Alfred Schirokauer
Der erste Mann
Alfred Schirokauer

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IX

Just richtete es so ein, daß sie nicht mehr allein blieben. Unbemerkt von Ute sammelte er die andern als Schutzwehr um sich. Nur wenige Minuten kurzen Geflüsters blieben ihnen. Ute trauerte, ergab sich aber in ihr Geschick. Er gehörte hier ja ihr, nur ihr, das wußte sie ...

Es war der letzte Tag.

Morgen ging es nach Berlin zurück. Just traf Ute auf der Treppe. »Komm hinunter auf die Straße«, raunte er ihr im Vorbeigehen zu. »Jetzt gleich.«

Er ging voran. Sie folgte. Sie gingen zusammen die einsame Landstraße.

»Ich weiß«, begann sie beherzt, »daß es heut ein Abschied ist.«

Er hob betroffen den Kopf.

»Ich wußte vom ersten Tage an, daß du nur hier mir gehörst.«

In ihren Augen stiegen Tränen auf, trotz allen Wissens, trotz aller Beherrschung. Jetzt war auch sie nur eine Frau, die den Geliebten verlor und daran trug wie alle ihre Schwestern durch die Jahrhunderte. Menschen wandeln such, durch die Zeiten hin, nur in der Kühnheit, nie im Gefühl.

Sie wandte das Gesicht ab.

»Ute!« Er quälte sich nach Worten.

»Sprich nicht«, bat sie, »ich weiß alles.«

Still gingen sie nebeneinander her. »Ich verstehe doch alles«, begann sie dann wieder. »Du kannst in Berlin nicht von einer Begegnung mit mir nach Hause kommen. Dort beginnt erst der schmutzige Verrat.«

Er schwieg noch immer.

»Vielleicht, habe ich mir gedacht, am Ende ist es dumm, aber ich dachte, wenn ich erst Studentin bin, könnten wir einmal auf einige Tage verreisen.«

Es dauerte lange, bis er antwortete: »Vielleicht.«

Nach einer Pause rieselten wieder Worte von ihrem Munde. »Ich werde dich täglich in der Schule sehen und fühlen, daß du mich noch liebst.«

Er griff nach ihrer Hand. »Ich auch«, sagte er nach einer Weile.

Dann blieb sie stehen. Ringsum war leere Einsamkeit.

»Jetzt nimm mich noch einmal zum Abschied in die Arme. Dann will ich vernünftig sein und voller Dank für diese reichste Zeit meines Lebens –«

Sie kamen nach Berlin. Der Abschied von Ute unterschied sich in nichts von dem Händedruck, mit dem jede Teilnehmerin an dem Ausflug ihm Lebewohl sagte. Vom Stettiner Bahnhof fuhr er in seine Wohnung. Er freute sich auf Julie. Doch. Wie schon lange nicht. Er liebte Ute noch. Zärtlicher, wärmer, vertrauter als vor der Reise. Die Liebe zu ihr war ein untilgbarer Teil seines Lebens geworden. Aber er freute sich auf Julie, auf Gaby.

Er sprang die Treppen hinauf. Den Koffer in der Hand spürte er nicht. Er öffnete nicht, wie sonst, mit dem Drücker. Läutete Sturm. Die geheime Gewalt der glücklichen Ehe hatte ihn wieder in ihren mystischen Zauber gezogen. – Julie öffnete.

»Ulli!« schrie sie überrascht auf. Sie hatte ihn erst morgen, am Montag, erwartet. Sie zog ihn herein, schlug die Tür hinter ihm zu. Er küßte sie, preßte sie an sich, atmete ihren traulichen milden Duft, diesen Erinnerungsträger an tausend Sorgen und tausend Freuden und tausend Liebesstunden, und wurde durchglüht von dem neuen Glück, diese schöne Frau und Freundin wieder zu fühlen und zu besitzen.

Gaby flog mit Jubelgekräh herbei und sauste mit einem Hechtsprung an seine Brust. Dann war man im Wohnzimmer. Es roch nach Sauberkeit, Heim, nach Bohnerwachs und friedlicher Umhegung. Man hatte die Abwesenheit des Hausherrn zum gründlichen Reinemachen weidlich ausgebeutet. An den Fenstern prahlten die gewaschenen Gardinen.

»Gut siehst du aus«, stellte Gaby mit kritischem Sachverständnis fest. »Guck, Mutti; sieht Papsel nicht fabelhaft aus? Ganz braun und – und so jung.«

Julie hatte diese Feststellung längst schon selbst gemacht. Seit Jahren hatte sie ihn nicht mehr so frisch und bronzen gesehen. Und seine Goetheaugen hatten nicht so hell und glückswissend gestrahlt.

»Ja, Gabylein«, nickte sie, »die See hat Wunder getan.«

Er blickte auf. Sie sagte es ganz treuherzig. Aber bei Julie konnte man nie wissen. Witterte sie, ahnte sie die fremde Frau? Aber nein. Auf eine Schülerin würde niemals ihr Verdacht zielen.

»Auch ihr seht beide famos aus«, entwich er dem heiklen Thema. »Eine Trennung von eurem Haustyrannen scheint euch gut zu bekommen!«

»Ach, nein«, protestierte Gaby energisch. »Ohne dich ist kein Leben in der Bude. Mutti ist dann so still und trübsinnig. Du würdest sie nicht wiedererkennen.«

»Es ist nur halb so schlimm«, lächelte Julie.

Gaby begriff sofort, daß sie ein Frauengeheimnis ausgeplaudert hatte.

»Vielleicht war es auch nur, weil Mutti mit der Großreinemacherei so viel Arbeit hatte«, suchte sie ihren Verrat wettzumachen und sah Mutti heimlich stolz und bundesgenössisch an.

Und als der Tisch gedeckt wurde und Gaby in der Küche war, flüsterte er Julie zu: »Du bist ja noch viel schöner und scharmanter, als ich dich in der Ferne vor mir gesehen habe.«

Sie sah ihn aus verklärten dunklen Augen an. Seine Stimme verriet ihrem wachen, feinhörigen Wunsch, ihm zu gefallen, daß sein Lob kein leeres Kompliment war.

Später, als Gaby in ihrem Zimmer spielte und Just die eingegangenen Briefschaften durchsah, fragte sie, scheinbar nebensächlich: »War es sehr einsam an der See?«

»Och, wie immer«, murmelte er und schnitt ein Kuvert auf.

Also war es doch nur Überarbeitung, sann Julie, während er den Brief las. Jede Furcht war von ihr gewichen. Sie kannte diesen Mann so genau, jede Regung in ihm schwang in ihr mit, daß sie mit jedem Nerv empfand, wie sehr er zu ihr heimgekehrt war. War ja alles Unsinn, grübelte sie spöttisch beschwingt, was ich in meiner Angst von »Urlaub aus der Ehe« und »Ferien vom Weib« zusammengeredet habe. War auch nur Heldentum aus Verzweiflung, aus der Furcht geboren, ihn ganz zu verlieren.

»Du«, rief Julie vom Schreibtisch her, »ein Brief von Gustav Ried aus Singapore. Ich hab's an den Marken gesehen.«

»Ich soll rauskommen, schreibt er. Sie brauchen dort noch deutsche Pauker.« Er reichte ihr das Schreiben. Sie las. »Lehrertalente wie dich brauchen sie, Künstler des Unterrichts«, verbesserte sie, aus dem Brief vorlesend. »Das glaub ich, daß sie dich dort haben möchten. Nein, Ulli, da werden wir doch lieber hier Direktor.«

»Allerdings«, nickte er. »Aber es gibt genug andere, die es mit Kußhand annähmen. Ich muß es mal in der Schule erzählen.«

»Aber, Ulli, verstehst du denn nicht, daß sie nur grade dich haben wollen.« Sie trat dicht an ihn heran, verliebt und stolz und mütterlich.

»Das liest dein Größenwahn zwischen den Zeilen«, scherzte er.

An ihn geschmiegt, raunte sie: »Als ob du das Meer in deinem Gemüt mit heimgebracht hättest, bist du.«

Da lachte er keck: »Vielleicht hat eine Seejungfrau mich junggeküßt.«


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