Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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III.

Auf dem Wallerhofe saß das glückliche Brautpaar nebeneinander am wohlbesetzten Tische. Die alten Eltern Wendels, sein Bruder Lindl und der Pfarrer teilten die allgemeine Freude und tranken mit echtem Tiroler oftmals das Wohl der beiden Brautleute.

Wendels Vater war ein großer, grobknochiger alter Mann mit sehr markierten Gesichtszügen, die ganz denen des Wendel glichen. Er ging schon sehr gebückt, legte aber trotzdem noch sehr viele Rüstigkeit an den Tag. Sein Weib, Wendels Mutter, war ebenfalls noch ziemlich rüstig. Sie hatte ungemein einnehmende Züge und blickte mit Stolz auf ihren Erstgeborenen. Der jüngere Sohn, Lindl, war in seinem Charakter ganz das Gegenteil seines Bruders, schüchtern, fast zaghaft wie ein Mädchen. Bedeutend kleiner als Wendel, besaß er jedoch ein sehr einnehmendes Aeußeres. Er hatte nur mit dem Rindvieh, den Schafen und Tauben Freude und verwandte alle Sorgfalt auf deren Zucht. Sonst ordnete er sich selbst in allen Stücken seinem Bruder unter, der überhaupt von der ganzen Familie mit einer gewissen Verehrung betrachtet wurde.

Wenn Wendel, wie es anfangs seine Absicht war, beim Militär geblieben, so wäre dem Lindl der Hof zugefallen. Er würde damit in die für ihn sehr üble Lage gekommen sein, sich eine Bäuerin aussuchen zu müssen, und das wäre 29 ihm furchtbar unangenehm gewesen. Er hatte durchaus keine Neigung zum Heiraten, und sein Bruder hätte ihm gar keinen größeren Gefallen thun können, als daß er wieder nach Hause kam und den Hof übernahm. Für ihn war ja gesorgt, sein Heiratsgut hatte ihm Wendel bar ausbezahlen lassen und im Zuhäusl war Platz genug für ihn und die Eltern.

So saß er denn auch sehr erfreut am Tische und rieb sich vergnügt die Hände darüber, daß er nicht der Bräutigam sein mußte und daß er so ganz ohne Neid auf das glückliche Paar blicken konnte.

Dieses plauderte mit immer größerer Heiterkeit zueinander.

»Aber die größt' Freud hast mir schon mit dem g'malten Kleiderkasten g'macht,« versicherte Wendel zum so und so vielten Male. »Mein i doch, es ist gar nit mögli, daß i kei' Uniform mehr tragen soll. I hab mi so dran g'wöhnt an mei' Ehreng'wandl, daß mir dös fludrige Zeug da gar nimmer passen will.«

»Mei',« erwiderte der alte Wallerbauer, »a jed's Gwand is a Ehrengwand, 'n Bauern dös seini so guat, wie r 'n Soldaten. Woaßt nit, daß unsere Vorfahren aa koa' Uniform g'habt ham, wie 's dazumal anno 1705 einizogn san auf Münka in der Mordweihnacht, auf daß 'n Feind außijagen aus'n Land, und die kurfürstlichen Prinzen befreien? Aber 's Glück is nit mit eahna gwen; im Sendlinger Freithof ham's 's Leben lassen fürs Vaterland, in der Joppen sans g'storbn, d'rum halt dös Gwand wohl in Ehren!«

»Ganz richtig!« entgegnete der Pfarrer, und lächelnd setzte er hinzu: »Vielleicht wär das eine bessere Uniform 30 für unsere Freiwilligen, die sich zum Zuge nach Griechenland rüsten, als die unbequeme Soldatenmontur.«

»Herr, redts dengerscht nit von dera G'schicht,« bat der alte Wallerbauer lachend, »da wird mei' Wendl anemal ausnand, daß er nit mit kann.«

»Sollt i nit ausanand wern!« rief Wendel. »Sechs Jahr lang hab i mir nix sehnlicher g'wünscht, als an' Ausmarsch. Nur einmal wenn i an' richtigen Schuß hätt' abgeben därfen an' wirklichen Feind genüber oder an' Marsch auf weit furt – nix, nix is 's gwen. Aber kaum war mei' Zeit vorbei, wird's im ganzen Land rebellisch, g'worben wird über Hals und Kopf und fort geht's, ins Griechenland eini. Und i bin nit dabei! Gottskreuzdi –«

»Hörst auf mit dein' Fluchen, du Feuerwerker!« rief der Pfarrer. »Meinst, du versäumst was, wenn d' nit mitkannst? Ich glaub, den armen Freiwilligen wird auch kein Butterbrot gestrichen in dem verkommenen Land. Es wird eine recht zusammengewürfelte Expedition werden, zusammengewürfelt aus aller Herren Ländern, keine Freude für einen rechten Soldaten.«

»Mag sein!« versetzte Wendel. »Mei' Sach wär's aa nit, mit so an' Freiwilligenkorps auszumarschiern, aber wenn mei' Regiment, mei' Batterie so a G'schäft krieget, kreuzdivi –«

»Bist still mit dei'm Fluchen!« fuhr der Pfarrer wieder dazwischen.

»Domine!« vollendete Wendel nach einer kleinen Pause. »Dös wär an' anders Numero! Resei, da wär's am Montag no' nix mit 'n Kopliern! Z'erst kömmet Griechenland – nacha d' Hozet!«

»No', so dank i halt Gott, daß er's so wohlweisli 31 für mi eing'richt hat,« lachte Resei, »auf daß ma der jung' Küni mein' Hochzeiter nit nimmt. Mei', i moan, es is zum Erbarmen, no' so jung und so weit furt müssen, in a fremd's Land, wo Räuber und Banditen hausen.« –

Das griechische Volk hatte bis vor kurzem unter dem Joche seiner Gewaltherren, der Osmanen, geschmachtet und war versunken in Schmach und Elend. Die höchsten Güter des Lebens sah es der zügellosen Willkür der Tyrannen preisgegeben, es sah sein Heiligstes, seine Religion, verachtet und in den Staub getreten. Unerträglich das Joch, fruchtlos die Versuche, es abzuschütteln.

Da entstand der Bund der »Hetärie,« das Volk ermannte sich, stand auf und ging aus einem zwölfjährigen, furchtbar blutigen Kampfe glorreich siegend hervor.

Markos Botzaris, Demetrios Ypsilanti, Miaulis, Karaiskatis und andere zeigten sich an Tapferkeit den griechischen Helden der Vorzeit würdig. Ganz Europa wandte dem mutigen Volke die lebhafteste Teilnahme zu. Kein Fürst hatte aber solch heiligen Eifer für den Sieg des Kreuzes kundgegeben, als König Ludwig von Bayern. Er war der erste und einzige, der sich öffentlich für die begeisterten Kämpfer erklärte und dem armen Volke nicht nur mit schwungvollen Gedichten, sondern auch mit immer neuen Summen zu Hilfe kam.

Mehrere Offiziere, wie AschNachmals General und Vater des Kriegsministers Baron Asch., Heideck, Schmeller, Schnizlein und Hügler, hatte er zur Teilnahme an dem Freiheitskriege dem unglücklichen Volke zu Hilfe geschickt und die Söhne der unglücklichen Hellenen wie Kinder seines 32 eigenen Volkes zu sich geladen und ihnen ein Panhellenion in München eröffnet.Das griechische Institut unter Parisiodis auf dem Königsplatze, wo jetzt das Kunstausstellungsgebäude steht.

Die neue Republik unter der Leitung des Grafen Capo d' Istria, welcher der Hinneigung zu Rußland beschuldigt ward, ging mit dessen Tod von der Hand des jüngern Mauromichalis unter der Kirchthür von Nauplia zu Grabe, und die Anarchie und gesetzlose Willkür der Parteiführer verheerte die Städte und Fluren des Landes jetzt mehr als es die zerstörende Macht des langwierigen Kampfes gethan. Da traten die Großmächte, England, Frankreich und Rußland, vermittelnd dazwischen, erwählten laut Vertrag vom 7. Mai 1832 König Ludwigs Sohn, den siebzehnjährigen Prinzen Otto, zum Könige von Griechenland, und die Nationalversammlung zu Pronia beschloß mit Zustimmung der Minister, dem Sohne des hochherzigen Bavaresenkönigs Ludovikos durch eine Deputation, bestehend aus dem Seehelden Andreas Miaulis, den Generälen Konstantin Botzaris und Kalliopulos sowie dem Dragoman der Gesandtschaft, Major Diamantidis, dem Prinzen Otto die Krone antragen zu lassen.

Die Abgesandten erschienen zum Oktoberfeste, Bayerns olympischem Spiele, und verblieben in München bis zur Abreise ihres neu erwählten Königs, der auf den Grabhügeln des alten Hellas einen neuen Thron errichten, ein neues Geschlecht zu der Größe seiner Voreltern wieder erheben sollte.

Der Vertrag legte Bayerns König, Ludwig I, dem großen Philhellenen, die Verpflichtung auf, den König Otto durch ein Truppenkorps von 3500 Mann zu unterstützen 33 und für die Dauer der Minderjährigkeit des Königs (bis 1. Juni 1835) eine Regentschaft zu bestimmen, welche aus dem Grafen Armansperg, dem Staatsrat von Maurer, dem Generalmajor von Heidegg und dem Herrn von Abel als Ersatzmann bestand.

Das für Griechenland bestimmte Truppenkorps sollte aus Freiwilligen bestehen, und so erging der Aufruf des jungen Königs an seine Landsleute zum Eintritt in das griechische Expeditionskorps.

Mit Begeisterung ward der Aufruf nicht nur in ganz Bayern, sondern in ganz Deutschland vernommen. Mancher brave, junge Mann riß sich mit hochklopfendem Herzen los aus den Armen seiner Lieben, um Ottos vertrauendem Rufe zu folgen; mancher, der bisher der Trost und die Hoffnung seiner alten Eltern war, änderte plötzlich seine ganze Lebensrichtung und trat unter die griechischen Fahnen, um da ein neues Leben zu beginnen. Mit Freude verließen auch viele ihr Vaterland, um auf dem Boden wandeln zu können, der durch so erhabene Erinnerungen aus der Vergangenheit geheiligt ist; mit Freude verließen andere den heimatlichen Herd, um sich auf fremdem Boden eine neue Heimat zu gründen.

Die Abreise des jungen Königs war auf den Dezember festgesetzt. Schon war sein Abschied in Liedern und Gedichten gefeiert und im ganzen Bayerlande bildete bei reich und arm des jungen Königs Abreise das Hauptgespräch.

»Wie, Resei, du kannst ja dös Lied singn, dös auf'n Otto sein Abschied g'macht is worn,« sagte Wendel.

»Ja, sing's!« bat der alte Wallerbauer. »Gebt's 'n Wendel d' Zither; er soll's begleiten.«

Der Aufforderung zum Gesang wird im Gebirge stets 34 sofort und ohne Zögern entsprochen, und so sang Resei einige Strophen aus dem nach der Melodie von Bertrams Abschied bereits allbekannten Lied:

So willst du wirklich, Otto, von uns scheiden,
Zu lösen dein und deines Vaters Wort,
Zu heilen des bedrängten Volkes Leiden,
Reißt dein Entschluß dich unerbittlich fort.
Vertrau'n einflößend allen Volksparteien,
Die an des Isthmus blumenreichem Rand
Noch immer sich im Bruderkampf entzweien
Zu bitterm Schmerz fürs schöne Griechenland?

So folge denn dem ehrenvollen Rufe,
Erhörend eines Heldenvolkes Flehn,
Besteige mutig nun des Thrones Stufe
Mit Pallas Schutz in Pallas Stadt Athen.
Wenn schon Gebirg' und Land und Meer uns trennen,
Dir bleiben uns're Herzen zugewandt,
Auch du wirst uns're Liebe nicht verkennen,
Erlauchter Fürst, im fernen Griechenland.

Die Sängerin wurde durch einen unerwarteten Besuch unterbrochen.

Ein Artillerie-Unteroffizier in Uniform trat in die Stube. Es war Wendels Freund, derjenige, der schon zur Kirchweih als sein Gast mit ihm gewesen.

»Jeß, der Berger!« rief Wendel aufspringend. »Grüaß di Gott! Du kommst grad zum Kuchelwagenessen recht! Da siehst mei' Hochzeiterin, 's Resei; du kennst es ja eh vom Kirta her.«

Der Angekommene grüßte freundlich alle Anwesenden.

»Jetzt schnall nur glei' dein' Säbel ab und setz di her zum Tisch,« bat Wendel den Kameraden. »Es is scho' so viel über, daß 's für di noch glangt. Ja, was seh i!« 35 rief er jetzt mit Erstaunen. »Du hast ja zwei Strich am Kragen, du bist Feuerwerker worn?«

»Ja, vor etli Tag,« entgegnete der Soldat, der mit der einen Hand behaglich seinen großen Schnurrbart strich. »Du wärst es jetzt auch, bist ja mei' Vormann.«

»Feuerwerker!« rief Wendel. »Dös is mei' höchster Wunsch gwen, aber umsunst. Und jetzt, kaum bin i fort, kreuzdivi – i fluch nit aus, Hochwürden,« unterbrach er sich;»es is dös nur so a Soldatengwohnheit. Jeß, is der Feuerwerker worn – mei' Nachmann! Setz di nur grad her, Herr Feuerwerker! Laß dir's schmecken! An' echten Tiroler kriegst. Alle Teufel, Feuerwerker! Ich hab's grad zum Korporal bracht – hat nit sei' wolln.«

»Dafür hast es zu an' schön' Bräutl bracht,« erwiderte Berger. »Mi freut's, dei' Glück, Wendl, wenn glei damit mei' Herreis' verfehlt is.«

»Dei' Herreis'? Wie so dös?« fragte Wendel.

»Du kannst dir's wohl nit denken, warum i kömma bin?« sagte Berger lächelnd. »Du erratst es kaum? Im Auftrag von unserm Herrn Hauptmann bin i da.«

»Von mein' Hauptmann? Denkt der noch an mi, der Raritätsmann?« rief Wendel mit leuchtenden Augen. »Und was is dös für a Auftrag?«

»Dös sollst hörn, sobald wir unter uns sind. Laß mi z'erst essen und trinken. I komm von Länggries zu Fuß her und hab an' Weltsappetit. Gestern bin i mit 'n Stellwagn auf Tölz, und noch bis Länggries g'laufen, heunt muaß i noch zruck bis auf Tölz, daß i 'n Nachtstellwagen krieg. Da brauch i a Stärkung.«

»Wenn's sei' muaß, daß d' morgn in München bist, so fahr i di auf Tölz awi, dös versteht si' am Rand. Aber 36 i zitter' ganz über die Botschaft, die mir mei' Hauptmann schickt.«

»Du wirst es schon hörn, wenn ma alloa' sein,« entgegnete der Kamerad lachend. »Grad schad is's, daß d' nit mehr in München drin bist. Dös is a Lebn jetzt! Von der ganzen Welt kömma junge Leut und wolln si' anwerb'n lassen. An die fünfhundert wern schon einexerziert.«

»Das reicht aber noch lang nicht aus,« meinte der Pfarrer. »Das Expeditionskorps soll ja sehr ansehnlich werden.«

37 »Das is 's ja,« versetzte der Soldat. »Die Abreis' vom König laßt sich nit länger verschieben und so is b'stimmt, daß ihm einstweilen a bayerische Brigade von 3500 Mann Stärk mitgebn wird. Sobald so viel Freiwillige nachg'schickt wern könna, kommt die Brigade wieder zruck. Der General von Hertling is der Kommandant, sie is zamgsetzt aus mehreren Bataillon' Infanterie, zwei Schwadronen Ulanen und einer Kompagnie Artillerie mit acht bespannten Geschützen.«

»Von welchem Regiment wird die Artillerie-Kompagnie gnommen?« fragte Wendel, der ganz Feuer und Flammen war über diese Nachricht.

»Vom ersten Artillerie-Regiment,« lautete die Antwort.

Und zitternd vor Aufregung, als ahnte er schon die Antwort, fragte Wendel weiter:

»Welche Kompagnie?«

»Die neunte,« entgegnete der Kamerad mit schlecht verhehltem Lächeln.

»Unser' Kompagnie?« stieß Wendel heftig hervor. Dann setzte er fast gekränkt hinzu: »Berger, wie magst mi a so tratzen!«

»Mei' Wort drauf!« entgegnete Berger jetzt wieder ernst. »Unser Herr Hauptmann Schnizlein führt die Batterie, die 190 Mann stark wird. In etli Wochen geht's fort ans Meer und dann per Schiff Griechenland zu.«

Wendel blickte einige Augenblicke starr vor sich hin. Dann erhob er sich rasch und sagte zu seinem Kameraden:

»Geh mit mir, ich möcht dei' Botschaft hörn.«

»Noch an' Trunk aufs Wohl der Braut!« versetzte der Feuerwerker, sich gleichfalls erhebend und alle 38 Anwesenden zum Anstoßen nötigend. Auch Wendel stieß mit an; aber in seiner Erregung that er das so heftig, daß Reseis Glas zersprang und der rote Wein auf das weiße Tischtuch herabfloß.

»Barmherziger Gott!« rief das Mädchen erschrocken. »Dös is koa' guat's Zeichen; dös bedeut was!«

»Das bedeutet, daß der Wendel ein anderes Mal bedenken soll, daß die Gläser nicht von Eisen sind,« warf der Pfarrer rasch dazwischen. »'s Schicksal hat damit nichts zu schaffen.«

Während nun der Tisch wieder in Ordnung gebracht wurde, entfernte sich Wendel mit dem Feuerwerker. Er führte ihn in die obere Stube hinauf, welche vorhin mit Reseis neuen Tölzermöbeln eingerichtet worden war. Es war die Prunkstube des Hauses. Die erste Unterredung, welche in ihr geführt wurde, war aber gewiß nicht nach dem Sinne der jungen Braut, deren Herz ein ahnungsvolles Bangen erfaßt hatte. – 39


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