René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Pfingstrosen

Mit der Zeit sind sie eine feine Familie geworden. Nur in auserlesenen Kreisen bekannt und nicht zuletzt wegen dieser Abgeschlossenheit hochgehalten.

Ich habe sie im Garten abseits zu einem Familientag zusammengesetzt. Der Familientag findet um Pfingsten herum statt. Jedes Mitglied kommt einzeln.

 

Ob sie männliche oder weibliche Namen führen, alle sind Frauen.

 

Wenn sie endlich versammelt sind, benimmt sich jede, als säße sie ganz allein und lege vor Gott und ihrem Gewissen eine Prüfung in Eleganz und seelenvollem Ausdruck ab.

Möglich, daß Gott und Gewissen nur andre Namen sind für einen Spiegel, den das Menschenauge ebensowenig sieht.

 

Fast alle sind zart und nachlässig und duften von 64 Liebesbereitschaft. Sie haben eine schwache Gesundheit oder täuschen sie vor.

Manche scheinen so hinfällig, daß sie schier vergehn im Augenblick, wo sie erblühn. Auf ihrer weißen Brust erscheinen dann Blutflecken in Form von züngelnden Flammen.

 

Einige tragen wie echte Adelige den Namen von Ortschaften und Provinzen (Triomphe de Lille, Straßburg, Gloire de Lorraine, Königswinter, Duchesse de Nemours), die Feinsten werden mit »Durchlaucht« und »Hoheit« angeredet.

Da ich die Namen, wie sie im Gotha der Gärtner stehn, leicht vergesse, habe ich die meisten umgetauft. Diese Namen behalte ich, denn für mich hießen sie schon immer so: »Lendemain«, »Mondschein«, »Entzückende Migräne«, »Morgenröte«, »Die Braut« . . .

 

»Die Braut« blüht wie eine gefüllte Alabasterschale.

Die Blätter, die die Schale bilden, sind fest, ebenmäßig gerundet und glänzen von einem seidigen Firnis. Die Fülle der inneren Blätter erreicht nicht ganz den Rand der äußeren, so daß sich die Blume wirklich in ihrer eigenen Schale darbietet . . . Im Innern stehn die Blätter dicht gedrängt und gekräuselt – erstarrt in einem Schauer . . .

»Die Braut« schimmert wie Elfenbein, also je nach 66 der Beleuchtung blendend weiß oder gelblich. In dem Weiß gibt es winzige Blutspritzer . . .

Und wo das bißchen Blut sitzt, halten die Blätter sich scheu zur Seite.

Im übrigen ist sie prall wie sonst keine, hält sich ordentlich und verrät als einzige Gemüt und Sinn für Häuslichkeit.

 

Die Fachleute und andre Zeremonienmeister des Gartens empfehlen, die zarten Geschöpfe, die nur aus blühender Haut bestehn, in Korsette zu stecken, indem man den Busch mit einem Drahtring versieht. Darauf sind sie verfallen, weil die Häupter jeder Päonienfamilie die Neigung haben, möglichst weit Abstand voneinander zu nehmen. Und da sie ihren Stuhl nicht rücken können, bleibt ihnen nur die Flucht unter den Tisch. So kann es geschehn, daß sie alle miteinander auf dem Boden liegen. Wenn es dann regnet, werden sie schmutzig . . .

Das Anlegen eines Korsetts konnte ich ihnen nicht zumuten, ich hätte mich für sie geschämt. Dieses Jahr hat es aber so viel gewindet und geregnet, es ist ihnen so schlecht dabei ergangen, daß ich sie nunmehr mit einer Leibgarde von schmalgebauten, steifen sibirischen Iris umgeben werde.

Diese Hellebardiere mögen die Damen auffangen, wenn sie bei ihrem Familientag in Ohnmacht fallen.

 

67 Man sollte die Nachbarschaft der Blumen nicht nur nach ihren Farben bestimmen, sondern mindestens ebenso sehr nach ihrem Duft. Mit der Zeit wird der Geruchsinn des Blumenliebhabers (falls er wirklich ein » Amant«, ein Liebhaber ist) fast stärker als das Gesicht, und dann entsteht ein ganz neuer Garten – einer, den die Nase ordnet.

Der Duft der Federnelken mischt sich wunderbar mit dem der Pfingstrosen, auch Goldregen und Rosen vermählen sich gut mit ihnen. Flieder tut ihnen weh, zumal wenn er im Verblühen ist, die Glyzinie schlägt sie tot, und wenn Taglilien in der Nähe stehn, riecht es ausschließlich nach parfümeriertem Pudel.

 

Auf die Frage, warum er niemals Pfingstrosen für seine Vasen ins Haus nehme, antwortete ein Gartenfreund: »Unmöglich! Nachts werden sie wild!«

Er sagte es leise, als spräche er von Gespenstern.

 

Das Wesen der Pfingstrose: Trägheit, aus schwermütigem Leichtsinn geboren . . . Im Grund ist sie eine Odaliske, die unsere Zivilisation überzüchtet und verdorben hat.

Sie will nicht tief gepflanzt sein und wartet nach der Pflanzung gern ein Jahr und länger, bis sie blüht.

Die Stammeltern, der Mann (ein richtiger Mann) rot, die Frau (eine richtige Frau) weiß, finden sich in allen 68 Bauerngärten. Sie zeigen die Vorzüge der Sippe, jedoch unverdünnt, unvermischt und so kräftig, daß die Metzger sie gern in ihre Schaufenster stellen.

Der Schweinskopf verträgt sich nicht schlecht mit ihnen, zumal wenn er mit Lorbeerblättern geschmückt ist. 69

 


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