René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Ich fahre mit dem Doktor über Land

Napoleonsnelken

Das erste, was ihm draußen auffällt, sind die Napoleonsnelken am Wegrand – dicke Blutstropfen.

»In der Nacht«, fährt es ihm durch den Kopf, »hat ein Mensch hier sein Blut vergossen, und die Sonne macht es glühend, um das Verbrechen an den Tag zu bringen.« Und er sieht gerade noch, wie ein Windhauch, ein geringer Aufruhr der Gräser es wieder zudeckt.

Er seufzt und schaltet den dritten Gang ein.

 
Die Kornblume

Ja, das wird wohl alles sein, was von der blauen Blume der Romantik übrigblieb.

Nach dem letzten Lied des letzten Postillions hat sie sich in das Dickicht des Getreidefeldes verkrochen und ist verkümmert.

Nur die Farbe blieb erhalten. Ihr Blau hat das kalte Feuer eines Edelsteins.

70 Der Doktor kichert:

»Ärgerlich, daß es die Blume ist, deren Nachahmung der Industrie am besten gelingt!«

 
Die Wiesen

Die Feldwege verschwinden im Grün, die jungen Hasen gehn darauf spazieren. Aber auch die Landstraße stürzt unter Bäumen und zwischen Wiesen in eine Fülle, die sie und das Auto schier unter sich begräbt. Bei jeder Biegung wird sie von den Wiesen gefressen. Savarin nimmt alle Kurven zu kurz.

Salbei und Skabiose kommen in Massen bis dicht an die Straße. Sie bilden Spalier! Von morgens bis abends ist der Frühling leibhaftig unterwegs – immer muß man bereitstehn. Auf alle Fälle salutiert der Doktor mit dem Signal.

Weiter drinnen breitet der Sauerampfer ein rosa oder rostbraunes Netz über das Gras. Kommt ein Windstoß, fängt es die ganze Wiese ein.

Die Schierlinge zappeln darin wie dicke Fische.

 
Die erste Rose

Der Sommer öffnet sein Herz.

 
Margerite

Meine Kusine, Stern der frühesten Jugend!

71 Wenn sie aus dem »Sacré-cœur« heimkam und dorthin zurückkehrte, durfte ich sie besuchen. Sie saß im Salon, wohlerzogen und charakterfest wie der Kirchenhahn, der immer nach dem Pfarrhaus guckte, ganz gleich, welcher Wind blies . . . Von den Sesseln waren nur die beiden, auf denen wir sitzen sollten, von den Überzügen befreit.

Das Lachen Margeritens klang, als habe die von einem alten Wucherer gestiftete Silberglocke der Kirche ein Junges bekommen, und mit dieser Tischglocke rief sie die Grazien herbei. Die Grazien kamen, das Meßbuch in der Hand, und schritten mit niedergeschlagenen Augen zur andern Tür hinaus.

Sie roch nicht einmal nach Seife. Sie hatte überhaupt keinen Geruch.

 
Holunder

Trotz des Windes liegen die Dörfer steif in Glut und Stille. Nur die Springbrunnen der Holunderbüsche sprudeln und spielen mit den weißen Monden ihrer Blüten.

 

Am Abend lösen sich die Gassen, zerfließen lustvoll zwischen Himmel und Feld. An allen Ecken winken die Geisterhände des Holunders, und wenn ein Bursche über die Straße geht, taumelt er ein wenig, und die Mädchen lehnen halbversunken an Mauern und Treppen und 72 rühren sich nicht, aus Furcht, beim ersten Schritt in Traum und Ohnmacht zu fallen.

Hinter den erleuchteten Fenstern seines Arbeitszimmers, auf und ab, wandert der Herr Pfarrer. Savarin hat ihn nach einer Konsultation verlassen, bei der mehr von Theologie als von Medizin die Rede war. Manchmal bleibt der geistliche Herr stehn und blickt über die Straße. An deren Ende sieht man die Vogesen und darüber, zehn Uhr abends, noch immer die Farben des Sonnenuntergangs.

»Heidnische Tage!« murmelt schadenfroh der Doktor. 73

 
Heuwagen

Altäre einer uralten Gottheit. Von Kühen und Pferden gezogen, wanken sie im Gleichschritt der Tiere.

Sie nehmen fast die ganze Breite der Straße ein. Das fortschrittliche Auto verlangsamt vor ihnen die Fahrt.

Ihr Duft, Weihrauch der Erde, füllt die Ebene bis zu den Bergen. Sonne umlodert die Schatten der Bäume, und hier, im Schatten, steht der Duft wie unter einem Gewölbe. Wir fühlen uns leicht benommen, wenn wir durchfahren.

Ein maßloser Mittag!

Die Berge sind ein Hauch auf einem Spiegel. Der Umriß, den ein Finger flüchtig hineinmalte, verschwimmt immer mehr.

 
Auf den Hügeln blühen die Reben

Ein Duft, klar und leicht wie die Mondsichel, die die Blüten mit zartem Tau bestreut.

 
Und am Waldrand die Edelkastanien

Fast warf es uns um. »Man könnte – könnte von einem Gestank sprechen«, zischte der Doktor und fuhr schneller.

Jedoch – Liebende haben allen Grund, über den fatalen Geruch nachsichtig zu urteilen. Er steht jenseits von schön und häßlich, wie das Geschlecht . . . 74

»Schon gut«; meinte der Doktor. »Es war nur ein bißchen – ein bißchen viel auf einmal . . . Es überstieg – das menschliche Maß.«

 
Johannisnacht

Aus einem dunkeln Hausflur kommt eine Katze.

Plötzlich macht sie erstaunt halt und schaut mit funkelnden Augen einem Glühwurm zu.

Er tanzt ihr fast auf der Nase. 75

 


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