Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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VI.

Frische Bergluft streicht durch das Thal und über die grünen Hügel, der Himmel ist tiefblau, die Luft glänzend, duftig und frisch. Zwischen den schneeweiß zum Himmel starrenden Bergriesen des Wettersteinschroffen und der Karwendelspitze leuchtet noch die gelbblasse Mondsichel. Ueber den Hang hinauf wird scharenweise das Vieh zur Weide getrieben, Rinder und Geißen in zahlloser Menge. Die Holzhacker und Mäher, die mit Lebensmitteln gefüllten Rucksäcke und den Wettermantel am Rücken, steigen zu Berg. Ueberall ertönen freudige Juhus, die an der breiten Wand des Karwendels in langgezogenem Echo sich brechen.

Frau Schändl, Liesl und Marietta stiegen den westlich vom Markte terassenförmig sich abstufenden Bergrücken hinan gegen den Lautersee zu. Der kleine Viehstand ist seit wenigen Wochen, von einer Dirne bewacht, auf ihrer Bergwiese bei den Heustadeln.

Die drei Frauen schreiten meist schweigend dahin. Frau Schändl ist mit Liesls Neigung für Jakl nicht so ganz einverstanden; der Krüner Ferdl, der gestern so ritterlich spielte und Liesl das Geleite nach Hause gab, gefiel ihr nicht nur persönlich besser als Jakl, sie erwog auch die materielle Seite, und sie hätte es gerne gesehen, wenn Liesl die Werbung des vermöglichen Kaufmanns angenommen hätte. Indessen gab sie die Hoffnung in dieser 68 Richtung noch nicht auf. Sie wußte ja nicht, daß Jakl schon zurück sei, es sollte ihr dies erst mitgeteilt werden, wenn der Vater auf die Wiesmad nachgekommen und alle Ausstände des Lautenspielers berichtigt waren; denn das letztere mußte der äußerst sparsamen Frau als vollbrachte Thatsache mitgeteilt werden, da sie ihre Einwilligung dazu niemals gegeben hätte.

Liesl dagegen war voller Munterkeit. Sie wußte den Geliebten daheim in guter Pflege seiner Mutter und der alten Nandl, deren Augapfel ja Jakl war. Von ersterer erfuhr sie, daß der Sohn nach einer großenteils schlaflosen Nacht gegen Morgen in einen gesunden Schlaf verfallen sei, der ihn jedenfalls kräftigen würde. Die Blasin sicherte Liesl zu, daß sein erster Ausgang zur Wiesmad, auf der sich das Mädchen befände, sein würde, und so freute sich dieses schon jetzt auf dessen baldiges Wiedersehen.

Aber auch Marietta war heute wie umgewandelt, ihre achatschwarzen Augen glänzten wie Diamanten; gleich Liesl hatte sie ihre schwarzen Haare in dichten Zöpfen um den Kopf geschlungen, und das grüne Mittenwalder Hütchen, welches ihr Liesl gegeben, verlieh ihr einen besonderen Reiz; zudem hatte sie das ihr von Nandl übergebene hellfarbige Tuch mit dem Geschmack einer Südländerin übergeworfen, und der blaue, rotgestreifte Leinenschurz gab selbst ihren ärmlichen Kleidern wieder besseres Ansehen. Um die Schulter trug sie ihre im Futteral verwahrte Laute. Mit den am Wege blühenden Alpenrosen, auf deren frischem Rot der Morgentau perlte, hatte sie sich gleich Liesl Hut und Brust geschmückt. Die gestrige Ermüdung war aus ihrem Gesichte geschwunden, und freudige Hoffnung strahlte in all ihren Zügen.

69 Jakl hatte ihr nichts verhehlt von all den Verlegenheiten, die seiner in der Heimat warteten; auf die alte Nandl hatte er stets sein Hauptvertrauen gesetzt, und die wenigen Worte von dieser waren es, welche Marietta mit freudiger Zuversicht erfüllten.

Von dem Verhältnisse zu Liesl aber hatte Jakl nie eine Silbe verlauten lassen; so ahnte die welsche Frau auch nicht, was im Herzen und im Kopf ihrer Begleiterin vorging. Merkwürdigerweise fühlten sich beide unwiderstehlich zu einander hingezogen, man hätte sie in der That auf den ersten Blick für Schwestern halten können, doch waren Mariettas Gesichtszüge feiner, schöner und entschiedener; es war vielleicht der leidende Zug, welcher trotz aller Heiterkeit in diesem Gesicht lag und die 70 immerhin noch merkliche Blässe, welche die Fremde so interessant erscheinen ließen; dabei verlieh ihre Stimme dem gebrochenen Deutsch, das sie sprach, einen großen Wohllaut, und wenn sie lächelte, zeigte ihr schön geformter Mund zwei Reihen prächtiger weißer Zähne.

Durch einen stämmigen Buchenwald kamen sie jetzt, fröhlich plaudernd, am Lautersee, diesem reizenden kleinen Gebirgswasser vorüber, zu welchem im Halbkreise über grüne Buchen und Tannen die riesigen Bergwände und Spitzen von den Soyen bis zum Karwendel und den Wetterschroffen herniederschauen, und in dessen klarem Wasser sie sich heute wunderbar spiegelten.

»So schön ist es bei uns nicht!« rief Marietta. »Wie glücklich muß machen, hier seine Heimat zu haben!«

»G'wiß is's schö' bei uns,« meinte Liesl. »Drum verlangt si aa neamd furt von da, und is er in der Fremd, so ziagt's 'n hoam mit G'walt in seine schöna Berg, ohne die 's koa' wahre Freud, koa' Leb'n giebt für den, der da geborn is.«

»Ja, ja, das weiß ich – das begreif ich jetzt,« erwiderte Marietta. »Bei ihm ist's so gewesen.«

»Bei dein' Mann?« fragte Liesl.

Marietta nickte schweigend mit dem Kopfe.

»So is dei' Mann koa' Welscher?«

»Nein, er ist ein Deutscher, und seine deutsche Heimat lieben über alles. Aber ich werde auch lieben diese Heimat, weil so schön und prächtig und die Menschen so gut, so liebhaft.« Dabei drückte sie dem Mädchen dankbaren Blickes die Hand.

Nun ging es in einem wunderherrlichen Hochthale längs des lustig dahinsprudelnden Ferchenbaches und am 71 Fuße des Grünkopfes, an einem zweiten Gebirgssee, dem Ferchensee, vorüber, welcher hart an den Wänden des Wetterstein liegt und von einer großartigen Berglandschaft umgeben ist. Das herrliche Echo, welches hier von den Wänden schallt, verursacht, daß selten ohne einen fröhlichen Laut und dessen schönem Widerhall da vorübergezogen wird, und so ließ auch Liesl einen langgedehnten Juhschrei aus froh bewegter Brust hinaushallen über die dunkelgrüne Wasserfläche, hin zu den felsigen Wettersteinschroffen.

Das fünffache Echo war noch nicht verhallt, als in der Nähe ein Schuß erdröhnte, der donnerähnlich sich fortpflanzte und dessen gewaltiges Echo mit grollender Stimme von den Felswänden widerhallte. Der Schuß kam von der Ferchenseewand, und der Jäger dort oben war niemand anderer als der Krüner Ferdl, der gestrige Ritter Bertrand, Hirlandas Sohn, der heute Liesl mit diesem Schusse seinen Morgengruß darbrachte.

Frau Schändl hielt diesen Knall für eine sehr zarte Aufmerksamkeit, Liesl meinte aber lachend, sie wäre über diese Zartheit fast erschrocken, sie höre viel lieber Sang und Spiel als Flinten- und Böllerschüsse. Die Mutter dagegen stellte ihr vor, wie schön das von einem Mann wäre, mit der Flinte auf den Bergen herum zu revieren, die Gefahren zu mißachten und zu Hause doch des Vaters Kasten voll Geld zu haben, kurz, zu leben, wie der Vogel im Hanfsamen.

Aber Liesl hielt den Grundsatz aufrecht, daß sie den Mann am meisten liebe, der sich sein täglich Brot selbst zu verdienen wisse, und nicht auf des Vaters Geldkasten angewiesen sei; der Vogel im Hanfsamen hätte für sie nichts 72 Neidenswertes. Was sich der Mensch selbst verdiene, meinte sie, schmecke am besten, aber als die Frau des reichen Krüner dürfte sie nicht einmal die Freuden der Wiesmad mehr genießen, und ohne diese hätte das Leben der Mittenwalderin seinen Hauptreiz verloren; kurz, sie wollte nicht über ihre Sphäre hinaus, die Mutter wisse schon, worin ihr Glück, ihr wahres Glück bestünde.

Frau Schändl schüttelte den Kopf und schwieg. Des Vaters Grundsätze und Anschauungen sprachen aus der Tochter, sie wußte, daß sie vergebens dagegen anstrebte.

Nun war die Wanderung bald vollendet. Eine kurze Strecke im Thale des Ferchenbaches aufwärts gegen Ellmau zu befanden sich nämlich an dem rechtseitigen, teilweise sehr steilen Thalabhange die dem Geigenmacher Schändl gehörigen Bergwiesen. Nahe am Fuße des Hanges standen die aus gezimmerten Baumstämmen hergestellten Städel. Die Bergwiesen geben prächtiges Futter, sind jedoch nur einmal im Jahre mähbar. Mittenwald besitzt auf einer Strecke von mehreren Stunden sehr ausgedehnte Bergwiesen solcher Art, gewöhnlich Wiesmad genannt, die im Hochsommer gemäht werden. In dieser Zeit scheint der Markt oft wie ausgestorben, denn die Mehrzahl seiner Bewohner befindet sich Tag und Nacht auf der Wiesmad.

Die Nacht wird in den Städeln auf duftendem Heu zugebracht. Selbst das Vieh ist an schattigen Plätzen frei zur Weide gelassen. Auf jeder Wiese ist auch eine kleine Hütte, die zu einer provisorischen Küche dient, woselbst die Hausfrau für die Wiesmadleute kräftige Schmalznudeln und die hier übliche Polenta aus türkischem Weizenmehl (Mais) bereitet. Es fehlt auch nicht an geräuchertem Rindfleisch, Bier und Enzian.

73 Die Wiesmadarbeit ist gleichwohl wegen der hohen und hügeligen Lage der Wiesen sehr beschwerlich. Das Heu muß auf zweiräderigen Karren, den sogenannten Wiesmadkarren, zwischen deren Rädern eine sehr lange, gegen ihre Endpunkte stark geschweifte Leiter ruht, oder in Tücher gebunden und auf der Schulter getragen, in die Städel gebracht werden. Die Lage der meisten Wiesen ist so bergig, daß das Heu erst zur Winterszeit mittelst Handschlitten oder sogenannten Hornschlitten nach Hause gebracht werden kann.

Die Wiesmad bildet aber trotz ihrer vielen Beschwerden die Erholung und gleichsam die Sommerfrische der Mittenwalder. Die das ganze Jahr über an ihren Werktischen in gekauerter Stellung sitzenden Geigenmacher betrachten diese Zeit als die langersehnten Feiertage. In Gottes freier Natur fühlen sie sich bald wieder gestärkt an Leib und Seele, und der Schlaf auf dem duftenden Heulager bekommt ihnen besser als der in ihren schweren Federbetten.

Die jungen Burschen freilich schlafen auf der Wiesmad sehr wenig; besonders in schönen Mondscheinnächten revieren sie oft meilenweit herum, um bei Kameraden oder Mädchen, die gleichfalls auf der Wiesmad sind, einen Hoagast zu machen (Besuch abzustatten). Dabei bedienen sich viele langer Geißeln, mit denen sie auf den Höhen knallen, daß man es stundenweit hört. Des Jodelns und Jauchzens ist auf der Wiesmad kein Ende.

Auch von seiten Liesls ward das ihrem Hause zueigene, wohl an die fünfzig Tagwerk große Bergterritorium mit einem frohen Jauchzer begrüßt. Hier hatte sie stets, als Kind, wie erwachsen, die glücklichsten Stunden verlebt.

74 Schändls Wiesmad glich einem prächtig angelegten Park, nur fehlten die bekiesten Wege. Herrliche Strauch- und Baumgruppen und einzelne Lärchen und Fichten standen dort zwischen weit ausgedehnten grünen Matten, auf denen die Region der Alpenkräuter bereits begonnen hatte. Ein munteres Wässerchen plätschert vom Berge herab, an welchem sich verschiedene Farnarten und die freundliche Saxifraga angesiedelt, überall oben blüht das Alpenmaßlieb und Hunderte von blauen Gentianen, an deren Ultramarin man sich nicht satt sehen kann. Ueber die Waldberge und Matten blicken die weißen Felsenkämme in das prächtige Gebirgsthal, über welches hin und wieder riesige Geieradler in majestätischem Fluge hinschweben. Dort zeigt sich ein Hochwild, das, überrascht in der gewohnten Waldesstille gestört worden zu sein, ungern in die höheren Regionen flüchtet und nur zur Nachtzeit sich wieder herabwagt in die Nähe der Eindringlinge, die ihm die beste Aesung hinwegnehmen.

Wölbt sich ein freundlicher blauer Himmel über all dieser Herrlichkeit, so begreift es sich, wie in den Mittenwaldern selten ein Verlangen nach Luftveränderung, nach Bädern und Reisen auftritt. Sie haben die beste Stärkung ihrer Gesundheit auf ihrer Wiesmad. Hier spricht der Geist der Natur wunderbar erquickend aus den tiefen, frischen grünen Bergthälern, aus allen Alpenbächen, aus allen Matten und Wäldern, Felsen, Schneefeldern und Blumen, und deshalb lieben sie auch ihre Heimat über alles, denn sie halten dafür, daß die Welt nirgendwo schöner ist, als bei ihnen.

Fühlte dies die glückliche Liesl heute mehr denn je, so wünschte sich der junge Lautenmacher in diesem 75 Augenblicke viele hundert Meilen weg von da; er verwünschte sein Hieherkommen, das schon nach wenigen Stunden so viel Unheil angestiftet, das allerdings bis jetzt nur ihm und der alten Nandl bekannt war.

Sein erster Gedanke war, nachdem er sich von der Nachricht, die ihm die Mutter brachte, erholt hatte, sofort zum Nachbar Schändl hinüberzugehen und ihm alles zu enthüllen. Aber Schändl war bereits den Seinigen freudigen Herzens auf die Wiesmad nachgeeilt.

Die Mutter glaubte, ihr Sohn wäre nur an und für sich gegen ein Darlehen, sie meinte, Jakls Stolz sei dadurch verletzt worden, und sie gab sich alle Mühe, ihm auseinanderzusetzen, wie sie, ohne Schändl zu verletzen, das freiwillige Anerbieten seines künftigen Schwiegervaters nicht zurückweisen konnte. Die alte Nandl gab dem Burschen durch Zeichen zu verstehen, er solle der Mutter vorerst nichts verraten, als sie aber wieder allein beisammen waren, beratschlagten sie, was nun weiter zu thun sei.

»O mei' Gott, o mei' Gott!« rief Nandl; »i und die Deandln hab'n so schö' bet für di, daß dir sollt g'holfen wern. Die Himmelsleut müassen's netta falsch verstanden hab'n, denn – gholfa is dir gwen, ehvor i no' hoamkemma bin; g'schwinda hätt's wahrli nit gehn kinna! Aber halt vom Schändl hätt' d' Hilf nit kemma soll'n. Geh hin zu eam iatz und sag's, du kannst sei' Deandl nit heiraten, er soll's 'n Krüner Ferdl geb'n, der 's scho' lang möcht, sag, du hast scho' a Wei'; koa' Wunder waar's, wenn den guaten Mann der Schlag am Platz treffet. O mei' Gott, wie wird dös enden!«

76 »I geh auf und davon!« rief Jakl. »Trotz all dem Schrecken fühl i mi heunt wieder kräfti und g'sund.«

»Ja mei', um dei' G'sundheit hon i ja aa bet', und daß 's ehnda nutzt, hon i dir a groß's Stuck Guglhupf und a Maß Kaffee und daneben an' Beutl mit etli Kronathaler fürs Bett hintho'; no' ja, i denk mir's ja von eh, daß dei' Hauptkranket der laar Mag'n und der laar Geldbeutl gwen is. Gelt, Büawal, dös hat dir nit schlecht tho'? Aber daß dei' Muatta mit 'n Schändl d' Heirat anbandelt und gar der Liesl ihra Heiratsguat schon im voraus für di vorausgabt hat, dös hon i nit dabet'n woll'n.«

»So viel is g'wiß, der Schändl muaß sei' Geld wieder z'ruckkrieg'n, kimmt's her, wo's will,« versetzte Jakl entschieden, »und wenn i's stehlen müaßt.«

»Hörst auf! A so a Schandthat sollst gar nit aussprecha!« rief Nandl. »Woaßt, i bet morg'n wieder mit meine Rosenkranzdeandln, leicht, daß uns unser Herrgott was G'scheits einfall'n laßt.«

»Na', na'!« rief Jakl; »plag unsern Herrgott nit mit söllane Geldg'schichten, er is a so plagt gnua mit andere Sachen; 's Geld is 'n Teufi sei' Sach, und –«

»Maria und Joseph!« schrie Nandl entsetzt; »du wirst di dengerscht nit 'n Fankerl verschreib'n?!«

»Du bist dran schuld!« antwortete Jakl vorwurfsvoll. »Warum hast nit alles glei der Muatta g'sagt, warum hab'n ma a G'heimnis draus g'macht, wo 's dengerscht nimmer z' ändern is! Is's nit gnua, wenn d' Muatta durch mi ins Unglück kimmt, muaß aa der Schändl und sei' Tochter no' ums Ersparte kemma? Nandl, dös halt 77 i nit aus! I geh zu die Moasta und laß mir dös Geld wieder z'ruckgeb'n.«

»Ja, die wern dir glei' aufwarten,« versetzte Nandl. »Dös wär a Dummheit. Halt di vor allem in Respekt; wir hab'n die ganz Wocha vor uns, eh d' Liesl wieder von der Wiesmad kimmt, bis dahin kann si viel auswachsen. I bitt di da Gottswilln, plan dir nix Schlechts aus, hör erst mein' Rat, ehst was anfangst.«

»Natürli'!« sagte Jakl wegwerfend. »Was an' Altweiberrat nutzt, dös hab'n ma scho' gsehgn; iatz hoaßt's, mannbar sei' oder veracht't wern!«

»Jakoberl, Jakoberl!« rief die Alte; »dös is a trutzige Red. Der guate Rat von an' alten Wei' hat no' so weng Unglück ang'richt't in der Welt als ihra Seg'n. An' alt's Wei' is oft g'scheita als a junger Fant, dem's rapidi kapidi umgeht in sein' Kopf, wie zum Beispiel iatz dir. Ans Davonlaufen und an 'n Teufel denkt unseroans freili nit glei', unseroans sinniert halt über a Sach nach, und manches Guate in der Welt is scho' von an' alten Wei' aussinniert worn.«

»Muaßt ma nit bös sei'!« begütigte jetzt der Bursche, der sich verletzt fühlenden Matrone die Hand auf die Schulter legend. »Die ganz G'schicht is mir halt widerhaari; lieber wär i wieder auf der Landstraßen mit meiner Marietta, als in dem Wirriwarri.«

»Sei staad!« warnte Nandl, sich mit der Schürze ein paar Thränen aus den Augen wischend; »i hör über d' Stieg'n auffagehn. Verrat di nit, folg mir!«

Die Thüre öffnete sich und die Mutter erschien mit freudestrahlendem Gesicht, ihr folgten vier junge Männer.

»Jakl,« rief die Mutter schon unter der Thüre, »da 78 bring i dir 'n Amtmann und d' Beiständer von der Bubenbruderschaft! Der ganz Markt g'freut si, daß d' wieder so glückli hoamkehrt bist, und deine Kameraden da bringa dir an' extrige Ehr.«

Jakl begrüßte die Freunde; einer von ihnen, der sogenannte Amtmann, ergriff dann das Wort und sagte:

»Im Namen unserer Bubenbruderschaft thu ich dir zu wissen, daß du bei der letzten Wahl einstimmig zu unserem Vorstand, zum Bubenrichter, gewählt worden bist. Der Krüner Ferdl hat einstweilen deine Stelle vertreten, von heut an aber sollst du, Junggeselle Jakob Blasi, Lautenmacher von Mittenwald, unser Bruderschaftsoberhaupt sein. Im Namen des Vereins, dem du seit vielen Jahren eine Zierde bist, heiße ich dich hochwillkommen und bringe dir mit den Beiständern das übliche Vivat: Unser ehrengeachteter und tugendsamer Bubenrichter soll leben. Vivat hoch, hoch, hoch!«

Die Beiständer riefen wacker mit. Jakls Mutter weinte vor Rührung über diese Szene. Die alte Nandl und Jakl dagegen sahen sich in höchster Verlegenheit fragend an.

»Aber, meine lieben Freund,« sagte Jakl ausweichend, »die Ehr kann i nit annehma.«

»Du mußt sie annehmen!« entgegnete der Amtmann bestimmt;»so lautet unser Statut.«

»Was soll i thuan?« fragte Jakl leise seine alte Pflegerin. »Soll i's sag'n, daß i koa' Jungg'sell mehr bin?«

»Beilei' nit!« raunte ihm die Alte zu. »Die brauch'n erst no' gar nix z' wissen; iatz san ma scho' drin im Schwänkmacha, iatz geht's in oan hin.«

Sonach erklärte sich Jakl mit etwas zitternder Stimme 79 bereit, die ihm angebotene Ehrenstelle anzunehmen, wenn auch, wie er hinzusetzte, voraussichtlich nicht auf lange.

Einer der Beiständer erwiderte hierauf, daß sie schon wüßten, was dieses »nicht auf lange« zu bedeuten hätte, und gratulierte sofort zur Verlobung des Bubenrichters mit Schändls Tochter, seinem Beispiele folgten auch die übrigen.

Jakl versicherte zwar, er wisse gar nichts von einer Verlobung und könne die Gratulation nicht annehmen, aber zum Schrecken Nandls und Jakls platzte die Mutter lachend mit den Worten heraus:

»Er woaß's scho'! Geh iatz nur mit die Leutln, die dir so viel Ehr bracht hab'n, zum Neuner (Post) und traktiers mit an' guaten Wein, er thuat dir aa wohl nach deiner beschwerlichen Roas'.«

Dagegen war nichts einzuwenden. Jakl zog schweigend seine Joppe an, und Nandl reichte ihm mit einem unaussprechlichen Blicke den Hut hin. Dann verließen die Burschen mit ihrem Bubenrichter das Haus, um mit ihm die Freude dieses Tages bei einigen Flaschen echten Tirolers zu feiern. 80


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