Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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XI.

König Otto nahm am 6. Dezember Abschied von seiner Familie. Die Abreise erfolgte gegen Mittag unter einem ungeheuren Zulauf treuer Münchener aus allen Ständen, welche mit Thränen in den Augen dem Scheidenden ihr »Lebehoch« riefen. König Ludwig gab ihm das Geleite bis Perlach, die Königin bis Aibling, Kronprinz Maximilian aber wollte den geliebten Bruder erst bei der Einschiffung im Hafen von Brindisi verlassen, wo eine englische Fregatte, Madagaskar, zu dessen Verfügung gestellt werden sollte.

In der Suite des Königs befanden sich General Heidegger, dann die Adjutanten Baron von Asch und Graf von Saporta. Die übrigen Mitglieder der Regentschaft folgten einige Tage später dem Könige nach Neapel und Brindisi nach, während die Deputierten Griechenlands schon andern Tages nach Triest abreisten, um mit dem übrigen Gefolge Sr. Majestät und dem Militär gegen den 4. Januar von dort abzusegeln.

Das Expeditionskorps marschierte von Mittenwald aus in drei Kolonnen. Nach einem fünfwöchentlichen, beschwerlichen Landmarsche über die schneebedeckten Gebirgsstraßen Tirols, Kärntens und Illyriens, bei welchem die Gesundheit der Truppen durch rauhe Witterungsverhältnisse 129 manchmal auf eine harte Probe gestellt wurde, langten die Kolonnen am 22. Dezember in Triest an.

Die Batterie war wohl aussehend und gerüstet, trotzdem der Marsch meist mit Vorspannpferden, oft gehemmt durch die schwierigsten Bodenverhältnisse, vor sich ging. Es zeugte dies von der Umsicht, Thätigkeit und Energie des Batterie-Kommandanten und der wackern Beihülfe seiner Offiziere und Unteroffiziere, unter welchen der Oberfeuerwerker Wendel Waller sich nicht selten besonders hervorthat.

Sämtliche Kolonnen wurden in Sasano, drei Stunden vor Triest, von der deutschen Kaufmannschaft bewirtet. Der Schnee war hier verschwunden und die Luft milde. Nach einem eintönigen Marsche über den mit graulich gefärbten, zerrissenen Steinmassen nach allen Richtungen hin überstreuten Karst, auf dem nur wenige verkrüppelte Gesträuche und Bäume zu sehen sind und der überall die Spuren der alles verheerenden Bora trägt, erreichten die Truppen die Höhe von Optschina und erblickten von hier zum ersten Male die blaue Adria.

Ein Ausruf des Entzückens entrang sich allen Bayern, viele wurden zu Thränen gerührt, viele warfen sich auf die Knie und starrten mit Andacht hinunter auf die endlose Wasserfläche und auf die am Gestade des Meeres in einem Halbkreise liegende Stadt Triest mit ihren Türmen und Prachtgebäuden, mit einem Walde von Masten und zahllosen flatternden Wimpeln und Flaggen der im Hafen liegenden Schiffe aller Nationen, auf die vielen pfeilschnell in dem schönen breiten Meerbusen hin und her und durcheinander sich bewegenden Barken, welche das Meer nach 130 allen Richtungen bis weit hinaus, wo Himmel und See ineinander zu verfließen scheinen, durchziehen.

Wohl keiner der durch den beschwerlichen Marsch ermüdeten und erregten Soldaten umspannte mit seinen trunkenen Blicken diese Herrlichkeit, ohne daß er dabei seiner Lieben in der Heimat gedacht und sie an seine Seite gewünscht hätte. Viele freilich erfaßte auch ein plötzliches Heimweh, andere unterhielten sich mit erregter Begierde und großer Lust schon jetzt von dem Augenblicke, wo sie die Schiffe besteigen und diese sie hinaus tragen würden in das unendliche Wasser.

Der Einzug in Triest fand unter dem Andrange einer großen Menschenmenge, dem Schalle der Musik des dort garnisonierenden kaiserlich österreichischen Regiments, den Gouverneur der Stadt Triest an der Spitze, statt. Die Truppen wurden in Kasernen untergebracht und Bürger sorgten unentgeltlich für ihre Verpflegung aufs beste, während die griechische Einwohnerschaft den Offizieren der Truppenabteilungen glänzende Gastmähler in der Locanda Grande gab und der Mannschaft vom Feldwebel abwärts 30 Kreuzer für den Mann zahlte.

In den folgenden Tagen erfolgte die Einschiffung der Infanterie unter dem Andrange einer ungezählten Volksmenge, und unter brausenden Hochrufen für die Könige von Bayern und Griechenland ging dieselbe glücklich vor sich. Die Anker wurden gelichtet, weit auf blähten sich die Segel und der Kiel zerteilte die Wellen, daß sie mit zischend weißem Schaum emporspritzten. Schnell segeln die stolzen Brigantinen mit den jubelnden Bayern an der im Hafen liegenden englischen Fregatte Madagaskar vorbei, welche im neapolitanischen Hafen von Brindisi den König und 131 die Regentschaft an Bord zu nehmen bestimmt war, auf die offene See hinaus nach der Bucht von Pirano, einem Städtchen an der istrischen Küste, dem Sammelplatze der gesamten Flottille.

Die Einschiffung der Artillerie fand am 24. Dez. statt.

Die ganze Batterie war auf vier Schiffe verteilt. Der größte Teil der Mannschaft, der Kommandant, Hauptmann Schnizlein, dann die bayrischen Artilleriehauptleute von Lüder und Freiherr von Brandt,Beide wurden alsbald zu Obersten ernannt; von Lüder ward Adjutant des Königs, Frhr. von Brandt Kommandant von Nauplia. Nachmals ward jener bayerischer Kriegsminister, dieser bayerischer General. Des letztern Tagebuch stellte sein mir befreundeter Sohn General Philipp Brandt, in liebenswürdiger Weise zur Verfügung, woraus ich viel Interessantes für mein Buch schöpfte. D. V. welche für die in Griechenland neu zu bildende Artillerie als Instruktionsoffiziere bestimmt waren, dann der Feldkaplan Erhard mit seinem Diener, dem Hannes, waren an Bord des Düßau. Die Flotte sollte am 1. Januar in See stechen, aber noch in der Nacht zuvor brach die Bora mit ihrer ganzen Wut los und hinderte die Abfahrt sowie die Verbindung mit den andern Schiffen.

Erst am 5. Januar erlaubte die Witterung, in See zu gehen. Nachmittags 3 Uhr ertönte der ersehnte Kanonenschuß an Bord der Cornelia, das Signal zur Abfahrt. Die Anker wurden gelichtet und unter Segel gegangen, sodaß sich bis gegen Abend die gesamte Flottille, bestehend aus 44 Schiffen, unter dem Kommando des Madagaskar in Pirano vereinigt sah.

Fröhliches Jauchzen und kriegerische Musik ertönte von allen Schiffen und die Flottille steuerte mit vollen Segeln im Glanze der Abendsonne an Istriens Küste hinab.

132 Bei günstigem Winde ging es vorüber an Rovigno und Brione, Pola und Zara. Bei der Insel Lissa verließen am 10. die Fregatten Madagaskar und Anna, an deren Bord sich der General mit dem Stabe befand, nebst der Korvette Cornelia die Flotte und steuerten nach Brindisi, um den König Otto und die Regentschaft an Bord zu nehmen. Eine österreichische Goelette übernahm bis Korfu das Kommando.

Der Düßau war einer der besten Schnellsegler und so ging es glücklich bis Cattaro, wo infolge eingetretener Windstille das Schiff nicht mehr von der Stelle kam.

Das schöne Wetter hatte alles auf das Verdeck gelockt und in verschiedenen Gruppen unterhielten sich Offiziere und Soldaten über Vergangenheit und Zukunft, ihre Blicke auf Albaniens graue Gestade gerichtet, die gespensterartig aussahen und vielen nicht behagen wollten. Hier ergötzte man sich mit Gesang, dort vertrieb man sich die Zeit mit Kartenspiel. Der eine sang Kriegslieder, der andere stand, einer Bildsäule gleich, an den Schiffsrand gelehnt, verloren in Betrachtung der Natur, ein dritter beklagte sein Schicksal, die Trennung von dem Mädchen seines Herzens in Liedern, deren Molltöne sich in dem Rauschen der Wogen verloren, und während des Kapitäns rauhe Stimme den Camerato, der heute nichts recht machen konnte, auszankte, den Koch zur Bereitung der Speisen antrieb, ächzte mancher von der Seekrankheit Befallene, indessen andere Trost und Stärkung in der Weinflasche suchten.

Da fanden sich denn auch die Jachenauer von selbst zusammen und sprachen von der Heimat und den Lieben, die sie dort zurückgelassen.

Dem Oberfeuerwerker war die lange Ruhe bereits 133 unbehaglich und Hannes war umsonst bemüht, seine Sehnsucht nach Mirdei zu verbergen, aber der Pfarrer heiterte beide wieder auf. Und als wieder günstiger Wind die Segel blähte und die Fahrt fortgesetzt werden konnte, waren alle Herzen wieder von freudiger Hoffnung erfüllt. Der Mond tauchte aus der leicht bewegten Flut in schönem rötlichem Glanze auf, und das in den Wellen sich spiegelnde Firmament schien mit seinen Millionen Sternen im Grunde des Meeres zu ruhen. Alles ergötzte sich an diesem unbeschreiblich schönen Schauspiel der Natur.

Doch während der Nacht zerstreute sich die kleine Flotte völlig und am Morgen war nur mehr eine einzige Brigg in der Nähe des Düßau. Nach vergeblichem Suchen beschlossen die Kapitäne dieser beiden Schiffe die Fahrt nach Brindisi ohne die begleitenden Kriegsschiffe. Hiezu veranlaßte hauptsächlich die Erkrankung mehrerer Soldaten an den Blattern.

In Brindisi salutierten soeben zwei Fregatten ein einlaufendes Dampfboot, San Fernando, dessen griechische Königsflagge die Anwesenheit des Königs Otto, des Kronprinzen Max von Bayern und der Mitglieder der Regentschaft verkündete.

Aerztliche Hilfe rettete hier mehrere dem Tode nahe Leute der Batterie. König Otto und Kronprinz Max von Bayern kamen an Bord des Düßau und es waren drei Festtage, welche die Mannschaft in Brindisi zubringen durfte.

Am 16. verließ das Dampfschiff mit dem König Otto, der sich hier von seinem königlichen Bruder verabschiedet hatte, den Hafen und die Kriegsschiffe gingen unter Segel. An Bord des Düßau kamen 29 Kisten mit Geld in Verwahr 134 der Batteriekommandanten, und ein Stabsarzt, Dr. Kessel, wurde an Bord beordert. Am 18. Januar lief sodann der Düßau von Brindisi aus.

Es war ein herrlicher Tag und eine ebensolche Nacht. Purpurrot ging die Sonne am Morgen wieder auf und spiegelte sich majestätisch in dem Meere, das, nur durch ein mildes Lüftchen bewegt, hier und da kleine Wellen schlug. Aber auf den heiteren Morgen folgte ein trüber Abend. Die Menge der das Schiff umschwärmenden Delphine, deren Anblick die Soldaten ergötzte, war für den Kapitän das untrügliche Zeichen des nahenden Sturmes, und noch hatte der Düßau keine drei Stunden zurückgelegt, als die Luft, welche am Morgen ganz still gewesen, sich plötzlich erhob. Dichte schwarze Wolken, aus welchen von Zeit zu Zeit Blitze schossen, stiegen am südlichen Himmel empor, der Wind nahm an Heftigkeit zu und bald sauste er durch das Takelwerk.

Des Kapitäns Stirn runzelte sich. Er ließ sogleich alles festbinden, die Segel einziehen. Kaum waren die Soldaten unter das Verdeck gejagt, als der Sturm heulend durch die schwere Gewitterluft raste und das Schiff zornig schüttelte, daß es von den aufgeregten Wogen, die sich zu Bergen türmten und brausend über das Verdeck schlugen, bald hoch gehoben, bald in die Tiefe geschleudert wurde, als wollte der gräßlich gähnende, unergründliche Schlund des grauenvollen Elements es verschlingen.

Den ganzen Himmel umhüllte schwarzes Dunkel; grelle Blitze erleuchteten auf Augenblicke den Graus der erzürnten Natur. Der Regen fiel in Strömen nieder, vom Sturme gepeitscht, prasselnd an die Schiffswand schlagend, als wolle er sie zertrümmern. Die Maste ächzten, die Segelstangen 135 knarrten, als müßten sie jeden Augenblick bersten, und das Rollen des Donners mischte sich wild mit dem dumpfen Getöse der schäumenden Wogen, die, sich brechend, wie Phosphor funkelten, daß die weite schwarze Nacht durch tausend bläuliche Lichter erhellt war.

Die unter dem Verdeck eingeschlossenen Offiziere und Mannschaften hatten bewegte Stunden zu durchleben. Was nicht fest war, fiel zu Boden. Gläser, Teller, Flaschen klirrten und lagen in Trümmern in der Kajüte umher, jeder neue Windstoß brachte Tisch und Stühle von ihrem Platze. Die Soldaten wurden nicht selten so aneinander geworfen, daß sie die unwillkürlichsten Zusammenstöße ausführten, und fast alle wurden von der Seekrankheit befallen. Da saß mancher verzweiflungsvoll in einer Ecke und schickte Bittseufzer an alle Heiligen.

»Hon i gmoant, es giebt nix Aergers, als so an' Sturm im Walchensee,« sagte Hannes mit erblaßtem Gesicht, »dierweil is dös a Taunderlaun gegen an' Meersturm. O mei' lieber Walchensee, i wollt, i wär wieder bei dir! Dös Meer da wird mir z'grob!«

Aber er hatte dies kaum ausgesprochen, sollte es noch gröber kommen. Schläge, wohl zwölf an der Zahl, rollten, von vorn kommend, unter dem Kiele hin und hoben das Schiff.

»Aufgefahren!« war der erste furchtbare Gedanke. Es wurde wieder still, aber aller Gedanken waren in heftiger Erregung, in peinlicher Erwartung. Da, zum zweitenmale, kamen diese Schläge, stärker, schneller noch und in größerer Anzahl. Jeder einzelne Schlag wurde heftig empfunden.

Nun zweifelte niemand mehr; das Schiff war aufgefahren, gescheitert! Allgemeine Bestürzung. Aber kein 136 Laut, keine Frage, alles blieb stumm. Von dem Verdecke herab drang der Angstruf der Matrosen, dazwischen der kaum vernehmbare Ton des Sprachrohrs, von dem Rasen des Sturmes übertobt. Die Soldaten hatten ein Wallfahrtslied angestimmt, jede Minute wurde erwartet, was sich keiner laut zu äußern getraute. Das gräßliche Heulen des Sturmes, das Donnern der Wogen, ihr Brausen und Emportürmen, ihr Niedersturz, Millionen Funken von sich werfend, der Angstruf der Matrosen, ihr unruhiges Hin- und Herlaufen, diese unheimlichen Schläge und das Bewußtsein, eingeschlossen zu sein, dies alles zusammen war geradezu schauerlich, und man war nahe daran, die Hoffnung fahren zu lassen, als endlich der Kapitän erschien und Aufklärung brachte. Die unheimlichen Schläge rührten von einem Erdbeben her, das, aus Italien kommend, seinen Weg unter dem Schiffe hindurch genommen hatte. Er tröstete, daß nichts weiter mehr zu befürchten sei, auch beginne der Sturm sich zu legen, und er hoffe, die ganze Flotte werde noch am Abend in Korfu einlaufen.

Einer der geschichtskundigen Offiziere erinnerte daran, daß hier in der Nähe über tausend bayrische Krieger auf dem Meeresgrunde ruhen, deren Geister, wie er meinte, diesen fürchterlichen Sturm heraufbeschworen, um die Landsleute zu zwingen, ihrer zu gedenken.

Es war das Regiment Bürchen, welches Kurfürst Ferdinand Maria 1669 den Venetianern zu Hilfe gegen die Türken sandte und welches zur Belagerung nach der Insel Kandia (südwestlich von Hellas) geschifft wurde. Nach siegreichem Kampfe wurde es bei der Rückkehr in die Heimat auf der Höhe von Korfu von einem furchtbaren Sturme überrascht und die ganze Flotte vernichtet; nur 57 Mann 137 konnten sich mit der FahneDiese Fahne des Regiments befindet sich zur Zeit im Armee-Museum zu München. Das Regiment führte damals auch einige Hinterlader-Kanonen mit sich, welche wegen ihres Schnellfeuers ungemeines Aufsehen erregten. retten und kehrten in die Heimat zurück. –

Bei Tagesanbruch sah man die Gipfel der albanischen Berge mit Schnee bedeckt und die See ging so hohl, daß es aussah, als läge das Schiff zwischen Hügeln, über welche man keine hundert Schritte sehen konnte. Doch bald wurde die See ruhiger und die Luft nur gerade so bewegt, daß der Düßau mit vollen Segeln auf Korfu zuflog und in den Hafen einlief.

Hier versammelte sich wieder die ganze Flotte, um am 22. Januar die Anker zur Weiterfahrt zu lichten. Als sie in See stach, salutierte die Landbatterie auch die Abfahrt des Königs.

Ein günstiger Wind trieb nunmehr die Flotte schnell ihrem Ziel entgegen. Bald lagen die Inseln Paros und Antiparos im Rücken und war Zante erreicht sowie die Höhe von Koron. Aber noch war der Golf von Kalamata und die Küste von Maina fern, als der Wind plötzlich umschlug und den Lauf der Schiffe hemmte, die jetzt einen zweiten Kampf zu bestehen hatten.

Die Matrosen arbeiteten aus vollen Kräften, aber ihrer Anstrengung ungeachtet war es nicht möglich, das Kap Matapan zu umsegeln, und da das Schiff bei dem heftigen Sturme Gefahr lief, an die Klippen der Küste geworfen zu werden, so suchte es die hohe See zu gewinnen und lavierte hier im Kampfe mit den Elementen bis in die Nacht des 27. Januar, wo sich der Sturm legte.

138 Viele Schiffe hatten in diesem Sturme gelitten, einige trieben bis auf Kandia, und die russische Fregatte Anna mit dem Brigadestab an Bord war ernstlich in Gefahr, an den Felsen des Kap St. Angelo zu scheitern, wo sie einen Mast verlor und am Hinterteil beschädigt wurde, sodaß das Wasser in die Kajüten drang.

Auf dem Düßau wurden die schweren Geldkisten nur so hin- und hergeworfen und das Weinfaß zertrümmert. Das war ein harter Schlag, denn von den andern Schiffen konnte nur spärlich ausgeholfen werden. Dazu war große Kälte eingetreten, und da seit einigen Tagen des Sturmes wegen kein Feuer an Bord erhalten werden durfte, so war die Mannschaft fast nur auf den Genuß des Brotes beschränkt und daher nicht in der rosigsten Laune.

Die Sehnsucht nach dem heimatlichen Bier erfüllte wohl die meisten; andere lagen bleich und zitternd am Boden, nach dem Feldkaplan verlangend, da sie ihr letztes Stündlein nahe glaubten. Aber Herr Pfarrer Erhard konnte die so Mutlosen nur damit trösten, daß es ihm auch nicht besser ergehe.

Einer der mutigsten war und blieb der Oberfeuerwerker. Er rauchte, wenn möglich, gemütlich seine Pfeife und hatte von der Seekrankheit fast gar nichts zu leiden. So konnte er die andern aufrichten in ihrer Verzagtheit, und ein frisch angestimmtes bayrisches Lied, in welches immerhin mehrere mit einer Art Galgenhumor einstimmten, war stets von guter Wirkung.

»Alles geht vorüber!« tröstete er dann, und dem war auch so.

Ein schwacher Südwestwind brachte endlich das Schiff um das Kap, und am 30. waren die Berge von Nauplia 139 mit der Feste Palamides sichtbar. Auch Nauplia tauchte nach und nach aus dem Meere auf.

Der Madagaskar hatte sich an die Spitze der Flotte gesetzt, die nun eine Linie zu gewinnen suchte. Die Schiffe wurden aufs sorgfältigste gereinigt, die Flaggen aufgezogen, und als sie sich gegen 10 Uhr dem Hafeneingang nahten, nahmen des immer noch schwachen Windes wegen zwei eiserne Schaluppen die Fregatte des Königs ins Schlepptau und bugsierten sie in den Hafen, während die übrigen Schiffe denselben durch Lavieren zu gewinnen suchten. Ein Dampfboot, das soeben auch einfuhr, umkreiste mit großer Schnelligkeit die Flotte und aus der Ferne beobachtete ein türkisches Schiff, von Kandia kommend, den Eingang.

Rechts hinter dem Madagaskar fuhr die russische Fregatte St. Anna, links die französische Korvette; diesen dreien folgte in der Mitte der österreichische Kutter.

Zu gleicher Zeit spieen alle Schiffe ihr Feuer aus und eine Kanonade aus beinahe tausend Schlünden erschütterte die Luft. Die Werke Itz-Kali und Palamides blieben nicht zurück und ihr Donner rollte über die Schiffe in die Ebene von Argos.

Der ganze Hafen war im Nu so voll Pulverdampf, daß kaum mehr ein Schiff zu sehen war.

Da gerieten plötzlich, schon nahe am Ankerplatz, der Düßau und ein anderes Schiff in große Gefahr. Der slavonische Schiffskapitän des ersteren geriet mit dem griechischen Kapitän des letzteren Schiffes in Streit, und in toller Rachsucht rannte er dessen Schiff mit aller Gewalt an, sodaß es nahe daran war, in den Grund gebohrt zu werden, doch erhielt es glücklicherweise keine wesentliche 140 Beschädigung. Das erzeugte Erbitterung gegen die Rücksichtslosigkeit des slavonischen Kapitäns, der in gewissenloser Weise Hunderte von braven Bayern am Ziele ihrer beschwerlichen Fahrt und den Schatz des Königs in höchste Gefahr brachte, sodaß auf dem Düßau eine förmliche Meuterei gegen den Kapitän, den Steuermann und die ihn verteidigenden Matrosen auszubrechen drohte, was den Düßau in neue Zusammenstöße bringen mußte. Das Kommando des Hauptmanns verhallte im Kanonendonner.

Es war die höchste Gefahr, denn schon hatten die Matrosen zu den Waffen gegriffen und bereits einen Fehlschuß abgegeben. Zudem brachte der Düßau alle Nachbarschiffe in Not.

Da war es denn Wendel, der Oberfeuerwerker, der mit herkulischer Kraft die Streitenden trennte und auf einen Augenblick Ruhe schaffte. Diese kurze Pause benutzte der Hauptmann, sprang mit brennender Lunte zur Pulverkammer und drohte, das Schiff in die Luft zu sprengen, wenn nicht sofort Ruhe würde und jeder sich auf seinen Posten begäbe.

Diese Worte wirkten. Die Streitenden ließen ab voneinander und es trat wieder Ordnung an Bord ein.

So wurden weitere Unglücksfälle verhindert, bald waren die erregten Gemüter besänftigt und die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich dem nun folgenden prächtigen Schauspiel zu.

Eine große Menge Griechen waren rings auf den Felsen gelagert und jubelte ihrem Könige entgegen. Nahe am Vorwerke Itz-Kali legte sich der Madagaskar vor Anker.

Nachdem die Salutschüsse zu Ende und der Pulverdampf sich verzogen hatte, sah man Barken und Boote auf 141 den Madagaskar zurudern. Sie führten die griechischen Großwürdenträger, welche kamen, Se. Majestät zu begrüßen.

Eine Menge Feluken oder Langos wand sich zwischen den Schiffen hindurch, mit Griechen und Griechinnen besetzt. Alles betrachtete sich mit wechselseitiger Neugierde. Die Damen waren meist bis auf die Augen verhüllt; die Männer erschienen in sehr reicher Tracht.

Nachts waren die Städte Nauplia, Tyrent und Argos feenhaft beleuchtet.

Erst drei Tage nach Ausschiffung der Truppen betrat König Otto das Land. Es war dieses eine wohlweise Vorsicht, denn während König Otto auf der Fahrt nach seinem Lande war, machte die Partei Kolokotronis, des Häuptlings der Palikaren, einen letzten Versuch, sich der öffentlichen Gewalt in Griechenland zu bemächtigen, indem sie einen Angriff auf die französischen Truppen im nahen Argos machte. Indessen erlitt sie nach heftigem Kampfe eine große Niederlage. Es war die Absicht der Rebellen, den König bei seiner Landung zu zwingen, in Argos zu residieren und dem Lande jene Verfassung zu geben, welche der Neigung und den Vorteilen der Parteihäupter am meisten zusagte. Der Mangel an Einigkeit, der sich übrigens seit der Vertreibung der Türken bei allen Unternehmungen der Griechen zeigte, war, wie es scheint, auch diesesmal Ursache, daß die mutmaßliche Absicht der Rebellen in ihrer Entstehung scheiterte.

Wären sie in größerer Anzahl erschienen, so dürfte es den französischen Truppen, die nur eine Kompagnie stark war, schwerlich gelungen sein, ihnen zu widerstehen, und 142 die neue Regierung wäre in die unangenehme Lage versetzt worden, ihren Antritt mit blutigem Kampfe zu beginnen.

Durch das Gefecht von Argos waren diese Sorgen beseitigt, die Empörer, soweit sie nicht sofort standrechtlich abgeurteilt worden, spurlos verschwunden und Kolokotroni selbst unterwarf sich. Die erste Handlung des jungen Königs bei seiner Ankunft im Hafen war ein Gnadenakt, in dem er dem Aufrührer verzieh und sogar gestattete, daß sich derselbe, seiner Bitte gemäß, beim Einzuge beteiligen dürfe. Es wurde aber beschlossen, den Einzug erst stattfinden zu lassen, wenn sämtliche Truppen des Hilfskorps ausgeschifft seien.

Am 3. Februar 1833, morgens 7 Uhr, erfolgte die Ausschiffung der Brigade, vom schönsten Wetter begünstigt, auf allen Schiffen zugleich, sodaß sie schon um 11 Uhr vormittags vollendet war. Die Truppen sahen sich von einer ungeheuren Menschenmenge umgeben, deren reiche bunte Trachten einen malerischen Anblick gewährten. Aber das kalte, zurückhaltende Benehmen derselben stach sehr ab von dem Jubel, der beim Einlaufen der Flotte in den Hafen geherrscht.

Die Artillerie-Kompagnie wurde in Pronia einquartiert, weil Nauplia bis zur Landung des Königs von französischen Truppen besetzt bleiben sollte. Aber so freudenleer sich auch die Landung der Truppen vollzog, so groß und allgemein waren Jubel und Begeisterung drei Tage später bei der Landung König Ottos.

Das aus allen Teilen des Reiches herbeigeströmte Volk harrte mit Ungeduld am Gestade der Landung. Ganz Nauplia war in einen duftenden Blumengarten verwandelt. Am Landthore prangte eine mit Waffen prachtvoll 143 geschmückte Triumphpforte und selbst der Himmel schien mit der Gesinnung des Volkes zu sympathisieren, denn herrlich war der Tag angebrochen, kein Wölkchen trübte des Aethers Blau, die Sonne goß ihr glänzendes Licht über Hellas aus und in magischem Schimmer leuchteten die Berge des alten Epidauros herüber, als wollten sie an die Herrlichkeit erinnern, die auch an ihnen einst vorübergegangen. Kanonendonner verkündete von der hohen Feste herab die Feier des Tages.

Um 11 Uhr waren sämtliche Abteilungen der Brigade auf der nach Argos führenden Straße, dem Landungsplatze gegenüber, in Parade aufgestellt und dicht hinter ihnen stand Hadschi Christos Reiterei in regellosen Zügen. Diese mit langen Flinten, dolchartigen Schwertern und Pistolen bewaffneten kriegerischen Gestalten mit scharf markierten, von der Sonne gebräunten Gesichtern, von Narben, den Unbilden der Zeit und mancherlei Strapazen gefurcht, sahen trübsinnig, aber doch vertrauensvoll auf ihren jungen König und die Regentschaft hin. Ihre Pferde waren elend und klein, aber um so rascher. Die französischen Truppen bildeten den linken Flügel und standen vor dem Landthore in Parade.

Nachdem ein Kanonenschuß verkündet, daß die Truppen ihre Stellung eingenommen, sah man eine Unzahl von Barken von den mit vielfarbigen Flaggen geschmückten Schiffen dem Landungsplatze zurudern.

In der Barke, in welcher sich der König befand, verrichteten Kadetten den Matrosendienst. Alle Kanonen der Forts, der Stadt und der Schiffe wurden gelöst, ihr Donner widerhallte, daß die Erde zu beben schien und brausende Hochrufe empfingen den König am Landungsplatze, wo die 144 Mitglieder der provisorischen Regierung versammelt waren, deren Präsident eine Rede an den König hielt, welche Se. Majestät in huldvoller Weise erwiderte.

Hierauf stieg der König in griechischer Generalsuniform zu Pferde. Der Zug bewegte sich langsam, begleitet von Kanonendonner und dem Jubelrufe des Volkes, nach der St. Georgi-Kirche. Der König grüßte unaufhörlich mit huldvollem Blick, aus dem Freude und frohe Hoffnung strahlte. Die Regentschaft, die Adjutanten des Königs, die fremden Generale, Gesandten, Konsuln und die griechischen Notabilitäten vom Zivil- und Militärdienst bildeten ein ebenso zahlreiches als glänzendes Gefolge.

Unter den Palikarenführern zeichneten sich besonders der alte Kolokotroni und der in prächtiger Nationaltracht erschienene stolze Theodor Grivas aus. Ersterer durch seine Züge voll Ernst und Festigkeit. Er trug einen antiken Helm und große, schwere Epauletten von Messing, sonst aber die Nationaltracht. Es war ein höchst sonderbarer Anzug, der aber sein gebieterisches Ansehen und seinen kräftigen Körperbau noch mehr hervorhob und ihm etwas Furchtbares verlieh.

Theodor Kolokotroni, der tapfere Palikarenhäuptling, war von den Franzosen noch für vogelfrei erklärt, und wäre nicht einer aus dem Gefolge des Königs der französischen Schildwache an der Porta de Terra rasch in den Arm gefallen, so hätte ihn dieselbe vom Pferde gestoßen. Der Wilde erblaßte.

In der Kirche wurde unter besonderen Zeremonien ein Tedeum abgehalten. Nach demselben reichte der amtierende Bischof Sr. Majestät das Evangelienbuch zum Kusse. Dann legte der König die rechte Hand auf das 145 Evangelium und beteuerte dadurch, die Rechte der altrechtgläubig-griechischen Religion nach allen ihren Teilen sowie auch den damit verschwisterten Kultus schützen zu wollen.

Hierauf begann der Zug nach dem Palaste des Königs. Alt und jung gab sich grenzenlosem Jubel hin, selbst Frauen und Mädchen drängten sich freudestrahlend vor, schwangen Palmen- und Olivenzweige, und man sah Greise, bis zur Erde geneigt, sich bekreuzen; es fehlte wenig, daß man neben Lorbeer und Oleander nicht auch die Kleider vor dem Kommenden auf den Weg breitete.Peter Heß's großartiges Gemälde »Der Einzug König Ottos in Nauplia« in der neuen Pinakothek zu München hat diesen denkwürdigen Akt verewigt.

Die Unabhängigkeit von Griechenland war errungen. die ganze Zukunft schien gesichert.

Der Feldkaplan aber sagte zu dem ehemaligen Schullehrer von der Jachenau und jetzigen Regentschaftsschreiber, den er zu seiner Freude heute getroffen:

»Gott gebe, daß ich mich nicht täusche, aber ich kann den Gedanken an die Passion nicht los werden. Heute: Hosiannah! morgen: Kreuziget ihn!« 146


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