René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Gespenstischer Rhein

Hier ist er noch der Rhein der Nibelungen, düster selbst an Abenden, wo er den ganzen Goldschatz des Sonnenuntergangs in seinen Fluten wälzt.

Er strömt in großartiger Einsamkeit – Vergnügungsdampfer mit Wimpeln und Musik wären hier fehl am Ort. Dem fröhlichen Zecher bliebe der Rheinjodler in der Kehle stecken.

 

Seine Ufer sind Gefängnismauern. Dahinein hat man seinen Lauf gezwängt, aber jenseits der Mauern dehnen sich die Dschungeln der Altwasser, wahre Urwälder, und trotz aller Zuchthausvorrichtungen traut man ihm so wenig, daß drinnen im Land auch noch Wälle gegen ihn errichtet sind.

Einsam, in sich verschlossen, stehn die Pappeln.

 

Hinter dem Laub einer von ihnen schmachtet, an den Stamm gefesselt, ein heiliger Sebastian, nach dem das Zwergvolk der Dschungeln, zur Zeit, als die Bäume noch 45 nackt waren, mit Pfeilen schoß. (Savarin vermutet in diesem Volk Nachkommen jenes Teiles der Nibelungen, der sich gegen die Taufe sperrte.)

Jetzt wird der Heilige von den Krähen ernährt, die dicht über seinem Haupt nisten. Er bekommt gerade so viel zu essen, daß er noch am Leben ist, wenn er im Herbst wieder als Zielscheibe gebraucht wird. Denn Krähen und Heiden bilden natürlich ein Volk.

Im Wind wedelt und flirrt das Laub, die Pappeln sind von oben bis unten mit Glanzlichtern übersät, und all das tanzt mit heuchlerischem Eifer und blendet die Augen. Sonne und Wind tragen dazu bei, den Skandal zu verschleiern.

 

Von Basel herab zieht ein Gewitter.

Langsam verliert der Julihimmel seinen Glanz. Er wird wie dünne Milch, und die Erde bekommt ein gespenstisches Aussehn, obwohl die Wolken noch weit entfernt sind und die Sonne klar am Himmel steht . . .

Dann wird es dunkel.

 

Die Pappeln erblinden und sammeln ihre finstern Gedanken. Den Strom weit hinauf und hinunter, gerade ausgerichtet auf beiden Ufern, ragen sie in die Verfinsterung des Tages.

Und plötzlich, plötzlich beugen sie in Ehrfurcht tief 46 den Rücken! Es geschieht so schnell, daß es aussieht, als täten sie es alle zugleich.

Und ein Gott fährt vorbei.

 

Der Donner kracht . . .

War das nicht der Strom, der auflachte?

Ein gewalttätiger Frohsinn breitet sich über die Fluten, sie stürmen los und spritzen ihren Gischt gegen die Mauern.

Ein Fest ist dieses Unwetter, ein großes Fest, ein Fest der Befreiung. Wir fühlen das Zwergvolk der Dschungeln unsichtbar um uns versammelt. Grinsend schaut es zu, und wenn der Donner rollt, lacht es mit.

Eine Kind, ein Mädchen in rotem Kattunkleid unter einem roten Sonnenschirm, trippelt über die Schiffsbrücke. Sie ersäuft fast im Regen, die Brücke wogt wie 47 eine Bretterschaukel. In der Mitte der Brücke wird der Schirm ihr nach hartem Kampf, bei dem das kleine Geschöpf paarmal wegzufliegen droht, aus den Händen gerissen. Sie blickt ihm nach, wie er mit paar Luftsprüngen in den Rhein fällt und gleich darauf untergeht.

Da geschieht etwas Überraschendes. Vorsichtig tritt das Mädchen an das Geländer und spuckt in das reißende Wasser. Und läuft davon, dem deutschen Ufer zu.

Wir packen es in das Auto des Doktors und fahren es nach Hause. 48

 


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