Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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XIII.

Jakl war, ohne einen Rückfall in seiner Gesundheit zu erfahren, in das so prachtvolle Wiesenthal der Leutasch gewandert, welches durch den Südabsturz des Wettersteins, die nördlichen Abhänge des Arngebirgs und andere ebenbürtige Felsenmassen gebildet wird und ein volles, unverfälschtes Hochalpenbild in dieser Riesenwelt veranschaulicht. Heute nun freilich sah man nichts als dichte Wolken und Nebelmassen, und ohne Unterlaß strömte auch hier der Regen. Die Häuser in diesem Thale liegen meist zerstreut umher und ihre Bewohner sind in mancherlei Weise verschieden von den Leuten in den Nachbarthälern. Sie haben sämtlich blonde Haare und dunkle Augen, und sowohl die Männer wie die Frauen rauchen hier Tabak aus kurzen Pfeifen. Die Männer tragen einen kleinen schwarzen Hut, kurze Joppe und lange Hosen nebst Bundschuhen, die Weiber schwarze Filzhüte mit aufgebogener Krämpe, enge Mieder und kurze Röcke.

Am Höllkapellein vorüber gelangt man von Mittenwald in einer Stunde über die alte Schanze in das Leutaschthal und zu dem hier sich befindenden Bruckenwirt.

Eine halbe Stunde weiter aufwärts ist die Leutaschmühle, die nicht nur wegen der guten leiblichen Stärkung, welche hier zu haben, sondern auch wegen der höchst originellen, resoluten Müllerin, rühmlichst bekannt war.

Hier befand sich seit gestern abend Marietta und 165 harrte mit Sehnsucht des geliebten Mannes, und als er endlich kam, begrüßte sie ihn mit lautem Jubel.

Jakl hatte sich auf dem Herweg einen Plan zurechtgelegt. Er wollte für die nächsten Jahre in das Instrumentengeschäft eines Freundes zu Innsbruck treten, der ihm schon öfters einen derartigen Antrag gemacht. Es schien ihm unmöglich, mit Marietta in unmittelbarer Nachbarschaft der schwarzen Liesl leben zu können, und so nahm er sich fest vor, sofort diesen Plan in Ausführung zu bringen. Dies war in Bezug auf Marietta umso leichter zu bewerkstelligen, als die Müllerin, eine für Jakl wegen seines schönen Lautenspiels sehr eingenommene Frau, ohnedies an einem der nächsten Tage über Telfs nach Innsbruck reiste und sich gern bereit erklärte, die junge Frau mitzunehmen, und zu dem Instrumentenmacher, den die Müllerin wohl kannte, zu verbringen.

Jakl versorgte Marietta hinreichend mit Geld, damit sie sich mit besseren Kleidern versehen könne und in jeder Weise gesichert sei. Er wollte in ein paar Tagen, nachdem er zu Hause seine Sachen geordnet, nachkommen. So sollte die Marietta stets so schwer fallende Trennung von ihrem Gatten endlich ein Ende nehmen.

Sie konnte freilich nicht begreifen, warum sie Jakl nicht in sein Vaterhaus führe, und obwohl ihr dieser hierauf nur ausweichende Antworten gab, war sie doch erfreut, in Innsbruck wieder in geordnete Verhältnisse zu kommen, und von ihrer Freude, von ihrem Glück teilte sie auch dem Manne mit, besonders da sie ihm eine Entdeckung machen konnte, die seine Augen freudig aufleuchten ließ und wofür er sie zärtlich an sein, wie er sich wohl eingestehen mußte, so treuloses Herz preßte.

166 Diese glückliche Nachricht schlug ihn auch sofort wieder ganz in die Bande seines Weibes und erheiterte sein in letzter Zeit herabgestimmtes Gemüt. Die Müllerin, angethan mit einem weißen Janker und einer weißen Zipfelkappe, die Unterröcke in eine weite blaue Hose gebauscht, Kleider und Gesicht mit Mehl bestaubt, hatte das glückliche Ehepaar in die untere Stube geladen, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen.

Die Müllerin versah nämlich in geschäftlicher Hinsicht die Stelle ihres Mannes. Sie war »der Müllermeister,« ihr Mann, ein willenloses Geschöpf, besorgte die Oekonomie und die nötige Handelschaft und hielt sich zumeist in den Wirtshäusern im Thal auf. War die Müllerin verhindert, selbst beim Mahlwerke zu sein, so stand das Werk still. Dies war hauptsächlich der Fall, so oft ein neuer Weltbürger auf der Mühle eintraf, und die kräftige, heitere Frau kannte keine größere Freude, als ihre elf gesunden, pausbackigen Kinder Freunden und Bekannten vorzustellen und bewundern zu lassen.

Das that sie auch jetzt wieder mit demselben Vergnügen, nachdem sie Jakl und sein junges Weib in die untere Stube geleitet hatte, in welcher acht Sprößlinge sich herumbalgten, während zwei in der Wiege lagen und das jüngste Kind von einer Wärterin auf den Armen getragen wurde.

»Laßt's enk durch den Kinderspektakel nit scheniern,« sagte sie; »z'weg'n 'n Reg'n kinnas heunt nit außi und da hab'ns halt herin ihra Freud. Was theat's denn, Kinder?«

»Fangaspieln!« hieß es von seiten der Kleinen.

»So spielt's nur zua, aber ordentli, und macht's nit 167 z'viel Lärm,« mahnte die Mutter, und da die Glocke in der Mühle ertönte, fuhr sie fort: »I muaß in d' Mühl und aufschütten; glei werd i wieder da sein.«

Die Kinder aber bildeten, wie sie es vielleicht schon seit einer Stunde gethan, einen Kreis, in dessen Mitte ein Kind herumgeht, einen Reim sprechend und bei jedem Worte die Umstehenden der Reihe nach mit der Fingerspitze betupfend. Das Kind, bei welchem der Spruch endet, muß der Fanger sein. Wer vom Fanger erwischt wird, tritt an dessen Stelle. Ein solcher Spruch lautet:

»Anderli, Wanderli,
Schlag mi nit,
Kraut und Ruam mag i nit,
Backne Fisch eß i gern,
Du muaßt der Faher (Fanger) wern.«

Oder:

»Edelmann, Bettelmann,
A Burger, a Bauer,
A Wirtin, a Gräfin,
A herrische Frau,
Burgermoasta, außi thaan.«

Oder:

Eins, zwei, drei,
Tippet, tappetei,
Tippet, tappet Besenstiel,
Geht a Mannl auf der Mühl,
Hat a staubigs Hüatl auf,
Und an' Vierazwanz'ger d'rauf.
Eins, zwei, drei,
Du bist frei,
Der Naachst muß 's sei'!«

Marietta sah diesem Spiele der heitern, frischen Kinder mit großem Vergnügen zu. Nun kam auch die Müllerin 168 wieder in die Stube und gebot ihren Sprößlingen, vor den Tisch des jungen Ehepaares zu treten und im Chor ein lustiges Tirolerlied zu singen. Sie setzte sich auf einen Stuhl und die Kinder postierten sich um sie herum, und nun begann der Gesang.

Mit kräftigen, frischen Stimmen sangen die Kleinen, Diskant und Alt wohl beachtend, ein hübsches Lied mit Jodlern zur Verherrlichung der Tirolerheimat. Die Müllerin sang mit und auch Jakl hatte nach der an der Wand hängenden Guitarre gegriffen und begleitete damit den Gesang, dem noch mehrere andere Lieder folgten. Später sang auch Marietta ein Lied, und Jakl wurde von alledem so erheitert, daß er sich nur des Augenblicks freute, und er sang soeben selbst eines seiner heiteren Lieder, in welches alle, alt wie jung, am Schluß jedes Reims mit einstimmen mußte, als diese Unterhaltung auf ganz unerwartete Weise plötzlich unterbrochen wurde, denn in der offenen Thüre erschien – die schwarze Liesl.

Jakl war es zu Mut, als ob der Racheengel erschiene, ihn zu Gericht zu fordern. Doch saß auch er regungslos vor Schrecken da, so erhob sich sofort Marietta mit dem Ausdruck der Freude und eilte auf die Ankommende zu; desgleichen die Müllerin.

»Dös is a seltna Hoa'gast!« rief die letztere; »d' Jungfer Liesl giebt ma die Ehr! Grüaß Gott, liabs Deandl.«

»Du kommst, mich aufsuchen?« fragte nun Marietta, indem sie Liesl zu einem Stuhle führte;»und bei die schlechte Wetter!«

Jakl hatte Zeit gefunden, sich zu sammeln. Auch er kam jetzt herbei, getraute sich aber nicht, der Freundin 169 die Hand zum Willkomm zu reichen. Diese aber that es ihrerseits und sagte:

»Der Vata is vorn beim Bruckenwirt, er laßt dir durch mi a Botschaft thuan weg'n an' Handel.«

Sie entfernte sich einige Schritte von den anderen, trat ans Fenster und winkte Jakl zu sich heran, dieser aber versetzte:

»Sag glei', was 's is, Liesl. I will koa' G'heimnis mehr machen. Hat d' Nandl g'red't?«

»Der Zundermichl hat's uns g'sagt, daß d' heunt nacht schwärzen willst,« erklärte Liesl; »aber es is verraten worn. Am Franzosensteig passen dir d' Aufseher auf. Der Zundermichl is krank, sunst wär er selm zu dir kemma. Also laß's bleib'n, nit nur heunt, sondern für alleweil, und geh mit uns hoam.«

Sie sprach dies mit leisen, aber eindringlichen Worten, dann wandte sie sich wieder zu den übrigen. Es war ihr eine Zentnerlast vom Herzen, sie wußte nun, daß dem Geliebten keine Gefahr mehr drohe.

»Wie geht's denn dein' Mann?« fragte sie jetzt ganz überglücklich Marietta. »Du singst und spielst, da fehlt' si's nimmer weit, nit wahr?«

»Mein Mann?« fragte Marietta, verwundert auf Jakl blickend, aber dieser machte ihr ein Zeichen, das auch die Müllerin verstand, die ja von ihm bereits unterrichtet war, daß seine Ehe vorerst noch geheim gehalten werden müsse.

Und als Marietta auf ihre Frage keine weitere Antwort gab, fuhr Liesl fort:

»Wo is er denn, dei' Mann?«

»Der is furt gen Innsbruck,« gab die Müllerin statt 170 der Fremden zur Antwort, »und d' Marietta fahrt mit mir übermorg'n nach.«

»Also is's nix mehr mit der Wiesmad?« entgegnete Liesl. »Es wird aa bei uns ausg'setzt, bis's Wetter wieder ganz schön worn is; dös is's, was i dir sag'n hab' wolln. Und, Jakl, wie geht's denn dir? Du bist do' heunt fruah sterbenskrank gwen? Verstellt hast di g'wiß nit; du siehgst aber iatz so guat aus, daß i mi nit gnuag wundern kann.« Und leise fügte sie hinzu: »Recht falsch war's scho' von dir, 's Verlobungsessen zu versäuma und ans Paschen z' denka. D' Nandl hat mir's g'sagt, was di dazua treibt; da drüber red'n ma no'. Dös waar a dumme G'schicht. Mei' Vata will dös Geld nimmer, er wird dir's scho' selm sag'n. Und iatz möcht i aa mit enk lusti sei', möcht mit enk singa und enka Spiel hör'n.«

»Und essen und trinka sollst,« sagte die Müllerin; »da setz di nur her zum Tisch, und meine Kinder singa dir a Tafellied, wie's d' es nit schöner hör'n kannst. Weiter, Kinderln, fangt's nur wieder an. D' Liesl singt aa mit, die kann's besser wie wir alle mitanand.«

Die Kinder begannen wieder ihren heitern, gemütvollen Gesang, an dem sich Liesl mit Freuden beteiligte.

Jakl war nun freilich in einer recht sonderbaren Lage. Er fühlte, wie Liesls Blicke zärtlich an ihm hingen, er mußte an Nandls Worte denken; selbst jetzt, da das Mädchen wußte, daß er auf verbrecherischem Wege wandle, verachtete sie ihn nicht. Ihr Blick war noch so liebevoll, so feurig wie am Morgen, aber bezaubern konnte er ihn doch nicht mehr. Das Geheimnis, welches Marietta ihm heute entdeckt, fesselte ihn mit tausend Banden an dieses 171 Weib, dem er nie wieder, selbst nicht in Gedanken, untreu werden wollte.

»Ge, Mariett, spiel uns an' Tanz auf dein' Instrument,« bat jetzt die Müllerin; »d' Kinder möcht'n tanzen, und i sehg's aa so gern, wenn si was draaht; für was waar i denn a Müller. Und der Jakl hat's ja aa kinna sunst, er wird's wohl nit verlernt hab'n im Welschland. Ge zua, tanz mit der Liesl, und wenn's d' magst, aa mit mir; g'fälliger Verlaub! Und wird enk d' Stub'n z' eng, so is's Flötz aa no' da.« Und während sie noch über ihren Einfall lachte und die Stubenthür öffnete, begann Marietta schon eine Tanzweise, bei deren Klängen die Kleinen sofort paarweise zu tanzen begannen.

Jakl zwang sich zur Heiterkeit und bat Liesl um einem Tanz, wozu diese mit Freuden bereit war.

»So mach ma heunt dengerscht no' unsern Verlobungstanz,« flüsterte sie ihm glückselig zu.

Aber Jakl hätte es jetzt nicht mehr übers Herz bringen können, sein falsches Spiel dem edlen Mädchen gegenüber noch länger fortzusetzen. Für den Verlobungstanz hielt sie, was das Ende ihres Liebesglückes bilden sollte. Jakl tanzte mit ihr durch die offene Stubenthür in das geräumige, mit Tisch und Bänken versehene Flötz hinaus. Hier hieß er das Mädchen, sich ausruhen.

»Wer hätt' dös heunt fruah denkt!« sagte Liesl. »O mei', Jakl, wie is mir leicht, daß i di außer G'fahr woaß, daß i bei dir bin! Es is Zeit, daß wir bald ganz beisamm san, gel, mei' liaba Bua? Was schaugst mi so groß an?«

»Liesl,« entgegnete Jakl, »i halt's für a Verbrecha, wenn i di no' länger im Ung'wissen laß. I moan schier, 172 mei' Zung bringt's nit für, i moan, es druckt mir 's Herz ab, i muaß in 'n Erdboden einisinka vor dein' Blick, aber es is feig gwen von mir und schlecht, daß i dir's nit mit G'walt hon z' wissen tho'.«

»No', was wer i da hör'n?« fragte Liesl, sich zum Lächeln zwingend. »Du red'st ja daher, als wenn's d' mir a groß's Unglück verkünden müaßt, und i kenn auf der Welt bloß oa Unglück, dös mi niederdrücken kunnt, und dös wär, wenn's d' mir sterbest.«

»I bin so viel als g'storb'n für di, Liesl – heb auf dein' Arm und verfluach mi –«

»Jakl,« rief jetzt Liesl, »was wirst so blaß? Du bist krank; setz di nieder, erhol di, du kannst nimmer stehn –«

»So werf i mi nieder auf d' Kniee vor dir und bitt dir ab, du heilis Deandl. Liesi, mit uns muaß 's aus sein auf dera Welt, denn d' Marietta is mei' antrauts Weib.«

Das Mädchen war entsetzt aufgesprungen, doch faßte es sich rasch wieder und sagte in verweisendem Tone:

»Aber, Jakl, was magst so a Komödie aufführ'n? Steh dengerscht auf! Gel, du willst mi grad prüfen z'weg'n meina Red heunt fruah, daß i dir alles verzeihn kunnt, was d' aa verbrochen hätt'st? No', dös kannst dir wohl selm denken, daß i alles vertrag'n könnt, Schand und Schmach, grad oans nit: wenn's d' mir mei' Herzensglück zerstörest, wenn's d' – aber steh dengerscht auf, i mag dös nit leiden, mit söchane Sachen is nit z' spassen.«

»Es is Ernst, Liesl!« antwortete der junge Mann, aufstehend. »I kimm mir in dem Augenblick so elendi für, daß koa' Stolz in mir mehr aufkemma kunnt, so lang i leb; scho' vor acht Tag hon i dir's sag'n woll'n, 173 aber die Schuld an dein' Vata wollt i z'erst abtrag'n. Heunt hätt' dir's d' Nandl entdecken soll'n, weil's mir z' hart ankemma is; länger kann i nimmer 'n Falschen geg'n di spieln, und wenn mi a Blitz zamschlaget – i muaß d' Wahret enthüll'n: d' Marietta is mei' Weib. Da kimmt's selm, sie soll's bestätigen.«

Marietta hatte sich, von einer gewissen Unruhe getrieben, nach dem Paar im Hausflur umsehen wollen, und hörte soeben Jakls Worte.

Liesl, das Ungeheuerliche in Jakls Worten nach und nach erkennend, eilte gleichwohl auf die Welsche zu, und sie bei der Hand nehmend, rief sie, zitternd und erbleichend, als würde jetzt ihr Todesurteil gesprochen:

»Marietta, is's wahr, was der Jakl sagt, bist du sei' Weib?«

»Ich es sein seit einem halben Jahr,« erwiderte Marietta.

Ein gellender Schrei hallte durch den Hausflur. Liesl wankte. Marietta schlang den Arm um sie und brachte sie zu der Bank, auf welcher sie wie gebrochen niedersank.

»Was geschehen?« fragte Marietta, erschrocken ihren Mann anblickend.

Dieser hatte sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt.

»Was geschehen?« rief die Welsche wieder, sich an Liesl wendend, deren Busen hoch aufwogte und deren stierer Blick auf Jakl gebannt war.

»Was gschehgn is?« versetzte diese jetzt mit klangloser Stimme, »nit viel – 's Herz von an' treu'n Deandl is brocha; was liegt da viel dran!«

Die Welsche erkannte sofort die Sachlage. Sie erinnerte sich, wie Liesl auf der Wiesmad manchmal glückselig 174 ihres Bräutigams erwähnte, doch forschte Marietta nie nach dessen Namen. Jetzt aber fragte sie das Mädchen, indem sie nach Jakl deutete:

»Der dort dein Bräutigam gewesen? Dich betrogen?«

Liesl blickte einige Augenblicke in Mariettas treue Augen, die unaussprechliche Angst ausdrückten. Diese Frau trug keine Schuld an dieser Verräterei. In liebender Sorgfalt hielt Marietta noch den Arm um sie geschlungen, ihr Herz klopfte hörbar, ihr Blick war auf Liesls Lippen gerichtet, von denen sie Antwort auf ihre Frage erwartete.

Doch diese schüttelte verneinend den Kopf. In dem Augenblick, in dem all ihr Erdenglück zertrümmert, gestattete ihr edles, bis in die letzte Faser erbebendes Herz nicht, das Glück dieses armen Weibes ebenfalls durch ein bejahendes Wort zu vernichten. Sie suchte sich mit Gewalt zu fassen.

»Mei' Vaterl erwart't mi vorn beim Bruckenwirt,« sagte sie, sich erhebend, »es is höchste Zeit, daß i mi auf 'n Weg mach.«

Die Müllerin, welche, inzwischen in der Mühle beschäftigt, nichts von dem Vorfall ahnte, kam in diesem Augenblick herzu, und Liesls Worte vernehmend, sagte sie.

»Liesl, du kannst mit unserm Knecht fahr'n, der hat grad eing'spannt, um 'n Müller hoamz'hol'n, sunst kriegt er wieder sein' Rausch, wenn i 'n z' lang oben laß beim Bruckenwirt. Da – er fahrt grad furt. Setz di auf, du siehgst eh nit guat aus – bist dengerscht nit krank?«

Liesl raffte all ihre Kraft zusammen, und es gelang ihr einigermaßen, sich beherrschen zu können.

»Laß mi mitfahr'n!« rief sie dem Knecht zu, und zu der Müllerin sagte sie: »I bin grad müad – vom 175 Tanzen.« Dann näherte sie sich Jakl und flüsterte ihm zu: »Unsa Verlobungstanz is halt der Totentanz worn für mei' Liab. Pfüat di Gott!«

»Liesl!« rief jetzt Jakl, die Gegenwart Mariettas ganz vergessend, »i hon dein' Fluach vodeant und koan Pfüat Gott –«

Noch einmal blickten sich beide in die Augen, es war ein Abschiedsblick fürs Leben.

Dann eilte das Mädchen dem vor der Thüre stehenden Wagen zu und schwang sich, jede Beihilfe verschmähend, schnell auf den Sitz hinauf.

»Fahr zua!« befahl sie dem Knechte.

Dieser hieb auf das Pferd ein, und in raschem Trabe ging es von dannen. Die Kinder schrieen ihr ein freudiges: »Vivat hoch!« nach.

Liesl sah sich nicht mehr um. Sie mußte ihr Gesicht mit dem Taschentuche bedecken, denn aus ihren Augen ergoß sich jetzt ein Strom von Thränen. 176


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