Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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XIII.

Zu Hause dachte man nicht weniger lebhaft der Teuren im fernen Hellas. Die Nachrichten von der glücklichen Ankunft kamen erst sehr verspätet an; nachdem sich schon im ganzen Lande das Gerücht verbreitet, daß beim Kap Matapan mehrere Schiffe zugrunde gegangen oder verschlagen worden seien, harrte man mit fieberhafter Aufregung auf Nachrichten aus Griechenland.

Wohl brachten die Zeitungen Ende Februar die Kunde von dem Aufstande der Palikaren in Argos und allerlei Einzelheiten über die noch nicht vollständige Ruhe aus Hellas, aber die glückliche Landung des Hilfskorps und der Einzug König Ottos in Nauplia ward durch die eingelaufenen Berichte erst gegen Mitte März bestätigt.

Nun atmete alles leichter auf in der Jachenau, vor allem Friedl und die drei Mädchen auf dem Singerhofe, denn auch Mirdei war seit Lichtmeß dort in Dienst.

Aber nun war schon der Mai herangekommen und noch immer trafen keine näheren Nachrichten aus Griechenland ein, denn der von dort abgeschickte Kurier, Hauptmann Trentini, mußte wegen Beschädigung seines Schiffes in Korfu ans Land steigen, und so verzögerte sich dessen Weiterreise. Endlich kam er in München an und schnell verbreitete sich die Kunde, daß die Nachrichten, welche er brachte, erfreulichen Inhalts seien, daß sie also die Unruhe 162 und die Sorge stillen würden, in welcher Hunderte von Familien durch das Ausbleiben aller offiziellen Mitteilungen und der Nachrichten von ihren Angehörigen fortdauernd gehalten wurden.

Auch Resei und Mirdei erhielten nun Briefe von Wendel und Hannes, ebenso der Benefiziat im Klösterle von Pfarrer Erhard.

Alle schilderten die ersten schlimmen Eindrücke auf Griechenlands Boden, aber sie sprachen auch die Hoffnung auf baldige Besserung aller Verhältnisse aus.

Resei war nicht wenig überrascht, in Wendels Brief folgende Stelle zu finden:

»Eifersüchtig brauchst du nicht zu werden; die Griechinnen sind bis an die Augen eingebunden, als hätten sie Zahnweh, aber die schüchternen Weiber und Dirndln werden jetzt auch schon heimlicher und zutraulicher.«

Hannes hob in seinem Briefe besonders hervor, daß Tausende von Bayern in Griechenland ihr Glück machen könnten, vorzüglich Bauersleute. Fleißige Landwirte müßten bald wohlhabende Leute werden. Die Rindviehzucht läge gänzlich darnieder, Melkvieh kenne man dort gar nicht. Ebenso notwendig brauchte man Maurer, Steinhauer, Zimmerleute, Gärtner und andere Handwerker. Er gab sich noch voll der Hoffnung hin, in nächster Zeit durch Vermittlung des Herrn Pfarrers einen großen Grundkomplex zu erhalten.

Dieser Brief machte auf alle Häusler in der Jachenau tiefen Eindruck. Viele hatten den Gedanken erfaßt, auszuwandern, um in Hellas ihr Glück zu gründen. Hellas ist ja Bayern, dachten sie, lauter Landsleute würden sie dort finden, da könne es nicht fehlen.

163 Aber der Forstwart meinte, es wäre doch klüger, noch weitere Berichte abzuwarten, wie sich in dem so fernen Lande noch alles gestalten würde.

Friedl atmete auch wieder leichter. Er hatte auf die Nachrichten von dem bösen Sturm am Kap Matapan allen Glauben an den Talisman, den er Wendel mitgegeben, verloren, und nun erkannte er wieder, daß ihn dieser Glaube doch nicht betrogen. Er hoffte, daß die drei verschluckten Passauerzettelchen ihre günstige Wirkung auch ferner bewähren würden, und als Ende Mai die »Bayerische Landbötin« berichtete, daß demnächst bereits die ersten bayerischen Truppen in ihr Vaterland zurückkehren sollten, wobei Abteilungen der Artillerie und Reiterei sich befinden würden, ließ er einen freudigen Juhschrei hinaushallen über den See, den ersten nach langer, langer Zeit.

Aber auch im ganzen Bayernlande herrschte Freude. In allen Kirchen wurden feierliche Dankgottesdienste abgehalten für die glückliche Landung König Ottos und seiner Truppen und ward der Segen für eine glückliche Regierung in Hellas erfleht.

Auf vielen Bergspitzen des bayerischen Hochgebirges wurden Freudenfeuer abgebrannt, und auch vom Herzogstand und der Benediktenwand verkündeten die hochauflodernden Feuersäulen die Freude des Bergvolkes über die glücklichen und glückverheißenden Nachrichten.

In München aber ging die Werbung eines weitern freiwilligen Truppenkorps für den Dienst des griechischen Königs unter dem Obersten von Lesuir mit größtem Erfolge vor sich.

Die deutsche Jugend, durch die Vorkommnisse bei dem Hambacher Feste (Ende Mai) ohnedies in einer hohen 164 Erregung, vernahm mit Begeisterung die Nachrichten aus Hellas, von dessen schönem Himmel, der Farbenpracht der Gefilde, der Reinheit der Luft, von den göttlichen Fluren von Athen, und sie betrat schon im Geiste jene klassische Welt. Die überschwenglichsten Gedichte erschienen, von welchen hier eine Probe folgt:

Ich kenn' ein Land, so wunderschön,
Wo Palmen und Oliven stehn,
Und wo der Tanne (!) dunkles Reis
Dem starken Sieger ward zum Preis.
Dorthin laßt uns, ihr Brüder, ziehn,
Dort wird ein neues Glück uns blühn!

Aehnliche poetische Ergüsse standen Tag für Tag in den Blättern. Ein neues Glück wollten sie sich alle schaffen, und wie lautete die Botschaft von jenem vielbesungenen Lande so verführerisch!

Selbst der Singerbauer trug sich auf alle die glänzenden Nachrichten hin eine Zeitlang mit dem Gedanken, sein kleines Bauernanwesen zu verkaufen und nach Griechenland auszuwandern. Sein Schwiegersohn, der Wendel, meinte er, müßte es dort bald zum Obersten und General bringen und könnte ihm dann leicht zu reichem Grundbesitz verhelfen. Der Kleinbauer genügte ihm plötzlich nicht mehr. In Griechenland, meinte er, liege das Glück auf dem Boden, da dürfe man es nur aufheben.

Resei war mit solchen Zukunftsplänen natürlich einverstanden, ebenso Mirdei; jene dachte nur an Wendel, diese nur an Hannes. Aber die klügere Amrei hielt alle im Schach.

»I bleib in meine Berg!« sagte sie. »Mei' Glück such i in der Hoamat, bei mein' Friedl.«

Der alte Singerbauer ließ sich jedoch nicht abhalten, 165 für alle Fälle nochmals genaue Erkundigungen einzuziehen, indem er an Pfarrer Erhard schreiben ließ und ihn um seinen Rat, um seine Meinung bat.

Da kamen aber doch vereinzelt andere, weniger günstige Nachrichten von Krankheiten und Sterbefällen, von ausgebrochenen Unruhen und Aufständen, welche auf den Sturz der Regentschaft abzielten, und wurde auch versucht, die schlimme Wirkung solcher Nachrichten immer nach Möglichkeit abzuschwächen, so viel hatte man doch bald heraus, daß das Paradies in Griechenland auch seine Schattenseiten haben müsse.

Die neu errichteten Freiwilligenkorps traten nach und nach ihren Marsch nach Hellas an.Im August 1833 unter Kommando des Hauptmanns A. Gößner, 236 Mann.
Am 25. Sept. 1833 unter Major Wirth, 647 Mann.
Am 15. Nov. 1833 unter Major Heß, 796 Mann.
Am 22. Jan. 1834 unter Oberleutnant Rudolph, 211 Mann.
Am 27. Febr. 1834 unter Major v. Ott, 1400 Mann (darunter eine ganze Truppe Schweizer mit allen ihren Offizieren), sodann im Frühjahr 1834 noch 1682 Mann.

Da kam ein Brief von Hannes, der in der Jachenau große Niedergeschlagenheit verursachte. Er enthielt die Nachricht von Pfarrer Erhards schwerer Erkrankung und sagte weiter, daß Hannes, selbst erst von einem heftigen Fieberanfall genesen, ihn Tag und Nacht pflege, daß er aber befürchte, der Herr würde sich nicht mehr erholen. Der Priester ließ alle seine Landsleute herzlich grüßen und schickte ihnen vom Sterbebette aus seinen Segen. Hannes erzählte weiter in seinem Briefe, daß die Bayern das Klima schwer vertrügen, daß Fieber und Epidemieen unter ihnen herrschten und von den 3500 Mann, welche ausmarschiert, 166 schon über 500 gestorben seien. Er teilte seiner Mirdei auch mit, daß er den Plan, sich in Hellas anzusiedeln, gänzlich aufgegeben habe und keinen höhern Wunsch kenne, als wieder gesund in die Heimat zurückzukommen. Da könne man das wenige, was man besitze, sein eigen nennen, aber in Griechenland sei zur Zeit nichts sicher vor den Räubern, die haufenweise das Land durchzögen und mit welchen die Truppen sich stets herumschlagen müßten.

Von Wendel wußte er nur, daß er sich auf der Insel Negroponte befände, er habe ihn gesund und frisch verlassen, denn der habe eiserne Nerven und ihm scheine nichts anzukönnen, weder Krankheit noch die Waffen der Rebellen.

»I woaß, warum!« rief Friedl mit tiefer Befriedigung, als er von diesem Briefe Kenntnis erhielt, »i hon dafür gsorgt! Sag mir no'mal einer, es giebt kei' Kräutl für 'n Tod!«

Aber der Singerbauer und alle andern, die schon in Gedanken der Heimat den Rücken gekehrt, waren mit einem Schlage wie umgewandelt.

»Es geht halt nix über unser Hoamet!« hieß es jetzt. »Vivat, die Jachenau soll leben!«

In der Dorfkirche ward aber von nun an täglich für den fernen kranken Pfarrer gebetet sowie für die Wohlfahrt aller Bayern.

Mit banger Sorge sahen nun die Jachenauer und mit ihnen ganz Bayern weitern Nachrichten entgegen.

Der »Landbötin« mit ihren überschwenglichen Berichten und Gedichten glaubte man nicht mehr. Wahrheit enthielten nur die Briefe, und diese waren meist die letzten, herzlichen Zeilen an die Teuren in der Heimat, die letzten Grüße auf dieser Welt. 167

 


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