Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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XIV.

Beim Bruckenwirt saß der alte Schändl in einem sehr gemütlichen Kreise von Gästen, bestehend aus Jägern und Finanzwächtern, dem Schullehrer, Benefiziaten, dem Klaslihannes und dem Leutaschmüller. An den übrigen Tischen waren Leute von verschiedenem Erwerbsbetriebe: Bauern, Holzarbeiter, hausierende Händler und Pascher, welch letztere ganz traurige Gesichter machten, da sie von einer Grenzsperre hörten, denn um diese drehte sich vorzugsweise die Unterhaltung an dem Herrentische. Eine solche Maßregel war den Tirolern höchst unangenehm, zumal viele glaubten, man mache aus der auftretenden Krankheit mehr Wesens, als nötig sei.

Nur der Klaslihannes sagte in seiner gewohnten Manier: »Ja, warum soll denn grad zu uns die Ruhr nit kömma? Warum soll uns der Militärkordon scheniern? Warum solln ma die tirolisch Kranket ins Boarische ummi lassen? B'halt's es nur herent, wir brauchen's nit.«

»Aber unsern Wein braucht's!« rief der Leutaschmüller, der gleich den andern schon manchen Schoppen »Roten« vertilgt hatte.

»Warum soll'n ma denn enkan Wein brauchen, enkan roten Essig? Also, also auch und dabei! Hab'n wir denn koa' Bier, koan Gerstensaft?«

»O ja!« versetzte der Müller. »Aber mir is der Wein roacher (roh) liaba, als wie 's Bier g'sotten!«

177 Die Leute lachten, und bald war das unerquickliche Krankheitsthema einer heitern Unterhaltung gewichen, und Guitarre und Zither ertönten auch hier in der vom Tabaksqualm erfüllten Stube. Größere und kleinere Lieder wechselten, und als endlich das Schnadahüpfel an die Reihe kam, ward ihm die Herrschaft ganz allein zu teil. Helles Gelächter erschallte oft bei den witzigen Einfällen, und selbst der alte Geigenmacher, der vor Zeiten als ein Meister in den Schnadahüpfeln galt, mußte zur allgemeinen Erheiterung das Seinige beitragen. So sang er denn einige frohe, von ihm selbst verfaßte Reime, in welche beim Schlusse der Chorus stets lachend einfiel:

»Schätz hab i allerhand,
Oar is vom Schwabenland,
Oar von Tyrol,
Und der g'fallt mir so wohl,
Der is der schönst Bursch drobn am Platz,
(: Und der ander in der Untergaß, der is mei' Schatz! :)

Heunt gehn ma' zum Kirta,
Zum Tanzen voll Stolz,
Und morgn tanzt 's Wieserl
Da auß'n im Holz.
Da geh i mit der Buttn hoch auffi im Grabn,
(: Da thua i dena grüna Tannabaam d' Rinden abschabn. :)

Mei' Bua is im Wirtshaus
Und mi laßt er z'ruck,
Wie lang is 's scho' her,
Daß i zum Fenster nausguck!
I hör scho' d' Trompeten und d' Geign' und d' Flöt,
(: Ob er aber ebba umma kimmt, dös woaß i nöt. :)

Hansl, schütt 's Bier nöt aus'
Kreuzsapperlot! 178
Gelt, die neu Kellnerin,
Die g'fallt dir guat.
Moanst, sie g'hört dei', es braucht sonst nix mehr?
(: Wart, da werd da Wirt dreinred'n, der laßt's nit her. :)

Wenn si' oane gar sö blaaht (bläht)
Links und rechts 's Köpferl draaht,
Steckt oft im ganzen Kind
Nix als wie a Wind.
Sagt's, sie kann Muster sticken, voller Triumph,
(: So kann sie, kann sei', koa Sackl flickn, nit amal an' Strumpf. :)

Z' Murnau is Markt,
Da siehgt ma's grad gnua,
A rotseidens Tüacherl,
Dös kaaft mir mei' Bua.
Aber wenn er's vergißt, aber wenn er mi stimmt,
(: Na' will i wohl a Weil a wulles trag'n, bis er amal kimmt. :)

'n Müller sei' Stasi,
Die tauget mir scho',
Aber zahnlucket is 's,
Drum beißt's aa nit o'.
Iatz fahrt's bal in d' Stadt, da kaaft sie si' Zähn,
(: Drum paß i, bis sie besser beißen kann, na' wird's scho' gehn. :)«

Der alte Schändl hätte eine halbe Stunde so fortsingen können, die übrigen Gäste wurden nicht müde, immer wieder neue witzige Strophen zu hören. Aber die Kellnerin meldete dem Sänger, daß Liesl seiner harre, und er schickte sich nach kurzem Abschiede zum Bedauern aller sofort zum Gehen an.

Draußen fand er Liesl.

Der Alte, vom Weine etwas angeheitert, war so vergnügt bei diesem Anblick, daß er einen Juhschrei kaum zu unterdrücken vermochte.

179 »Hast eams g'sagt, dem Sapperloter?« rief er lachend. »Macht der Jakl koa' dumme G'schichten?«

»Ja, warum sollt denn der Jakl koane G'schichten machen?« fragte der nacheilende Klasli. »Halt's, halt's, laßt's mi aa mit! Nacht wird's bald und d' Wolken lassen koan Stern awa.«

»Fürchtst di ebba?« fragte Schändl.

»Warum soll denn i mi fürchten? Also auch und dabei! Dös giebt's nit bei mir, also auch und dabei; aber halt mit enk möcht i hoamgehn.«

»Wenn's d' nit alleweil dei' dumms Sprichwort sagest, und nit in oan Trumm fragest, waar's d' mir scho' recht, aber du kimmst mir vür, wie r a lebendigs Fragezeichen.«

»Ja, warum soll denn grad i um nix frag'n?« rief der Klasli. »Also auch und dabei, dös möcht i wissen?«

Man gab ihm keine Antwort mehr und suchte so schleunig als möglich den Waldgang zurückzulegen, bevor die Nacht weiter vorschritt.

Liesl, in deren Arm sich der Vater eingehängt, schritt selbst wie berauscht dahin, und ihre verwirrten Antworten fielen dem Alten nicht auf. Wegen Klaslis Anwesenheit konnte ja über die wichtigen Fragen des Tages nicht disputiert werden, was Liesl recht lieb war. Nach einstündiger Wanderung kamen sie zum Höllkapellein hinaus.

Liesl dachte an heute vor acht Tagen. Dort unter dem Baum hatte sie ihn zum erstenmal wieder gesehen! Wie war sie damals reich, trotzdem sie ihn als Bettler wieder fand. Und heute gab es vielleicht keinen Bettler in der ganzen Welt, der sich ärmer dünkte als sie.

Ein lautes Wimmern war jetzt unter dem Baume zu 180 vernehmen, unter welchem vor acht Tagen Jakl in dieser nächtlichen Stunde lag.

»Was is dös?« fragte Liesl.

»Am End is gar der Klammgeist unterwegs,« spaßte Schändl.

»Warum soll denn der nit unterwegs sei'?« rief der Klaslihannes.

Zögernd näherten sie sich der Stelle, von welcher das Wimmern kam, und trotz der Dunkelheit erkannten sie in dem am Boden liegenden Manne den Zundermichl.

»Michl,« rief Schändl, »was is 's mit dir? Hast an' Rausch?«

»I wollt, i hätt' oan!« antwortete der am Boden liegende Michl, »nachher gspüret i nit den Wehthoa'. Schändl, seid's z'ruck? Habt's eam's g'sagt? No', Gott sei's gedankt! Mit mir is's aus – i stirb.«

»Ge, laß di auslacha!« sagte Klasli. »Was hast denn? Steh auf und geh mit uns hoam.«

»I kann nimmer – es is gar mit mir – i glaub, i hon die Kranket in mir, von der's sitta etli Tag so viel reden.«

»Den kinna ma dengerscht nit da liegen lassen,« sagte Schändl. »Helf ma eam auf. Sei' Kranket kenna ma scho'. Aber oa' Ehr is der andern wert. Ge zua, Klasli, hilf zua!«

Die Männer halfen dem Schlemmer auf die Beine, auf denen er sich kaum halten konnte, nahmen ihn unter den Arm und halfen ihm den Berg hinab.

Hier ward ihnen ein mehrfaches »Halt!« entgegengedonnert. Zwei Grenzaufseher harrten ihrer.

»Was habt's über d' Grenz bracht?« fragten sie.

181 »Ueber d' Grenz hab'n ma an' kloan Weintampes bracht,« antwortete Schändl, »und beim Höllkapellein ob'n hab'n ma den Zunderer da aufpackt – alles zollfrei!«

»Passieren!« hieß es von seiten der Aufseher, nachdem sie sich überzeugt, daß alles in Ordnung sei.

Der Zundermichl wurde in einem der ersten Häuser, wo er seinen Unterschlupf hatte, abgegeben. Er jammerte wie ein kleines Kind, sprach immer vom Sterben und erschreckte in der That die ihn Begleitenden, besonders Liesl, die ihm in Eile sein schmutziges Lager zurecht machte.

Schändl versprach, den Arzt und jemand zur Pflege sofort auf seine Kosten herauszuschicken, da die noch im Hause wohnenden Leute sich um den »Besoffenen«, wie sie ihn nannten, nicht kümmern wollten.

»Moant's, es geht nit dahin mit mir?« fragte Michl ängstlich.

»Ja, warum soll's denn mit dir nit dahingeh'n?« antwortete Klasli. Aber Schändl setzte ermutigend einige Trostesworte hinzu und dann verließen sie unter seltsamen Gedanken die schmutzige Hütte.

Die Männer fühlten sich niedergedrückt, selbst Klasli hatte mit seinem Fragen aufgehört und verabschiedete sich mit kurzem Gruße vor Schändls Wohnung. Liesl dagegen fürchtete nichts mehr, weder für Gesundheit noch Leben war ihr bange, denn nach dem Verluste des Geliebten erschien ihr alles wertlos, und nur eines war ihr erwünscht – der Tod.

Die alte Nandl hatte durch den Geigenmacher kaum gehört, wie der Zundermichl in der denkbar schlimmsten Lage, ohne jede Hilfe, lebensgefährlich krank in seiner Kammer liege, als sie auch schon entschlossen war, ohne 182 Verzug mit stärkenden Tropfen, einem Fläschchen Wein und einigem Bettzeug zu dem verkommenen Manne zu eilen. Sie traf ihn noch so, wie er nach Hause gebracht worden war, in einem bedauernswerten Zustand. Er atmete hoch auf, als er bei dem schlechten Licht einer Laterne Nandl erkannte, und gierig nahm er die ihm gereichten stärkenden Mittel ein.

»Is's denn mögli,« sagte er, »mir is no' in der letzten Stund so a Glück vogunnt? Du, Nandl, die mir fluachen sollt, du nimmst di no' an um mi alten Lumpen? Dös thuat wohl, wohler als die Tropfen, als alles in der Welt.«

»Halt di nur ruhi!« mahnte die Alte, »leicht wirst wieder. I hör 'n Dokta kemma; iatz wern ma's glei hör'n.«.

Der Arzt trat ein und war nicht wenig überrascht, die alte Nandl hier als Pflegerin zu finden.

»Das ist brav,« sagte er. »Ich habe nach mehreren geschickt und gute Bezahlung angeboten, aber niemand will das Geld verdienen. Ihr freilich übt hier nur ein Werk der menschlichen Barmherzigkeit aus, das macht Euch Ehre. Wie steht's mit unserem Kranken? Michl, hast halt an' Rausch, gelt?«

»O na', Herr Dokta; die ganz Welt verkennt mi. Vom Trinka kommt die Kranket nit.«

Der Arzt hatte dieselbe auch sofort erkannt.

»Wo hast dich denn rumtrieben in der letzten Zeit?« fragte er den Alten. »Halt drüben in Tirol, nicht wahr?«

»Ja, ja.«

»Und hast verschiedene lumpige Schlafkameraden g'habt?«

183 »A so is's, ja, ja!« antwortete Michl, dem plötzlich ein Licht aufging; »'n kranken Mitschlafer hon i naachst g'habt. Und viel umanander trieb'n hat's mi halt in der letzten Zeit in die Steig. Da wirst halt lauta müad und matt.«

»Und dazu nichts gegessen, grad trunken, gelt?« examinierte der Doktor weiter.

»Ja, ja, – o, der Wehthoa'!«

Der Arzt hatte die nötige Medizin schon mitgebracht, denn er ahnte nach Schändls Beschreibung bereits, um was es sich handle. Er gab dem Kranken davon und ordnete verschiedenes an.

»Dokta, sagt's ma's, geht's z' End mit mir?« fragte Michl. »Sollt i nit 'n geistlin Herrn kemma lassen? I möcht halt dengerscht gern in Himmi kemma, damit i durt mit ebban zamkemma kunt, der mir 'n Himmi scho' auf dera Welt g'macht hätt, wenn i nit selm der Höll zua waar.«

»Wenn dir's ein Trost ist, kannst 'n geistlichen Herrn kommen lassen,« erwiderte der Arzt; »ich selbst werd ihn dir schicken. Gute Besserung jetzt! Morgen komme ich wieder.«

»Gelt's Gott, Dokta; morg'n, moan i alleweil, is 'n Zundermichl sei' Zunder ausbrunna.«

Der Arzt that, als hörte er das nicht, und verließ die Stätte des Elends. Nandl geleitete ihn bis vor die Thüre.

»No', was is's?« fragte sie da.

»Ein Elend ist's,« antwortete der Doktor;»jetzt haben wir d' Ruhr schon da in Mittenwald. Er lebt keine drei Stunden mehr. Wenn Ihr Euch vor der Krankheit 184 fürchtet, bleibt lieber weg. Ich schicke einen Krankenwärter vom Spital.«

»Na', na',« erwiderte Nandl, »i hon koa' Furcht, i bleib scho' bei eam. Schickt's nur an' geistlin Herrn, daß sei' Seelenheil g'rett' wird in der letzten Minuten.«

Der Arzt versprach dies und entfernte sich eiligst.

Als Nandl wieder in die kleine Kammer getreten war, und mit der Hand dem alten Michl über die Stirne fuhr, da fragte er:

»Gel, Nandl, du hast mir alles verzieh'n?«

»Gewiß!« bestätigte die Alte.

185 »No', so wird mir aa unser Herrgott verzeihn. I sehg di als jungs Dirndl, so liabli, so guat und – iatz is ma, als führet mi dös Dirndl ins Paradies – was is denn dös?«

»Dös is die treu Liab,« erwiderte Nandl gerührt und mit Thränen in den Augen, »die treu Liab, die ewi jung bleibt und die oan ins Paradies führt scho' auf dera Welt.«

Michl hatte die Augen geschlossen und atmete tief.

Der alsbald mit dem Meßner ankommende Geistliche spendete ihm die heiligen Sakramente. Nandl betete ein Vaterunser, doch noch ehe sie damit zu Ende war, hatte der Alte aufgehört zu atmen.

Sein Leben war ein verdorbenes, voll Schmach und Schande, doch um die letzte Stunde konnten ihn manche beneiden, denn ein treues Herz wachte bei ihm, und die müden Augen drückte ihm die Liebe zu, die unsterbliche. – 186


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