René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Der neue Wein

Wohin man blickte, waren die Wälder bunt, von innen heraus leuchtend, reglos.

Man hörte die Züge in der Ebene pfeifen und hörte Kinderstimmen, die sich in der Luft überschlugen, ohne daß man hätte sagen können, woher sie kamen, hörte das Knirschen eines Fuhrwerks mit Langholz, das weit weg im Wald den Berg hinabfuhr. So wunderbar klar hörte man sonst nur im März und April.

Da auch die Gänseblumen und Veilchen blühten, hätte es in der Tat Frühling sein können. Kein Vogel dachte daran, die Winterkurplätze aufzusuchen, oder aber sie hatten alle geträumt, sie seien schon von dort zurückgekehrt.

Eines Morgens blühte hier ein Birnbaum, dort ein Apfelbaum, und im Wald traf ich ein Vogelpaar, das sich allen Ernstes um die Herstellung eines Wochenbetts bemühte.

 

Natürlich war es doch anders als im Frühling – so 22 pomphaft deutlich waren die Bäume im Frühling nicht! Jetzt konnte man von Baum zu Baum gehn und jeden bewundern, Wege, die der Sommer unter seinen Laubmassen verborgen hielt, kamen plötzlich ans Licht gesprungen, und wie sie kreuz und quer über die Hügel setzten, verlockten sie einen mit der Lustigkeit junger Hunde, alles hegen und stehn zu lassen und es ihnen gleichzutun.

In der Ebene brannten die Kartoffelfeuer und dufteten bis herauf. So war es Ende Oktober. So blieb es bis tief in den November.

Man hatte zu tun! Halbe Tage lang war ich unterwegs, versuchte den neuen Wein, wie er zwischen dem Kaiserstuhl und Hügelheim und dem Müllheimer Reggenhagen gedeiht, bekam braungelbe Finger vom Schälen der Nüsse und fuhr zu guter Letzt ins Elsaß hinüber, um auch den dortigen zu versuchen. Dies unter dem Vorwand, einem Bekannten aus Schwabenland die verlorenen Provinzen zu zeigen, hauptsächlich sein besonderes Stück daraus, die ehemals württembergische Herrschaft Reichenweiher, wo der beste Riesling des Landes wächst.

Wir waren auf einen Abendschoppen gekommen und blieben fünf Tage.

Bei der Heimfahrt standen die Weinberge glühend rot an der Straße, und über ihnen tanzten, soviel wir sehn konnten, pfingstliche Zungen. In Massen! Man hätte die ganze verstockte Welt mit ihnen versorgen können.

23 Wir rieben uns die Augen und erkannten, daß es sich um die Rebstecken der Weinberge handelte, die mit unruhigen Spitzen in der Sonne flirrten.

Hinter Colmar ging die Sonne unter. Gleich wurde der Badische Belchen schwarz wie der Teufel – und recht bedrohlich mit seinem Stiernacken.

Als wir bei Breisach über die Schiffsbrücke fuhren, stürzte der Rhein mit einem Riesenmondlächeln auf uns zu.

Das Lächeln fand selbst in der Unmenge von Strudeln nicht Platz genug. Es bedeckte die Ufer und kletterte bis in die Spitzen der Pappeln.

Da stand ich im Wagen auf und bot dem Rheinlächeln alles, was hell an mir war, zum Nisten an und versprach, die Brut getreulich zu hüten. 24

 


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