Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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II.

Der Fischer-Friedl hatte aus der Ferne den Willkomm seines glücklichen Nebenbuhlers mit angesehen. Wie an die Stelle gebannt, blickte er noch lange nach jener Richtung, als Kuchelwagen und Braut längst seinen Augen entschwunden waren. Er hatte sie so geliebt seit vielen, vielen Jahren, und auch sie war ihm gut gewesen, und jetzt war es richtig mit dem Wendel, der nur zu kommen brauchte, um einmal mit ihr zu tanzen, und sie war sein!

Wendel war eben ein schöner Mann, was man von Friedl nicht sagen konnte, dessen Gesicht zwar nicht unschön, der aber trotz seiner 26 Jahre sehr unmännlich und milchbärtig aussah. Auch Friedls Gestalt war unansehnlich und paßte nicht gut zu dem hochgewachsenen Resei. Aber er war brav, arbeitsam und friedfertig, er war beliebt in der ganzen Jachenau, nur die eine liebte ihn nicht, an deren Liebe ihm alles gelegen war – Resei.

Das nagte Tag und Nacht an seinem Herzen. Er floh die Kameraden, mit denen er sonst so gern alle Lustbarkeiten, Gesang und Zitherspiel geteilt, und die ihn jetzt meistens nur hänselten und verhöhnten; er fühlte sich am wohlsten, wenn er allein war.

Oft ließ er sich stundenlang von den Fluten des Walchensees hin- und hertreiben, selbst wenn der See unruhig war, er sehnte sich danach und wünschte, eine Woge 20 möchte so mitleidig sein, ihn samt seinem Schiffchen in dem tiefen Gewässer zu begraben; aber die springenden Fluten thaten ihm nichts zuleide, sie schonten den alten, treuen Bekannten.

So betrieb er traurigen Mutes sein Handwerk, die Fischerei, die auf seinem Hause ruhte, in welchem nur mehr seine alte Mutter lebte. Auch das Fischwasser der Jachna war Eigentum seines Hauses und nicht ohne Absicht machte er sich heute da zu schaffen. So traf er Resei auf der Fahrt nach dem Wallerhofe. – Nun war sie ihm entschwunden, sie war für ihn verloren. –

Aus seinen Gedanken störte ihn der Gruß eines im Jachenauer und Isarthale wohlbekannten Pfannenflickers, des Zigeuners Duli. Er war ein schon ältlicher Mann mit langem, schwarzgrauem Haar, das gelbbraune Gesicht um Kinn und Mund voll grauer Stacheln. In der schmutzigen Tracht eines Slovaken, einen Stock in der Hand und einen grobleinenen Brotsack, in welchem er auch sein Handwerksmaterial verwahrte, um die Schulter, so stand er vor dem jungen Fischer. Der Zigeuner Duli war gleich dem ewigen Juden fortwährend auf der Wanderung und kam alle Jahre ein- oder zweimal in die Jachenau, wobei er in allen Bauernhöfen nachfragte, ob die Pfannen und Kessel keiner Reparatur bedürftig; außerdem hatte er allerlei Hokuspokus für Menschen- und Viehkrankheiten und suchte sich durch die verschiedensten Sympathiemittel für Zahnweh, Warzen, Gewächse u. a. nützlich zu machen. Wohin er ging, woher er kam, wußte man nicht. Man sagte, er hätte von einem Zigeunerstamme in Siebenbürgen, dem er angehörte, die Verpflichtung erhalten, über das Grab der Zigeunerkönigin zu wachen, welches sich am 21 Ausgange der Jachenau in das Isarthal, beim sogenannten Zigeunerbrunnen, befindet und woselbst alle siebenzehn Jahre seit undenklichen Zeiten die Zigeuner auf einige Tage ihr Lager aufschlagen, um mit Tanz und Gesang die Erinnerung an ihre einstige Königin zu feiern.

Nach landesüblicher Sage sollen vor unbekannten Zeiten die Zigeuner hier ihre gebrechliche Urelternmutter, die lebenssatt geworden, nachdem sie dieselbe mit ihrem reichsten Gewande bekleidet, lebendig begraben haben, wobei sie gerufen:

»Gieb dich zur Ruhe, Alte, hast lang' genug die Welt angeguckt!« oder in ihrer Sprache:

»Dscha dele! Dscha dele! O polopen baro mele!«(Kriech' unter! Kriech' unter! Die Welt vermehrt sich!)

Wie dem auch sei, der Zigeuner Duli besuchte in der That jährlich das erwähnte Grab, warf, wie alle hier vorüberwandernden Zigeuner, einen Stein darauf, damit sich der Grabeshügel erhöhe, und hielt es gleichsam in gutem Stand, indem er sorgsam die dort wuchernde Waldrebe, den sogenannten Hexendraht, um dasselbe zog, um zu verhindern, daß eines Menschen Tritt es entweihen könne.

Dieser Mann war, von Friedl unbemerkt, das Sträßchen heraufgekommen und hatte die Szene mit den Fischen mit angesehen. Er schien genau von der Sachlage unterrichtet zu sein.

»Gott grüaß di, Fischer-Friedl!« rief er jetzt dem Burschen zu. »Was schaugst ihr denn nach so lang? Wenn das Pferd hin ist, den Sattel und den Zaum wegwerfen! Bist ja ein junges Blut. Holet ich mir halt eine andere.« Und er sang: 22

Weg'n ein Dirndl trauern,
Dös könnt i nit thoa',
I versüßet mir's Leb'n
Und versündet mi kloa'.

Friedl sah mit Widerwillen nach dem Zigeuner.

»Was woaßt denn du?« gab er verächtlich zur Antwort.

»Gar viel – alles weiß i,« entgegnete der Zigeuner Duli. »Dir is 's Resei b'stimmt g'wesen, darauf ist der Artillerist kommen und aus is's g'wesen. Heut' hast 's Nachschau'n. Vergönnst nachher dem Wendel sei' Glück?«

»'n Wendel? Ob eam's vogunn? Warum fragst mi a so?«

»I mein grad,« entgegnete der andere, »der lacht über dich, darfst mir's glauben! Ich hab's ja g'hört auf die Bauernhöf, wo ich mich seit etlichen Tagen 'rumtrieben hab. Er lacht über dich, i sag dir's, und 's Resei, no' – warum sollt die nit lachen?«

»Höll' und Teufel!« rief Friedl erregt.

Die Gefühle in ihm hatten sich plötzlich verändert. Neid, Haß zogen ein, sie wühlten in seinem Herzen und die Eifersucht war das orkanartige Element, das jene Leidenschaften in so heftige Bewegung brachte.

»Glaub's gern, daß d' heiß wirst,« sagte der Zigeuner Duli, »wennst zuschau'n mußt, wie der andere die Braut heimführt.«

»Wollt i doch glei, i könnt ihna ebbas anwünschen!« platzte Friedl heraus.

»Das kannst!« fiel der Zigeuner rasch ein. »Ich weiß was, daß das Glück nit lang dauert.«

23 »Geh' zua, führ mi nit in Versuchung!« entgegnete Friedl. »I will so a Sünd nit auf mi laden.«

»Hast ja grad g'sagt, du möchst ihna was anwünschen! 's wünschen ist ja kei' Sünd. Ich wünsch mir alle Tag an' Sack voll Geld und an' guten Schnaps, und meinen Feind, denen wünsch i kein Geld und kein Schnaps. Wenn mir einer mei' Dirndl genommen hat, so verlangt doch kein Mensch, daß ich wünsch: seids glücklich miteinander in alle Ewigkeit! Oder wünschst dir du das in dem Augenblick für 'n Wendel und 's Resei?«

»Na', wahrhafti nit!« rief Friedl.

»No' siehst, du wünscht, daß 's g'straft werden alle zwei. Ich weiß, wie ihnen 's Glück kann abbet't oder abgwünscht werden. Grad jetzt, wo 's Resei 's erste Mal 'n Fuß ins Haus vom Hochzeiter setzt, ist die beste G'legenheit.«

»Sag, was dös is!« rief Friedl, der in Gedanken den Eintritt Reseis in den Wallerhof verfolgte.

»Es kost dir aber was,« meinte der Zigeuner. »Drei Zwanziger mußt spendieren. Ich brauch grad Kleingeld.«

»Da – da hast es!« sagte Friedl hastig, indem er das Verlangte aus seinem ledernen Geldbeutel nahm und dem Zigeuner Duli in die Hand drückte.

»Und noch was!« sagte Duli. »Du allein bist nit imstand, den Zauber wieder z' lösen. Dazu mußt mich wieder haben, verstanden: mich, und das kann nur unten am Zigeunerbrunnen geschehen; das kost dir aber wieder was. Verstehst?«

»Mir is's recht!«

»War mir's doch, als hätt's mir der Geist von unserer Königin unten am Zigeunerbrunnen ahnen lassen,« fuhr 24 Duli fort, »daß ich an ihrem Handäko (Grube) ein Stück von dem Hexendraht abgeschnitten, der ringsum wuchert.« Und ein Stück Waldrebe aus seinem Brotsack hervorziehend, sprach er weiter: »Siehst, das paßt zu unserm Vorhaben. Mit dem drehn wir 's Glück von dem neuen Brautpaar ab.«

»Wie so dös?«

»Das sollst gleich sehn!« sagte der Zigeuner. »Siehst, an dem ein' End mach ich einen Knopf – der bedeut't 'n Wendel, und am andern End mach ich wieder einen, der bedeut't 's Resei. Und also, die zwei sind glücklich verbunden – so lang der Strang nit reißt.«

»Wie sollt der reißen?« meinte Friedl; »der is zaach« (zähe).

»Drum drehn wir 'n ab. Wie man 'n Gockl 'n Kopf abdreht und sein' Leben 'n Garaus macht, grad so drehn wir dem Brautpaar sein Glück ab. Z'erst aber muß ich a Paar Grives Graves machen; das ist mein G'heimnis.«

Er machte in die Mitte des Stranges einige drudenfußähnliche Zeichen, murmelte einen zigeunerischen Zauberspruch, wobei er die Gerte mit ausgestrecktem Arm nach allen Himmelsrichtungen wandte und sein Gesicht einen so scheinheilig ernsten Ausdruck annahm, als ob er in der That eine heilige Ceremonie verrichtete. Nachdem dieses geschehen, sagte er zu Friedl:

»So, jetzt nimm du das eine Trumm in die Hand, und ich 's andere, und jetzt drehn wir, du nach links, ich nach rechts.«

Dem Friedl ward es ganz sonderbar zu Mute. Sollte er wirklich die Hand zu einem so bösen Spiele bieten? Wohl stieg in ihm die Vermutung auf, daß des Zigeuners That doch nichts anderes als ein gewöhnlicher Hokuspokus 25 sei, daß es demselben nur um die drei Zwanziger zu thun gewesen und am Ende nichts Verfängliches dabei wäre, wenn er die Dummheit zu Ende führte, anderseits aber war er wie alle seine Landsleute wohl geneigt, an die schwarze und weiße Kunst zu glauben, und daß der Zigeuner Duli etwas los hatte, das war eine ausgemachte Sache.

Es überfiel ihn jetzt ein gewisses Gruseln bei dem Gedanken, daß er das Glück des von ihm so heiß geliebten Mädchens vernichten sollte. Das wäre doch gar zu unchristlich. Schon war er im Begriffe, sich von dem unheimlichen Gefährten zu entfernen, da ertönten ein paar Böllerschüsse zum Zeichen, daß Resei die Schwelle der neuen Heimat überschreite.

»Jetzt lacht der Wendel über dich!« schürte Duli, der Friedls Zögern wohl bemerkte; »jetzt g'hörts sein – wegg'schnappt hat er dir's. Dreh, daß er nicht z' übermütig wird, der stolze Bua. Dreh zu! In dem Augenblick – ich mein, ich hör 's Bussel schnalzen, das er ihr giebt. Dreh, sag' ich, daß bald ausg'schmatzt ist; dreh zu!«

Und Friedl, dem bei diesen Worten das Blut in den Kopf geschossen, fing zu drehen an und drehte hastig weiter. In wenig Augenblicken war der Hexenstrang bis auf eine dünne Faser abgedreht.

»Gut ist's!« rief der Zigeuner Duli. »Nur an einer Faser darf's Glück von die zwei noch hängen, weißt, das ist d' Hoffnung, die kann kein Zauber ganz vernichten. Und jetzt werf ich den Hexenstrang in d' Jachen.«

Er begab sich zum nahen Ufer, warf den Strang in das rasch fließende Wasser und rief:

»Schwimm weiter und weiter, schwimm bis ins Meer, 26 nimm's Glück mit vom Wallerhof und bring's nimmer her!«

Friedl sah, einem Missethäter gleich, dem Zigeuner zu. Es reute ihn schon jetzt, die Hand zu einem bösen Werke geboten zu haben. Was er in einer plötzlichen Aufwallung seiner Leidenschaften empfunden, es war wie mit einem Schlage entflohen. Deshalb sagte er:

»Hör, Duli, i will dös G'schäft wieder rückgängig machen.«

»Ich glaub, du bist ein Narr!« rief der Zigeuner Duli lachend.

»I bin kei' Narr. Mach die Sach wieder rückgängig; es reut mi.«

»Das ist nicht rückgängig z'machen bis in zwei Jahren. Dann komm hinunter zum Grab unserer Königin, denn unser Stamm Aschani wird dort sein, weil wieder siebzehn Jahr hinüber. Dort erst wirst du mich wieder sehen, denn ich ziehe mit unserm Stamme jetzt nach Asien, in die Heimat der Zigeuner. Im Posthaus zu Walchensee halt ich Rasttag, morgen geht's dann weiter ins Bayerland, der Donau zu und hinunter nach Siebenbürgen. Hörst schießen? Der Wendel kann lachen, aber er hat bald ausg'lacht! Adis!«

Er schritt mit langen, wenn auch etwas unsicheren Schritten von dannen.

Friedl blickte ihm lange sinnend nach; endlich aber kam er zu dem Schlusse, daß sich der Vagabund einen Spaß mit ihm erlaubt. Er warf sich zu Boden und sah dem rasch dahin flutenden Wasser der Jachen zu. Lustig plaudernd zog es fort aus der Heimat in weite, weite Ferne. Wenn auch er so forteilen könnte in die Fremde, noch weiter – bis in die Ewigkeit! 27 Wie sollte er Wendels und Reseis Glück mit ansehen können? Was er vorhin mit dem Zigeuner gegen dieses Glück unternommen, war ganz gewiß nur ein schlechter Spaß gewesen, den sich derselbe mit ihm erlaubt. Er schämte sich jetzt, daß er denselben nicht sofort von sich gewiesen.

Endlich machte er sich auf den Weg gegen Oberjachenau zu. Im dortigen Gasthause beim Jochwirt wollte er die Rückkehr Reseis vom Wallerhofe abwarten. Er wollte sie im Vorbeifahren noch einmal sehen, – sehen, wie das Glück auf ihrem Antlitz strahlte, dann wollte er die Jachenau verlassen – in die Fremde ziehen. Wohin, das wußte er noch nicht, das war ihm auch ganz gleich. 28


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