Alfred Schirokauer
Der erste Mann
Alfred Schirokauer

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XIII

Noch am Montag, am späteren Nachmittag, rief eine Stimme mit stark lateinischer Klangfarbe bei Just an. Julie war am Apparat.

»Ich möchte sprechen Herrn Studienrat wegen deutschen Unterricht.«

Dina soufflierte.

»Einen Augenblick, bitte«, rief Julie und ging in Justs Zimmer. Er arbeitete.

»Da will einer – der Aussprache nach ein Spanier oder Portugiese – deutschen Unterricht bei dir haben.«

»Unterricht? Bei mir? Wie kommt der auf mich?«

»Was soll ich ihm sagen?«

»Hm, eigentlich könnt' ich das doch mitnehmen.«

»Aber Ulli, zu all deiner Arbeit auch das noch! Du bist doch mitten in deinem neuen Buch.«

»Jedenfalls mal hören. Sag ihm, er soll morgen nachmittag um« – er blätterte in seinem Kalender – »um sechs kommen.«

In Don Felipes hübschem möbliertem Zimmer tanzten zwei verwegene Piraten einen Freudenspringtanz, als sie Julies Botschaft empfingen.

Punkt sechs ließ Julie am Dienstag nachmittag einen übertrieben parfümierten, hübschen, jungen, gutgekleideten Herrn, dessen Eleganz nur eine allzu schreiende Krawatte schädigte, in Justs Arbeitszimmer eintreten. Die Herren begrüßten sich, wobei Don Felipe einen fremden Namen so undeutlich murmelte, daß Just nur etwas verschwommen Südländisches verstand.

»Soweit ich informiert bin«, hob Just an, als der Gast an der Seite des Schreibtisches saß und mit einer Zigarette versehen war, »wollen Sie bei mir Unterricht im Deutschen nehmen.«

»Si, senor. Nur vorher ich habe mich zu erledigen von eine sehr diskrete Mandat.«

»Diskretes Mandat?«

»Si, senor. Gewissermaßen eine diplomatische Mission.«

»Das ist ja sehr interessant.« Just hob den Kopf. Die ergrauten Schläfen schimmerten im Licht der Tischlampe. Wollte irgendeine Gesandtschaft ihn als Lehrer für ihre Herren ausersehen ...?

»Sie haben eine Schülerin, Herr Studienrat – Fräulein Dina Quenz«, platzte der Diplomat heraus. Vielleicht war es seine persönliche staatsmännische Note, den Stier bei den Hörnern zu packen.

Just stutzte. »Ja«, entgegnete er zurückhaltend.

Sollte Dina Quenz ihn empfohlen haben?

»Das Fräulein ist eine Verwandte von mir.«

»Ah.«

»Nicht so sehr nah, aber doch verwandt.«

Just erwiderte nicht.

»Sie ist nicht sehr gut in der Schule.«

»Nein.«

»Sie bittet Sie durch mich um Pardon.«

Just lachte verblüfft auf. »Das ist das Kurioseste, was mir bisher vorgekommen ist.«

»Fräulein Quenz hat mich gesendet zu Ihnen, Sie bitten für sich.«

»Worum bitten?« Seine Stimme klang noch belustigt über diese neue Interventionsmethode.

»Um eine Eins in Deutsch und um ein gutes Examen.« Er betonte die letzte Silbe des Wortes.

»So – so. Das ist ja allerhand«, nickte Just sarkastisch.

»Oh, Herr Studienrat, sie ist doch eine so liebe Fräulein«, ereiferte sich der Sendbote. »Sehr fleißig, nur hat sie gehabt Malheur. Geben Sie die arme Mädchen die Eins. Ich bitte Sie sehr.«

Er beugte sich zu Just vor und lächelte ihn vertraulich und weltmännisch an, wie Kavaliere sich in einer delikaten Angelegenheit anlächeln, wenn sie sich verstehen.

Doch Just verstand schon zu gut.

»Ich will im Interesse der Dame, für die Sie so – verwandtschaftlich eintreten, die Sache humoristisch nehmen...«

»Vorzüglich«, stimmte Serrano eifrig bei und verkannte durchaus die Situation. »Immer am besten das Leben zu nehmen mit Humor. Man versteht sich sofort. Dina ist auch eine so lustige Fräulein. Wäre sehr schade, wenn sie muß weinen. Also perfecto, Sie ihr geben die Eins.«

»Sie verstehen falsch«, entgegnete Just, noch immer über das Ungewöhnliche der Fürsprache mehr erheitert als erzürnt. »Aber ich denke, wir brechen das Gespräch ab und tun, als wären Sie nicht bei mir gewesen. Der Unterricht im Deutschen war wohl nur ein Vorwand?«

Don Felipe lächelte ein gewinnendes kollegiales Spitzbubenlächeln. »Natürlich. Ich spreche sehr gut Deutsch, Sie hören. Aber ich bitte Sie, noch einige Wörter sagen zu dürfen.«

»Ich muß Sie nun wirklich ersuchen ...«

»Was es Sie machen aus, Herr Studienrat, wenn Sie geben eine Eins mehr?«

Just stand gelassen auf.

»Bitte, bleiben Sie sitzen. Die Sache ist nicht so einfach, als Sie denken.« In seinen schwarzen Augen funkelte ein böser Funke.

»Die Sache ist für mich erledigt.« Auch Justs Belustigung über die bodenlose Frechheit wich einem aufwallenden Aerger.

Don Felipe blieb hartnäckig sitzen. Sein rassiger Raubtiermund wurde hart. Doch sanft sagte er:

»Ich Sie fordere auf noch einmal, der Fräulein zu geben die Eins und sie zu lassen in das Examen.«

»Ich weiß nicht, woher Sie stammen«, erwiderte Just, ebenfalls noch ohne Schärfe. »Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß es der Stolz deutscher Schulen ist, lauterste Gerechtigkeit zu üben. Es gibt bei uns keine Bevorzugung. Nur die Leistungen entscheiden.«

Serrano blieb auf seinem Stuhl sitzen, obwohl Just stand. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, wippte nachlässig mit dem einen Fuß und betrachtete interessiert den spiegelnden Lackschuh, während er antwortete:

»Gerechtigkeit ist ein Ideal. Überall. Auch in meinem Heimatland. Aber« – er breitete resigniert die Arme aus – »Ideale man kann nicht immer realisieren. Sie meinen, Herr Lehrer – Herr Studienrat«, verbesserte er sich rasch im Banne seines Instruktionsunterrichts, »Sie meinen, Sie sind immer gerecht?« »Ich hoffe«, lächelte Just überlegen, »aber ich glaube wirklich ...«

Don Felipe fixierte wieder seinen Schuh.

»Und wenn Sie zum Beispiel eine Mädchen aus der Schule lieben?«

Er schnellte den vergifteten Pfeil von der Sehne eines verzeihenden Lächelns, mit seiner melodischen fremden Stimme.

Just antwortete nicht gleich. Das Geschoß hatte getroffen. Da fuhr Serrano kühn fort: »Sie sind ganz sicher, daß Sie auch dann immer nur sind gerecht?«

Er hob den Kopf und betrachtete mit reger Teilnahme die Stubendecke, als wäre sie ein seltenes Kunstwerk.

Just schwieg noch immer. Der Pfeil saß. Er erkannte sofort, worum es ging. Er erfaßte im Nu die Lage. Durchschaute im Augenblick die freche Hinterlist und Intrige. Sah das Netz, das man ihm über den Kopf werfen wollte: Dina Quenz ahnte, wußte vielleicht etwas, alles. Hatte den Erpresser gesandt.

Aber er verlor nicht eine Sekunde lang die Fassung. Schwankte nicht. War sich, trotz des heimtückischen Überfalls, seines Weges sofort bewußt.

»Es ist nicht üblich«, sagte er sehr ruhig, »daß ein Lehrer sich in eine Schülerin verliebt.« »Aber es kann geschehen, Sie geben zu.«

»Ich habe wirklich keine Zeit, mit Ihnen ferne Möglichkeiten zu erörtern.«

»Oh, eine sehr interessante Möglichkeit. Und wenn es doch passiert? Sie glauben, daß der Lehrer auch dann noch ist gerecht?«

»Herr ... ich habe Ihren Namen nicht verstanden« – Don Felipe überhörte die Mahnung – »meine Zeit ist wirklich zu gemessen um diese an sich vielleicht ganz interessante theoretische Debatte fortzusetzen.«

Er machte eine eindeutige Bewegung auf die Tür zu. Doch Serrano übersah sie zartfühlend.

»Ich mir kann sehr gut vorstellen, wenn ein Lehrer liebt eine Fräulein, er ihr gibt Eins, auch wenn sie es nicht verdient«, philosophierte er unverfroren fort.

»Darf ich Sie jetzt ersuchen, das Gespräch zu beenden?«

Noch immer sprach der Abgesandte in weichen, milden Tönen. »O nicht! Ich bitte Sie in Ihrem Interesse.«

»Mein Herr, ich fordere Sie auf...«

Da reckte die Wildkatze endlich die Krallen aus den Samtpfoten.

»Ich werde nicht dulden Ihre Ungerechtigkeit«, rief er heftig und sah Just schief ins Gesicht. »Herr!«

»Sie lieben eine Mädchen, ich weiß es, kenn ihren Namen« – Donnerwetter, doch vergessen! obwohl ihn Dina ihm fünfzigmal eingehämmert hatte – ganz gleich – weiter! »Sie lieben sie sehr – Sie waren an dem Meer abends mit ihr an dem Strand – Dina weiß alles – und Sie sprechen mir von Gerechtigkeit.«

Er war jetzt ehrlich entrüstet.

»Ich ersuche Sie, sofort mein Haus zu verlassen.«

»Ich bedaure, daß Sie mich gezwungen haben, diese delikate Sache anzurühren. Aber Sie haben mich gezwungen. Schicken Sie mich nicht weg. Überlegen Sie gut, daß Sie riskieren Ihre Position in Leben und Schule und das Renommee von Ihrer Fräulein und die Examen von Ihrer Fräulein ...«

»Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen.«

Don Felipe stand auf, trat auf Just zu. »Seien Sie doch vernünftig, ich bitte. Wir sind unter uns Männern und können erledigen die Sache. Nichts Großes. Eine Bagatelle, die unter Kavalieren kommt vor alle Tage ... Sie geben mir das Thema von dem Klassenaufsatz für Donnerstag und die Disposition, und alles ist gut. Sie sind gerettet. Meine Fräulein ist gerettet. Ihre Fräulein ist gerettet. Alle gerettet. Und Ihre Gattin weiß nichts.« Er flüsterte die letzten Worte mit einem Blick zur Tür.

»Ich ersuche Sie zum letztenmal, zu gehen.«

Serrano biß die Zähne zornig zusammen, daß die Kieferknochen hervortraten und die gelbliche Haut der Backen unter der Spannung weiß wurde.

»Ich gehe«, sagte er. »Aber überlegen Sie Ihre große Gefahr. Und schicken Sie an der Adresse postrestante bis morgen abend das Thema von den Aufsatz und die Disposition und geben Sie die dumme Eins. Überlegen Sie gut!« warnte er. »Wir spaßen nicht. Ihre Position ist sehr gefährlich.«

Just öffnete die Tür. Serrano machte eine ritterliche Verbeugung, als scheide er im besten Einvernehmen. »Guten Tag. Ich höre von Ihnen.«

Stumm geleitete Just ihn zur Korridortür.

Leichtfüßig sprang Don Felipe die Treppe hinab. Er war nicht allzu befriedigt vom Erfolg seiner Sendung. Er hatte den Sieg im ersten Ansturm erwartet. Doch Dina kannte den Gegner. Es war ihre Idee, die Postlager-Adresse vorzubereiten.

Serrano zweifelte aber nicht, daß der Gerechtigkeitsapostel sich die Sache gründlich überlegen würde. Auch der Finanzminister hatte zuerst mit dem Brustton beleidigter Unschuld abgelehnt und dann doch die geforderten Millionen überwiesen. Tugend fällt nicht immer auf den ersten Streich. Das wußte er. Aber es verdroß ihn.

An der Ecke erwartete ihn in fiebernder Aufregung und Ungeduld Dina Quenz. Sie war von Don Felipes zu seinen Gunsten etwas heroischer gefärbtem Bericht sehr beglückt und bewies dem Berichterstatter ihre Zuversicht und Dankbarkeit in Worten und in Taten. Auf diese legte Don Felipe mehr Gewicht.


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