Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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VIII.

In München herrschte im Novembermonat des Jahres 1832 ein äußerst reges militärisches Treiben. In der sogenannten griechischen Kaserne (Eckhaus der Brienner und Ottostraße) wurden die Freiwilligen der Infanterie, in der Isar-Kaserne die für Griechenland bestimmten Ulanen und Artilleristen abexerziert. Von Tag zu Tag vermehrten sich die Anmeldungen, nicht nur aus Bayern, sondern vom ganzen übrigen Deutschland. Mancher brave junge Mann riß sich mit hochklopfendem Herzen aus den Armen seiner Lieben, um Ottos vertrauendem Rufe zu folgen; mancher, der Trost und Hoffnung seiner alten Eltern gewesen, änderte plötzlich seine Lebensrichtung und trat unter die griechischen Fahnen, um da ein neues Leben zu beginnen; mancher, der früher nur gewohnt war, zu befehlen, wollte unter diesen Zeichen gehorchen lernen, und mancher brave Offizier, der in Kampf und Schlacht seinen Soldaten als treuer Führer vorangegangen war, legte nun den Degen ab, um die Muskete zu ergreifen und in Zukunft selbst geführt und befehligt zu werden.

Mit Freuden verließ man sein Vaterland, um nur auf dem Boden wandeln zu können, der durch so manche erhabene Erinnerung geheiligt ist; mit Freuden verließ man den heimatlichen Herd, um sich im fremden Lande einen neuen zu gründen.

87 Da jedoch die Organisation dieses Freiwilligenkorps nicht so rasch vollzogen werden konnte und die Abreise des jungen Königs nach seinem Lande, woselbst bereits wieder Unruhen ausgebrochen, höchst dringlich war, so beschloß Bayerns König, seinem Sohne ein Begleitungs- oder Hilfskorps in der Stärke von 3500 Mann, bestehend aus vier Bataillonen Infanterie, zwei Schwadronen unberittener Reiter und einer Kompagnie Artillerie mit acht bespannten Geschützen unter Kommando des Brigadegenerals Freiherrn v. Hertling mitzugeben.Das Truppencorps war gebildet aus den ersten Bataillonen des 6. und 10., aus den zweiten Bataillonen des 11. und 12. Infanterie-Regiments, aus je einer Schwadron Chevaulegers des 3. und 4. Regiments und der 9. Compagnie des 1. Artillerie-Regiments.

Die Infanterie hatte sich aus ihren Garnisonen bereits nach München und Mittenwald, wo der Sammelplatz der Brigade war, in Bewegung gesetzt, um von hier aus nach bestimmter Marschordnung über Innsbruck nach Triest, wo die Einschiffung erfolgen sollte, zu gelangen.

Die Ankunft eines jeden solchen Bataillons brachte ganz München auf die Beine; man eilte ihm jedesmal weit über den Burgfrieden hinaus entgegen und bewillkommte die Ankommenden aufs herzlichste. Hiebei scheute man keine Unbill der Witterung. So wechselten z. B. Regengüsse mit Schneegestöber, als König Otto, von einem glänzenden Stabe umgeben, das soeben anmarschierte und auf der Schwabinger Wiese in Parade aufgestellte zweite Bataillon des 12. Infanterie-Regiments, dessen Oberstinhaber er war, besichtigte, und dann unter den Klängen der Musikkorps aller in München garnisonierenden Regimenter durch die mit Menschen angefüllten Straßen auf den 88 Residenzplatz führte. Da öffneten die dichten Wolkenmassen ganz plötzlich die tiefen Falten ihrer Trauerschleier und herrlich erglänzte am Himmelsgewölbe die Spenderin des Lichts und der Freude, als der 17jährige König dem königlichen Vater das Bataillon vorstellte.

Es war dies eine Szene, welche die Volksmenge mit Jubel und zugleich mit Schmerz erfüllte, denn immer näher rückte die Stunde des Scheidens für den jungen Fürstensohn, der auf immer die Heimat, auf immer alles, was ihm teuer war, verlassen, der von einer heißgeliebten Mutter scheiden, auf den Grabhügeln des alten Hellas einen neuen Thron errichten, ein neues Geschlecht zu der Größe seiner Voreltern wieder erheben sollte.

In der Artilleriekaserne war man lebhaft bemüht, die zum Abmarsch bestimmte neunte Kompagnie aufs beste zu einer in Bayerns Kriegsgeschichte so merkwürdigen Episode einer überseeischen Truppensendung auszurüsten.

Die Batterie unter Kommando des Hauptmanns Friedrich SchnitzleinDie übrigen Offiziere und Beamten u. s. w. bei der Batterie waren: Oberleutnant Karl Kriebel, die Unterleutnants Nep. Hiemer und Max Abele, Unterarzt Dr. Jos. Waltenberg, Dr. Bauriedel und Veterinärarzt Leonh. Bauer, die Junker Heinrich Lutz und Max Graf von Tattenbach und die Regimentskadetten Clemens von Wallmenich und Rudolf Freiherr von Gumppenberg. Letzterer war nachmals Oberst des Infanterie-Leib-Regiments und starb 1875. hatte eine Gesamtstärke von 202 Mann, 33 Fahrzeugen, 8 Geschützen (Haubitzen und Kanonen) und 34 Pferden.

Wendel Waller war in der That als erster Feuerwerker eingereiht worden. Er hatte so viel zu thun, daß er den ganzen Tag über nicht eine Minute Zeit fand, in der er an die Jachenau hätte denken können. Dazu, tröstete er sich, hätte es Zeit, wenn er mit seiner Batterie nach 89 Walchensee käme, woselbst in der Marschordre ein Rasttag angesetzt war. Dann wollte er sich seinem Bräutchen noch einige Stunden ganz allein widmen. Wiederholt aber versicherte er seinem Freunde, er wäre ein Narr geworden vor Aufregung, wenn er die schöne Expedition nur »in der Landbötin« hätte mitmachen können.

Amreis Brief hatte er richtig empfangen und auch sofort beantwortet. Er versprach ihr in launiger Weise, alles zu thun, daß das Hilfskorps so bald als möglich wieder aus Griechenland heimkomme und daß dann die beiden Hochzeiten, nämlich diejenige Amreis und die seinige, gleich miteinander gefeiert werden könnten. Auch an Resei legte er einige Zeilen bei, in welchen er ihr Mut zusprach und sie ersuchte, sie möchte sich doch auch für die große Sache begeistern, damit zeige sie sich seiner würdig. Einen Bauernbuben, der sein Lebtag nicht aus der Jachenau hinausgekommen, bemerkte er, einen solchen »Lattidl« könne sie alle Tage zum Mann bekommen, aber nicht einen königlich bayrischen Feuerwerker, der mit seiner Batterie die Welt umsegeln und die Osmanen zu Paren treiben werde, wenn es notthue. Alles übrige wolle er sich auf den Rasttag in Walchensee versparen, wo er noch einen recht »vergnüglichen« Abschied von ihr und all seinen Landsleuten nehmen wolle.

Dieser Brief schien die Jachenauer befriedigt zu haben, es erfolgte wenigstens kein weiteres Schreiben, was Wendel um so lieber war, da er dann auch nicht mehr zu antworten brauchte.

Wenige Tage vor dem Ausmarsche, er war gerade über Hals und Kopf mit dem Einpacken der nötigsten Requisiten zum Laborieren der Feldmunition beschäftigt, kam 90 der Pfarrer von der Jachenau zu ihm auf Besuch und machte ihm erfreut die Mitteilung, daß er bei dem griechischen Expeditionskorps als Feldkaplan angestellt worden sei und während seiner Abwesenheit ein Franziskaner von Tölz seine Pfarrei versorge.

Der Hüterhannes war gleichfalls angenommen und ihm als Meßner und Diener zugeteilt worden. Auch Herrn von Fels ward sein höchster Wunsch erfüllt, er wurde zum Leutnant in der später nachrückenden Freiwilligen-Abteilung ernannt und somit waren die Wünsche aller Jachenauer vorerst befriedigt, sogar derjenige des Schullehrers, welcher infolge seiner patriotisch-poetischen Ergüsse die Aufmerksamkeit König Ludwigs erregt und auf sein Gesuch hin gern der Regentschafts-Kanzlei, wenn auch vorerst nur als Schreiber, zugeteilt wurde.

Am 20. November früh 8 Uhr erfolgte der Abmarsch der Batterie vom Kugelfang aus, nachdem die Mannschaft vom Magistrat mit einem Frühstück bewirtet und mit Geld beschenkt worden war. Mehrere Musikkorps, die gesamte Generalität, viele Offiziere und Tausende von Menschen gaben der wackeren Batterie das Geleit bis über Sendling hinaus.

Es war hier wie bei allen übrigen Abteilungen ein schmerzliches, banges Abschiednehmen der Zurückbleibenden, wie viele ahnten, auf Nimmerwiedersehen. Aber die Fortziehenden waren von bestem Geiste beseelt und von den schönsten Hoffnungen erfüllt.

Wolfratshausen und Benediktbeuern bemühten sich, den tapferen Söhnen des Vaterlandes auf ihrem Zuge nach Hellas alle nur erdenklichen Ehren angedeihen zu lassen.

Der Winter hatte bereits seine Herrschaft angetreten. 91 Es hatte zwei Tage ohne Unterlaß geschneit, nun aber fing es plötzlich zu tauen an und nur mit vieler Mühe konnten sich die Fuhrwerke auf der Straße fortbewegen. Doch eilten von allen Seiten die Bauern mit Vorspannpferden heran, die sie unentgeltlich stellten, und so zog die Batterie um Mittag des dritten Tages glücklich den steilen Kesselberg hinan. Auf der Höhe desselben angelangt, war der Nebel plötzlich verschwunden, im tiefsten Blau spannte sich das Firmament über die Spiegelfläche des bald in Diamantfeuer, bald Rubinen gleich erglühenden Walchensees mit seinen malerischen Ufern, während im Hintergrunde die gewaltigen Tirolerberge mit ihren gen Himmel starrenden schneebedeckten, jetzt in majestätischem Schimmer erglänzenden Häuptern schweigend über die zu ihren Füßen gelagerte Landschaft hereinschauten.

Alles jubelte, entzückt von dem prachtvollen Anblick. Wendel aber gab seine Freude über diesen schönen Gruß seiner Heimat durch einen hellen, weithin schallenden Juchzer kund, der von seinen Landsleuten, die sich alle bei Urfeld, am Anfange des Sees, woselbst wegen der Ablösung der Vorspannpferde ein kleiner Aufenthalt war, versammelt hatten, hundertfach erwidert wurde.

Auch Wendels Vater und Bruder hatten sich eingefunden und drückten dem Feuerwerker die Hand, Resei aber fehlte. Sie wollte sich nicht dem allenfallsigen Gespött ihrer Landsleute aussetzen, und da der morgige Tag für die Batterie ja ein Rasttag in Walchensee war, so erwartete sie, daß ihr Bräutigam ihr in der Jachenau einen Besuch abstatten werde.

Wendel verrichtete heute den Dienst des 92 Oberfeuerwerkers, der infolge eines Pferdeschlages stark am Fuße verwundet war und in Kochel zurückgelassen werden mußte.

Die erste Halbbatterie hatte sich auf der den See entlang ziehenden Straße nach dem Dorfe Walchensee sofort wieder in Bewegung gesetzt und bereits einen sehr weiten Vorsprung gewonnen, bevor bei der zweiten Halbbatterie, bei welcher Wendel eingeteilt war, die Vorspannverhältnisse wieder in Ordnung waren.

Der See war sehr unruhig, ein auffallend warmer Wind strich über denselben; es war der Föhn, der schon den ganzen Tag darüber wehte. Der Förster von der Jachenau blickte nicht ohne Besorgnis zu dem die Straße beherrschenden Kirchelskopf auf, von welchem sich während des Föhns gern Schneelawinen ablösen und die Straße verschütten, und er mahnte den Offizier mit den Worten:

»Ich halt's für gut, daß's den Weg auf Walchensee rasch zurückleg'n, es gehn gern Lawinen nieder, wenn der Föhn weht.«

Der Kommandant der Halbbatterie hörte auf diesen Rat und gab den Befehl zum Weitermarsch, der unter wiederholtem Grüßen und Hochrufen der in Urfeld angesammelten Jachenauer begann.

Auch Friedl hatte sich den Marsch der Artillerie vom See aus mit angesehen. Er wollte seinen Landsleuten keine erneute Gelegenheit geben, Vergleiche zwischen ihm und Wendel anzustellen, auf welch letzteren heute ohnedies alle Jachenauer so stolz waren. Morgen aber, in Walchensee, wollte er den Nebenbuhler aufsuchen und ihm einen Talisman auf den Weg mitgeben, der ihn wohlbehalten wieder zurückbringen sollte.

So fuhr er in seinem Schiffchen, etwas entfernt vom 93 Ufer den See aufwärts, mit aufmerksamen Blicken die auf der Straße sich hinbewegenden Reiter, Kanonen und Fahrzeuge betrachtend. Da ward seine Aufmerksamkeit durch ein dumpfes, donnerartiges Getöse nach aufwärts zu dem hart an der Straße sich erhebenden Kirchelkopf gelenkt. Eine mächtige Schneemasse hatte sich von dort oben in Bewegung gesetzt, noch fand sie schwachen Widerstand an einigen mächtigen Tannen, aber dieser Widerstand war sichtlich so unbedeutend, daß sie nur durch eine Verzögerung von wenigen Minuten in ihrem Sturze aufgehalten werden konnte.

Die erste Hälfte der Batterie hatte die gefährliche Stelle bereits passiert, aber die zweite Abteilung näherte sich unbefangen derselben, da man von der Straße aus die drohende Gefahr nicht wahrnehmen konnte.

Friedl zog nun mit aller Kraft die Ruder an, um sich dem Ufer möglichst schnell zu nähern und rief ohne Unterlaß:

»Halts, halts! A Lahna, a Lahna!«

Aber man mißverstand ihn. Man glaubte, er rufe wie alle anderen Leute den Soldaten seine Grüße zu, und so erreichte er das Ufer dicht an der bedrohten Stelle. Ohne sich weiter um sein Schiff zu kümmern, sprang er aus demselben und lief, so schnell er konnte, den Soldaten entgegen, ihnen durch lebhafte Zeichen Stillstand gebietend.

»Halts, halts!« rief er aus Leibeskräften, »a Lahna is im Absturz! Alle werds verschütt, wenns nit halts!«

Der Offizier kommandierte Halt! und alles blickte nach der rechtsseitigen Höhe. Aber man sah nichts Verdächtiges, und selbst Wendel, der in der Nähe des Offiziers war, meinte:

94 »Ins Posthaus kommen wir schon noch, Herr Oberleutnant.«

»Das denke ich auch,« entgegnete der Offizier. »Wir können doch nicht umkehren und uns von der Kompagnie trennen. Also vorwärts marsch!«

Friedl aber fiel dem Pferde des Offiziers in den Zügel und rief:

»Kein' Schritt weiter! Alle seids verlor'n!«

»Siehst denn nit, Friedl, daß i dabei bin?« sagte Wendel. »D' Lahna könnt dir ja gar kein' größern Gfalln thun, als daß 's mi dadrucket!«

»Nit wahr is's!« rief Friedl; »grad dir därf kei' Unglück g'schehn, du mußt leben für's Resei!«

95 Wendel sah den Sprechenden mißtrauisch an, dann sagte er, sich zu seinem Offizier wendend:

»Därf i in See 'neinfahren und die Sach rekognoszieren, denn von der Straß aus is's nit möglich?«

Der Offizier war einverstanden.

Wendel stieg vom Pferde, dasselbe einem Kanonier übergebend. Aber er hatte erst wenige Schritte gegen den See gemacht, als er wie gebannt stehen blieb. Die Lawine hatte die sich ihr entgegenstemmenden Bäume abgedrückt und kam ins Rollen. Man vernahm ein Donnern, als ob die Erde bersten wollte, Schnee, Bäume, Felsstücke stürzten im wilden Durcheinander pfeilschnell herab. Es wurde dunkel in der Luft, hernieder sauste es auf die Straße und in den See hinein, daß der Gischt hoch aufspritzte und die Mannschaft von dem Luftdruck halb betäubt wurde. Die Pferde bäumten sich scheu auf, sodaß einige Wagen und Kanonen in den Straßengraben hinuntergedrückt wurden und auch hier ein wirres Durcheinander Platz griff.

Die Sonne schien sich verfinstert zu haben, es herrschte schwaches Dämmerlicht und ein undurchdringliches Schneegestöber hüllte den vorderen Teil der Kolonne ein.

Allmählich erst klärte es sich wieder auf. Die meisten Soldaten waren vor Schrecken kreidebleich, und nun erst ließen sich die Folgen dieser unerwarteten Katastrophe übersehen. Einige Kanoniere lagen verwundet unter den Lafetten; man holte sie rasch hervor, und nachdem erst die Pferde zur Ruhe gebracht, konnte man darangehen, die in dem Straßengraben liegenden Kanonen wieder heraufzuheben.

Die in Urfeld zurückgebliebenen Landleute kamen voll Angst und Schrecken nachgeeilt. Sie befürchteten, daß ein 96 großes Unglück geschehen, das sich aber glücklicherweise auf unbedeutende Verletzungen einiger Kanoniere und einige zerbrochene Deichseln beschränkte. Auch vom Dörfchen Walchensee, wo Sturm geläutet wurde, eilten sämtliche Einwohner mit Schaufeln und Pickeln sowie die Offiziere und Soldaten der ersten Kolonne heran. Diese glaubten nicht anders, als daß ein Teil ihrer Batterie von der Lawine verschüttet worden sei. Ein Ueberblick war ihnen nicht möglich, da ein gewaltiger Schneeberg die Straße versperrte. Der besorgte Hauptmann ließ durch den Trompeter ein Signal geben, das aber von jenseits in Mangel eines Trompeters nicht erwidert werden konnte, und ein Schiff war nicht vorhanden, um vom See aus die Folge dieses Lawinensturzes überschauen zu können. Es ward daher nach Walchensee um Schiffe geschickt, was aber bei der über 2 Kilometer weiten Entfernung einen für die peinliche Lage schrecklichen Zeitverlust verursachte.

Da ward ein Schiffchen sichtbar, das mit Vorsicht die herabgestürzte Lawine umsteuerte. Friedl war in demselben. Er hatte das Fahrzeug unversehrt am Ufer gefunden und beeilte sich nun, den Walchenseern Botschaft zu bringen. Der Hauptmann rief ihn heran und befragte ihn mit bebender Stimme über die Größe des Unglücks.

»Nix is passiert!« rief Friedl erfreut. »Nix als a paar umg'worfne Kanonen und a paar Löcher in Kopf hat's abg'setzt. Steigns ein, Herr Offizier, i fahr Ihna zu die andern.«

»Gott sei's gedankt!« entgegnete, leichter atmend der Hauptmann, indem er mit noch zwei Offizieren in das Schiffchen stieg und seinem Führer befahl, rasch die gefährliche Stelle zu umrudern.

97 »Das ist ja geradezu ein Wunder, daß nicht alle meine Leute verschüttet wurden,« staunte der Hauptmann. »Gewiß hat der Feuerwerker Waller als Ortskundiger die Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckt.«

»Ja, ja, dem Waller Wendel hams es zu verdanken, daß 's so gut abgangen is,« entgegnete Friedl. »Nur der is dran schuld! Ohne den marschierten die dort nimmer ins Griechenland weiter.«

Der Hauptmann hörte mit Befriedigung diese Worte.

»Er soll belohnt werden!« erwiderte er.

»Ja, ja,« bat Friedl, »sorgt's nur, daß er wieder g'sund hoam kimmt zu seiner Hochzeiterin, macht's, daß er in kei' Gfahrnis kimmt, denn er selm acht' sei' Lebn für nix, und davon hängt so viel ab.«

Der Offizier mußte über den harmlosen Burschen lächeln.

Bald landeten sie jenseits der Lawine, die in einer Länge von über zweihundert Fuß die Straße verschüttet, und der Hauptmann bedurfte nicht erst einer Meldung des Offiziers, um sofort die ganze Sachlage zu übersehen. Er ließ vorerst die glücklicherweise nur leicht Verwundeten in Friedls Schiffchen nach dem Posthause in Walchensee fahren, um sie sofort in ärztliche Pflege zu geben.

Friedl aber fuhr hierauf, da er am Platze nicht mehr nötig, über den Weitsee seiner Heimat zu, da er sich nicht in die Nacht begeben wollte, die um diese Jahreszeit schon nach 4 Uhr sich geltend macht.

Von Urfeld und der Jachenau, wo ebenfalls Sturm geläutet wurde, kamen Männer und Weiber scharenweise mit allen möglichen Werkzeugen herangeeilt. Auch Resei und Amrei kamen mit ihren Ehehalten herangefahren. Sie 98 wußten nicht anders, als daß die ganze Kompagnie mit Mann und Pferden verschüttet worden.

Es war für Resei eine fürchterliche Fahrt. Sie sah ihren Hochzeiter zerschmettert unter der Lawine liegen und machte sich jetzt heftige Vorwürfe, daß sie nicht gleich den andern ihn in Urfeld bewillkommt habe. Trostlos rang sie die Hände und jammerte laut. Erst in Urfeld empfing sie die beruhigende Nachricht, daß keiner der Soldaten verunglückt und Wendel ganz wohlbehalten sei.

Von hier eilte sie mit Amrei zu Fuß nach der Unglücksstätte und bald hatte sie auch ihren Bräutigam entdeckt, der da herumkommandierte, wie noch einmal ein General, dann aber wieder selbst Hand anlegte und arbeitete wie ein echter Bauernbursche.

Nur flüchtig konnte er Resei begrüßen, die ihm weinend die Hand reichte.

»O mei' Wendel,« sagte sie, »dös war schon die erst' Gfahrnis – wie viel wirst noch ausz'halten hab'n? Möcht dir unser Herrgott an' Schutzengel an d' Seiten geben, daß d' wieder glückli hoamkimmst.«

»Gieb di, Dirndl,« antwortete Wendel, »es wird mi aa künftig 's Glück nit verlassen. Aber heut hat mei' Schutzengel Friedl ghoaßen. Ohne 'n Fischer-Friedl liegeten i und mei' Oberleutnant und gar viele dazu unter dem weißen Hügel da.«

»Der Friedl?« tönte es aus Reseis und Amreis Mund zugleich.

»Ja, es is schon so; der hat uns g'warnt und uns zum Halten veranlaßt.«

»Unser Herrgott lohn' eams!« rief Resei.

99 Amrei aber meinte: »Dös wird wohl a braver Bua sein!«

»Der Friedl?« fragte dann Resei sinnend. »Hab i gmeint, der is unser Feind?«

»Der Friedl is neamd Feind,« fiel Amrei warm ein.

»Mir is's völlig a Rätsel,« meinte der Feuerwerker. »Grad mir soll kei' Unglück begegnen, hat er gsagt, weil i lebn muß für di, Resei. Aber Hellseiten no'mal! i verplauder da mit Enk d' Zeit und mei' Hauptmann braucht mi. B'hüt Gott, Dirndln; morgn nachmittag komm i auf an' Sprung in d' Jachenau, wenn's mei' Hauptmann erlaubt, dann reden wir weiter; jetzt is kei' Zeit dazu. Grüßts 'n Vatern und meine Leut – morgen auf mehrers!«

Damit eilte er von den Landsleuten weg und gleich darauf hörte man ihn wieder die geeigneten Befehle erteilen.Unfern dieser Stelle traf Goethe auf seiner italienischen Reise den Harfner mit Mignon, welche er in seinem »Wilhelm Meister« verwertete.

Durch die ergiebige Hilfe der Bauern waren Schnee, Felstrümmer und Bäume so weit von der Straße weggeräumt, daß die Kanonen und Fuhrwerke wieder vorwärts gebracht werden konnten. Es dämmerte bereits, als der Trompeter das Zeichen zum Weitermarsch gab, und es ward völlig Nacht, als die so lange aufgehaltene Truppe im Dörfchen Walchensee einzog.

Bevor die Leute in ihre Quartiere entlassen wurden, rief sie der Hauptmann zusammen und hielt eine feierliche Ansprache an dieselben, zum Schlusse aber belobte er mit warmen Worten die großen Verdienste, welche sich Wendel um die Batterie und um das Vaterland erworben, da nur durch seine wohlweise Warnung ein unabsehbares Unglück 100 abgewendet wurde. Zur Belohnung dafür ernannte er ihn zum Oberfeuerwerker der Batterie.

Wendel wollte Einwendungen machen, er kam aber stets nur zu dem Anfang: »Herr Hauptmann, – bitt gehorsamst –«

Weiter ließ ihn der Hauptmann, der darin eine Bescheidenheit des Unteroffiziers erblickte, nicht kommen.

Nun ward zum Gebet kommandiert. Tiefste Stille herrschte. Die zwei Trompeter bliesen die vorgeschriebenen Posten; – feierlich tönte es hinaus in die Winternacht. Am Himmel leuchteten Milliarden hellglänzender Sterne. Kein Auge blieb trocken; die Mannschaft und die umstehenden Landleute waren tief ergriffen. Ganz besonders war dies der Fall bei dem Schiffer-Friedl, welcher in seinem Kahn Niedernach zusteuerte.

Er konnte sich sagen, daß er sein vermeintliches Verbrechen nun wenigstens durch eine gute That gesühnt. Es war ihm, als verkündeten die feierlichen Trompetenklänge Verzeihung an für sein Fehl, und seinen Hut abnehmend, blickte er auf zu den leuchtenden Sternen und schloß sein Gebet mit den Worten: 's Amrei möcht i halt! 101


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