Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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VIII

Jakl stürmte wie außer sich die Treppe zu seiner Kammer hinan. Die Mutter war gerade vom Hause abwesend, die in der »Kuchel« beschäftigte alte Nandl aber folgte ihm, den Kochlöffel in der Hand, sofort nach.

»No', Büawal, wie weit san ma iatz?« fragte sie mit einer Art Galgenhumor den jungen Mann.

»So weit,« entgegnete Jakl, Hut und Joppe von sich werfend, »daß i willens bin, auf und davon z' gehn.« Und sich auf sein Bett setzend, fuhr er fort: »Fürs erst: Woher spannt der Krüner Ferdl, daß dös Geld a gliehas is, mit dem heunt d' Moasta san zahlt worn? Wer hat da plauscht?«

»Neamd hat plauscht,« versicherte die Alte; »aber dei' Muatta hat die Sach nit schlau gnua g'macht, sie hat die Papier, die ihr der Schändl geb'n hat, beim Krüner wechseln lassen. No' ja, der wird's halt wieder kennt hab'n; er is ja 'n Schändl sei' Geldwechsler. Aber was is da dran? G'stohl'n hab'n ma dös Geld nit und 's ander geht 'n Ferdl nixi an.«

»Aber es fuxt mi dengerscht sackrisch,« versetzte der junge Mann. »So viel is g'wiß, der Schändl muaß sei' Geld z'ruck krieg'n, so eili, als 's sei' kann, und müaßt i's aus 'n Erdboden außastampfen. I bin a Betrüaga, so lang i 'n Schändl sei' Geld hon. Und i will nit ehrlos sei', i bin's niemals gwen, selm nit, wie r i der Liesl 93 untreu worn bin und d' Marietta zum Weib gnumma hon. I hon's wahrli nit g'wußt, daß d' Liesl so mit ganzer Seel an mir hängt, und es mag leichtferti von mir gwen sein, daß i's aufgeb'n hon, aber so viel is g'wiß, i bin ihr mehr nur guat Freund gwen von Jugend auf, und dös bleib i ihr mei' Lebta'. Aber d' Marietta – o mei' alte Nandl, wenn i dir dös sag'n kunnt, wie viel gern als i's hon, da wärest schaug'n! Und wenn i's nit heunt oder morg'n z' sehgn krieg, geh i z' Grund aus lauter Sehnsucht nach ihr.«

»No', mei', dös is scho' recht,« entgegnete Nandl, die Hände in den Schoß legend und ihren Pflegling treuherzig ansehend; »mir wär just aa so an deiner Stell, aber d' Liesl will ma halt nit aus 'n Kopf, dös Deandl dabarmt mi so viel.«

»D' Liesl wird mi bal verachten statt liaben,« versetzte Jakl. »Am nächsten Sunnta is's Bubeng'richt, der Krüner Ferdl wird mi verklag'n, mi, 'n Bubenrichter, weil mi oana gestern beim Bruckerwirt in der Leutasch mit der Marietta gsehgn und dakennt hat. Sie wern's außi spiel'n, daß i mit ara fremden Dirn im Land rumzog'n bin, da drauf werd i mit Schand und Spott als Bubenrichter abg'setzt und no' dazua in Bach eing'legt. Auf so was hin muaß mi d' Liesl verachten, und 's wird ihr nimmer schwer fall'n, d' Liab zu mir aus ihran Herzen z' reißen.«

»Dös moanst?« fragte Nandl mit seltsamem Ton, und ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckend, fuhr sie fort: »Nit wahr is's! Die wahre Lieb in an' Frauenherzen is durch nixi in der Welt umz'bringa, und wenn ganze Lawina voll Elend und Jammer drüber stürzen, d' Liab 94 lischt nit aus, die schmilzt 's Eis wieder weg und brennt furt und brennt furt, denn d' Liab kimmt vom Himmi, und was vom Himmi kimmt, dös dauert ewi.«

»Du red'st, als ob's d' es selm dafahrn hätt'st,« sagte Jakl, sich zu einem Lächeln zwingend.

»Hon's aa dafahrn,« entgegnete die Alte rasch. »Bin ja aa nit schon als alt's Wei' auf d' Welt kemma, bin aa jung gwen und sauba, bin a ang'sehne Bürgerstochter gwen im Mittenwalder Markt; wir hab'n aa r a bißl a Geld g'habt; aber bei den Kriegsläuften is's mehra z' Grund ganga und d' Eltern san bal g'storb'n. An' Floßmann hon i mei' Herz g'schenkt, es war a brava, sauberer Bursch, d' Heirat hat er mir versprocha, und daß er ehnda 'n Heiratskonsenz und d' Aufnahm in Markt kriegt hätt', hon i eam mei' ganz Geldei geb'n zum Spekuliern auf 'n Wassa. Er is auf Münka mit eigne Flöß und hat Baam und anders verhandelt, hat d' Passeirer mit eanare Kraxen mitgnumma und gar lusti is's zuaganga auf 'n Michl sein' Floß. Da hat eams a so a Passeirer Obsthändlerin antho', mit der is er furt ins Tirol eini und hat's g'heirat. – Dös is schnell dazählt; aber was i ausg'standen hon, dös alles z' sag'n, reichet koa' Menschenleb'n aus, und wenn's no' so lang dauern thaat. Arm und elend bin i alloa' g'standen auf der Welt; i begreif's selm nit, wie r i's überlebt hon.«

»No', den Burschen wirst do' in d' Seel eini veracht't hab'n?« fragte Jakl beklommen. »D' Treu hat er dir brochen und dei' Geldei hat er dir gnumma, dös wird wohl a Schlechtigkeit sei'!«

»'s war a Schlechtigkeit, und veracht't hon i'n aa – 95 aber d' Liab hat furtdauert – ja, ja, dö hat furtdauert Jahr und Tag – und heunt no' hon i 'n nit vergessen.«

»So lebt er no'?«

»Im Elend lebt er. Sei' jung's Wei' is g'storb'n, und drauf is er wieder z'ruckkemma und hat geg'n mi ehrli' sei' woll'n; er hat tracht, mir mei' Geldei wieder z'ruckz'geb'n. Ernstli hat er's woll'n, aber auf unrechte Weis' hat er sei' Vorhab'n ausg'führt. Er hat pascht. Wie's heunt no' der Fall, san die leonischen Waren aa durtmals in Tirol drent teurer zahlt worn, dös hat 'n ang'lockt und – i hon nix g'wußt drum – so is er in ara Mondnacht über d' Berg aus; aber 's Unglück hat's woll'n, daß er die Tiroler Grenzwächter grad in d' Händ einigrennt is, mit dene hat er g'rauft und is unterlegen. Drauf is er um viel g'straft worn, und weil er nit zahl'n hat kinna, hab'ns 'n eing'sperrt an' etli Jahr z' Innsbruck draus. Wie r er wieder hoam kemma is, war der Lump firti. Paschen und Wildern, Pechschab'n, Zundermachen – und i woaß nit mit was er weiter sei' Leb'n g'frist't hat, d' Hauptsach war aber der Schnaps. Kurzum, heunt is's der größt Bazi im ganzen Werdenfelser Landl.«

»'s wird dengerscht nit der Zundermichl sei'?« fragte Jakl erregt.

»Du hast es daraten, der is's!«

»Und für den kannst no' a Fäserl Liab im Herzen hab'n?«

»I denk's gar nimmer, daß i mit eam g'sprochen hon, und sehgn thua i'n alle Jahr oamal, an mein' Namenstag – also heunt wiederum, wenn i nachmittags in d' Pfarrkirch geh', steht er vor der Thür und –«

»Und da giebst eam an' Sechser?«

96 »Na', an' Weihbrunn gieb i eam, sunst nix. Wohl hon i eam frühers a Geld geb'n woll'n, aber er hat nix angnumma. Er will nix mehr von mir, als mit mir a paar Vaterunser lang in der Kircha sei'; i bin vorn im Stuhl, er steht hinten an der Thür. Dös is's oanzigmal 's ganz Jahr über, daß er in a Kircha geht. Und so wird's aa heunt wieder der Fall sein.«

»Und du hätt'st 'n wirkli no' gern, den Lumpazi?«

»Den iatzigen freili nit, aber 'n Michl, wie r er vor vierzig Jahr gwen is, wie r er no' mir g'hört hat, den hon i gern und b'halt 'n gern; dös is mei' liabst's Denken. Der Holzapfel im Hirgst is wohl nit g'acht't, aber sei' Blüten is dengerscht so viel schö' gwen im Lanks. Was soll um's der entgelten lassen, daß d' Frucht so hanti wird?«

»Und beim Paschen hätt' er viel Geld gwinna kinna?« fragte Jakl. »Die leonischen Waren san heutzutag grad no' so begehrt.«

»Er hat's probiert. Aber unrecht Guat gedeiht nit, und statt ebbas z' gwinna, hat er alles verlorn, und sei' Freiheit dazua.«

»Er hat's halt dumm anganga,« meinte Jakl, und sein Auge leuchtete, denn ein Gedanke durchzuckte sein Gehirn. Das war ja ein Weg, rasch zu Geld zu gelangen, um sich der Schuld gegen Schändl zu entledigen. Und der Zundermichl, der alle Steige im Gebirge wußte, sollte ihm dabei behilflich sein. Doch bevor er diesem Gedanken Ausdruck gab, fragte er noch die Alte: »Nandl, du woaßt, wie d' Muatta g'stellt is – kann's wirkli nix mehr auftreib'n?«

»Koan Kreuzer mehr; auf 'n Haus san aa scho' gnuag 97 Hypotheken. Du därfst scho' recht fleißi sein, wenn's d' di wieder außareißen willst. Aber mit Gottes Seg'n wird si alles wieder zum Bessern richten. Mit etli hundert Gulden bin i an scho' bei der Hand. Die kannst hab'n von mir, wann's d' willst, mei' ja! San lauter Frauenbildthaler, wie r i's g'schenkt hon kriegt als Muatta von die Rosenkranzdeandln, sitta mehr als zwanzig Jahr.«

»Moanst, i möcht dei' Letzt's, dei' Zamg'spart's, nehma? Bewahr mi Gott davor; 's wird si wohl ebbas anders finden. Geht's nit auf natürliche Art, muaß's auf übernatürliche gehn.«

»Du denkst dengerscht nit an' 'n Klammgeist ob'n auf der Klamm beim Höllkapellein oder aber ans Erzfraaln (Erzfräulein) in der Erzgruabn hint im Karwendel?« rief Nandl, vor Schrecken die Hände zusammenschlagend. »Bua, so was laß ja nit aufkemma in dein' Kopf. Kennst die G'schicht mit 'n Studenten?«

Und da Jakl sinnend ins Blaue starrte, erzählte sie ihm, wie der Klammgeist einmal einen Studenten verführt habe. Jener ließ sich eines Abends auf einem Felsen nieder. Der Student, ein Müllerssohn, erblickte ihn von der einsamen väterlichen Mühle aus und folgte kecken Mutes der Richtung, die der Geist in seinem Strahlenglanze nach aufwärts genommen und die ihn in die Nähe der Klamm führte. Am Rande derselben fand man den Studenten andern Tages bewußtlos liegen. Zum Leben und Bewußtsein zurückgekehrt, erzählte er, der Geist habe ihn plötzlich angefallen, um ihn in die Tiefe zu ziehen, da habe er in seiner Todesangst noch Zeit gefunden, sich seinem heiligen Schutzengel inbrünstig zu empfehlen, und dieser habe ihn 98 mit unsichtbarer Macht gerettet und beschützt, so daß der Geist ihm nichts mehr anhaben konnte.

Die Alte schloß ihre Erzählung mit den Worten:

»Aber woaßt, alle Leut haben halt koan söchan Schutzengel, der glei bei der Hand is, und – mei' liawe Zeit! was fanget ma an, wenn's d' in der Klamm z' Grund gaangst! I waar unglückli, und d' Muatta, vor allen aber dei' arm's Weiberl und – d' Liesl waar's aa.«

»So probier i mei' Glück in der Erzgrubn,« sagte Jakl. »Höllseiten! I kenn koa' Furcht, und um aus dem Wirriwarri außi z' kemma, scheu i vor nix z'ruck. Aber mei', i hon koan Glaub'n drauf.«

»Weil's d' halt scho' oana von da nuia Zeit bist,« versetzte Nandl. »I woaß 's guat, daß's nix mehr drauf gebt's auf dös, was wir alte Leut glaubt hab'n und no' glaub'n.«

»Also glaubst du richti ans Erzfraaln?«

»G'wiß glaub i dran. Aber i möcht's dengerscht neamd raten, da sei' Glück z'suachen, denn woaßt, i halt dafür, daß si der Mensch sei' Glück selm und auf natürliche Weis' gründen kann, wenn er brav is und arbeitsam; da is nacha der Seg'n von unserm Herrgott g'wiß dabei. In all die andern G'schichten hat anemal der bös Feind sei' Hand im G'spiel, dem's d' aus 'n Weg gehn sollst, wo's d' 'n nur vermut'st. Aber was sinnierst a so? Büawal, sei g'scheit und denk an nix als an d' Arbet. Heunt schaugst dir no' um a Holz um, und kloaweis suachst di wieder aufz'richten. Dös is mei' Rat. Hörst d' Muatta schrei'n? Kimm, 's Mittagessen is längst firti, laß dir's schmecken. I hon scho' ebbas Extrigs g'macht, dein' und mein' Namenstag z' ehrn, und daß d' es woaßt, d' Muatta is 99 beim Zuckerbäcker gwen und hat was Guat's für di machen lassen. Mei', dös Wei g'freut si so viel; verderb'n ma ihr d' Freud heunt no' nit, laß ma's im besten Glauben, 's Schlimme hört's eh no' fruah gnua. Mei' ja!«

So verdarben Nandl und Jakl der heute überaus glücklichen Blasin nicht den schönen Tag. Wohl an die zwanzigmal sagte sie: »Wenn nur d' Liesl aa da wär, da wär 's Glück vollkommen.«

Jakl meinte dann.

»I wollt aa, daß ebba neb'n meina sitzet!« Sein Blick fiel dabei auf die alte Nandl, die ihm durch Kopfnicken andeutete, daß sie ihn verstehe.

Gleich nach Tisch ging Jakl fort, um sich von einem Verleger, der große Holzvorräte für die Fabrikation von Instrumenten besaß, seinen Bedarf zu kaufen. Es kann hiezu nur völlig ausgetrocknetes Holz verwendet werden. Je älter dasselbe ist, desto besser eignet es sich, und so haben die Verleger Holz auf Lager, das schon vor fünfzig und mehr Jahren gefällt und geschnitten worden ist. Man gebraucht geflammtes Ahorn und Fichtenholz; ersteres zum Kasten, dies zu Deckel, Hals und Seitenteilen. Zum Griffbrett und den Schrauben wird Ebenholz verwendet.

Aber nicht nur das nötige Werkholz, sondern auch mehrere fertige Instrumente, als Violas und Guitarren, verschaffte sich der Lautenspieler vom Verleger, der ihm mit großer Freundlichkeit in jeder Weise entgegenkam, sich teilnahmsvoll über seine Wanderung erkundigte und sich darüber freute, daß Jakl trotz der politischen Unruhen in Welschland mit so befriedigenden Resultaten nach Hause gekommen sei. Als der wackere Verleger beim Abschiede dem jungen Mann herzlich die Hand schüttelte, wurden 100 diesem die Augen naß. Es rührte ihn, vor diesem Ehrenmann wieder als ehrlicher, braver Mann zu gelten; einen Moment war er willens, sich ihm zu enthüllen, seinen Rat zu erbitten. Er war nicht darnach angethan, als Schwänkemacher im Markte herumzugehen. Bubenrichter zu sein, nachdem er kein Junggeselle mehr war, als Liesls Bräutigam zu gelten, nachdem er bereits verheiratet, und mit Schändls erspartem Gelde sich in Ansehen zu erhalten. Deshalb sagte er auch:

»Herr Verleger, i möcht Enk ebbas anvertrauen, nämlich –«

Aber der Alte unterbrach ihn mit den Worten:

»I will nix anvertraut. Du hast bei mir Kredit, Jakl, so viel als d' willst. Wer so viel durchg'macht hat, wie du, und trotzdem allen g'recht worn is, der steht hoch in 101 mein' Ansehgn. Zahl mir's Holz und d' Instrumenten, wann's d' willst und kannst, und brauchst mehr, so hol dir's. Bhüat di Gott. Richt di wieder zam in der Hoamet; siehgst eh nit guat aus, und i muaß di scho' recht anschaugn, will i in dir den lustigen Lautenspielerjakl wieder dakenna. Bhüat di Gott und Glück auf!«

Er entfernte sich rasch, um Jakl aus der Verlegenheit zu reißen, die sich auf seinem Gesichte ausdrückte. Jakl sah ihm seufzend nach. Es sollte nicht sein, daß er sein Herz, sein Gewissen erleichterte. Traurig wandte er sich zur Thüre.

»I muaß mei' verfahrene Sach selm z' End führ'n,« sagte er bei sich. »Vielleicht is's besser, es woaß neamd drum.« Doch fühlte er, wie ihm der Mut gesunken war. Liesls Eltern, das Mädchen selbst und seine eigene Mutter standen wie Schreckgespenster vor seinem geistigen Auge; aber über dieselben blickte ein liebes Antlitz hervor mit treuherzigen Augen. Es war, als ob ein goldener Sonnenstrahl die dunklen Wolkenschichten durchbrochen hätte, denn Mariettas Bild stand vor ihm.

»Du g'hörst mir,« sagte er, »und wenn i alles verliern sollt. Du bleibst mei' Stern in der Nacht, und was aa über mi kimmt, Schand und Spott, alles will i trag'n, dir z' liab, mei' herzigs Weib!«

Von der Pfarrkirche tönte das Geläute zur Vesper, die zu Ehren der heiligen Anna heute abgehalten wurde. Unwillkürlich lenkte der Lautenmacher seine Schritte dahin. Er kam als einer der letzten Kirchenbesucher. Zunächst dem Eingange, beim Weihbrunnkessel, sah er den Zunderermichl stehen.

Durch die Erzählung der alten Nandl war ihm dieser 102 verkommene Mensch plötzlich von Interesse geworden. Er stellte sich in dessen Nähe, und es währte nur wenige Minuten, als die alte Nandl, ein dickes Gebetbuch unter dem Arme und einen schweren Rosenkranz in der Hand, zur Kirchenthüre hereintrat, zum Weihbrunnkessel schritt und den zunächst daran stehenden alten Zunderer mit dem geweihten Wasser besprengte. Einen Moment sahen sich die beiden alten Leute, die einstigen Verlobten, in die Augen – dann schritt Nandl durch das Gitter in das Schiff der Kirche und nahm in einem der vorderen Stühle Platz. Der alte Michl sah ihr mit zitterndem Kopfe nach, und einige Thränen rannen über sein runzeliges Gesicht in den schmutzig weißen Bart herab. Kamen sie infolge des reichlichen Schnapsgenusses aus den geröteten Lidern zum Vorschein oder flossen sie aus Rührung über das Wiedersehen der einst so schnöde Verlassenen?

Der in das Verhältnis eingeweihte Lautenmacher machte sich seine eigenen Gedanken. Er hielt sich nicht für viel besser als dieser alte Tropf. Er hatte mit sträflicher Leichtfertigkeit der Jugendfreundin die gelobte Treue gebrochen und gleich dem Schlemmer dort sie auch um ihr Vermögen gebracht. Aber nein, das sollte und mußte anders werden!

Eine unbezwingliche Unruhe überfiel ihn, er suchte vergebens, sich im Gebete zu beruhigen. Da folgte er einer plötzlichen Eingebung. Er näherte sich dem Zunderer und sagte leise zu ihm:

»Michl, i hon mit dir z' red'n; kimm außi mit mir hinter d' Kirch, aber glei'.«

»Nit um a G'schloß!« erwiderte der Alte. »Die Vesper heunt is ja die oanzige glückselige Viertelstund, die i 's 103 ganz Jahr über hon. Woaßt, 's ganz Jahr über bin i der Lump, aber die Viertelstund thuat ma wohl da drin,« dabei legte er die Hand aufs Herz; »'s is mei' G'heimnis – neamd schwant's (ahnt es). Bal d' Kircha aus, kimm i, iatz kann's nit sein.«

Jakl drang nicht weiter in ihn. Dieser sonst von ihm verachtete Schlemmer gewann ihm jetzt fast Respekt ab, und nicht ohne Rührung gedachte er der Erzählung der alten Nandl.

Nachdem der Segen vorüber, traf es sich wieder, wie verabredet, daß Nandl als eine der letzten die Kirche verließ. Wieder besprengte sie den Michl mit dem geweihten Wasser, wieder trafen sich beider Blicke, versöhnenden Ausdrucks von seiten der alten Matrone, reumütig und erfreut von der des alten Mannes. Gesprochen ward nichts, aber jedes von ihnen dachte sich wohl, wie schon so manches Jahr, daß dieses die letzte Begegnung in diesem Leben gewesen. –

Hinter der Kirche harrte jetzt Jakl des Alten. –

»Also, was willst von mir?« fragte dieser. »I kann mir's wohl denken; gel, willst mi abschmiern, daß i 'n Ferdl nit Wort halt, daß i di gestern drent beim Bruckerwirt g'seh'n hon mit an' saubern Deandl?«

»Von mir aus kannst sag'n, was d' willst,« erwiderte Jakl. »I will's sogar hab'n, daß d' es behaupt'st.«

»Nacha sag i halt vergelt's Gott für die Flaschen Enzian, die der Bruckerwirt verspielt hat. Mei' Gott, wenn i vom Enzian red, verschmacht i schier darnach. Moanst ebba, i hon heunt scho' a Tröpferl übers Maul bracht? Heunt kimmt aa koan's drüber; woaßt, heunt is mei' brava Tag, da trinket i mir koan Rausch, und wenn 104 i oan zahlt krieget. Hart is's scho', dös, weil's grad anemal eintrifft, daß mir am heuntin Tag Ehr auf Ehr passiert. Aber na', ehnda sauf i an' Kübel Bachwasser, als daß i mein' G'löbnis untreu werd. Also woaßt, wie r i g'stimmt bin. Iatz sag, was d' von mir willst.«

»I möcht mit dir ganz im Vertrauen ebbas abmacha. Du kennst die Steig alle ins Tirolische ummi. I hätt' a G'schäft – woaßt, a G'schäft, dös neamd z'wissen braucht. Möchst mir an' söchan Steig weisen? Du kriegst a guate Zahlung.«

»Jakoberl, Jakoberl!« sagte der Schlemmer leise, mit dem Finger drohend; »gel, möchtst paschen? Und zu mir hast es Vertraun? Woaßt was – wer verdeant denn heutin Tags nit gern ebbas, aber halt grad heunt möcht i nix mit dir ausmacha – heunt nit, denn 's Paschen sagen's, is ja aa r a Sünd, und heunt möcht i wissentli', woaßt, wie der Pfarrer sagt, koa' Sünd auf mi laden, weil ja heunt, wie 's d' g'hört hast, mei' brava Tag is. Aber wenn's d' magst, – morg'n, da is wieder an' ordinari Tag, du kannst mi zu allem hab'n, nur nit zum Stehl'n und Leut umbringa.«

»Wo triff i di morg'n?« fragte Jakl.

»Wo? 's liabst waar ma draus am Ferchensee z' naachst 'n Franzosensteig. Bringst d' Waar glei mit?«

»Dös woaß i no' nit. Dawart mi im Zwielicht durt, und woaßt, durt in der Näh is 'n Schändl sei' Wiesmad.«

»Woaß's. Und auf dera Wiesmad is dös welsch, schwarzauget Deandl, dös gestern so schö g'sungn hat drent beim Bruckerwirt. Jesses, jesses! I glaub's gern, daß d' in dera ihre kohlschwarzen Augen einig'fall'n bist.«

»Lus auf!« gebot Jakl. »Auf d' Wiesmad gehst 105 vorher hin und schaugst, daß d' mit der Marietta, so hoaßt dös welsch Deandl, alloa reden kannst; sag ihr an' Gruaß von mir und daß i am Eingang beim Franzosensteig auf sie wart. Aber neamd därf ebbas spanna, verstanden?«

»I woaß's nit, ob i heunt an mein' braven Tag zu so ebbs beihelfen därf! Oder aber es müaßt sei', daß nix Unrechts bei der Sach is.«

»G'wiß is nix Unrechts dabei,« versicherte Jakl. »Aber Michl, du muaßt di morg'n aa no' brav halten, du muaßt nüchtern bleib'n.«

»Morg'n aa no'? Ja, Bua, wie bring i denn dös wieder eina? Zwoa' Tag ohne Rausch – dös is z' viel verlangt, dös waar die reinst Marter! Woaßt, Jakoberl, z'viel därfst nit von mir verlanga. Dir z' liab thua i scho' was übrigs, i woaß, warum; di geht's nix an; aber halt gar z' viel kann i dir aa nit g'hoaßen.«

»Dös verlang i von dir, daß d' morgen deine Sinn beinand hast. Da gieb i dir im voraus a Dousseur. I verlaß mi auf di; neamd därf's g'ringst erfahr'n!«

Der Alte blickte vergnügt nach den zwei Zwanzigern, welche ihm Jakl auf die Hand gelegt hatte.

»Saxendi!« rief er, sich hinter den Ohren kratzend; »hon i's nit g'sagt, daß mir heunt alles nur a so zuafallt. Sunst hon i an' Durscht und koa' Geld, und heunt bin i reich und därf mein' Durscht nit löschen von wegen mein' G'löbnis.«

»No', an' Spitz roten Tiroler wirst dir dengerscht vogunna, oder a Maß Bier?«

»O mei', Bua, was is a Tiroler und a Bier? A Tropfen Wassa auf a glühends Eisen. Mei' Leben is nur der Schnaps, a guata Schnaps, a scharfa.«

106 »So kauf dir halt a Glasl! Oans is koans. Aber morg'n, wohlverstanden, morg'n trinkst nix, nit amal an' oanzigs, bis unser G'schäft vorüber is. Also bhüat di!«

Der Lautenmacher entfernte sich rasch und schlug den Weg nach Hause zu ein.

Die alte Nandl drängte ihm in der That ihre ersparten Frauenbildlthaler auf; sie sollten ihm Glück bringen. Er kaufte dafür Gold- und Silberdraht in großen Quantitäten, indem er Nandls Spargeld als Anzahlung benützte. Die Waren legte er in die leeren Räume der Instrumente, von denen er erst vorsichtig die Deckel abgenommen und dann wieder darauf befestigt hatte. Niemand im Hause erhielt hievon Kenntnis, da er alles bei verschlossener Thür that. Seiner Mutter sagte er nur, daß er schon morgen abend wieder auf zwei Tage mit der Butte fort müsse, da er mit einem Händler in Telfs zusammenkomme, der ihm mehrere Geigen und Guitarren abkaufen wolle.

Dies hatte nichts Auffälliges an sich, und die alte Nandl freute sich von Herzen über den neuen geschäftlichen Sinn ihres Lieblings, der sich nun doch dazu entschlossen, wieder kleinweis und auf redliche Art Geld zu erwerben, statt übernatürlichen Dingen nachzujagen. Daß Jakls morgiges Geschäft eine Schmuggelei sei, an das dachte die Alte nicht. Ihre einzige Sorge war jetzt nur noch die arme Liesl. –

Der Zundermichl schlich nach seinem Kirchengange einigemale um eine berüchtigte Schnapskneipe herum.

»Heunt is mei' brava Tag,« sagte er immer für sich hin, »apage Tuiffi – heunt kriegst mi nit! Höchstens,« gab er nach langem innerem Kampfe zu, »höchstens könnt 107 i oa' Glasl riskiern, im voraus für morg'n, weil i ja morg'n wieder brav sein soll. I hon nur für den heuntin Tag g'lobt, nix z' trinken; wenn i also für den morgin Tag trink, so hon i mei' G'löbnis nit brocha. I kann ja grad so guat die morgig Arbet scho' heunt verrichten. Dös is sogar tugendhaft, wenn i's recht bedenk. Also grad so guat kann i ja aa für den morgigen Tag scho' heunt trinka. Dös is aa tugendhaft. Aber na', na' – die Sach is dengerscht a bißl anders.«

»Was sinnierst denn, Michl?« fragte ihn jetzt der soeben des Weges kommende rabiate Klaslihannes, der heute morgen sein Geld von Jakls Mutter geholt. »Hast ebba koan Kreuzer zu an' Glasl Schnaps? Also auch und dabei – kimm eina mit mir, i zahl dir a Glasl.«

»O, i bin guat g'stellt,« erwiderte der Zunderer. »Aber sag mir, Klaslihannes, is dös a Verbrecha, wenn i heunt a etli Glasln für morg'n trink?«

»Was soll denn dös a Verbrecha sei'?« antwortete der Klaslihannes. »Warum sollst denn nit für morg'n scho' heunt trinka kinna? Schau mi an, i trink für gestern, denn gestern war in mein' Beutel Luft, heunt hat 'n der Blasijakl mit Goldfüchsen g'spickt. Warum soll i nit nachholn, was i gestern versäumt hon? Also auch und dabei, kannst du dir's aa heunt scho' wohl sei' lassen für morg'n.«

»Geh nur eini – i kimm scho' nach,« sagte Michl, noch immer in seinem Entschlusse schwankend.

»Ja, warum soll i denn nit eini geh'n!« rief der Klaslihannes. »Von mir aus thust, was d' willst.« Und er verschwand im Hausflur der Kneipe.

»Ja, warum soll i denn nit thuan, was i will?« spottete der Zunderer dem Abgehenden nach. Schon hatte 108 er sich einige Schritte vom Hause entfernt, da plötzlich kehrte er um und schritt rasch durch die verhängnisvolle Thür in das schnapsduftende Lokal. »Es bleibt dabei, grad für morg'n,« sagte er. –

Es dämmerte schon, als er wackelnden Schrittes durch die Straße ging, um in einem der vor dem Markte gelegenen Häuser seinen Unterschlupf aufzusuchen. Beim Krünerhause vorübergehend, rief ihn der unter der Thüre stehende Ferdl an und fragte:

»Hast di gestern nit täuscht im Leutaschthal, kannst es beschwörn, daß 's der Blasijakl gwen is, der mit dem welschen Deandl durt war?«

»No' was denn?« antwortete der infolge des Schnapsgenusses ganz unzurechnungsfähige Lump. »Beschwör'n kann i's, und morg'n – morg'n im Zwielicht – draus beim Franzosensteig – ja so, 's is ja 's strengste G'heimnis. O, i halt, was i 'n Jakl versprochen hon – i bin a Mann, a brava Mann bin i heunt. Der Rausch heunt g'hört grad für morg'n, heunt bin i tugendhaft, drum suach i mein' Lager auf. Guat Nacht!«

Wackelnd entfernte er sich.

Ferdl aber sah ihm lachend nach und sagte halblaut:

»Da hat der Jakl grad die richtige Vertrauensperson dawischt. Morg'n im Zwielicht beim Franzosensteig. I woaß ebban, der morg'n sein' Birschgang dorthin macht, und der bin i!« 109


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