Alfred Schirokauer
Der erste Mann
Alfred Schirokauer

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XII

An diesem Montagnachmittag eilte Dina Quenz nach elftägiger Abstinenz wonnebeflügelt zu ihrem exotischen Diplomaten. Er war Attaché an der Gesandtschaft einer zentralamerikanischen Republik. Nach der ersten Wiedersehensfreude berichtete sie ihre folgenträchtige Entdeckung.

Don Felipe Serrano lag lässig ausgestreckt auf der Chaiselongue seines Wohnzimmers, die Zigarette zwischen den Zähnen, atmete den Rauch genießerisch durch die Lunge und ließ ihn in dünnen bläulichen Schwaden aus den schmalen Nasenlöchern entweichen. Zerflatternd verlor der Qualm sich in den glänzenden schwarzen Härchen seines brillantine-getränkten seidigen Schnurrbärtchens.

»Sapristi«, rief er, wippte in der Mitte seiner langen mageren Gestalt auf und entzündete mit seinen gelben Fingern eine neue Zigarette am Stummel der alten.

Dina kauerte sofort in der Beuge seiner Hüfte.

»Du siehst sofort, da ist eine große Chance für mich«, bedeutete sie. »Ich weiß nur nicht recht wie.« »Wofür Chance?« fragte er mit stark spanischem Akzent. Der Ausruf hatte nur dem erotisch-kühnen Teil des Lehrerabenteuers gegolten.

»Aber Felipe!« bedauerte Dina vorwurfsvoll. Sie unterhielt übertriebene Vorstellungen von der Geistesschärfe ihres Diplomaten. »Paß doch auf! Du weißt doch, wie jammervoll ich in der Schule stehe – durch deine Schuld.«

»Meine?« Er zog erstaunt das hübsche Gesicht in starre Falten und spießte den Zeigefinger gegen ihre Brust. »Wieso meine?«

»Na, glaubst du, man kann seine Schularbeiten machen, wenn man jeden freien Nachmittag bei einem gewissen Herrn vertrödelt?«

»Ah, comprendo

»Du bist schuld, wenn ich zurückgestellt werde.«

»Ich bedaure sehr«, lächelte er.

»Mit deinem Bedauern ist es leider nicht getan. Du mußt mir helfen.«

Er lachte und zeigte sein blendendes Gebiß. »Ich dir helfen, womöglich bei die deutsche Aufsatz?« Seine Neckerei, seine Nähe brachte sie aus dem Konzept. Ihr Ärger wich einer stürmischen Attacke auf seinen Raubtiermund. Dann bettelte sie:

»Felipe, nicht wahr, du erkennst doch auch, daß mir der Zufall hier eine wunderbare Waffe in die Hand gegeben hat?«

»Für was eine Waffe?« fragte der Diplomat.

»Aber Felipe!« Ihre Ungeduld züngelte wieder auf. »Du willst es bloß nicht sehen. Ich bin eine miserable Schülerin. Durch deine Schuld, wie gesagt. Wenn nicht irgend etwas geschieht, komme ich Ostern erst gar nicht ins Examen. Das wäre doch entsetzlich. Nicht auszudenken! Ich ertrag die Penne nicht länger. Ich will raus. Frei sein. Mir nicht dauernd nach einer neuen Ausrede den Kopf zermartern, um von zu Hause loszukommen. Lieg nicht da wie ein Pascha.«

»Ich kann gern aufstehen, wenn beliebt.«

»Red keinen Unsinn. Hilf mir lieber.«

»Voller Vergnügen. Aber wie helfen?«

»Das will ich grade von dir wissen.«

»Ich nicht ganz verstehe.«

»Du bist doch sonst so raffiniert.«

Er grinste und wollte den Arm um ihren Leib legen. Doch sie wehrte ihn ab.

»Streng mal gefälligst deinen Grips ein bißchen an. Du bist doch Diplomat und erzählst mir immer von deinen großen Erfolgen.«

»Jetzt, niña,, du sag mir endlich, um was es sich handelt«, bat er höflich, aufmerksamer werdend. »Dann ich will dir raten.«

»Also nochmal von vorne!« zürnte sie mit einer ärgerlichen Bewegung ihres kleinen Körpers und schob ihren schwarzen Kopf dicht an sein Gesicht. »Ich will absolut ins Examen und durchkommen. Auf normalem Weg wird mir beides eklig schiefgehen. Nun weiß ich doch das von Just.«

Don Felipe nickte.

»Wie kann ich das am besten zu meinem Nutzen ausbeuten? Kapiert?«

»Doch, doch.« Er überlegte. Dann legte er gelassen eins seiner langen Beine über das andere und sagte: »Du kannst ihn zerquetschen wie eine Moskito.«

Er machte eine liebenswürdige Geste mit Daumen und Zeigefinger.

Sie begann ernsthaft an seinen staatslenkenden Fähigkeiten zu zweifeln.

»Felipe, daran liegt mir nichts! Was hab' ich davon! Dann kriegen wir einen anderen Lehrer, und alles ist verloren. Ich will von Just gute Noten haben. Verstehst du das denn nicht?«

»Ich verstehe sehr gut.«

»Gott sei Dank. Hat lange genug gedauert. Wir schreiben Donnerstag den letzten Klassenaufsatz. Weißt du, was das ist?«

»Si – Si.«

»Den muß ich mindestens Zwei haben. Unbedingt. Sonst komme ich nicht ins Examen.«

»Comprendo. Laß mich überlegen. Küß mich. Das stärkt sehr meinen Geist.«

Sie tat es. Dann offenbarte er den Erfolg.

»Mir ist alles klar«, frohlockte er.

Ihre Hochachtung vor ihm flackerte wieder auf.

»Ich wußte doch! Also was?« Ihre Augen funkelten gierig.

»Wir haben einmal gehabt ganz ähnliche Situation in meine Heimatland.«

»In deiner Heimat?!« Sie glühte in Staunen.

»Ganz gleiche Situation«, erhärtete er und zündete eine neue Zigarette an. »Zigarette, bitte?«

»Nein, danke. Jetzt nicht. Sprich schon! Die gleiche Situation? In deiner Schule?«

»Nicht in die Schule. In die große Politik.«

»In der Politik?« Ihr Vertrauen sank um einige Grade.

»Si. Meine Partei war damals noch nicht an die Regierung, erst nachher. Die Revolution vom Dezember hat uns erst gebracht an die ...«

»Ich weiß, ich weiß!« unterbrach sie ängstlich. Er hatte ihr die Historie dieser glorreichen Revolution – in seiner Republik hatten sie drei bis vier Revolutionen pro Jahr – schon vierzigmal haarklein erzählt und nicht in falscher Scham die entscheidende Rolle verheimlicht, die er bei diesem Umsturz gespielt hatte. Anfangs hatte sein Heldentum ihr Blut erhitzt. Doch allzu häufige Wiederholung raubt auch einem Heldenlied seine zündenden Reize.

Gekränkt drückte Don Felipe den Kopf in das gelbseidene Sofakissen und schmollte. » Wenn du schon alles weißt, ich kann halten die Mund.«

»Sei doch kein Frosch, Liebling. Diese olle Revolution kenn' ich nachgrade in- und auswendig. Du wolltest doch ...«

»Du hast jede Grund zu lieben diese Revolution. Sie hat mich auf die Position in Berlin gebracht.«

»Ja doch, ja doch. Ich danke dir ja täglich kniefällig und opfere fünftausend Küsse pro Woche auf ihrem Altar. Da hast du eine Abschlagszahlung.«

Sie zahlte, er kassierte.

»Du wolltest mir doch aber einen ganz ähnlichen Fall aus eurem Raubstaate erzählen.«

»Du bist eine impertinente kleine Mädchen.«

»Deshalb liebst du mich doch grade.«

» Possible

»Sprich endlich.«

»Also meine Partei wollte etwas vom Finanzminister. Er ist ein großer Bandido.«

»Das scheint ihr alle mehr oder weniger zu sein«, stellte sie sachlich fest.

»Deshalb du mich liebst grade doch.«

» Possible

Küsse.

»Der Finanzminister hat abgelehnt den Antrag von meine Partei. Was tun? Wir brauchen das Geld dringend. Da kommt der Zufall zu uns. Wir hören von einer großen Liebesaffäre von dem Finanzminister mit verheirateter hohen Frau. Mich meine Partei senden zu dem Minister. Ich gehe, ich sage ihm so und so. Und er ...«

»Halt – halt! Was heißt: so und so? Was hast du ihm gesagt. Das ist doch das Wichtigste.«

»Ich ihm gesagt habe: Wenn Sie nicht geben das Geld, wir machen publik Ihre Liebesaffäre und Sie gestürzt und die Dame kompromittiert.«

»Versteh. Großartig. Und da hat er euch die Gelder in den Rachen geschmissen.«

»O nein. Er hat sie uns gegeben sehr höflich in die Hände.«

Sie saß und grübelte. Da fragte er stolz:

»Verstehst du?«

Er beschrieb mit der Hand eine bogenförmige Linie, als baue er in der Luft eine Brücke von einem Punkt, der Lage in seiner Heimat, zu einem anderen, der Lage in Berlin.

»Ja, ja«, sagte Dina gedehnt, »ich begreife schon. Aber Just ist kein zentralamerikanischer Finanzminister.«

»Nein, er nur ein kleiner Schulmeister in Berlin«, gab Felipe zu.

»Ich fürchte, er wird verdammt schwieriger zu behandeln sein als dein Minister.«

»Oh«, lächelte der Putschist, »alle Menschen sind gleich. Du etwas weißt von ihm, du etwas willst von ihm ...«

»Allerdings. Eine Eins in Deutsch.«

» Asi bien.«

»Quassel nicht in deinen Heimatslauten. Die Sache kommt mir so schon spanisch genug vor«, grollte sie nervös. »Stell dir die Chose nur nicht zu leicht vor. Erpressen läßt der sich nicht.«

Don Felipe lachte verächtlich auf. Er kannte die Menschen.

Da hatte Dina ihre Erleuchtung. »Ich hab's!«

»Ausgezeichnet.«

»Du mußt zu ihm gehen.«

»Ich?!« Serrano setzte sich so heftig auf, daß er Dina von der Chaiselongue warf.

» O pardon«, bat er, »aber du Spaß machst.«

Sie überhörte seinen Trugschluß, setzte sich gelassen wieder neben ihn und bedachte:

»Ausgezeichneter Gedanke. Natürlich du. Du hast Übung. Du bist auch zu dem Finanzminister gegangen.«

»Das ist gewesen ganz andere Sache«, wich er aus. »Ihm kannte ich.«

»Wirst du dich Just eben vorstellen. Dann kennst du ihn auch.«

»O nein. Ich bin im diplomatischen Korps hier. Zu gefährlich.«

»Wieso gefährlich? Dir kann doch nichts passieren. Du hast mir doch xmal erklärt, daß man dir hier nichts tun kann. Du wärst exterritorial.«

»Bin ich. Aber ich darf nicht machen solche delikate Sachen.«

»Und du willst ein Empörer sein! Und du willst ein großer Revolutionsheld sein!«

Sie war aufgesprungen, hatte den Oberkörper vorgebeugt, die Hände in die Hüften gestemmt und sprühte ihn voller Zorn und Verachtung an. »Ein Feigling bist du, der sein Mädel in der Tinte sitzen läßt. So was!!«

Don Felipe war Szenen gewohnt. Dina war keine sanfte Geliebte. Daher blieb ihrer Heftigkeit der Eindruck auf sein Gemüt versagt. Er lag behaglich auf dem Rücken und beobachtete ihre jähe Hitze mit Interesse und Freude.

Seine Ruhe nährte die Flamme ihrer Wildheit.

»Ach, bist du feige! Und gemein. Nur für dich bin ich in diese verdammte Schlamastik hineingeschlittert. Dir habe ich es zu verdanken, wenn ich kleben bleibe, und du ...«

»Du bist ungerecht. Du hast gehabt auch manches Pläsier.«

Die Richtigstellung ernüchterte sie. Sie sah ihn verdutzt an. Und aus Instinkt und aus dankbarer Erinnerung änderte sie ihre Taktik. Sie begann zu schmeicheln und zu locken.

»Liebling, sieh mal, ich kann doch nicht zu ihm gehen. Seine Frau ist da ... und überhaupt. Und in der Schule kann ich ihn nicht ansprechen und ihm sagen: ›Wenn Sie mir nicht eine Eins in dem Klassenaufsatz geben, erzähle ich allen, daß Sie mit der Haink ein Verhältnis haben.‹ Das fällt doch auf. Nicht? Und ich glaub, er haut mir eine runter und läßt mich stehen. Und ihm schreiben? Wenn die Frau den Brief in die Hände kriegt! Nein. Das siehst du doch selbst ein, das geht alles nicht. Aber wenn du zu ihm kommst – was soll die Frau da großartig merken? Die merkt auch nichts. Du sagst einfach, du willst deutschen Unterricht bei ihm nehmen.«

»Ich brauche nicht deutschen Unterricht. Ich spreche am besten Deutsch von alle Mitglieder von unsere Legation«, widersprach er eitel.

»Das weiß ich doch. Das hast du mir auch schon hundertmal unter die Nase gerieben. Ich meine ja auch nur so als Ausrede. Du sprichst fabelhaft, natürlich, als wärst du am Pankestrand geboren, mein Liebling ...«

Sie lag halb über ihm und flüsterte dicht an seinem Munde – »Ich brauch dir, dem gewiegten Diplomaten, doch nicht zu sagen, wie er es anstellen soll. Für dich ist das Ganze doch ein Kinderspiel.«

»Das gewiß.«

»Du wirst ihm schon klarmachen, daß seine Existenz auf dem Spiel steht und Ute Hainks. Ruf und Examen – der Direx schmeißt sie bestimmt raus, wenn er was von ihrer Liebelei läuten hört, der hat den Sittlichkeitsfimmel. Und alles kann er vermeiden, wenn er dir das Thema des Klassenaufsatzes vom Donnerstag sagt und dir eine kleine Disposition davon mitgibt – hörst du, paß genau auf, jedes Wort ist wichtig, und zum Examen soll er mich zulassen und mir bei den Examenarbeiten einige kleine Winke geben. Er wird das alles schon verstehn. Tu's doch, mein Liebling. Für dich ist es doch eine Kleinigkeit. Ich will dann auch noch tausendmal netter zu dir sein – bitte, bitte, tu's doch, ich habe doch auch so viel für dich gewagt – jedesmal, wenn ich zu dir komme, riskiere ich, daß alles herauskommt und mein Vater mich windelweich schlägt und rauswirft, da kannst du doch wirklich auch mal eine kleine Unannehmlichkeit ...«

Sie sprach noch lange. Und war nicht die erste Frau, die einen verliebten Mann betörte und bei seiner Ritterlichkeit und seinem Kavaliersmut packte und zu einer Gemeinheit verführte. Und wohl auch nicht die letzte.

Länger dauerte es, bis sie seinem zaghaften Gehirn den Namen Ute Haink und die Wünsche eingehämmert hatte, die sie an Just stellte.

Anstand ist oft leichter zu überwinden als mangelhafte Begabung.


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