duli 'n Wendel lebendi macht.« 199


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