Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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X.

Vom Turme der Mittenwalder Pfarrkirche tönte am darauffolgenden Sonntage das feierliche Geläute zum Morgen-Ave-Maria.

Die Witterung hatte seit gestern umgeschlagen, und die meisten Wiesmadleute waren in den Ort zurückgekehrt. Die Berge ringsumher waren in dichte Nebel eingehüllt, und schwere Regentropfen fielen auf die wenigen, den Markt durcheilenden und ihre Schritte zur Kirche lenkenden Leute hernieder. Diese bestanden zunächst nur in den Buben der Junggesellenbruderschaft. Sämtliche erschienen in ihrer kleidsamen Sonntagstracht, mit grünem Hute, kurzer Joppe, rotem Kamisol, Kniehösln und Wadenstrümpfen. Sie hatten alle frische und gesunde Gesichter.

Im Gotteshause angelangt, nahmen sie sofort die ihnen zugehörigen Plätze auf der Emporkirche ein.

Bereits hatte der Meßner an die dreißig Wachskerzchen an die Kirchenbänke angeklebt und angezündet, und bevor sie noch verbrannt, standen neunundzwanzig Buben an ihren Plätzen. Nur ein Kerzchen brannte ab, bevor der Eigentümer erschien. Dies fiel besonders auf, weil es sich am Platze des Bubenrichters befand, des Blasi Jakls, der heute zum erstenmal wieder sein Ehrenamt auszuüben hatte, aber beim Segen vor der Frühmesse noch nicht in der Kirche anwesend war. Der Krüner Ferdl machte den Beiständern und dem Ratsdiener bedeutungsvolle Zeichen, ein triumphierendes Lächeln spielte um sein Gesicht.

127 Erst nach Beginn der Messe erschien endlich der Lautenmacher in der Kirche, ohne jedoch, zur Ueberraschung aller Buben, von dem Platze des Bubenrichters Besitz zu nehmen. Er begab sich vielmehr in einen Seitenstuhl, entfernt von den anderen. Er sah blaß und angegriffen aus, sein Gesicht zeigte etwas Verstörtes, ein wilder Zug war in demselben erkenntlich. Man sah es ihm an, seine Gedanken waren nicht zur Stelle. Waren sie bei Marietta, die er gestern abend in die Mühle im Leutaschthale geleitete und wohin er heute zu kommen versprach? Waren sie bei der schwarzen Liesl, deren innige Liebe zu ihm er mit Verrat und Undank lohnen mußte? Oder waren sie auf den geheimen, gefährlichen Pascherwegen, welche er in dieser Woche zu öfterem in verbrecherischer Absicht begangen, unter steter Furcht, entdeckt und zur Verantwortung gezogen zu werden? Hinüber und herüber hatte er Kontrebande gemacht, namentlich in teuren Seidenwaren, welche er in Innsbruck holte. Wenn man ihn auch sah mit der Butte auf dem Rücken, die Grenzwächter kannten den Lautenspieler, alle waren ihm gut Freund und keiner dachte daran, seine Butte, in welcher sie die Instrumente sahen, einer näheren Durchsicht zu unterziehen. Alle vertrauten dem ehrlichen Burschen. Und das war es, was den wilden Zug in seinem Gesichte hervorrief. Alle vertrauten ihm, und er betrog sie alle. Darüber konnte er sich nicht freuen, im Gegenteil, er verachtete sich selbst, er wollte aus dieser ihn so beklemmenden Lage heraus, er fühlte, daß er heraus müsse, und dennoch wies er das einfachste Mittel hiezu von der Hand, nämlich die Wahrheit. Durch diese und jene Bedenken, die teils in seinem Kopf, teils in dem der guten, aber kindischen und 128 wankelmütigen alten Nandl entstanden, hatte er sich bereits auf sehr gefährliche Bahnen verrannt. Trotz des fortwährenden Vorsatzes, ein ehrlicher Mann zu sein und zu bleiben, wich er einen Schritt nach dem andern vom Pfade des Rechts, und er war bereits nicht viel mehr als ein Spielball seiner Schwäche.

Vom heutigen Tag erwartete er, daß sich die Jugendfreundin von ihm abwenden werde. Einen, wenn auch sehr kleinen Teil seiner Schuld an den alten Schändl konnte er glücklicherweise schon abtragen. Die sauer ersparten Groschen des alten Mannes zahlte er mit Sündengeld zurück.

Aber so verdorben war er noch nicht, daß er sich nicht gescheut hätte, in der Kirche den für ihn bestimmten Ehrenplatz als Bubenrichter einzunehmen. Deshalb kam er lieber zu spät, um sich einen andern Platz auswählen zu können. Mit Schrecken sah er den Gottesdienst zu Ende gehen, denn nun sollte er ja wieder neuen Trug zum alten häufen.

Sobald das Weihwasser ausgeteilt war, schritt er zur Kirche hinaus. Der Ratsdiener gesellte sich ihm sofort zu und rasch folgten die übrigen jungen Gesellen. Auf dem Platze vor der Kirche standen dann alle zusammen, und da der Bubenrichter keinerlei Miene zu einer Erklärung machte, so trat der Ratsdiener vor und sprach zu ihm:

»Laß mich die Buben nachher bieten – in einer unverschieblichen Sache zur offenen Lade.«

Jakl antwortete kurz:

»Biet die Buben nachher in mein Haus!« was der Ratsdiener sofort that.

Der Richter begab sich nun in seine Behausung, ihm 129 folgten alle nach. Hier setzte er sich mit den Beiständern, Ratsdiener und Schreiber an den Tisch und sagte:

»Welcher ein Handel hat, der mag ihn vürbringen, oder etwas zu klagen.«

Sofort erhob sich der Krüner Ferdl, indem er sagte:

»Herr Richter, erlaubt mir, ein Redner.«

»Ich erlaub dir, was du Recht hast,« entgegnete der Bubenrichter vorschriftsgemäß.

»Es gilt den Richter selm zu eigen,« versetzte Ferdl.

»So soll der erste Beistand mein Amt übernehmen, bis der Handel fertig,« sagte Jakl, seinen Platz räumend und sich unter die andern Burschen begebend.

Der erste Beiständer übernahm sofort das Richteramt und wiederholte dem Krüner Ferdl:

»Ich erlaub dir, was du Recht hast.«

Nun ergriff Ferdl das Wort.

»Laut unserm Bruderschaftsgesetz,« sagte er, »heißt es im Artikel 21: »Sollt jemand aus der Bruderschaft an seinem Mitbruder was erfahren oder sehen, so den Artikeln zuwiderhandelt, dieses aber bei der Versammlung verschweigt und nit andeutet, sollt ein solcher in jene Straf verfallen sein, welche der Beklagte oder Schuldige hätte erlegen müssen, wenn dieses anders kann erwiesen werden, daß er davon Wissenschaft gehabt habe.«

»So is's g'halten worn seit unvordenklichen Zeiten,« entgegnete der stellvertretende Richter. »Traust du dir den Handel selbst auszuführen, so magst du's thun, wo nit, so magst du einen Redner nehmen in der Stuben, der dir gefällt.«

»Herr Richter,« erwiderte Ferdl, »erlaubt einem guten Gesellen, sein Wort selbst vorzubringen.«

130 Hierauf lautete die Antwort des Richters wieder:

»Ich erlaub dir, was du Recht hast.«

Nun rückte Ferdl mit seiner Anklage gegen den Lautenmacher hervor. Er klagte ihn an, daß er mit einer verdächtigen Weibsperson aus Welschland, als Bettelmusikant verkleidet, in Tirol, und, wie er beweisen könne, im Leutaschthal herumgezogen sei und letzten Dienstag abend mit derselben am Franzosensteig wiederholt eine längere Zusammenkunft gehabt, was er von der Ferchenseewand mit angesehen habe. Außerdem hätte sich heute der Bubenrichter dadurch verfehlt, daß er nicht rechtzeitig zum Morgensegen gekommen sei, und als er endlich erschien, nicht den ihm zugehörigen Platz eingenommen habe.

Jakl hörte bleich und mit zuckenden Lippen dem Ankläger zu. Als dieser der »verdächtigen Weibsperson« erwähnte, da schoß aus seinen Augen ein wilder Blick, und er machte eine rasche Bewegung, als wollte er auf den Verleumder losstürzen, aber sofort besann er sich. War es nicht sein eigener Wille, daß ihm eine verächtliche Handlung aufgebürdet werde? Und er schwieg.

Als nun der Ankläger geendet, fragte der Richter:

»Jakl, giebst dich ein?«

Und dieser antwortete zu aller Ueberraschung mit fester Stimme:

»Ja, ich gieb mich ein!«

Und der Richter fragte wieder:

»Wo setzt es hin, in Rat oder in die Gemein? Ich will euch darum fragen.«

Und alle antworteten:

»In den Rat.«

Jetzt mußte sich Jakl aus der Stube entfernen, da 131 über sein Vergehen abgeurteilt werden sollte. Er benützte diese Gelegenheit, um in seiner Kammer seine Sonntagsjoppe mit einer schlechtern zu vertauschen, denn er wußte, was seiner harrte.

Nandl trat ihm hier entgegen und fragte:

»Jakerl, was siehgst so verhetzt aus?«

»Glei wirst es erfahra,« antwortete ihr dieser bitter. »Der Ferdl hat mi mit der Marietta gsehgn, die er für a verdächtigs Weibsbild halt; dafür werd i in Bach g'legt. Heunt is mir d' Zung no' bunden. Aber dös is eam nit g'schenkt, dem Spion; der soll an mi denken!«

»In Bach leg'n?« rief die Alte. »Die Schand laß i dir nit anthuan! Heunt, bei dem schlechten Wetter, und wo's d' a so nit g'sund bist – dös leid i nit! Dös leid i nit! Wenn d' Liesl dös siehgt, dös Deandl verkimmt vor Schand.«

Jakl, dem der Mut etwas gesunken war, richtete sich jetzt rasch wieder auf.

»Verachten wird 's mi, ganz g'wiß!« rief er. »Dös will i ja grad! Mach nix dazwischen, Nandl, es is mei' Will'n, daß i g'schänd't werd.«

Und er eilte hinab in den Hausflur, wo der Ratsdiener bereits seiner harrte, um ihn in die Stube zu rufen.

Hier empfing er nun sein Urteil, welches lautete:

»Sintemalen die Anklage des Ferdinand Krüner gegen Jakob Blasi von diesem als zu Recht bestehend anerkannt worden ist, so beschließt der Rat der Buben, daß der Angeklagte wegen der ihm zur Last gelegten Vergehe zur Bacheinlage verurteilt sei, welche Strafe an ihm sofort und ohne Verzug vollzogen werden solle. Außerdem aber sei der Bubenrichter seiner Ehrenstelle verlustig und habe 132 der Krüner dieselbe wieder zu übernehmen, da es Pflicht des Bubenrichters sei, mit gutem Beispiel voranzugehen, dies aber von Jakl in höchst bedauerlicher Weise verletzt worden sei.«

Da Jakl hierauf nichts einzuwenden hatte, erhob sich alles, und man geleitete den Abgeurteilten auf die Straße. Der Ratsdiener machte hierauf in dem den Markt durchlaufenden Quellbach ein »G'schwell«, um den Verurteilten hineinlegen zu können.

Eine Menge Leute waren alsbald herangekommen, um dieser Prozedur beizuwohnen, und sie waren alle aufs höchste überrascht, als es laut wurde, daß der Bubenrichter selbst der Verurteilte sei.

Auch in Schändls Haus eilte man an die Fenster. Die Schändlleute waren am Sonnabend von der Wiesmad zurückgekommen, und Liesl hoffte, heute ihr Verlobungsfest mit Jakl zu feiern.

Der alte Schändl rief einen Buben an, um zu fragen, wer bestraft würde, und als er Jakl nennen hörte, forschte er erschrocken nach der Ursache.

»Weil er si mit ara welschen Dirn rumtrieb'n hat und mit ihr am Franzosensteig zamkemma is,« lautete die Auskunft.

»Wann?« fragte Liesl, die hinter ihrem Vater stand und mit stockendem Atem alles anhörte.

»Am Irda (Dienstag).«

»Wer hat's g'sagt?« rief das Mädchen, dem eine Blutwelle in die Wangen schoß.

»Der Krüner Ferdl hat's g'sehn und der Jakl hat's eing'standen.«

Liesl erbleichte. Aber ohne sich zu besinnen, rief sie:

133 »Dös is a Lug! I bin mit eam am seln Abend beim Franzosensteig zamtroffen, i bin's gwen. Er will mi schona und lieber Schand und Straf erdulden. Dös leid i nit!«

Und ohne daß es ihr Vater verhindern konnte, eilte sie aus dem Hause, an den Ort der Exekution.

Aber auch die alte Nandl war bereits dort erschienen.

»Dös leid i nit,« schrie sie, »daß's bei dem kalten Weda mein' kranken Buam in 'n Bach legt's, dös ruiniert sei' G'sundheit; dös kinnt's thuan, wenn's wieder warm wird!«

Aber der Krüner Ferdl erwiderte lachend:

»Natürli, die alten Weiber nehma ma aa no' auf im Rat bei uns! 's G'setz hat sein' Lauf; ob kalt oder warm, dös geht uns nix an.«

Jetzt kam auch Jakls Mutter hergerannt, nachdem sie sich von ihrem Schrecken über die ihr von Fremden gebrachte Nachricht einigermaßen erholt hatte. Auch sie wollte den Vollzug der Strafe an ihrem kranken Sohn nicht dulden. Aber der Rat kümmerte sich nicht darum. Das Geschwell war hergestellt und man legte Hand an Jakl, ihn in den Bach zu legen.

Da brach sich die schwarze Liesl Bahn durch die Menge.

»Halt's ein!« schrie sie. »Auf 'n Jakl haft't koa' Schuld, der Krüner da is a falscher Verrater! Hört's auf mi, i kann Auskunft geb'n! Daß er in der Leutasch mit ara Welschen rumzog'n is, sel is nit wahr. Die Welsch is a ehrlis Weib, die für ihren kranken Mann Geld verdiena will. Der Jakl is unterwegs krank worn, und die Welsch hat eam Beistand g'leist't und hat dann seina 134 Muatta Botschaft tho'. Für dös Wei steh i guat. Sie hat mit uns g'arbeit't auf der Wiesmad, sie is brav und ehrli.«

»Dös Zeugnis muaß ma ihr geb'n,« pflichtete der alte Schändl, der seiner Tochter nachgeeilt war, bei.

»Aber am Irda warn's wieder beinand,« versetzte Ferdl. »Da war der Jakl nit krank, denn er is no' nachts über'n Franzosensteig g'stieg'n.«

»Wollt's wissen, mit wem der Jakl am Irda beim Franzosensteig zamkemma is?« rief Liesl. »Mit mir, der schwarzen Liesl, seiner Hochzeiterin. Dös wird in enkere Artikel wohl nit verboten sein, daß d' Brautleut mit anand diskriern, wenn sie si treffen. Er aber hat mi nit verraten woll'n und hätt' lieber d' Straf ausg'halten. Jetzt wißt's, wie's dran seid's, jetzt laßt's mein' Buam aus und werft's den verlogna Kunten, den Krüner eini in Bach, wenn 's bei der Buambruderschaft no' Manna und nit grad Buam giebt.«

»Brav, brav!« riefen die sich massenhaft angesammelten Zuschauer. »Glei laßt's 'n aus, 'n Jakl, oder wir leg'n uns drein!«

Dieser Drohung folgte auch sofort die That. Im nächsten Augenblicke hatten mehrere Männer, darunter auch der rabiate Klaslihannes, den Verurteilten aus dem Kreise seiner Richter gerissen, die auf Liesls Rede hin keinen Widerstand entgegensetzten.

»Ja, warum soll denn der Jakl nit mit seiner Hochzeiterin diskriern?« rief der Klasli gereizt. »Wie kann ma denn a so an' zünftigen Bubenrichter a so malträtiern? Also auch und dabei – dös grenzt ja dengerscht an Barbarei!«

135 Liesl aber reichte dem Jakl zum Gruße die Hand.

»Du dummer Patschi,« sagte sie, »hast g'wiß gmoant, es paßt mir nit, wenn 's d' mi nennst? I thua koa' Unrecht. Was i thua, därfen d' Leut wissen. An' anders Mal sagst d' Wahret und laßt dir von so an' Ehrabschneider nix auffibelzen. Jetzt aber mach, daß d' hoamkimmst, du kannst di ja kaum mehr auf die Füaß halten.«

Ein unaussprechliches, überwältigendes Gefühl drückte bei diesen Worten den jungen Mann fast zu Boden. Er konnte sich in der That nur mit aller Mühe aufrecht erhalten. Thränen füllten seine Augen, er beugte sich nieder und drückte auf Liesls Hand einen heißen Kuß.

»Liesl, du verwend'tst di für an' Unwürdinga, für an' Schelm, den's d' verachten muaßt,« sagte er leise zur Freundin.

»Ja, ja, i veracht di so viel, daß i's vor alle Leut sag, wie gern i di hab,« erwiderte das Mädchen lächelnd.

Nandl, der die Thränen über die runzeligen Wangen rannen, drang jetzt in Jakl, heimzugehen. Sie nickte dem Mädchen zu und zog den jungen Mann mit sich fort, der ihr folgte, einem Träumenden gleich.

Die Blasin aber begleitete Liesl nach Hause und dankte dem mutigen Mädchen mit rührenden Worten für die schöne, offene That.

Der Rat der Buben begab sich jetzt wieder mit allen Mitgliedern auf Geheiß des Richter-Stellvertreters in die Stube, und es meldete sich ein neuer Ankläger und zwar gegen den Krüner, der aus Haß und Abneigung gegen Jakl, dessen Braut er gern selbst heimgeführt hätte, wissentlich falsche Anzeige gegen seinen Nebenbuhler erhoben habe.

Ferdl dagegen erklärte, daß er den Vorgang in der 136 Leutasch durch einen Zeugen erhärten könne. Der Zundermichl habe ihm das erzählt und dieser sei bereit, seine Aussagen vor dem Rat zu wiederholen. Das Mädchen, das er selbst aber von der Ferchenseewand aus bei Jakl erblickt, habe er bestimmt für die Welsche gehalten, um so mehr, da ihm der Zunderer schon im voraus von dieser Zusammenkunft gesagt. Es wäre ja möglich, daß ihn seine Augen betrogen hätten, aber den Vorgang in der Leutasch könne er bezeugen lassen.

Der Rat genehmigte, daß der Zeuge erscheine.

Der Zundermichl saß schon lange auf einer der Gredbänke in der Nachbarschaft, da ihm Ferdl gesagt hatte, er möge sich für heute in der Nähe der Bruderschaft aufhalten. Er hatte im Laufe der Woche durch Jakl, dem er die geheimen Steige wies, guten Verdienst gehabt. Und heute, erst vorhin, sah und hörte er, wie Nandl, seine frühere Verlobte, mit mütterlicher Wärme sich um Jakl angenommen hatte, und er war »gespannt« auf seine Vernehmung.

Als er nun vom Richter gefragt wurde, was ihm von der Welschen und Jakl bekannt, lachte er demselben geradezu ins Gesicht.

»Nix is mir bekannt,« sagte er, »gar nix.«

»Aber der Krüner Ferdl behaupt't, du hätt'st 's eam verraten.«

»Was,« schrie der Zunderer, »i verraten? I, der Zundermichl! Pfui Teufl! Dös kann der noblige Kaufherr, der Krüner Ferdl, thun, aber unseroana, an' armer Tropf, verrat't neamd auf der Welt, und wenn er 's beste G'schäft damit machet.«

137 »Du Lump, du!« rief Ferdl; »hast mir nit am Monta alles erzählt?«

»I?« rief der Zunderer. »Am Monta hon i mein' Rausch g'habt für 'n Irda. Schlakarawall! Was i im Rausch sag, dös is koa' Evangelium. Pfui, an' rauschigen Tropfen zum Zeugen aufruafa! I woaß von nix. Wie d' Liesl g'sagt hat, so is's; grad so – und der Jakl is a Ehrenmann, is a braver Mann, so an' Bubenrichter habt's no' gar nit g'habt und kriegt's aa koan mehr – und iatz wißt's, was i woaß. So, 'pfehl mich!«

Und er schritt zur Thüre hinaus, der nächsten Schnapsschenke zu.

Der Rat und die Buben aber beschlossen sofort einstimmig, daß der Jakl als Bubenrichter wieder eingesetzt und nur wegen Zuspätkommens in die Kirche mit einem Vierling Wachs bestraft werden soll, hierauf aber, daß der Krüner Ferdl wegen boshafter Anklage zur Strafe des Bacheinlegens verurteilt werde.

So sehr sich der stolze Kaufmannssohn auch dagegen wehrte, an dem Richterspruche war nichts zu ändern, und zum Gaudium der Zuschauer, welche noch immer vor dem Hause standen und die alle für Jakl Partei genommen hatten, sollte die Exekution sogleich an ihm vorgenommen werden. Einige handfeste Buben hatten ihn bereits bis zum Bache gebracht. Da brach sich Jakl, der auf Ferdls Wutausbrüche hin aus seiner Stube geeilt war und des Nebenbuhlers Lage sofort erkannte, Bahn durch die Menge und befreite ihn mit aller Kraftanstrengung aus den Händen der Buben, welche eben im Begriffe waren, den Widerstrebenden unter dem Gelächter der Anwesenden der Länge nach in das Geschwell des Baches zu legen.

138 »I bin heunt no' enka Bubenrichter,« schrie er, »und ohne meina is koa' Urtel von enk zu Recht! I hon 'n Ferdl sei' Anklag für richti ausgeb'n, und alles andere kimmt gen eam nit in Betracht. Zamläuten thuat's ins Hochamt und 's Bubeng'richt erklär i für heunt g'schlossen. Probier's koana, 'n Ferdl nur a Haar z' krümma, der hat's mit mir z' thuan. Und iatz macht's, daß's alle weiterkömmt's; Spektakel hat's scho' g'nua geb'n heunt. Adies!«

Diesem Befehle war nicht zu widersprechen. Meist sehr unwillig entfernten sich die Buben, denen Jakls Benehmen ein Rätsel war. Ferdl war einer der letzten am Platze.

»So bist du nit mei' Feind, nachdem i dir hon Schand und Spott antho'?« fragte er den Lautenmacher verwundert.

139 »G'wiß nit,« entgegnete dieser, dem Burschen die Hand reichend. »Du hast di in mir g'irrt, so guat, wie in der Welschen. Wie 's aa wern mag, wirf koan Stoa' auf mi; oft hat der ehrlichst Mensch sei' G'schick nit in der Hand. Es treibt 'n furt und furt und hat mit eam sei' G'spiel. Und d' Freund fall'n von eam ab wie d' Blattln von die Baam im Hirbst. Dös wird no' mei' Los wern, i sehg's scho' kemma.«

»Na', Jakl,« versetzte Ferdl ausgesöhnt, »i fall nit von dir ab. Wir ham uns heunt zam g'rauft! Schlag ein – betracht mi von heunt an als guaten, wahren Freund.«

Die beiden drückten sich die Hände und sahen sich in die Augen; dann trennten sie sich schweigend.

Ehe Jakl in sein Haus trat, sah er am offenen Fenster die schwarze Liesl. Mit unendlicher Liebe, mit Bewunderung ruhte ihr Blick auf ihm. Jakl meinte, dieser Blick dringe hinein in sein tiefstes Inneres. Auch sein Auge ruhte wie gebannt auf ihr. Doch plötzlich ermannte er sich, und nach einem flüchtigen, freundlichen Gruß eilte er in sein Haus.

Aber Liesls Blick verfolgte ihn, er trug ihn mit sich in seine Kammer; hier stützte er den Kopf in die Hand, er dachte an Marietta und träumte – von der Jugendfreundin, die lebendig vor seinem Geiste stand.

Da legte sich eine weiche Hand auf sein Haupt, und überrascht aufblickend, sah er in Begleitung seiner Mutter vor sich in Wirklichkeit die ihm zugedachte Verlobte – die schwarze Liesl. 140


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