Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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V.

Wenige Stunden nach des Lautenspielers Erzählung bereitete sich der junge Tag vor. Mit dem ersten Morgengrauen ertönte vor Blasis Haus ein wunderbarer Gesang. Er kam von den Rosenkranzmädchen, welche ihrer »Mutter« Nandl das Namensfest, den St. Annatag, ansangen.

In Mittenwald besteht ein uraltes Bündnis von sogenannten »Rosenkranzmädchen«, die unter Leitung einer alten Matrone, »Mutter« genannt, stehen. An gewissen Festen des Jahres und an den Vorabenden derselben verrichten sie in der Kirche ihre gemeinschaftlichen Gebete. Dieses Gebet wird auch von den Pfarrangehörigen in großen Bedrängnissen des Lebens oder bei schweren Leibeskrankheiten in Anspruch genommen. Da ziehen dann die Mädchen mit ihrer Mutter in die Pfarrkirche, um für ihre leidenden Mitmenschen zu beten. Das Gebet wird laut verrichtet; ein kleines Geldreichnis ist ihr Lohn.

Sie sind bei dieser Gelegenheit ganz altmodisch, mit enganliegenden Jacken, Gollern, Röcken und Schürzen, wie man sie vor etwa zwei- bis dreihundert Jahren getragen, gekleidet und tragen in ihren Haaren zylinderförmige Kränze. Wie alljährlich, so sangen sie auch heuer ihrer Mutter den Tag an, und ihr schönes Lied, von Saiteninstrumenten begleitet und von deren Tönen getragen, hallte gar wunderbar und feierlich durch die Stille des Morgens.

54 Der Eingang des Liedes lautete:

»Wachet auf, ihr Menschenkinder,
Wachet auf in schneller Eil,
Denn der Tag, er kommt schon wieder
Zu unserm Seelenheil.
Laßt uns die heil'ge Anna loben
Hoch im Himmel droben« usw.

Der »Angesungenen« kam diese Ehre nicht unerwartet, denn sie trat, völlig angezogen, zur Thüre heraus und lud die Mädchen ein, in das Haus zu kommen, woselbst in der Wohnstube denselben Kaffee und Gugelhupf vorgesetzt wurde. Es ward dann ausgemacht, die »Mutter« zum Frühgottesdienst abzuholen und für einen ganz besonderen Fall, wie die alte Nandl sagte, des Himmels und der heiligen Anna Schutz zu erflehen.

Die Alte hatte, vor dem Hause stehend, auch sofort bemerkt, wie sich in Schändls Wohnstube ein Fenster öffnete und das fremde Weib neugierig dem Gesange der Rosenkranzmädchen lauschte. Während die Mädchen nun ihrem Kaffee wacker zusprachen, eilte sie zum Nachbarhause, um mit der Fremden einige Worte zu wechseln.

»Bist du d' Marietta?« fragte sie die noch immer am Fenster stehende Frau.

»Ja.«

»I woaß alles vom Jakl; verrat di vorerst gen neamd.«

»Wie geht es ihm? Er ist doch nicht krank?«

»Es geht eam scho' recht; i richt 'n scho' wieder zam.«

»So bist du Nandl?« fragte Marietta.

»No', was denn! I richt enka Sach scho'; aber vordersamst muaß 's a G'heimnis bleib'n.«

55 »Liesl, die Tochter vom Haus, hat mich eingeladen, mit ihr auf die Heuernte zu gehen. Was soll ich thun?«

»Mit gehst!« sagte jetzt Nandl. »I thua dir scho' Botschaft, wenn's Zeit is, daß d' wieder zu dein' Mann därfst. I hon aa r a bißl a Gwanta, Wäsch und Schuah für di herg'richt, glei lang i dir's eini durchs Fenster. Richt di guat zam und geh auf d' Wiesmad mit. Ueberlaß 'n Jakl und mir dös weitere.«

Marietta schloß seufzend das Fenster und that nach dem Wunsche der Alten.

Auch im oberen Stocke des Hauses wurde infolge des Gesanges ein Fenster geöffnet und zwar von Liesls Vater, dem Schändl. Es war ein kleines Männlein mit schneeweißen, noch üppigen Haaren, die in einem künstlerischen Durcheinander über seine gewölbte Stirne hereinhingen. Er hatte ein rundes, gesund gerötetes und glatt rasiertes Gesicht mit regelmäßigen Zügen. Er war ein guter, ehrlicher Mann, der trotz oftmaliger Beweise vom Gegenteil nur gut von der Welt dachte. Er war geneigt, immer das Beste von seinen Nebenmenschen zu glauben, und setzte in jedermann ein unbedingtes Vertrauen. Wenn nicht sein Weib hin und wieder die Zügel in die Hand genommen hätte, wäre er mit seiner Vertrauensseligkeit längst ein Bettler geworden. Andererseits ward er wieder in der schönsten Weise für seine Werke der Barmherzigkeit belohnt. Er übte übrigens diese nicht des Lohnes halber, sondern aus wirklicher Nächstenliebe; ging etwas fehl, so beschwichtigte er den Tadel seines Weibes mit den Worten: »Es kann nit alleweil eben sein, hin und wieder muaß »art« wern,« und war seine Hilfe von gutem Erfolge, so freute er sich darüber aus vollem Herzen. Dann nahm 56 er seine beste Freundin, die Viola, die er einst als sein Meisterstück gefertigt, und entlockte ihr wunderbare Töne, so ganz seiner glücklichen, zufriedenen Stimmung entsprechend; es durfte aber dabei niemand in der Stube sein; so ein Phantasiespiel ist verschämt wie das Gebet und die Liebe; ungesehen, unbelauscht, im stillen muß es vor sich gehen, soll es die rechte Weihe erhalten.

Wie alle Mittenwalder Geigenmacher, trug er kurze Kniehosen von Tuch, blaue Strümpfe, die bis über das Knie gehen, den grünen Schurz, der vom Hals über die Brust und den Unterleib herabfällt, und eine grüne Schlegelkappe, welche Kleidung die Geigenmacher nicht bloß in ihrer Werkstatt, sondern auch öffentlich und beim Besuche des Nachbars und Wirtshauses tragen.

Als der alten Nachbarin Nandl der Tag angesungen wurde, öffnete er das Fenster der oberen Stube und lauschte mit Rührung dem schönen Gesang. Mit Freude hatte er schon gestern bei seiner etwas verspäteten Nachhausekunft vom Postgarten von der endlichen Versöhnung seiner Frau mit der Nachbarin erfahren, und daß nun der Verbindung seines einzigen Lieblings, der Liesl, mit Jakl nichts mehr im Wege stand. Er hatte dies längst im stillen gewünscht, und als er jetzt Liesl aus ihrer Kammer, die ebenfalls im ersten Stocke gelegen, gehen hörte, rief er sie herein und sagte, nachdem sie sich gegenseitig guten Morgen gewünscht:

»Liesl, versäum nit, daß d' der Nachbarn-Nandl gratulierst, ehvor's d' auf d' Wiesmad gehst; d' Feindschaft is seit gestern vorbei und die Thüren wieder gegenseiti offen. Bring ihr aa mein' Glückwunsch und sag ihr, sobal a g'wisse Hochzeit is, tanz i mit ihr an' Allmodischen, wie er zu ihrem heutigen Gwand passet.«

57 Bei der noch geringen Tageshelle gewahrte er nicht des Mädchens Erröten.

»Also du hast nix dageg'n?« fragte Liesl. »Du giebst mir 'n Blasijakl zum Mann?«

»Was sollt i dageg'n hab'n? Der Krüner Ferdl möcht di freili aa, sei' Vata hat gestern lang mit mir drüber g'red't, aber i woaß 's ja, wie's d' g'stimmt bist, du willst koan andern als an' Jakl. No' ja, der jung Lautenmacher is g'schickt und brav, sunst hätten 'n seine Kameraden nit scho' mehrmals zum Bubenrichter g'macht von der Bubenbruderschaft, und er steht aa im Anseh'n bei uns Alten. Aber eins macht mi bedenkli, daß er uns im letzten Jahr alle sitzen laßt, daß er sei' Wort nit halt und gestern, als am Jakobitag, nit z'ruckkemma is aus der Fremd.«

»Er hat sei' Wort g'halt'n,« erwiderte Liesl leise und rasch. »Warum sollt i dir's nit anvertraun, der Jakl is z'ruckkemma.«

»No', dös g'freut mi!« rief der Alte; »hört doch amal dös Gejammer von die Moaster auf, wenn's ihr Geld krieg'n. Wo war er denn so lang? G'wiß is er im Glück g'sess'n und kimmt als wohlhabender Mann wieder z'ruck?«

»Dös trifft nit ein, Vata,« antwortete Liesl etwas kleinlaut; »'s Unglück hat 'n verfolgt, und krank und arm is er gestern nachts hoamkehrt. Sei' Muatta und i san eam zum Höllkapellein entgeg'n ganga, und mir hat's es Herz fast brochen, wie i 'n so elendi wiederg'seh'n hon.«

»Ja, was d' nit sagst!« rief der Meister schnell. »Was is eam denn passiert?«

»Es is eam halt amal verkehrt ganga,« erwiderte Liesl. »'s best is, daß 'n in Mittenwald neamd hat sehgn kinna und i moan, ma sollt's aa neamd wissen lassen.«

58 »Hm, hm!« machte der Alte;»dös is a Malheur, dös is a rechts Malheur! Nix wissen lassen? Wenn d' Moasta ihr Geld nit krieg'n, wissen's eh gnua, und aufrichti g'sagt, mi scheniert dös ganz sakrisch, wenn mei' künftiger Schwiegersohn an seiner Reputation verliert.«

»Aber Unglück kann do der bravste Mensch hab'n,« warf Liesl ein; »neamd is sicher davor; die best Absicht, der redlichste Will'n nutzen oft nix; 'n Charakter von Jakl kann neamd ebbas anhab'n.«

»Schlimm, schlimm!« meinte der Alte, indem er gewohnheitsgemäß mit den Fingern schnalzte. »Sein Charakter, moanst, kinna d' Leut nix anhab'n? Wer was verliert, verzeiht's dem sei' Lebta nit, durch den er's verlor'n hat, ob iatz der ebbas dafür kann oder nit; da giebt's Feindschaften über Feindschaften. Dös is a böse G'schicht!«

»So laß ma halt nix verliern!« versetzte Liesl. »Woaßt was, Vata, gieb du dös Geld her, dös der Jakl braucht, und koa' Mensch erfahrt's, daß er so elendi hoamkemma is.«

»Aber, Deandl, da müaßt i ja dei' Heiratsguat angreifa und all' mei' Ersparts hingeb'n! Der Jakl is heunt no', i woaß 's ja genau, an die dreitausend Gulden schuldi, dös is a Numero! Sei' Muatta hat scho' etli große Posten wegzahlt und kann nix mehr leisten. Deandl, dös is a schlimme Sach! Natürli is's ja, sitzen lassen thun ma 'n nit. Oes habt's enk gern und werd's a glücklis Paar. Und wenn der Jakl wieder seine Lauten macht, geht's wieder aufwärts, b'sunders, wenn er a liabs Weiberl an der Seiten hat.«

»Da fehlt si nix!« entgegnete Liesl. »Durch doppelten Fleiß bringt er alles wieder ein, und wir wern dir unser Lebn lang dankbarli sein, liabs, guats Vaterl!«

59 Dabei legte sie den rechten Arm um den Nacken des kleinen Männleins und strich ihm mit der linken Hand liebkosend die Wange. Ihr Gesicht war von heller Röte übergossen, denn es strahlte wider von dem glühenden Karwendel, auf dessen Spitzen und Zinken es hell aufzulodern schien.

»Ja, ja, die Berg leuchten so schö', als wolltens dei' Bitt unterstützen,« sagte der Alte. »Gar selten siehgt ma's in solcher Pracht, wie grad iatz. I nimm's für a guats Wahrzeichen, für a Glücksbotschaft. Es is die Sprach vom Himmi, und so thua i nach dein' Will'n. I will ummigehn zur Blasin, will ihr so viel geb'n, als's braucht, und d' Achtung vom Jakl leid't koan Abbruch. Aber, wohlverstanden, d' Muatta därf nix davon wissen, die leidet so was nit, die is in Geldsachen gar mißtrauisch. I sollt's aa sei' – aber no', i hilf enk.«

»Dank, tausend Dank, Vata!« rief Liesl. »Gelt, du richtst alles, du kannst ge auf d' Wiesmad nachkomma. Und oans versprichst mir, 'n Jakl red'st nit hart, wenn's d' 'n siehgst, gel?«

»I thua eam nit weh,« versprach der Vater lächelnd. »Sorg di nit, der Himmi wird dir so freundli weiter leuchten durch's Leb'n, wie's dort die Berg thuan.«

Liesl drückte des Vaters Hand.

»No' was, Vata,« sagte sie; »hast was dagegn, wenn ma die jung, arm Frau für die Woch über mit auf d' Wiesmad nehma, die heunt in der Stub'n unt' übernacht't hat?«

»Wer is denn die Frau?« fragte der Alte. »Ganz recht is's mir nit gwen, wie r i's gestern nacht erfahrn hon, daß 's ihr an' Unterschluf geb'n habt's; nit, als wenn 60 i'n ihr nit vergönnet, aber ma woaß nit, ob ma mit dene Leut nit mit 'n Zollamt oder Gricht z' thuan kriegt.«

»Mei' Gott, sie is so matt gwen, und sie war's ja, die uns Botschaft vom Jakl bracht hat; für dös müassen ma ihr dankbar sei'.«

»Woaßt aber aa, ob sie's wert is, daß wir mehr thuan, als vonnöten?«

»Sie is arm und hat koa' Arbet; aber sie is aa brav; frag nur d' Muatta, die hat so viel Bedauernis mit ihr, sie hat g'sagt, ihra Mann is um all sei' Sach kumma und liegt krank im Leutaschthal draus, er kann's im Augenblick nit selber ernährn, und da suacht die arm Frau durch Singa und Lautenspieln vor die Häuser an' Vodeanst. Wir braucha ja eh a fremde Person auf der Wiesmad, denn woaßt, Vata, du därfst di nit mehr so anstrenga, du sollst di drauß erholn, und so kimmt uns dös Weib grad g'leg'n; und singa kann's und d' Lauten spieln, da giebt's dann auf d' Feierabend a Rekration. Gel, du laßt es mit?«

»Ja, wenn's singa kann und d' Lauten spiel'n, g'hört's ja zu unserm Handwerk,« erwiderte der Geigenmacher. »So nimm's halt mit, gar z' schlecht wern wir ihr's nit macha.«

»Die freudi Nachricht muaß i ihr ja glei' zum guaten Morgn bringa,« sagte Liesl vergnügt. »Gelt's Gott, Vata, in ihrem Nama; du bist halt alleweil guat, und i werd's scho' machen, daß 's ihr auf der Wiesmad gfallt.«

Mit einem herzlichen Händedruck verabschiedete sich die Tochter vom Vater; dieser blickte ihr wie segnend nach, dann sah er zu den leuchtenden Firnen hin, und unwillkürlich nahm er seine Viola zur Hand und spielte seine Morgenandacht so recht mit freudvollem Herzen. Sobald 61 dann seine Leute das Haus verlassen, begab er sich zur Nachbarin, die allein zu Hause, da die alte Nandl mit den Rosenkranzmädchen zur Kirche gezogen war, um für Jakls Wohl zu beten.

Die Blasin war freudig überrascht, den Nachbar bei sich eintreten zu sehen.

»Mei' Gott!« rief sie; »so hat dös Gebet von die Rosenkranzdeandln scho' iatz sei' Wirkung? Du kimmst mit ara guaten Botschaft, Schändl, d' Liesl hat mir's vorhin gsagt; aber i woaß nit, ob i's annehma därf; so viel is gwiß, der Jakl hat nit durch Leichtsinn sei' Geld verlorn, wie d' Nandl von eam g'hört hat, er is in an' politischen Wirrwarr einikemma, und wie's da geht, dös woaßt no' von unserer bösen Zeit her. Hart gnua kimmt's eam an, daß 's a so is; aber er denkt, durch doppelten Fleiß wieder alles in Ordnung z' bringa, und i laß 'n nit sitzen, ehnda verkauf i mei' Häusl, als daß a Mittenwalder durch uns an' Schaden hat.«

»Du brauchst dei' Häusl nit z' verkaufa, Nachbarin. Vor all'm sag mir: is's richti, daß d' nix mehr geg'n d' Heirat hast zwischen 'n Jakl und meiner Liesl?«

»Da hast mei' Hand, Schändl! I wüßt mir koa' größers Glück mehr auf der Welt; i bin völli blind gwen, daß i dös nit scho' längst dakennt hon.«

»Wenn dem a so is, so hoaßt's, zamschaugn, Blasin. Woaßt, was der Jakl schuldi is an d' Moasta?«

»Ob i dös woaß! 's Haus hab'n's mir scho' schier abgloffa, und heunt – no', Gnad Gott! – wird oana dem andern d' Thür in d' Hand geb'n, denn alle hon i's vertröst't auf Jakobi.«

»Sie soll'n dir nimmer ins Haus kemma,« sagte der 62 Geigenmacher. »An' jeden tragst d' sei' Sach hin, i gieb dir 's Geld dazua, es is der Liesl ihra Heiratsguat, und ihra Will'n is's, daß 's dazua verwend't wird, 'n Jakl frei z' machen. Laß mi a paar Wörtl'n mit eam reden, i richt dir dann alles.«

»Dös is a Freundschaftsstuck, Nachbar, wie's nit leicht vürkimmt; aber – i müaßt 'n Jakl nit kenna – dös nimmt er nit an.«

»No', so soll er's erst inna wern, wenn's gschehgn is,« sagte Schändl. »Da hon i a paar Obligationen, laß's wechseln beim Verleger vorn oder beim Posthalter, und zahl nacha oan nach 'n andern, und da im Sackl san tausend Gulden in Napoleons – im ganzen wern's dreitausend Gulden sei'. Es wird dir nit viel über bleib'n. D' Leut' müassen aber moan, der Jakl hat dös Geld mitbracht. So, und nacha wirst d' sehg'n, was d' Leut für an' Respekt krieg'n.«

»Mir is grad, als waar's d' a Zauberer, Schändl; i kann's schier nit glaub'n.«

»Glaub's nur!« entgegnete glücklich lachend der gutmütige Mann. »Um 's Glück von meina Tochter z' gründen, gebet i 's Hemd vom Leib.«

»Glückli wird's wern, dös trau i mir zu beschwörn. Mei' Jakl is brav, und er wird dir a dankbarer Sohn sein, so lang er lebt.«

»Dessel glaub i ja aa,« antwortete der Geigenmacher. »Aber schau durchs Fenster, da kemma scho' a paar mit böse G'sichter. I geh' in d' Meß und bet, daß alles so wird, wie wir's wünschen. Schau, daß d' mit die Leut firti wirst.«

Er schickte sich zum Gehen an.

63 »Mei' liawa Schändl, tausendmal vergelt's Gott!« rief die Blasin gerührt, und geleitete den Nachbar zur Thüre.

Schändl hieß sie in der Stube bleiben und das auf dem Tische liegende Geld nicht gleich sehen zu lassen. Er wählte, um den Leuten nicht zu begegnen, den Weg nach dem Garten. Die beiden Gläubiger klopften bereits an die Thür und herein traten ein älterer, exaltiert aussehender Mann mit wirrem, zerzaustem, graumeliertem Haar und ein, wie man auf den ersten Blick merkte, zum Zungenkampfe gerüstetes Weib. Es waren dies der Klaslihannes und die Raßenpaulin.

»Guaten Morg'n!« sagte die Blasin zu den ungestüm Eintretenden.

»Dös waar a schöner guater Morg'n,« polterte der Klaslihannes. »Also auch und dabei! Was hon i vom Morg'n – so viel i von der Nacht hon, nix! Also auch und dabei! Gestern is Jakobi gwen, Blasin, sprich, is's nit so?«

»So is's,« erwiderte die Blasin gelassen, »und heunt is Sankt Anna.«

»Was geht mi d' Anna an?« rief der Mann. »Also auch und dabei! Morg'n is Sankt Pantalon und übermorg'n Sankt Innozenz, aber wann steht im Kalender der heilige Plimpes, Plampes, Plerum, Plorum?« Dabei machte er mit den Fingern das Geldzählen nach.

»Laß mi reden!« rief die Raßenpaulin. »Der Steuerbot wird heunt kemma, weil i 'n auf Jakobi b'stellt hon.«

»Ja wohl!« unterbrach sie der Klaslihannes. »Warum sollt ma 'n Steuerboten nit b'stell'n? Also auch und dabei – b'stellt hat uns d' Blasin scho' oft. Was hoaßt b'stellt! 64 Leer kemma und leer gehn ma. O, hätt i meine schön' Geigen wieder!«

»Und i meine viel schönern Baßgeigen!« sekundierte die Raßenpaulin.

»Was geh'n mi deine miserabeln Baßgeigen an!« schrie der Klasli. »Also auch und dabei! Meine Geigen –«

»Was hast du an meine Baßgeigen ausz'setzen!?« schrie die Raßin. »Mei' Mann macht koa' miserable War, er macht an' g'setzten Baß und koa' so Kritzlkastl, wie du, die koan Pfenning wert san, die eam 's G'hör verderb'n für a Zeit lang.«

»Was Kritzlkastl? Also auch und dabei! Weib, wärst du nicht das, was du scheinst,« sprach er, sich zum Hochdeutschen mühend, »dann wüßte ich nicht, nein, ich wüßte wahrlich nicht –«

»Leutln, gebt's enk!« beruhigte die Blasin lachend.

»Sie lacht!« rief der Klasli mit unnachahmlichem Hohne.

»Freili lach i!« versetzte die Blasin. »I hab 's Geld für enk. Der Jakl is kemma und – da schaugt's nur grad her, da liegt 's Geld; dös glangt für enk zwoa und für alle.«

Dabei hob sie das Tuch, welches sie vorhin über das Geld gebreitet halte, auf. Mit großen Augen sahen die Streitenden nach demselben.

»Ja, warum soll denn der Jakl nit z'ruckkemma sei'?« rief jetzt der Klaslihannes. »Warum, frag i, soll er nit Geld mitbracht hab'n? Er hat ja aa r a schöne War g'habt, also auch und dabei! Und i für mein' Teil hab' nie dran zweifelt. Aber d' Raßenpaulin, die Baßgeigenverfertigerin, die hetzt und hat g'hetzt und – mei' liawa 65 Himmi, i wollt, i hätt' recht viel z' fordern, mir ständ's lang guat am Blasihaus.«

»Hör auf, Großsprecher!« fiel die Raßenpaulin ein; du hast scho' die ganz Zeit vom G'richt g'sprocha, hast woll'n, daß mei' Mann a Klag macht –«

»Schweig, Raßin!« schnitt ihr Klasli das Wort ab; »i hab nur dir z' G'fall'n so g'red't! Mein Herz, – also auch und dabei! – wenn ich sag, mein Herz, so ist das so viel, als – als – jetzt woaß i gar nimmer, was i hab' sag'n woll'n.«.

»Du brauchst aa nix mehr z' sag'n,« versetzte die Blasin. »Da siehgst, da is dei' Guathab'n, und da, Raßin, is dös von dein' Mann. Seid's nit bös, daß 's es nit ehnda kriegt habt's. Aber bei den Unruhen drinnat in Welschland hat's der Jakl aa nit glei kriegt und mit der Post hat er's aa nit schicken woll'n.«

»Aber warum soll er's mit der Post schicka, wenn er selber kimmt?!« rief Klasli, das Geld zählend und einsteckend. »Hat ja nit pressiert, also auch und dabei! Hätt' no' gern a halb's Jahr g'wart't. Grad deshalb bin i ja heunt herkemma, dös der Frau Blasin z' sag'n.«

»Nit wahr is's!« fuhr die Raßin dazwischen; »Spektakel hat er machen woll'n!«

»Ich, Spektakel, ha, ha, ha, ha! Ich, der sanfteste Mensch von der Welt! Wenn mich nicht die Freud, das Geld in der Taschen so wonniglich g'stimmt hätt', dann, Raßin, könnt i vielleicht no' raß wern, aber so: absolvo te. Also auch und dabei! Schön' Dank, Frau Blasin, bin jederzeit zu Diensten.« Er wollte gehen, aber schon unter der Thüre kehrte er nochmals um. »Wie hat's denn dem braven Jakl ganga?« fragte er. »Is er g'sund 66 z'ruckkemma? Grüaß ma 'n schö'. I hab's alleweil g'sagt, er is der Stolz von unsere jungen Burschen. Adis, adis!«

Er verließ die Stube.

Die Raßin zählte ihr Geld und wollte dann ebenfalls ihre zärtlichen Gefühle leuchten lassen, aber die Blasin fertigte sie mit kurzen Worten ab, worauf sie mit zuckersüßer Miene die Stube verließ; doch fragte sie noch ehvor:

»Blasin, i hon vorhin 'n Schändl weggeh'n seh'n. Sollt's ebba ernst wern? Därf ma gratuliern?«

»Ja, dös därfst!« entgegnete die Blasin.

Innerhalb einer Viertelstunde wußte ganz Mittenwald, daß der Lautenspieler heimgekehrt, einen großen Haufen Geld mitgebracht und mit Liesl in Verspruch sei, und alle, welche die Blasin bis jetzt bedrängt, thaten ganz überrascht und fast beleidigt, als diese zu ihnen ins Haus kam, um Jakls Schuld abzutragen. Am überraschtesten aber war Jakl selbst, als er vernahm, was vorgefallen. Er bekam über diese Nachricht eine Art Ohnmachtsanfall. Die Mutter rief die soeben heimkehrende Nandl zur Hilfe.

»Was is denn vorg'fall'n?« fragte letztere verwundert.

»D' Freud hat 'n völli damisch g'macht,« erklärte die Mutter. »Denk dir nur, d' Liesl kriegt er zum Wei', und mit ihrem Heiratsguat san scho' heunt alle seine Schulden zahlt worn, alle, Nandl! Du hast es dabet't!«

Die Alte schlug erschrocken die Hände zusammen und sank auf den Stuhl nieder.

»Mit der Liesl ihran Heiratsguat hast zahlt?« rief sie. »Na', dös hon i nit dabet't! Die Freud macht mi aa damisch – gieb ma an' Baldrian!« 67


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