René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Ein Datum

Aus den Bauerngärten hatte der Krieg keine einzige Blume verdrängt. Im Gegenteil, damals erfuhren die Blumen auf dem Land erhöhte Liebe. Man sammelte ihren Samen oder vermehrte sie durch Stecklinge und Ableger.

Statt viel Worte über das Heldentum der Gefallenen zu machen, pflanzten die Frauen Blumen auf die Gräber, die ärmsten wenigstens eine für jede Jahreszeit: Primel, Lilie, Aster, Christrose.

Wie aber verrieten die Schrebergärten der Städte das Elend der Zeit! Jahrelang nach dem Krieg wiesen die meisten Parzellen nicht eine einzige Blume auf, in zehn von hundert stand eine Sonnenblume, die sich selbst ausgesät hatte, ganz selten eine Dahlie oder eine Staudenaster.

 

Plötzlich, im Frühling 1925, kam Leben in die Schrebergärten.

Damals fuhr ich quer durch Deutschland. Am 58 Eingang aller Städte winkten die kleinen Gärten mit Akelei und Fliegendem Herz und Lupinen. Als ich zurückfuhr, grüßten Rittersporn und Eisenhut, Phlox und Monatsrosen, und das Letzte, was ich von den krätzigen, abbröckelnden Städten sah, war die Farbenparade der neuen Zuversicht in all den kleinen Gärten, die aufs Land hinausliefen.

Erst viel später folgte das Ausbessern und Anstreichen der Häuser.

Die Häuser gehören nicht den Armen. 59

 


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