René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Jugend badet in Frankfurt am Main

Der Dom trägt einen Altfrankfurter Hut, eine richtige, hochvornehme Kaufmannstiara . . .

Am Mainkai stehn mächtige Bürgerhäuser. Sie haben etwas vor sich gebracht, die Herren, einen Achtung fordernden Abstand zwischen sich und den Strom gelegt . . . Es sind lauter Respektspersonen, an denen, bei näherem Zusehn, ein Zug von Gekränktsein auffällt. Wahrscheinlich finden sie, die Welt komme täglich mehr herunter.

Dicht vor ihrer Nase baden Tausende im Main, Jünglinge und Mädchen, viele unterscheidet man kaum, sogar im nassen Badekostüm. Auf dem Motorboot lächeln, kopfnicken sie vorbei, junge Männer, junge Frauen.

Gegenüber gibt es eine riesige neue Markthalle, Hafengebäude, Fabriken. Den Strom entlang baden sie, Tausende von Leibern glänzen an der Sonne.

Je matter die Sonne wird, um so tiefer leuchten die blanken Leiber, am Strand, den Strom hinauf und hinunter, auf dem Hintergrund der Speicher, Hallen, Fabriken.

101 Hallen, Speicher, Fabriken stehn so nah am Himmel, daß sie in der Vordämmerung ihren Sinn zu verlieren scheinen, sie vergessen sich selbst im wachsenden Raum, treiben hell, doch mit schwindenden Umrissen einer Nacht entgegen, von der kein Mensch noch wissen will.

Zugleich gewinnen die Wohnhäuser, gewinnt die ganze Stadt mit dem seßhaften Dom darüber an Wirklichkeit. Das alles strotzt von dunkelfarbenem Leben, noch hat der Himmel sich kaum verfärbt . . .

Bis mitten hinein in die Stadt bewegen sich die Scharen lichtgesättigter Körper, es sind wandelnde Tempelsäulen der Zeit, in denen das Leben das klare Lied singt – unser kleines, sangbares Ritornell, aus den unfaßlichen Tönen geboren, von denen wir umdroht sind, das Lied des Menschen, des herrlichen, aufrecht und hell über die Erde hinwachsenden Menschen.

Das Lied vom unerschöpflichen Wunder Mensch, Lobpreisung, daß es ihn gibt und seine Sonne und den Engel, der ihn mit atmendem Glanze streift, wenn der Abend, kindhaft verspielt, den panischen Schrecken abwandelt in Farben, Düften und Tönen der Erde . . .

Nie war das Leben so von Jugend durchblüht – und die neuen Städte von Gärten.

Alles Licht kommt daher, der helle Klang unsrer Tage.

Die Freiheit und Tapferkeit der Jugend liegt wie ein Sommertag über den Älteren, selbst wer sich mit 102 Bitterkeit ermüden fühlt, wendet nicht das Gesicht ab. Je höher er steigt, um so inniger sammelt er um seine Sinne den großen, farbigen Ruf des Morgens. Er will am Morgen sterben, am Morgen . . .

Nie wölbte sich ein so langer Tag über den Geschlechtern. 103

 


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