Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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XV.

Nach Liesls Abfahrt von der Leutaschmühle drang Marietta in ihren Mann, ihr alles zu enthüllen. Dieser that es auch. Nichts verhehlte er ihr, er klagte sich selbst an, daß er Liesl nicht schon aus der Fremde Mitteilung von seiner Verheiratung gemacht oder nicht wenigstens dies seit seinem Hiersein gethan habe. Er sah ein, wie verfehlt es von ihm war, sich wegen der Schuld an Schändl, die von seiner Mutter ja ohne sein Wissen gemacht wurde, abhalten zu lassen, die Wahrheit an den Tag zu bringen. Aber was nützte ihm jetzt die Reue! Nichts war mehr ungeschehen zu machen.

Marietta war aufs tiefste erregt. Sie fühlte es wohl, daß Jakls Herz noch im Banne der schwarzen Liesl festgehalten war, so viel er sich auch Mühe gab, ihr dies zu verbergen. So sehr sie auch Liesl liebte, konnte sie sich doch einer quälenden Eifersucht nicht erwehren, das Glück ihrer Liebe, das sie in Not und Elend aufrecht erhalten, sie fühlte es schwinden. Erst jetzt wußte sie, wie elend sie war, da sie das Herz des geliebten Mannes für sich verloren und sich verlassen wähnte, alleinstehend in der Fremde. Und es waren bittere Thränen, die ihren schönen Augen entquollen.

Jakl gab sich Mühe, sie zu trösten, ihre Zweifel zu verscheuchen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Er versprach ihr, schon morgen mit ihr nach Innsbruck zu reisen 187 und auf Jahre hinaus nicht mehr nach Mittenwald zurückzukehren. Noch heute wollte er seine Mutter von allem in Kenntnis setzen, und sich mit den nötigen Mitteln versehen. Er beschwor sie, ihm zu vertrauen wie bisher und heiter in die Zukunft zu blicken, die ihr nun Glück und Freude bringen würde. Aber es gelang ihm nur teilweise, Mariettas aufgeregtes Gemüt zu beruhigen. Kam es ihm doch selbst nicht von Herzen, da er von Glück und von der Freude der Zukunft sprach.

Der Leutaschmüller war mit dem Gefährt bereits zurückgekehrt, auf welchem die schwarze Liesl von dannen gefahren. Die aus dem Thal aufsteigenden Nebel waren Ursache, daß die Dämmerung rascher hereinbrach, als es bei hellem Wetter der Fall gewesen wäre, und es war Zeit, daß der Lautenmacher sich an seine Heimkehr machte, wenn er schon morgen in aller Frühe wieder, wie er versprach, zur Reise nach Innsbruck gerüstet, am Platze sein wollte. Marietta gab ihm noch eine kleine Strecke das Geleite. Immer und immer wieder mußte ihr Jakl versichern, daß es ihn nicht gereue, sich mit ihr verbunden zu haben, und daß sie noch an seine Liebe glauben dürfe.

Doch als er sie zum Abschiede an sich zog, schauderte er vor sich selbst. An diese Brust preßte er heute morgen auch Liesl voll überwältigender, seliger Gefühle. Jener Moment däuchte ihn der Höhepunkt seines irdischen Glückes gewesen zu sein, und dieses Momentes gedachte er jetzt, als er Marietta an sich preßte – dann ging er schnell von dannen.

Marietta grüßte ihm nach, so lange sie noch in der Dämmerung seine Gestalt erkennen konnte. Hierauf kehrte 188 sie langsam in die Mühle zurück, das Herz beschwert von düsteren, unheilvollen Ahnungen.

Jakl aber begab sich nicht sofort nach Mittenwald. In einiger Entfernung von der Mühle lenkte er vom Weg ab und schlug die Richtung nach einem einsamen Bauerngehöft ein. Dies war bald erreicht. Er ward dort von dem Eigentümer der Einschichte, dem sogenannten Springersepp, und von sechs handfesten Männern, die teilweise den Nachmittag beim Bruckenwirt zugebracht, in einer schmutzigen, dunklen Stube erwartet.

»Mit 'n Ummipaschen is 's heunt nix,« sagte Jakl. »Zum ersten is der Zundermichl krank worn und kann uns nit über die Steig führ'n, und zum zwoaten hab i Botschaft kriegt, daß 's verraten worn is und daß d' Aufseher am Franzosensteig aufpassen.«

»Dös wär sauber!« rief der Springersepp. »Z'weg'n 'n Zundermichl bin i nit verleg'n um an' sichern Steig, und wenn d' Aufseher am Franzosensteig auf uns passen, so san die andern Steig sicher. Alles is vorbereit't wie d' es b'stimmt hast, die Kraxen san alle vollpackt, 's Mondliacht verrat uns heunt nacht nit, und in etli Stund is 's Hexenwerk vorbei.«

»Aber i will nimmer paschen!« rief Jakl; »die War kimmt wieder z'ruck auf Innsbruck. I hon's verred't heunt, und kurzum, – in mein' Belieb'n is's, was i thuan will; die War hon i auf Rechnung.«

»Aber, Blasi, willst ebba gar dös schöne Geldei nit verdeana, nach dem's d' grad d' Hand hinhalten därfst?« antwortete der Springersepp. »Wir hab'n die War von Spruck (Innsbruck) bis in d' Leutasch bracht, ohne daß a Seel drum woaß, wir wern's aa ummibringa ins Boarische 189 und bis in dös bewußte Haus z' Mittenwald, wie's verakkordiert is.«

»Ja no',« sagte ein anderer, »ob iatz 's G'schäft g'macht wird oder nit, wir verlanga unsern ausg'machten Lohn fürs firtige G'schäft.«

»Ja, ja, dös verlanga ma'!« riefen alle.

Dieser Lohn war ein ziemlich bedeutender, und Jakl sollte ihn auszahlen, ohne daß er den gewissen Nutzen davon hatte? Auf der andern Seite lächelte ihm ein großartiger Gewinn. Der Zoll auf Seidenwaren war ein bedeutender, und er wußte in Bayern einen großen Mehrerlös für die Ware zu erzielen, auf welche bereits der Käufer wartete.

»A ganz's Heiratsguat is z' g'winna,« versetzte der Springersepp.. »I wollt, die War g'höret mir!«

»A Heiratsguat!« rief Jakl. »Ja, so oans möcht i verdeana – i brauchet oans! I muaß oans hab'n!« setzte er mit Entschiedenheit hinzu. »Also, wer woaß an' sichern Steig!«

»I woaß oan,« erwiderte rasch der Springersepp. »Außer der Schanzen schlag'n ma' uns über'n Burgberg und dann ins Lainthal zua oder gen Kalvariberg. I find die Weg mit zuag'machte Augen, also feit si nix. Und morg'n soll ja 's Militari d' Grenz sperr'n z'weg'n der Ruhr, dann is 's tralarum mit der ganzen Schwärzerei. Die heuti Nacht g'hört no' uns; von morg'n ab is uns der Handl verdorb'n, der Teuxl woaß, auf wie lang.«

»No', in Gottsnam!« versetzte Jakl mit einem Seufzer. »Richt's enk zam! Wenn's Zeit is, so sagt's mir's. I leg mi dort auf d' Ofabank und rast aus – i bin müad. Macht's ja koa' Liacht, daß neamd ebbs spannt.«

190 »Wir rasten aa no' aus,« sagte der Springersepp. »I wer enk a Stroh einatrag'n, nach Mitternacht mach ma' uns nacha auf 'n Weg.«

Bald schnarchten die Pascher auf dem in der Stube ausgebreiteten Stroh.

Jakl hatte wohl auch die Augen geschlossen, aber er wachte. Die Begebenheiten des heutigen Tages standen vor seinem Geiste. Liesls letzte Worte: »Unser Verlobungstanz is heunt der Totentanz worn für mei' Liab. Pfüat di Gott!« wollten ihm nicht mehr aus dem Sinn. Aber wieder erinnerte er sich seiner Pflichten gegen Marietta und wie nötig es sei, seinen Wohnsitz anderswo aufzuschlagen als in Mittenwald, wo die Nachbarschaft der schwarzen Liesl stets sein Gewissen beschweren müßte. So machte er sich seine Pläne für die nächste Zukunft. Aber so sorgsam er dieselben auch überdachte, die Zukunft zeigte sich ihm umdüstert, gleichwie heute das mit dichten Wolken bedeckte Firmament; nicht ein freudiger Sonnenstrahl brach durch die dunkle Schichte. Und doch – ein Stern erschien ihm jetzt bei dem Gedanken an das, was ihm Marietta heute so selig vertraut. An diesen einzigen Stern klammerte er sich fest, es war, als beruhigte sich der tobende Wellenschlag in seiner Seele, neue Hoffnung griff darin Platz, und träumend ward er der qualvollen Wirklichkeit entrückt.

»Auf, Zeit is's!« rief jetzt der Springersepp.

Ein Buchenspan brannte im eisernen Leuchter und beleuchtete die schmutzige Stube und die düsteren Gesellen.

Jakl sprang erschreckt auf. Aus den schönsten Träumen sah er sich wieder in die erbärmliche Wirklichkeit versetzt. Nochmals nahm er sich einen Anlauf, von dem verpönten 191 Werk abzustehen, aber wieder war es die seine guten Vorsätze in die Flucht schlagende verlockende Aussicht auf Gewinn, die ihn bethörte, und mit der Selbstberuhigung, daß es seine letzte schlechte That in diesem Leben sei, begab er sich mit den anderen auf den Weg. Doch duldete er nicht, daß auch nur ein einziger eine Büchse mitnahm.

Sämtliche Männer, auch Jakl, trugen vollgepackte Kraxen, die ihnen über den Kopf hinausragten. In der Hand den Bergstock, dessen Eisenspitze mit Werg umwickelt war, um den Aufstoß nicht zu hören, schlugen sie sich alsbald dem Abhange des Grünkopfes zu, überschritten den Franzosensteig und suchten dann den Uebergang über den Burgberg. Es wurde kein Wort gesprochen. Einer ging hinter dem andern, sorgfältig auf jedes verdächtige Geräusch lauschend. Der Springersepp fand den Steig in der That trotz der dichten, besonders im Walde herrschenden Finsternis mit aller Sicherheit.

An zu beschwerlichen Stellen hielt er seinen Stock zurück, an welchem sich der nächste anhielt, und so die ganze Reihe, immer der Folgende am Bergstock des Vorangehenden. So gelangten sie durch die unwegsamsten Bergschluchten auf immer wechselnden, nur wenigen bekannten Paschersteigen über die Grenze am Burgberg. Da brach sich der Vollmond Bahn durch die Wolkenschichte und weniger beschwerlich wurde der Weitermarsch hinab gegen den Lautersee fortgesetzt. Schon hatten sie den Fahrweg, der von Mittenwald nach dem Ferchenthale führt, erreicht, als ihnen ein plötzliches »Halt!« zugerufen wurde.

Die beiden Aufseher, welche schon den heimkehrenden Geigenmacher gestellt hatten, patrouillierten auf diesem 192 Wege, während ein verstärkter Posten am Eingang des Franzosensteiges stand.

»Auseinander!« rief der Springersepp den Männern zu. »Jeder für sich!«

Die Pascher wußten wohl, was in diesem Falle zu thun; sie liefen in verschiedenen Richtungen in den Wald hinein und wieder aufwärts gegen den Burgberg.

»Halt!« riefen die Grenzwächter wieder, »halt oder Feuer!« und dieser Drohung folgte auch schon die That. Ein Schuß hallte durch die Nacht und dröhnte in vielfachem Echo wieder. Dabei verfolgten sie die Flüchtigen den Berg hinan, allerdings nur in kleinen Sätzen, da der Mond wieder hinter den Wolken verschwunden und die Verfolgung im Walde sehr gefährlich war.

Jakl eilte gleich den anderen, so gut er es vermochte, nach aufwärts. Indessen konnte er es mit der schweren Kraxe am Rücken nicht lange aushalten; auch glaubte er, einen der Verfolger nahe hinter sich zu hören. So hielt er es für das beste, die Kraxe von sich zu werfen, um leichter vorwärts zu kommen. Wieder dröhnte ein Schuß durch die Nacht, nahe am Kopfe Jakls pfiff die Kugel vorüber. Unwillkürlich warf er sich zu Boden.

Die Aufseher waren ganz in seiner Nähe. Sie waren über die Kraxe gestolpert und schienen vorerst mit dem Fange der Waren zufrieden zu sein.

Es waren qualvolle Momente für Jakl. Trat der Mond aus den Wolken hervor, mußte man ihn sehen, er ward arretiert und alle Pläne für die Zukunft waren zunichte. Und die Aufseher blieben immer auf derselben Stelle, keine hundert Schritte von ihm. Er getraute sich kaum zu atmen. Er hörte alles, was sie zu einander 193 sprachen, wie sie sich beratschlagten, was sie nun weiter thun sollten. Eine weitere Verfolgung, meinten sie, könnte von keinem Erfolg mehr sein, da ja die Pascher jedenfalls schon wieder über die Grenze geflüchtet waren. Sie konnten höchstens bei Tagesanbruch im Walde revieren, um zu sehen, ob nicht noch einer oder der andere seine Kraxe von sich geworfen. Jakl hörte, wie sie sich über den reichen Fang freuten, der auch ihnen einen großen Gewinn bringen würde.

Aber immer verhängnisvoller ward Jakls Lage, schon säumten sich wieder einige Wolken goldigrot, jeden Augenblick konnte der Mond hervorbrechen. Jakl suchte nun, auf Händen und Füßen kriechend, sich weiter von diesem gefährlichen Standpunkt zu entfernen. Es gelang ihm auch eine kleine Strecke, aber der verräterische Mond hatte die Wolken geteilt, in wunderbarer Schönheit, umsäumt von purpurgoldenen Wolken, erschien er am Firmament und sein silbernes Licht erhellte die Nacht..

»Dort, dort! Halt!« rief jetzt der Grenzwächter, der Jakl erblickt; »halt oder i schieß!«.

Aber der Flüchtling hatte schon ein Unterholz gewonnen und war den Augen der Wächter entrückt. Wieder verkroch er sich in einem Fichtengestrüppe, die beiden Grenzwächter eilten dicht an ihm vorüber den Berg hinauf, denn sie waren sicher der Meinung, der Flüchtige habe sich gegen die Grenze gewandt.

Dies benützte Jakl und suchte so vorsichtig als möglich gegen den Lautersee zu entkommen. Von hier aus konnte er ohne Beschwerde weiter gegen das Lainthal zu flüchten. Es war die höchste Zeit, denn die am Franzosensteig postierten Grenzwächter waren auf die Schüsse hin hieher geeilt, 194 und es handelte sich nur um wenige Minuten, so wäre er diesen in die Hände gefallen.

Gleichwohl eilte er wie ein gehetzter Hirsch dem Lainthal zu, um hier nach Mittenwald abzusteigen. Nun hatte sich hier infolge des abstürzenden Terrains die Wegrichtung seit einem Jahre geändert. Jakl betrat heute zum ersten Male wieder den Saum dieser romantischen Schlucht, in welche ein prächtiger Wasserfall hinabstürzt. Er sah in seiner Aufregung nicht, daß der Abstieg sich an einer andern Stelle wie früher befand. Als er sich dem vom heutigen Regenguß erweichten Rande näherte, gab das Erdreich plötzlich nach und unter einem Schreckensschrei stürzte er mit dem losgelösten Sandbrocken hinab in die Tiefe der Schlucht. Bewußtlos, aus vielen Wunden blutend, blieb er da liegen. –

Bald glühten die Spitzen des Karwendels, der ganze Himmel war goldigrot. Den regungslosen Körper Jakls umkreisten hungrige Raben, hoch in den Lüften aber jubilierte die Lerche, als wollte sie den Bewußtlosen ins Leben zurückrufen, damit er sich mit ihr des herrlichen Morgens erfreue, mit ihr den Schöpfer preise all dieser Herrlichkeit. 195


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